Hunnius - Sünde
Nikolaus Hunnius: Kurzer Inhalt Dessen,
Was ein Christ von Göttlichen unnd Geistlichen Dingen
zu wissen und zu gleuben bedürfftig (1625)
Nikolaus Hunnius über Sünde, Sündenfall, Erbsünde und Gericht:
Das achte Kapitel.
(Vom Sündenfall unserer ersten Eltern.)
Der Mensch ist in der angeschaffenen Vollkommenheit nicht bestanden, sondern in die Sünde gefallen, und hat dadurch das göttliche Ebenbild samt allen dazu gehörigen schönen Gaben verloren.
169. In solcher Vollkommenheit und Herrlichkeit ist der Mensch nicht bestanden, sondern hat durch Ungehorsam gegen Gott das göttliche Ebenbild verloren, dagegen sich und alle seine Nachkommen in äußerstes, zeitliches und ewiges Verderben gestürzt. Solches tiefer zu beherzigen, ist zu handeln, 1) von der ersten Menschen Fall, 2) von dieses Unglücks Fortpflanzung an die Nach-kommen. Im ersten sind abermal zwei Punkte zu betrachten, einmal der Sünden-fall, hernach das Unglück, so dem Menschen daraus entstanden ist.
170. Mit dem Sündenfall verhält sichs also. Gott hatte mitten im Paradies gesetzt einen Baum, den er genannt den Baum des Erkenntnis gutes und böses, und den Menschen geboten, sie sollten nichts davon essen, sonst würden sie des Todes sterben, 1 B. Mos. 2,17. Er hat also damit von ihnen gefordert, den Ge-horsam dem Herrn zu erweisen, weil sie ihm sonst für alle seine Wohltaten nichts erstatten noch geben könnten.
171. Aber der Satanas verführte aus Neid, mit dem er dem Menschen seine Seligkeit missgönnte, durch die Schlange mit ihrer Schalkheit die Eva, 2 Kor. 11,3., dass sie vom göttlichen Gebot sich abwendete und von dem verbotenen Baum aß, auch ihren Mann gleiches zu tun vermochte. So sind sie beide in Sünden gefallen, 1 B. Mos. 3,1ff. Damit haben sie den göttlichen Bund über-treten, sich von Gott abgekehrt, sind von der Gerechtigkeit abgetreten und haben unter der Sünde Dienstbarkeit sich begeben, wie jetzt weiter soll dargetan werden.
172. Das Unglück, so auf die Sünde erfolgt, ist geistlich und leiblich. Das geistlich Unglück ist zweierlei, denn erstlich hat der Mensch das Gute, so ihm gegeben war, verloren, und dann ist ihm Böses, davon er befreiet war, widerfahren.
173. Das Gute, welches der Mensch verloren hat, ist erstlich das Ebenbild Gottes. Denn da hat Adam verloren
1) die Erkenntnis Gottes und seiner Geschöpfe. Darum hat er sie nicht erblich auf die Nachkommen bringen können, als die mit natürlicher Blindheit und Unwissen-heit geschlagen sind; Ephes. 4,18: „sie (die Heiden) wandeln in Eitelkeit ihres Sinnes, welcher Verstand verfinstert ist und sind entfremdet von dem Leben, das aus Gott ist, durch die Unwissenheit, so in ihnen ist, durch die Blindheit ihres Herzens“. Insonderheit bezeugt Sct. Paulus die verlorne Erkenntnis Gottes 1 Kor. 2,14: „der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geist Gottes, es ist ihm eine Torheit und kann es nicht vernehmen“. Und 2 Corinth 3,5: „wir sind nicht tüchtig von uns selber, etwas zu denken als von uns selber“. Weil denn Adam seine Kinder nach seinem Ebenbilde gezeugt hat, 1 Mos 5,3., so folgt, weil die Kinder solchen natürlichen Unverstand in sich haben, dass er denselben gleichfalls an sich gehabt und auf sie geerbt habe. Wie der Kreaturen Wissenschaft verloren sei, bezeugt die Erfahrung einem jeden, denn was er davon zu wissen begehrt, dasselbe muss er mit großer Mühe und Beschwerung lernen, und befindet doch großen Mangel und Unvollkommenheit darinnen.
174. 2) die Heiligkeit und Gerechtigkeit. Denn wo Sünde ist, da kann weder Ge-rechtigkeit noch Heiligkeit bestehen.
175. 3) den freien Willen, das gute zu tun und das böse zu meiden. Denn wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht, Joh. 8,34. Wer aber der Sünde Knecht wird, der ist nicht frei, das gute zu tun und das böse zu meiden, sondern er ist gefan-gen in der Sünde Gesetz, Röm. 7,23.
176. 4) die Unsterblichkeit. Denn wie der Mensch sterblich worden sei, erweist die Erfahrung. Es hats ihnen auch Gott zuvor gesagt: welches Tages du von dem Baum der Erkenntnis gutes und böses issest, sollt du des Todes sterben (1 Mose 2,17). Und nachdem er die Sünde begangen, spricht ihm Gott dies Urteil: Du bist Erde, und sollt zu Erden werden (Kap. 3,19). Deswegen steht Röm. 5,12 ge-schrieben: „durch einen Menschen ist die Sünde kommen in die Welt und durch die Sünde der Tod“. Und ist also der Tod der Sünden Sold, Röm. 6,23.
177. die Beherrschung der leiblichen Geschöpfe. Dieselbe ist dermaßen ver-loschen, dass sich nicht nur vielerlei Ungehorsam, sondern auch eine solche Widerwärtigkeit der Tiere wider den Menschen findet, dass sie einesteils seinem Gebot nicht gehorchen, andernteils Feindschaft wider den Menschen tragen, der sich von ihnen alles bösen und Unglücks zu versehen hat.
178. Daraus folgt das andere Gute, welches der Mensch verloren, nämlich die Gnade Gottes. Denn wie Gott aus gerechtem Gericht alle Bosheit hasst, sowie er dem Adam, wo er würde seinen Willen übertreten, den Tod gedräuet hat, also ist derselbe durch die Sünde in Gottes Gericht, Zorn und ernste Strafe gefallen, und hat der großen Gnade, mit welcher ihm Gott zugetan war, sich gänzlich verlustig gemacht.
179. Das böse, so dem Menschen widerfahren, ist zum guten Teil aus dem ab-zunehmen, was jetzt von den verlornen Gütern ist gemeldet worden; denn es ist ihm nach dem Sündenfall geistlicher und leiblicher Schade gekommen.
180. Der geistliche Schade besteht darin, dass nach dem Bilde Gottes ein ab-scheuliches Bild des leidigen Satans erfolgte, das ist, eine solche Unwissenheit und Unverstand in göttlichen Dingen, dass, die fleischlich gesinnet sind, eine Feindschaft worden sind wider Gott. Anstatt der Heiligkeit ist des Menschen Herz mit Sünden dermaßen durchgiftet und überfüllt worden, dass alles sein Dichten und Trachten nur böse ist immerdar, 1 Mose 3,8. Anstatt des freundlichen Ge-sprächs, das Gott mit den Menschen gehalten, war von Gott anders nichts, denn sein grimmiger Zorn und erschrecklich Gericht zu gewarten, davor Adam sich versteckte, 1 Mose 3,8. Anstatt der Freudigkeit, so er zu Gott hatte, fühlte er ein böses verwundetes Gewissen, welches ihn von Gott schied, Jes. 59,2, und also ängstete, dass er vor Gottes Angesicht nicht erscheinen durfte. Endlich wurde er anstatt der großen ewigen Seligkeit der höllischen Verdammnis unterworfen.
181. Der leibliche Schade besteht hierin, dass der Mensch nach begangener Sünde aus dem Paradies gestoßen worden, 1 Mose 3,23, dass ihm auferlegt worden, das Erdreich mit saurer Mühe und Arbeit zu bauen, v. 19.23, dass anstatt des gesunden und von allerlei Krankheit befreiten Wohlstandes der Leib vielen unzähligen Krankheiten unterworfen worden ist, womit ihm nach Sirachs Rede geschehen Kap. 38,15: „wer vor seinem Schöpfer sündiget, der fällt dem Arzt in die Hände“. Endlich anstatt des Leibes Unsterblichkeit hat der Tod über den sündigen Adam geherrscht, davon droben gemeldet worden. Es ist also aus diesem genugsam kund, was unserer ersten Eltern, Adam und Eva, Sündenfall gewesen, und was daraus denselben für Unglück entstanden sei.
Das neunte Kapitel.
(Von der Erbsünde.)
Diesen großen Jammer und Elend, so unsern ersten Eltern aus der Sünde entstanden ist, haben sie auf alle ihre Nachkommen geerbt.
182. Die Erfahrung gibts, dass manchmal die Leibesgebrechen und Krankheiten von den Eltern auf die Kinder geerbt werden, wie auch oftmals der Eltern be-sondere Laster und Bosheit, als der Seele Krankheit und Gebrechen, auf die Kinder kommen. Doch fehlt dies auch manchmal, so dass von krummen und gebrechlichen Leuten gerade und gesunde Kinder, von boshaftigen Leuten fromme Kinder gezeugt werden.
Demnach hat es eine besondere Bewandtnis mit der Sünde Adams und Evä. Denn nachdem dieselben darein geraten sind, ist ihre ganze Natur von der Sünde dermaßen vergiftet, dass sie die Sünde mit samt der Natur auf alle Nachkommen geerbt haben und keiner unter allen Adamskindern (den Herrn Christum ausgenommen, Hebr. 4,15.) rein und heilig zur Welt geboren wird, sondern sie sind alle der Sünde teilhaftig worden.
183. Dasselbe nun zu erklären, so ist dafür zu halten, dass die einige Handlung, womit Adam und Eva Gottes Gebot überschritten haben, nicht nur derselben, sondern auch aller ihrer Nachkommen Sünde sei. Denn da Adam nicht für seine Person allein, sondern als ein Stamm des ganzen menschlichen Geschlechts Gott einen Gehorsam leisten sollte; so hat er mit Übertretung göttlichen Gebots nicht für seine Person allein, sondern als ein Stamm und Vater aller Menschen gesündigt, und also haben mit dieser Übertretung in Adam zugleich alle Men-schen gesündigt, maßen der Apostel schreibt, dass durch des einigen Sünders einige Sünde alles Verderben gekommen und durch eines Menschen Unge-horsam viel Sünder worden seien, Röm. 5,16.19. Und nachdem die ersten Eltern sündlich worden sind, ist ihre Natur also verderbt, dass sie nicht andere als sündliche Kinder haben zeugen mögen; und wenn noch heutiges Tages die Kinder sündlich geboren werden, so rührt dasselbe ursprünglich von der ersten Sünde her.
184. Dieses heißt man die Erbsünde, und es ist dieselbe eigentlich die Verderb-nis der Natur, womit ein Mensch von Gott, desselben Werken und Willen abge-wendet ist, dass er das Gute, was Gott will, von Natur hasst und fleucht oder es nicht anders, denn mit großem Widerwillen vollbringt: hingegen das Böse, welches Gott verbeut, von Natur liebt, demselben nachtrachtet und es mit be-sonderer großer Lust und Freudigkeit verrichtet. Solches muss noch deutlicher erklärt und hernach bewiesen werden.
185. Die Erklärung betreffend, so sehen wir: wenn Kinder ihnen selbst zu ihrem Willen überlassen werden, so lernen sie allezeit von ihnen selber mancherlei böses, nimmermehr aber etwas gutes. Damit erweist sich die Natur, dass sie zum bösen geneigt und vom guten abgewendet sei. Wollen aber Eltern, dass ihre Kinder sollen Gottseligkeit lernen, gute Tugenden, Zucht und Ehrbarkeit fassen, so ist abermal kund, was für große mächtige Arbeit dazu gehöre, dass die natür-liche Bosheit durch Ruten und Schläge von ihnen ausgetrieben, Tugend und gute Lehre aber eingepflanzt werde. Hingegen wer die Kinder vom guten ab und dem bösen zuführen wollte, dürfte sie dazu weder nötigen noch schlagen, weil sie von sich selber dazu wohl kommen würden.
186. Ingleichen befindet ein jeder Mensch, wenn er soll beten, Predigt hören, die h. Schrift oder andere gute Bücher lesen, so zur Gottseligkeit dienen, dass, ob er schon als ein Wiedergeborner nach dem inwendigen Menschen solches gern tut, er doch eher darüber ermüdet, denn so er andere Händel verrichtete. Mancher wird an seiner Werkstatt, ob er schon den ganzen Tag arbeitete, nicht also verdrossen, denn so er eine Stunde soll Predigt hören. Wenn er aber Schwel-gerei, Leichtfertigkeit, Gaukelspiel, unnützem Geschwätz abwartet, so will ihm alle Zeit zu kurz sein und wird einen ganzen Tag nicht also verdrossen, als wenn er eine Stunde soll beten oder den Gottesdienst abwarten. Wenn wir die Ursache dieses Werks erforschen wollen, werden wir unfehlbar finden, sie stecke in der Natur, die den Menschen von allem guten abführe, hingegen zu allem bösen reize und neige. Solche Verderbnis, dass die ganze Natur und alle Kräfte von Gott und allem guten abgewendet, zu allem bösen aber geneigt ist, muss ja eine böse, Gott missfällige und sündliche Art sein, und weil sie dazu erblich ist, wird sie recht eigentlich und wohl die Erbsünde genannt.
187. Den Beweis belangend, so wird zwar schon aus Betrachtung der Dinge, so uns der Augenschein, ja unser eigen Herz und Gewissen zeigt, die verderbte Art der Natur und die Erbsünde genugsam und überflüssig erwiesen. Jedoch mögen, um solches gewisser zu vernehmen und tiefer zu beherzigen, noch folgende Gründe hinzu getan werden. Und es wird demnach, dass der Mensch von Natur und durch seine Geburt mit Sünden vergiftet sei, daraus bewiesen:
188. 1) weil wir alle von sündlichen Eltern herkommen. Denn weil ein fauler Baum faule Früchte bringt (Matth. 7,18), so mag hie mit dem heiligen Hiob ge-schlossen werden (Kap. 15,14ff.): „was ist ein Mensch, dass er sollte rein sein und dass der sollte gerecht sein, der vom Weibe geboren ist? Siehe unter seinen Heiligen ist keiner ohne Tadel und die Himmel sind nicht rein vor ihm; wie viel mehr ein Mensch, der ein Greuel und schnöde ist, der Unrecht säuft wie Wasser.“
189. 2) Weil alle Menschen durch Adams Fall sind Sünder worden. Sct. Paulus schreibet 1 Tim. 2,14: „das Weib ist verführet und hat die Übertretung einge-führet“; Röm. 5,12: „die Sünde ist durch einen Menschen in die Welt kommen und der Tod durch die Sünde, und ist also der Tod zu allen Menschen hindurch gedrungen, dieweil sie alle gesündiget haben“; v. 15: „durch eines Sünde sind viel gestorben“; v. 16: „durch des einigen Sünders einige Sünde ist alles Ver-derben kommen“; v. 18: „durch eines Sünde ist die Verdammnis über alle Men-schen kommen“.
190. 3) Weil alle Menschen in Sünden empfangen und geboren werden; Ps. 51,7: „ich bin aus sündlichem Samen gezeugt und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen“.
191. 4) Weil ein Mensch so, wie er von seiner Geburt an beschaffen ist, nicht kann ins Reich Gottes kommen Joh. 3,6 spricht der Herr Christus: „was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch“. Nun sagt er aber zuvor v. 5: „es sei denn, dass jemand geboren werde aus dem Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen“. St. Paulus aber schreibt noch deutlicher 1 Kor. 15,50: „Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht ererben“. Sintemal nun allein die Sünde vom Reich Gottes die Menschen ausschließt und alles, was vom Fleisch geboren ist, nicht kann ins Reich Gottes kommen, so folgt daraus, dass alles, so vom Fleisch geboren ist, der Sünde teilhaftig sei.
192. 5) Weil sich in allen Menschen alsbald von der Geburt an bis in die letzte Todesstunde dasjenige befindet, so eigentlich und allein von der Sünde her-kommt:
a. dass man zu wirklichen Sünden eilt; Matth. 15,19: „aus dem Herzen kommen arge Gedanken, Mord. Ehebruch, Hurerei etc.“ Jak. 1,14: „ein jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizet und gelocket wird“.
b. dass alle Menschen, auch die noch nicht zur Welt gebornen, dem Tod unter-worfen sind. „Der Tod ist der Sünden Sold“, Röm. 6,23. Und dass derselbe durch alle Menschen der Sünde halben durchgedrungen sei, auch durch die, so nicht also wirklich wie Adam gesündigt hatten, bezeugt St. Paulus Röm. 5,14: „der Tod herrschete von Adam bis auf Mosen, auch über die, die nicht gesündigt haben mit gleicher Übertretung wie Adam“.
c. Dass alle Menschen von Natur unter dem Zorn Gottes sind. Der Zorn Gottes wird allein offenbart über das gottlose Wesen der Menschen, Röm. 1,18. Der Zorn Gottes geht aber über alle Menschen von Natur; Eph. 2,3: „wir waren Kinder des Zorns von Natur, gleichwie auch die andern“. Darum sind alle Menschen Sünder von Natur.
d. Dass alle Menschen vom Reich Gottes ausgeschlossen werden, auch die noch keine wirkliche Sünde begangen haben. Davon ist in dem vierten Beweis Meldung geschehen, und es ist auch daraus zu vernehmen, dass solche Kinder, die vor, in oder bald nach ihrer Geburt sterben, entweder in Gottes Reich auf-genommen oder davon ausgeschlossen werden. Kommen sie hinein, so müssen sie durch Christum hinein kommen, denn es ist außer ihm kein Name den Men-schen gegeben, selig zu werden, Apostelgesch. 4,12.; und er selber spricht: „niemand kommt zum Vater, denn durch mich“, Joh. 14,6. Durch Christum aber kommen in Gottes Reich allein die Sünder; Matth. 9,13: „ich bin kommen, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Frommen“. Er ist kommen, die Sünder selig zu machen, 1 Tim. 1,15., er ist kommen, sein Volk selig zu machen von allen seinen Sünden, Matth. 1,21. Wenn demnach die Kinder in Gottes Reich kommen, und zwar durch Christum hinein kommen, so sind sie gewisslich Sünder. Weil sie aber vor, in, auch vielleicht alsbald nach ihrer Geburt keine wirkliche Sünde begangen haben, so sind sie von Natur Sünder.
193. Hieraus erhellt also, dass die Erbsünde, obwohl sie die menschliche Natur verderbt, dieselbe doch nicht wesentlich verwandelt habe und dass sie zwar eine große geistliche Krankheit des Menschen sei, aber nicht des Menschen Substanz und Wesen selber. Solches ist daraus zu entnehmen, dass Gott
1) das menschliche Wesen, welches mit der Sünde hernach verderbt worden ist, erschaffen hat, wie er dasselbe auch noch erhält; Apostelgesch. 17,28: „in ihm leben, weben und sind wir“. Die Erbsünde aber hat Gott nicht geschaffen.
2) Dass er das menschliche Wesen durch seines Sohnes eigen Blut erlöset hat, Apostelgesch. 20,28. Die Erbsünde aber hat er nicht erlöst, sondern von der Sünde hat er sein Volk selig gemacht, Matth. 1,21.
3) Dass er das menschliche Wesen durch seinen Geist geheiligt hat, Eph. 5,26.27. Die Erbsünde aber hat er nicht geheiligt.
4) Dass er das menschliche Wesen am jüngsten Tage zum ewigen Leben aufer-wecken wird, Hiob 19,26. Die Erbsünde aber wird Gott zum ewigen Leben nicht auferwecken, sondern den Menschen von dieser und anderer Schwachheit reinigen, 1 Kor. 15,43. Darum ist die Erbsünde nicht das menschliche Wesen selber.
Das zehnte Kapitel.
Aus der Erbsünde entspringt der zeitliche Tod, die Verderbnis aller Kräfte, die wirkliche Sünde, und vor dem göttlichen Gericht großer Ungehorsam und ewige Verdammnis.
194. Wenn gefragt wird, was die Erbsünde für Früchte getragen hat, so ist auf zwei Dinge zu sehen: einmal auf den Menschen, welcher gesündiget hat, her-nach auf Gottes Gericht, welches die Sünde zu strafen hat. Von Gottes Gericht soll hernach im folgenden Kapitel gehandelt werden. So viel den Menschen betrifft, sind dreierlei Stücke, welche die Erbsünde in dem Menschen stiftet, nämlich 1) der zeitliche oder leibliche Tod, 2) die Verderbnis aller Kräfte, 3) die wirkliche Sünde.
195. Der zeitliche oder leibliche Tod. Gott hatte den Menschen bedroht, wenn er würde essen von dem Baum, den er ihm verbot, so würde er des Todes sterben, 1 Mose 2,17. Nachdem er nun gesündiget hatte, kündigt Gott ihm dies Urteil an: du bist Erde und sollt zur Erde werden, Kap. 3,19. Obwohl aber Adam und Eva nicht denselben Tag gestorben, da sie gesündigt hatten, sind sie doch alsbald dem Tode unterworfen und sterblich worden. Eben also ist die Sterblichkeit und hernach der Tod zugleich mit der Sünde über alle Menschen kommen, Röm. 5,12: „der Tod ist durch die Sünde in die Welt kommen“; Röm. 6,23: „der Sünden Sold ist der Tod“. Wie nun der Mensch ist unsterblich erschaffen, also ist er durch die Sünde sterblich und dem Tod unterworfen worden.
196. Die Verderbnis aller Kräfte. Zweierlei Kräfte sind in dem Menschen: etliche stehen der Natur desselben allein zu, andere sind dem Menschen gemein mit den unvernünftigen Tieren oder Kreaturen. Eigene Kräfte des Menschen sind: Verstand und Wille.
197. Vom Verstand ist also zu halten, dass er sei eine natürliche Kraft, dasjenige zu vernehmen und auszudenken, welches unvernünftige Tiere mit ihren Sinnen nicht erreichen, vernehmen noch ausdenken mögen. Wiewohl nun diese Kraft der menschlichen Seele nach dem Sündenfall geblieben ist, dass auch die, welche in Sünden geboren werden, vernünftig und verständig sind und damit die andern sichtbaren Kreaturen übertreffen; so ist doch der Verstand dermaßen verfinstert, dass er dasjenige, so göttlich ist und von Gott, seinem Wesen, Willen und Werken gelehrt wird, ihm nicht kann einbilden. Und ob er wohl vernimmt, was damit gemeint sei, so mag er es doch nicht für sich selbst also fassen und begreifen, dass er es für wahrhaftig halte und ihm Glauben schenke, dass es gewisslich also sei, wie er höret, dass gelehrt werde.
198. Zum Exempel: wenn ein Mensch hört, Christus sei von einer Jungfrau, unverletzt ihrer Jungfrauschaft, geboren, so vernimmt er zwar, was damit gemeint sei. Er spricht aber: das kann ich nicht verstehen noch mit meiner Vernunft begreifen. Gleichwie die Jungfrau Maria die Verkündigung des Engels nicht verstund. Denn ob sie schon vernahm, was die Meinung seiner Rede wäre und was ihr der Engel wollte angemeldet haben, so konnte sie doch nicht sehen, wie das, welches er sagte, könne wahr sein; darum sprach sie zu ihm: wie soll das zugehen? sintemal ich von keinem Manne weiß. Luk. 1,34. Als der Herr Christus, Luk. 18,31ff, seinen Jüngern verkündigte, er würde leiden, sterben und auferstehen, so verstunden sie zwar die Worte und Meinung. Weil sie aber dieses mit ihren Gedanken nicht zusammen reimen noch glauben konnten, so wird gemeldet, sie hättens nicht verstanden; v. 34: „sie vernahmen der keines, die Rede war ihnen verborgen, und wussten nicht, was das gesaget war“.
Gleich also verhält sichs mit unserer Vernunft in andern göttlichen Geheimnissen, dass sie ganz ungeschickt ist, denselben Glauben zu schenken.
199. Solches ist an ihm selber durch die Erfahrung gewiss genug, wird aber zum Überfluss also bewiesen:
a. von dem Menschen, wie er ist, wird seiner Natur nach gesagt, er verstehe nicht, was da geistlich ist; 1 Korinth 2,14: „der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geist Gottes, es ist ihm eine Torheit und kann es nicht erkennen“.
200. b. das geistliche ist vor der Vernunft eine Torheit. Wie das jetzt angezogene Zeugnis dartut, wird dies anderswo mit klaren Worten wiederholt; 1 Kor. 1,18: „das Wort vom Kreuz Christi ist eine Torheit denen, die verloren werden“; v. 21: „dieweil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch törichte Predigt selig zu machen die, so daran glauben“; v. 23: „wir predigen den gekreuzigten Christum, den Juden ein Ärgernis, und den Griechen eine Torheit“; Kap. 3,18: „welcher sich unter euch dünkt weise zu sein, der werde ein Narr in dieser Welt, dass er möge weise sein“.
201. c. das Geistliche ist dem natürlichen Menschen eine Feindschaft; Röm. 8,7: „fleischlich gesinnet sein ist eine Feindschaft wider Gott“.
202. d. alle geistlichen Werke, so der Verstand des Menschen verrichten kann, werden Gott zugeschrieben; 2 Kor. 3,5: „wir sind nicht tüchtig von uns selber, etwas zu denken als von uns selber, sondern dass wir tüchtig sind, ist von Gott“; Phil. 1,6: „der das gute Werk in euch angefangen hat, der wirds auch vollenden“. Hievon ein weiteres, wenn von des Menschen Bekehrung wird geredet werden.
(Vom freien Willen.)
203. Der Wille ist nicht weniger, als der Verstand, verderbt, denn er ist zur Sünde und zu allem Bösen ganz geneigt, dass er nicht kann gutes tun und auch nicht des bösen sich erwehren; 1 Mose 6,5: „alles Dichten und Trachten der Men-schenherzen ist nur böse immerdar“; Sprichw. Sal. 22,15: „Torheit stecket dem Knaben im Herzen“. Ja, der Wille ist unter die Sünde gefangen; Röm. 7,14: „wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist, ich bin aber fleischlich, unter die Sünde verkauft“; v. 19: „das gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das böse, das ich nicht will, das tue ich“; v. 23: „ich sehe ein ander Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstrebet dem Gesetz in meinem Gemüte und nimmt mich gefangen in der Sünden Gesetz“; Gal. 5,17: „das Fleisch gelüstet wider den Geist und den Geist wider das Fleisch; dieselben sind wider einander, dass ihr nicht tut, was ihr wollt“.
204. Ferner kann des Menschen Wille dem göttlichen Willen nicht einen freien Gehorsam leisten. Die Engel, weil sie ohne Sünde sind, können aus freiem Willen dienen, als die von keiner bösen Zuneigung noch argen Lust davon abgereizt oder abgedrungen werden. Da nun der Mensch dieses nicht vermag, so sagt man recht, dass er seinen freien Willen, Gott zu gehorsamen, durch die Sünde verloren habe. Solches behaupten die angeführten Schriftzeugnisse leichtlich, indem sie anzeigen, es sei der Mensch unter die Sünde gefangen, dass er nicht könne tun, was er wolle etc.
205. Wie nun eines Gefangenen Wille nicht frei ist, zu tun und zu lassen, das ihm gefällt, und wie auch dessen Wille nicht frei ist, der nicht tun kann, was er gern tun wollte; also ist des Menschen Wille von Natur nicht frei, als welcher unter die Sünde gefangen ist und wegen der sündlichen Lüste, die in eines jeden Herzen aufsteigen, nicht tun kann, was er schon gern tun wollte. Und hier mag ein jeder in sein eigen Gewissen und aus seine selbsteigene Erfahrung gehen und auf-merken, wenn er gern etwas gutes tun wollte, (es sei beten, göttliche Geheim-nisse und Werke betrachten oder andere Werke der Gottseligkeit üben,) ob ihm nicht ein fremder, auch wohl widerwärtiger Gedanke einkomme; ob er nicht eine Müdigkeit darüber empfinde und ihm langes Beten und andere gottselige Werke etwas Überdruss bringen. Befindet ers also, so hat er an ihm selbst einen le-bendigen Zeugen, dass sein Wille in geistlichen und gottseligen Werken vielfältig verhindert werde und demnach nicht frei sei, das gute zu tun und das böse zu unterlassen.
206. Mit den Tieren hat der Mensch gemein die Sinne, Appetit oder Begierde samt seinen Affekten, dann die Bewegung und die Kräfte, so zur Nahrung und Fortpflanzung des Geschlechts gehören. In diesem allen befindet sich große Verderbnis. Denn Augen und Ohren sind geneigt zur Bosheit, zu schädlichen und schändlichen Dingen; mit welchen man sich erlustigt; da hingegen bei ihnen eine besondere Unlust und Verdruss ist gegen das, was ehrbar, gut und nützlich. Wie denn offenbar ist, dass man mit Lust einem Gaukelspiel zusieht einen ganzen Tag, davon doch kein Nutz geschöpft, sondern allein Leichtfertigkeit und Bosheit gelernt wird. Soll man aber eine nützliche und zur ewigen Wohlfahrt erbauliche Predigt hören, so entschläft man bald oder wird es zum wenigsten müde und überdrüssig.
207. Wie nun dieses Augen und Ohren betrifft, also wird ein jeder in allen seinen Lüsten und Affekten, in Zorn, in Liebe, Begierde, Reichtum etc. die Erbsünde, das ist, die natürliche Unart und Verderbnis mehr verspüren, als gut und ihm lieb sein mag, so dass fernerer Beweis nicht nötig ist.
208. Was aber die Schrift von der grausamen Verderbnis unserer Natur und den Kräften derselben redet, dasselbige ist alles aus dem, was bisher angedeutet ist, wohl zu vernehmen, darum solches zu widerholen nicht von nöten. Die wirkliche Sünde ist der vornehmsten Früchte eine, so aus der Erbsünde herkommen. Aber davon wird das folgende Kapitel ausführlich handeln.
Das elfte Kapitel.
(Von wirklichen Sünden.)
Die wirkliche Sünde, so von der Erbsünde, wie auch von des Teufels und der Welt Anstiftung herrührt und womit alle Menschen befleckt sind, ist zwar unterschiedlich, jedoch verursacht sie ohne Unterschied die ewige Verdammnis.
209. Von der wirklichen Sünde, die durch äußerliche oder innerliche Wirkung und Werke verrichtet wird, sind folgende sechs Punkte zu betrachten, 1) ihre Be-schreibung, und was sie sei; 2) die Ursach, daraus sie entspringt; 3) das Subjekt, oder wer es sei, der Sünde tut; 4) ihre Grade, und wie etliche Sünden groß, andere kleiner und geringer seien; 5) ihre Arten, wie unterschiedlich und mancherlei Art sie sei; 6) ihre Früchte, und was aus der wirklichen Sünde erfolge.
210. Was Sünde sei, weist uns etlicher Maßen das Gesetz der Natur, daraus einem jeden sein Gewissen anzeigt, wie er unrecht getan. Denn von den Heiden, denen das Gesetz nicht also vorgelegt war, wie den Juden, schreibt der Apostel Röm. 2,14.15, sie seien ihnen selbst ein Gesetz, und ihre Gedanken verklagten und entschuldigten einander über dem bösen, das sie getan haben.
211. Insonderheit aber und eigentlich weiset das göttliche Gesetz, was Sünde sei oder nicht. Denn darum schreibt St. Paulus Röm. 3,20: „durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde“; Röm. 7,7: „die Sünde erkannte ich nicht ohne durchs Gesetz, denn ich wusste nichts von der Lust, wo das Gesetz nicht hätte gesagt: laß dich nicht gelüsten“. Deswegen wird das Gesetz recht verglichen einem Spiegel, darin man die Unreinigkeit des Angesichts erkennt, Jak. 1,23.
212. Nimmt man denn das Gesetz zur Hand und forscht, was eigentlich Sünde sei, so wird dasselbe anzeigen: Sünde ist alles dasjenige, was dem göttlichen Gesetz zuwider läuft, wie St. Johannes 1 Epist. 3,4 die Sünde beschrieben hat. Denn, wie alle Übertretung der weltlichen Gesetze für Missetat in den gemeinen Regimenten geachtet wird, also ist alles vor Gott Sünde, womit Gottes Gebot übertreten wird.
213. Dabei entsteht denn diese Frage: ob auch das, so unwissend oder wider Willen begangen wird, Sünde sei. Darauf ist mit Ja zu antworten, darum dass man wider Gottes Gebot tun kann nicht nur aus freiem Willen und Vorsatz, sondern auch unwissend, mit Worten, äußerlichen Gebärden, innerlicher Lust und Gedanken. Demnach sind diese Punkte in acht zu nehmen,
214. 1) dass auch dasjenige Sünde sei, welches unwissend und wider Willen begangen wird. Denn:
a. gleichwie auch der tötet, der es unwissend tut, also übertritt der sowohl Gottes Gebot, welcher es wissend tut, als der Sünde begeht, welcher dieselbe un-wissend verrichtet. Insonderheit, weil nach St. Johannis Lehre alles, so von dem göttlichen Gesetz abweicht, Sünde ist; so muss ja das auch Sünde sein, was von Gottes Gesetz unwissend abweicht.
215. b. Die Schrift unterscheidet die Sünden, so mit Willen oder ohne Willen geschehen. Denn St. Paulus klagt, er sei eben damit unter die Sünde gefangen, dass er tue das böse, so er nicht will, Röm. 7,16.19. Und 1 Timoth 1,13 gedenkt er der Sünde, dass er die Christen verfolgt hatte, und setzt Sünde und Unwissen-heit zusammen in diesen Worten: ich war zuvor ein Lästerer und ein Verfolger und ein Schmäher, aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habs unwissend getan im Unglauben. Hebr. 10,26 wird insonderheit von mutwilligen Sünden gelehrt, daraus zu schließen ist, dass andere Sünden seien, die nicht mit Willen geschehen.
216. c. im mosaischen Gesetz waren gewisse Opfer verordnet für die, so aus Unwissenheit gesündigt hatten; 3 Mos. 4,2.12.22.27. Kap. 5,4.
217. d. Auch bitten die Heiligen Gott dem Herrn ihre Sünden ab, die sie ohne Wissen und Willen getan hätten; Ps. 16,13: „wer kann merken, wie oft er fehlet? Verzeihe mir die verborgenen Fehle“.
218. 2. ist in acht zu nehmen, dass auch das Sünde sei, welches allein in Ge-danken besteht. Als: wenn jemand, der seinen Nächsten begehrt herzlich zu lieben, vernimmt, der Nächste habe ihm eine Untreu bewiesen, so kann es nicht wohl sein, dass nicht eine widerwärtige Bewegung oder Gedanken gegen einen solchen bösen Menschen entstehen sollte, obgleich dieselbe ihm herzlich zuwider ist und er wünscht, dass ihm dergleichen Gedanken und Bewegungen nicht kämen. Ingleichen wer viel köstliche Schätze sieht, deren er in seiner großen Not bedürftig wäre, kann sich mit allen Kräften nicht wohl enthalten, dass er nicht eine Bewegung und Gedanken bei sich fühlt, sie ihm selber zu begehren. Solche Begierden nun zu äußerlicher Sünde werden auch in das Sündenregister geschrieben. Denn
219. a. es lauft alles das wider göttliches Gebot, was eigentliche Ursach zu Sünden gibt und gleichsam derselben Anfang ist. Was aber wider göttliches Gebot lauft, dasselbe ist gewisslich Sünde.
220. b. die böse Lust ist gleich den andern Sünden verboten; denn im 9. und 10. Gebot wird gesagt: laß dich nicht gelüsten deines Nächsten Haus, deines Nächsten Weibes noch seines Knechtes etc., noch alles, was sein ist, 2 Mos. 20,17.18.
221. c. die böse Lust wird ausdrücklich Sünde genannt Röm. 7,7: „ich wusste nichts von der Lust (dass sie Sünde sei), wo das Gesetz nicht hätte gesagt: laß dich nicht gelüsten“.
222. In Summa, alle Gedanken, alle Lust und Begierde, alle Worte, alle Gebärde, alle Werke, wie dieselben auch immer mögen genannt werden, wenn sie den göttlichen Geboten oder der Liebe Gottes und des Nächsten zuwiderlaufen, sie geschehen mit oder ohne Willen, sie seien gering oder groß etc., sind alle mit-einander ohne einigen Unterschied eigentliche wirkliche Sünde.
223. Der andere Punkt: die Ursache der wirklichen Sünde ist auf Gott keines-weges zu schieben, als ob derselbe die Sünde wolle, beschließe, die Menschen dazu anreize, verordne oder nötige etc. Denn nicht nur lauft solches dem gerade zuwider, was Gott von seiner Erkenntnis in der Natur geoffenbart hat, weil niemand von Gott gedenken soll noch kann, dass er der Sünden Ursach sei; sondern es bezeugts auch die Schrift vielfältig, als Psalm 5,5: „du bist nicht ein Gott, dem gottlos Wesen gefällt; Jak. 1,13: „niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versuchet werde, denn Gott ist nicht ein Versucher zum bösen, er versuchet niemand“.
Die rechte Ursach aller wirklichen Sünde ist entweder in uns oder außer uns. Die Ursach in uns ist die Erbsünde oder das sündliche Fleisch, davon Gal. 5,17 ge-schrieben steht: „offenbar sind die Werke des Fleisches, als da sind Ehebruch, Hurerei, Abgötterei, Zorn, Hass“ etc. Und der Herr Christus lehrt Matth. 15,19: „aus dem Herzen kommen arge Gedanken, Mord, Ehebruch“ etc. Jak. 1,14.15: „ein jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eignen Lust gereizt und gelocket wird, darnach, wenn die Lust empfangen hat, gebieret sie Sünde“. Außer dem Menschen ist der leidige Teufel und die Welt.
Der Teufel ist eine Ursach der Sünden, als der unsere ersten Eltern in die erste Sünde gestürzt hat, 1 Mose 3,1ff. Von ihm zeuget der Herr Christus, dass er ein Lügner sei, und ein Vater derselben, Joh. 8,44, und St. Johannes 1 Ep. 3,8 schreibt: „wer Sünde tut, der ist vom Teufel, denn der Teufel sündiget von An-fang.“
226. Die Welt reizt auch zu Sünden; Matth. 12,7: „wehe der Welt der Ärgernis halben“. 1 Kor. 15,33: „lasset euch nicht verführen. Böse Geschwätze verderben gute Sitten“.
227. Der dritte Punkt: das Subjekt, oder wer es sei, der Sünde tut? Kürzlich zu antworten: weil alle Menschen der Erbsünde teilhaftig worden, so sind sie auch alle mit der wirklichen Sünde besudelt. Davon kann sich niemand ausschließen, wer sich nur selber prüfen will. Zudem bezeugt Gott vielfältig, dass alle Men-schen Sünder seien; Ps. 14,2.3: „der Herr schauet vom Himmel auf der Men-schen Kinder, dass er sehe, ob jemand klug sei und nach Gott frage, aber sie sind alle abgewichen und allesamt untüchtig; da ist keiner, der gutes tue, auch nicht einer“; 1 Kön. 8,46: „es ist kein Mensch, der nicht sündiget“; Ps. 143,2: „vor dir ist kein Lebendiger gerecht“; Röm. 3,23: „sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie vor Gott haben sollen“. Dergleichen ist mehr zu finden Sprüchw. 20,9. Pred. Sal. 7,21. Röm. 3,10.19. Kap. 11,32. Gal. 3,22. 1 Joh. 1,10.
228. Es werden hievon auch die kleinen Kinder nicht ausgenommen, sintemal ihr Zorn und boshafte Gedanken, so sie mit Weinen und widerwärtigen Gebärden anzeigen, dem Gesetz Gottes und völliger Liebe des Nächsten zuwider laufen. Was aber dem Gesetz ungemäß ist, das ist Sünde, 1 Joh. 3,4. So bezeugt auch Gott selber, alles Dichten und Trachten des menschlichen Herzens sei nur böse immerdar von Jugend auf, 1 Mose 6,5. Kap. 8,21.
229. Desgleichen sind hievon nicht auszuschließen die wiedergebornen Christen, welche der Geist Gottes treibt. Denn ob sie schon die Sünde in ihrem sterblichen Leibe nicht lassen völlig herrschen, so bleiben sie doch insofern der Sünde Gefangene, dass sie auch wider ihren Willen böses tun, wie St. Paulus von ihm selber geklagt hat Röm. 7,15.19.
230. Es erweisen solches auch der Wiedergebornen Exempel, David sündigte schwer mit Ehebruch und Todschlag, 2 Sam. 11,4.15; Salomon damit, dass er sein Herz zur Abgötterei treiben ließ, 1 Kön. 11,3; Moses und Aaron zweifelten an Gottes Werk und Verheißung, 4 Mose 20,12; Petrus wandelte nicht richtig nach der Wahrheit des Evangelii, Gal. 2,11.14. Zu geschweigen, was in geringen Werken, in Worten, Gebärden, Gedanken, täglich geschieht, welches zum großen Teil verborgene Fehler sind, Ps. 19,13, und von keinem Menschen auf-gezeichnet werden.
231. Über das müssen alle Heiligen, keinen ausgeschlossen, Gott um Vergebung der Sünden bitten, Ps. 32,6. Matth. 6,12. Sie müssen aus Gnaden selig werden, Apostelgesch. 15,11, und also durch Christum, Kap. 4,12. Durch Christum aber werden allein die Sünder selig, Matth. 1,21. Kap. 9,13. Solches bedürften sie nicht, so sie aus eigener Gerechtigkeit, und ohne dass sie sündigten, könnten zu Gott kommen. Röm. 4,5. Gal. 2,21.
232. Der vierte Punkt: die unterschiedenen Grade der Sünden. Obwohl alle Sünden in dem gleich sind, dass sie Gottes Zorn erregen und über den Sünder das göttliche Gericht und ewige Verdammnis bringen, so ist doch ein großer Unterschied zwischen ihnen. Denn etliche werden aus Unwissenheit, Unverstand und Einfalt, andere aus Vorsatz, halsstarriger und mutwilliger Bosheit begangen, wie denn der Herr Christus zu Pilato spricht Joh. 19,11: „der mich dir über-antwortet hat, der hats größer Sünde“. Und St. Paulus schreibt von seiner Sünde, da er die christliche Gemeine verfolgt hat, ihm sei Barmherzigkeit widerfahren, denn er habs unwissend getan im Unglauben, 1 Timoth. 1,13. Und gewiss ist, wenn etwas wider den Willen und aus des Fleisches Schwachheit begangen wird, dass solches in Gottes Gericht so hoch nicht strafbar sei, als wenn eine Sünde geschieht aus Vorsatz und Mutwillen. Denn in jener Sünde streitet nur das Fleisch wider den Geist, in dieser aber herrscht das Fleisch im Menschen, hat ihn überwunden und mit allen seinen Kräften gefangen.
233. Darum wird auch auf ungleiche Sünde ungleiche Strafe erfolgen, Luk. 12,47.48: „ein Knecht, der seines Herrn Willen weiß, und hat nicht nach seinem Willen getan, der wird viel Streiche leiden müssen; der es aber nicht weiß und hat doch getan, das der Streiche wert ist, wird wenig Streiche leiden“; Kap. 20,47: „die Schriftgelehrten fressen der Witwen Häuser und wenden lange Gebete vor; die werden desto schwerer Verdammnis empfahen“.
234. Der fünfte Punkt: die mancherlei Arten der Sünden. Unnot ist, dieselben alle zu erzählen. Etliche laufen wider die erste Gesetztafel, andere wider die andere Tafel; etliche wider die Liebe Gottes, andere wider die Liebe des Nächsten etc. Allein es müssen zwei Arten sonderlich in acht genommen werden, als:
1) dass man unterscheide zwischen peccata mortalia, Todsünden, und venialia, die der Herr Lutherus sel. tägliche Sünden nennt. Solches ist aber nicht dahin zu verstehen, als ob etliche Sünden zwar den ewigen Tod oder Verdammnis ver-dienten, die anderen aber möchten nicht mit dem ewigen Tod, sondern allein mit zeitlicher Strafe belegt werden. Denn insofern sind alle Sünden Todsünden. Hier aber werden insonderheit diejenigen Todsünden genannt, welche in dem menschlichen Leib und Seele regieren, die keiner begehen kann oder doch begangen hat, außer wider sein Gewissen und da er weiß, dass es unrecht ist.
Andere werden von diesen unterschieden und tägliche Sünden genannt, weil sie nicht vorsätzlich geschehen, sondern dem Menschen also kommen, dass er entweder vermeint, es sei daran nichts Unrechts getan, wie St. Paulus in der Meinung, über dem Gesetz zu eifern, die Gemeine Christi verfolgt hat, 1 Tim. 1,13; und die Apostel sind getötet worden von Leuten, die vermeinten, sie tun Gott einen Dienst daran, Joh. 16,2. Oder aber, der, so da sündigt, weiß nicht, dass er etwas böses tue; davon Ps. 19,13: „verzeihe mir die verborgene Fehler“. Oder es entstehen einem in seinem Herzen gleich unversehens böse Gedanken, denen man doch alsbald widerstrebt; oder es entfahren einem böse Worte, ja auch wohl böse Werke, davon er alsbald wünscht, dass sie ihm nicht wären widerfahren.
235. So besteht nun der angeregte Unterschied der Sünden hierin, dass, was wider das Gewissen geschieht aus Vorsatz und Bosheit von dem, der weiß, was unrecht ist, und unterlässets doch nicht, das ist eine Todsünde; was aber, ob es schon böse ist, ohne Vorsatz, allein aus Schwachheit und unwissend begangen wird, das ist zwar eine Sünde, aber nicht eine Todsünde, sondern peccatum veniale, eine tägliche Sünde.
236. Und erweist sich dieser Unterschied damit: wenn eine Todsünde begangen wird, so verwilligen darein alle Kräfte des Menschen; der Sünde wird das völlige Regiment gelassen und also der hl. Geist ausgestoßen; der Glaube, welcher seine Zuversicht auf Christum den Sündenträger gesetzt, wird dahin geworfen; weil ein solcher Mensch weder Sünde noch Gottes Zorn und Strafe noch der Sünden Büßung oder auch Vergebung achtet. Damit kommt denn ein solcher Sünder dem ewigen Tod am allernächsten. Er kann schwerlich zur Buße ge-langen, weil er nicht wohl die Sünde hassen kann, welche ihm so hoch beliebt, dass er derselben halben Gottes Gnade und Ungnade, Verheißung, Bedrohung und Strafe verworfen und nichtig geachtet hat. Er lässt sich nicht leicht durch Gottes Gesetz bewegen, die Sünde ernstlich und herzlich zu betrauern, als welches ihn nicht abzuhalten vermochte, dass er die Sünde nicht begangen hätte.
Aus solcher Ursach nun wird mutwillige und vorsätzliche Sünde eine Todsünde genannt, wie Natan zu David sagt, er sei ein Mann des Todes, weil er Ehebruch und Totschlag wider sein Gewissen begangen hatte, 2 Sam. 12,5.7. Ein solches aber ist nicht zu besorgen bei den Sünden, die wider den Willen geschehen und deswegen alsbald betrauert und bereuet werden, dawider der Geist streitet, sie dämpft und tötet. Röm. 8,13. Gal. 5,16.17.
(Von der Sünde wider den hl. Geist.)
237. 2) ist zu unterscheiden zwischen Sünden, die da können vergeben werden, und der, so nimmermehr keine Vergebung erlangt und genannt wird die Sünde wider den heil. Geist. Davon muss man wissen: der Schrift Meinung und Urteil, ihren Namen, wie und warum sie heißt die Sünde wider den hl. Geist, dann ihre Form und worin sie eigentlich bestehe, endlich die Ursachen, um deren willen sie nicht mag vergeben werden.
238. a. Der Schrift Meinung und Urteil von der Sünde wider den hl. Geist zeigt sich, wenn der Herr Christus gesprochen hat Matth. 12,31.32: „alle Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben, aber die Lästerung wider den Geist wird den Menschen nicht vergeben. Und wer etwas redet wider des Menschen Sohn, dem wird es vergeben, aber wer etwas redet wider den hl. Geist, dem wirds nicht vergeben, weder in dieser noch in jener Welt“. Und die Apostel lehren davon also 1 Joh. 5,16: “es ist eine Sünde zum Tode, dafür sage ich nicht, dass jemand bitte“; Hebr 6,4.ff.: „es ist unmöglich, dass die, so einmal erleuchtet sind und geschmeckt haben die himmlischen Gaben und teilhaftig worden sind des hl. Geistes und geschmeckt haben das gütige Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt, wo sie abfallen und wiederum ihnen selbst den Sohn Gottes kreuzigen und für Spott halten, dass sie sollten wiederum erneuert werden zur Buße“; Kap. 10,26.ff.: „so wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, haben wir fürder kein ander Opfer mehr für die Sünde, sondern ein schrecklich Warten des Gerichts und des Feuereifers, der die Widerwärtigen verzehren wird. Wenn jemand das Gesetz Mosis bricht, der muss sterben ohne Barmherzigkeit durch zween oder drei Zeugen; wie viel, meinet ihr, ärgere Strafe wird der verdienen, der den Sohn Gottes mit Füßen tritt und das Blut des Testaments unrein achtet, durch welches er geheiliget ist, und den Geist der Gnaden schmähet?“
239. b. Der Name dieser Sünde, wie und warum sie heißt die Sünde wider den heil. Geist. Zwar sündigen wider den hl. Geist alle die, welche wider Gott sündigen, weil der heil. Geist wahrer Gott ist. Es wird aber diese besondere Sünde also genannt, weil sie zuwider läuft der evangelischen Lehre, die der hl. Geist durchs Predigtamt in der Welt ausbreitet und den Menschen vorhalten lässt. Daher auch sonst(obwohl in anderm Verstand) diejenigen wider den hl. Geist sündigen, welche sich dem Predigtamt, als dem Amt des Geistes (2 Kor. 3,6.) widersetzen; wie die Leute vor der Sintflut taten, welche sich den Geist Gottes, der durch Noah predigte, nicht wollten strafen lassen, 1 Mos. 6,3. Die Israeliten, welche wider Mosen und Aaron sich empörten, erbitterten und entrüsteten den hl. Geist, Jes. 63,10. Ananias und Saphira die den Aposteln vorlogen, die logen dem hl. Geist, Apost. Gesch. 5,3.4. Ebenso heißt diese Sünde die Sünde wider den hl. Geist, weil sie zuwider lauft der evangelischen Lehre, die der hl. Geist in der Menschen Herzen bekräftigt und versiegelt und Zeugnis gibt unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind, Eph. 1,13. Röm. 8,16. Wenn nun der hl. Geist uns also lehrt und versiegelt, es wollte aber jemand diesem Amt freventlich entgegen tun, der begeht die Sünde wider den hl. Geist.
240. c. Dieser Sünde Form zu verstehen, und worin sie eigentlich bestehe, so gehört dazu, dass die rechte, wahre, heilsame, seligmachende Lehre recht erkannt werde, oder, dass einer (Hebr. 6,4.5.) geschmeckt habe die himmlischen Gaben und das gütige Wort Gottes. Wer demnach die heilsame Lehre nicht erkannt hat und verfolgt sie, lästert sie auch, der begeht diese Sünde nicht. Denn also war St. Paulus vor seiner Bekehrung ein Lästerer, ein Verfolger und ein Schmäher, und ist ihm doch Barmherzigkeit widerfahren, als der es unwissend getan hat (1 Tim. 1,13.), desgleichen die Kreuziger des Herrn Christi, für welche er bei seinem Vater gebeten hat, dass ihnen die Sünde vergeben würde, weil sie nicht wüssten, was sie täten, Luk. 23,34.
241. Ferner gehört zu dieser Sünde, dass die erkannte himmlische seligmachen-de Wahrheit aus freiem boshaftigem Willen verleugnet werde. Die evangelische Wahrheit aber wird verleugnet
242. durch epikurische Sicherheit. Nämlich obschon mancher das Evangelium bekennt, so erweisens doch alle seine Werke, dass er wenig darnach frage. Und das sind die Toren, die in ihren Herzen sprechen: es ist kein Gott (Ps. 14,1.); die da sagen, sie kennen Gott, aber mit ihren Werken verleugnen sie es (Tit. 1,16.). Die begehen nicht diese Sünde, denn sie verleugnen aus Sicherheit, nicht aus boshaftigem freiem Willen.
243. Weiter wird die evangelische Wahrheit verleugnet durch Furcht in Ver-folgungen. Alsdann ist die Versuchung stark, der Teufel geschäftig und das Fleisch schwach (Matth. 26,41. Luk. 22,32.), und es geschieht wohl guten Christen, dass sie in Kleinmütigkeit sinken, aus Furcht und Schrecken ver-leugnen, wie St. Petrus tat und doch Vergebung seiner Sünden erlangte, Matth. 26,75. Joh. 21,15ff.
244. Wenn aber keine so hochdringende und bewegende Ursach ist, die er-kannte Wahrheit zu verleugnen, und man verleugnet sie doch durch freien Willen und Bosheit, so ist dasselbe ein Gradus oder Schritt zu der Sünde wider den hl. Geist; wie die Pharisäer erkannten, dass Jesus wäre ein Lehrer von Gott kommen (Joh. 3,2.), und gleichwohl verleugneten sie dieselbe Lehre wider ihr eigen Gewissen. Nicht anders, wie noch heut zu Tage im Papsttum die evan-gelische Lehre von vielen erkannt und doch verleugnet wird, womit dieselben dieser Sünde wider den hl. Geist ziemlich nahe treten. Von diesem Grad redet Hebr. 10,26. also: so wir mutwillig sündigen etc.
245. Endlich gehört zur Sünde wider den heil. Geist, dass die verleugnete selig-machende Lehre gelästert werde. Solche Lästerung meldet insonderheit unser Herr Christus, wenn er diese Sünde nennt die Lästerung wider den Geist, Matth. 12,31., und Hebr 6,6. wird sie also beschrieben: „die wiederum ihnen selbst den Sohn Gottes kreuzigen und für Spott halten“; Kap. 10,29: „der den Sohn Gottes mit Füßen tritt und das Blut des Testaments unrein achtet und den Geist der Wahrheit schmähet“. Also taten die Pharisäer, welche den Sohn Gottes lästerten als einen Verführer, Matth. 27,63.; sie lästerten ihn, als hätte er den Teufel, Joh. 8,48.52.; sie lästerten seine Werke, als ob sie vom Teufel ursprünglich her-kämen, Luk. 11,15. Damit schmähten sie den hl. Geist, als dessen Werk und Amt der Sohn Gottes verrichtete, Jes. 61,1. Apost. Gesch. 10,38.
246. Hieraus merkt man also, dass die Sünde wider den hl. Geist sei eine mut-willige Verleugnung und Lästerung der erkannten seligmachenden himmlischen Wahrheit von der gnadenreichen Vergebung der Sünden durch Christum.
247. d. warum diese Sünde nicht mag vergeben werden, ist weder Gottes Gnade, noch des Herrn Christi Verdienst zuzuschreiben. Denn wenn man Gottes Willen und Gnade ansieht, so vergibt er gern alle Sünden; Röm. 5,20: „wo die Sünde mächtig worden ist, da ist die Gnade viel mächtiger worden“; 1 Joh. 1,9: „Gott reiniget uns von aller Untugend“.
248. Sieht man auf des Herrn Christi Verdienst, so hat er uns mit seinem Blut von allen Sünden gereinigt; 1 Joh. 1,7. Wenn demnach gesagt wird, dass eine Sünde nicht könne vergeben werden, darf solches weder der Güte Gottes, als ob die sich so weit nicht erstrecken sollte, noch dem Verdienst des Herrn Christi zuge-messen werden.
249. Was aber die eigentliche Ursach sei, dass die Sünde wider den hl. Geist nicht könne vergeben werden, ist aus dem, was angezeigt, zu verstehen, näm-lich, weil ein solcher Mensch alle Mittel, dadurch er zur Buß und Bekehrung kommen mag, ihm selber wegnimmt und abschneidet.
250. Denn zur Buße und wahren Bekehrung kann er kommen 1. durch das Gesetz, als welches ihm seine Sünde offenbart, 2. durch die Predigt von der göttlichen Gnade, 3. durch die Predigt von Aussöhnung unserer Sünden, so durch den Herrn Christum geschehen, 4. durch des hl. Geistes Versieglung, wenn das menschliche Herz und Gewissen überzeugt wird, dass alles, so von Gottes Gnade und Christi Verdienst gelehrt wird, die himmlische, göttliche und ewige Wahrheit sei. Außer diesen ist kein Mittel und Weg zur Bekehrung zu kommen.
251. Diesen Weg aber hat ein solcher Sünder ihm selber dermaßen verhauen, dass er dieser Mittel keines gebrauchen kann. Das Gesetz, ob’s ihm schon die Sünde zeigt, verachtet er und tut ohne einige Scheu dawider nach seinem eigen Willen. Die göttliche Gnade, wie auch des Herrn Christi Verdienst begehrt er nicht, verspottets, verhöhnets, verlästerts und tritt den Sohn Gottes mit Füßen, er kreuzigt ihn von neuem, er achtet das Blut des Testaments für unrein. Das Lehramt des hl. Geistes wird auch hintan gesetzt, verspottet und gelästert. Also bleibt einem solchen Menschen kein Mittel übrig, zur Buße und Gottes Gnade zu kommen, wiewohl sie ihm reichlich sind vorgestellt und gegeben worden.
Dazu kommt, dass ein solcher Sünder dem Fleisch die Überhand lässt über den Geist und ergibt sich der Sünde gänzlich, lässt sie in seinem Leibe herrschen, ja er übergibt sich dem Satan in seine Strike, dass er ihn führe nach seinem Ge-fallen. Solches alles ist Ursach genug, wodurch unmöglich wird, von der Sünde wider den hl. Geist sich wiederum zu Gott durch Buße zu bekehren und der Sünden Vergebung zu erlangen.
252. Bisher sind betrachtet worden die unterschiedenen Arten der Sünden. Noch eines ist übrig, nämlich die Früchte, so aus der wirklichen Sünde entspringen. Davon sind etliche allen Sünden gemein, andere etlichen Sünden eigen und besonder.
253. Allen Sünden gemein sind 1. der Zorn Gottes und Fluch des Gesetzes, welcher aus Gottes Zorn erfolgt, als welcher (Röm. 1,18.) vom Himmel wird offenbaret über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der Menschen. Welches denn nicht allein sind die äußerlichen und groben Sünden, sondern ohne Unterschied alles, was dem göttlichen, im Gesetz geoffenbarten Willen nicht gemäß ist, darob sich Gott also erklärt hat: „verflucht sei, wer nicht alle Worte dieses Gesetzes erfüllt, dass er darnach tue“, 5 Mos. 27,26. Darum schreibt der Apostel Jakobus Kap. 2,10: „so jemand das ganze Gesetz hält und sündiget an einem, der ist es ganz schuldig“. Wer demnach mit Gedanken, mit Worten und mit Werken sündigt, sie seien auch gleich dem Ansehen nach so gering, als möglich ist, sind es doch Ungerechtigkeiten und gottloses Wesen, um deren willen der Zorn Gottes und des Gesetzes Fluch über die kommt, welche sie begehen.
254. 2. ein unruhig Gewissen. Obwohl der Unterschied der Sünden bleibt, dass eine das Gewissen härter beschwert, als die andere, so sind sie doch einander darin gleich, dass sie alle das Gewissen anfechten; sintemal auch diejenigen, welche ihnen keiner groben Sünde bewusst sind, gleichwohl vor Gottes Gericht erschrecken. Solch Schrecken aber kommt daher, „dass einer sich nicht trauet zu verantworten“ (Buch der Weish. 17,12). Und S. Paulus redet insgemein von den Heiden, dass, ob ihnen schon das Gesetz nicht also, wie den Juden sei gegeben worden, hätten sie nichts desto weniger des Gesetzes Werk in ihren Herzen beschrieben gehabt, welches sie der Sünden überzeugte dazu auch ihre Gedan-ken sich unter einander verklagten und entschuldigten auf den Tag, da Gott das verborgene der Menschen richten werde, Röm. 2,15.16.
255. 3. die ewige und höllische Verdammnis. Gott straft zwar der Menschen Sünde auch wohl mit zeitlicher und leiblicher Strafe; aber dass das höllische Verderben aller Sünden ordentliche und ihnen gemeine Strafe sei, wird aus dem nächstfolgenden Kapitel zu ersehen sein.
256. Absonderlich ist die Frucht derjenigen Sünden, welche wider Gewissen begangen werden und in dem Menschen regieren, dass sie aus den Wieder-gebornen den hl. Geist austreiben und den Glauben zerstören. Denn
257. durch dieselbe Sünde wird der hl. Geist betrübt, Eph. 4,30., er wird erbittert und entrüstet, Jes. 63,10. Wo aber der hl. Geist betrübt, entrüstet und erbittert wird, daselbst ist gewisslich seine gnädige Beiwohnung nicht zu finden.
258. Ferner: wo die Sünde herrscht, da hat sie den hl. Geist (wie derselbe in dem Herzen wohnt) überwunden; und wie sie mit demselben gestritten hat, ihn auszu-treiben, also treibt sie ihn aus, wenn sie im Menschen das Regiment erlangt.
259. Endlich wo Gottes Geist wohnt, daselbst ist Leben und Seligkeit; Röm. 8,13: „wo ihr durch den Geist des Fleisches Geschäfte tötet, so werdet ihr leben“; 2 Kor. 3,6: „der Geist machet lebendig“. Wo aber die Sünde herrscht, da ist nicht Leben und Seligkeit; Röm. 8,13: „wo ihr nach dem Fleisch lebet, so werdet ihr sterben müssen“; Kap. 1,32: „die solches (Hurerei, Schalkheit, Geiz etc.) tun, sind des Todes würdig“; 1 Kor. 6,9.10: „weder die Hurer noch die Abgöttischen etc. werden das Reich Gottes erben“; Gal. 5,19.ff.: „die Werke des Fleisches sind Ehebruch, Hurerei, Abgötterei, Zauberei etc., von welchen ich euch habe zuvor gesagt und sage noch zuvor, dass, die solches tun, werden das Reich Gottes nicht erben“.
260. Daraus folgt: wo Sünden wider das Gewissen herrschen, da wohnt Gottes Geist nicht; und also, wo dergleichen Sünden von wiedergebornen Menschen begangen werden (wie an David, Petro und andern bekannt), daselbst wird der hl. Geist ausgetrieben und desselben Werk, nämlich der seligmachende Glaube zerstört. Was die Sünde wider den hl. Geist für erschreckliche Wirkung habe, das ist zuvor gemeldet und also unnötig hier zu wiederholen.
Das zwölfte Kapitel.
(Von Gottes Gericht über die Sünder. Vom göttlichen Gesetz.)
Wenn nun der Mensch in solchem seinem Zustand vor Gott den gerechten Richter gestellt wird, so erfordert derselbe vermöge seiner Gerechtigkeit einen völligen Gehorsam aller göttlichen Gebote; wegen der begangenen Sünden aber, dass der Mensch ins ewige Verderben gestürzt werde, wo nicht auf andere Wege der göttlichen Gerechtigkeit ein Genüge geschehe.
261. Hier sind zwei Punkte; 1. von der Schuld des völligen Gehorsams, 2. von Strafe der Sünden.
Mit dem ersten verhält sichs solchergestalt. Gott hat allen Menschen ein Gesetz in die Natur geschrieben, darnach sie alle ihr Thun und ganzes Leben sollten anstellen, das sie auch in ihrem Gewissen ernstlich erinnert, wenn sie etwas dawider begehen. Nun ist zwar dies Gesetz der Natur vollkommen eingebildet gewesen vor dem Sündenfall; weil es aber nachmals durch die Sünde heftig verdunkelt worden ist, hat es Gott durch Mosen den Kindern Israel von neuem übergeben und deutlicher vorgeschrieben. Wenn wir demnach vom Gesetz reden, so, wird (um mehrerer Richtigkeit willen) eigentlich das mosaische Gesetz verstanden.
262. Dasselbe aber ist dreierlei, 1. das Ceremonial- und levitische Gesetz, 2. das weltliche Gesetz oder Gerichtsordnung, 3. das Moralgesetz der zehn Gebote.
a. In dem Ceremonialgesetz wird Ordnung und Maß gegeben, wie die Opfer haben sollen bereitet und Gott gebracht werden; wie die Sünde auszusühnen; was für Gelübde Gott gefällig seien und wie dieselben ihm haben sollen bezahlt werden; samt vielen andern Dingen, die zum jüdischen Gottesdienst gehören. Welches denn alles Vorbilder auf Christum gewesen sind, anzudeuten, dass, gleichwie die Versöhnung durch Vergiessung des Bluts der Ochsen, Lämmer, Kälber, auch anderer Tiere hat geschehen müssen, also werde Christus für die Sünden der Welt geschlachtet und sein Blut vergossen werden, die sündigen Menschen mit Gott dem himmlischen Vater zu versöhnen. Wie denn solche Vorbilder nicht haben für sich selber können die Sünde austilgen, Hebr. 10,4., sondern allein das Blut des Sohnes Gottes reinigt uns von Sünden, 1 Joh. 1,7. „Er hat mit einem Opfer in Ewigkeit vollendet, die geheiliget werden“, Hebr. 10,14. Und also haben die andern levitischen Gesetze ihre Bedeutungen gehabt auf Christum.
263. Weil sie denn allein Schatten und Vorbilder gewesen, so sind sie selber verschwunden, nachdem der Leib in Christo kommen ist. Deswegen sind wir Christen daran weiter nicht gebunden, wie St. Paulus davon schreibt Kol. 2,16.17: „lasset euch niemand Gewissen machen über Speis oder über Trank oder über bestimmten Feiertagen oder Neumonden oder Sabbather, welches ist der Schatten von dem, das zukünftig war, aber der Körper selbst ist in Christo“. Und dieses war der apostolische Beschluss in ihrer Versammlung zu Jerusalem (Apost. Gesch. 15,10.): „was versuchet ihr Gott mit Auflegen des Jochs auf der Jünger Hälse, welches weder unsere Väter noch wir haben mögen tragen?“ und v. 28.29: „es gefällt dem hl. Geiste und uns, euch keine Beschwerung mehr auf-zulegen, denn nur diese nötigen Stücke, dass ihr euch enthaltet vom Götzen-opfer, und vom Blut, und vom Ersticktem und von Hurerei“.
264. b. Das weltliche Gesetz oder Polizeiordnung lehrt, wie in allerlei Fällen alles möge in guter Ordnung gelassen, der Gerechte bei seinem Recht erhalten und die Bosheit verhindert und gestraft werden. Dasselbe ist auch hin und wieder in Mosis Schriften zu befinden und ist (kürzlich davon zu reden) dreierlei:
265. etliche weltliche Gesetze betreffen allein das jüdische Regiment und können auf kein ander Volk noch Regierung gezogen werden, als: dass der Israeliten Erbteil nicht von einem Stamm zu dem andern könnte verkauft noch vererbt werden, weswegen diejenigen Töchter, auf welche ein Erbgut gefallen war, nicht in einen andern Stamm heiraten durften, 4 Mos. 36,6.ff.; dass einer seines ver-storbenen Bruders Witwe, so die ohne Kinder gewesen, hat ehelichen und, wenn er mit derselben einen Sohn gezeugt hatte, ihn nicht als seinen, sondern als seines verstorbenen Bruders Sohn hat halten und achten, auch demselben des Bruders Erbschaft zuwenden müssen, 5 Mos. 25,5.6. Diese und dergleichen Gesetze kommen allein von den unterschiedlichen Stämmen her, die in andern Völkern nicht also sind, wie sie in Israel gewesen. Darum mögen sie außer dem jüdischen Lande nicht wohl gehalten werden und sind mit der jüdischen Polizei untergangen.
266. Andere Gesetze könnten wohl in allen Polizeien statt haben; weil sie aber durch göttliche Autorität sind abgetan worden, so ist auch niemand weiter daran gebunden. Zum Exempel, wie es mit der Ehescheidung zu halten sei, war Ver-ordnung getan 5 Mos. 24,1. Dieselbe hat der Herr Christus widerrufen, Matth. 19,8.9.
267. Fürs dritte sind auch Gesetze, so bei uns füglich mögen gehalten werden und nirgend abgeschafft sind, als: wie es mit dem Todschlag, der vorsätzlich oder ungefähr geschehen, zu halten sei, 4 Mos. 35,16.ff.; was der Richter Amt sei, 5 Mos. 1,16.17. Kap. 16,19.20.; wie den Armen zu helfen sei, 5 Mos. 15,7.ff.; von Zeugnissen, 5 Mos. 19,15.ff. u. dgl. Solches alles, weil es auf das Moralgesetz gegründet ist und aus demselben herfleusst, wird in dem N. T., als damals gültig, angezogen, Matth. 15,4. aus 2 Mos. 21,15.; Apost. Gesch. 23,5. aus 2 Mos. 22,28. Und da Gott von dessen Gehorsam nirgend entbunden hat, so sind wir noch zu dieser Zeit ihm zu gehorsamen verpflichtet.
268. c. Das Moral- oder zweier Tafeln Gesetz begreift in sich die zehn Gebote, welche eigentlich und vornehmlich vor göttlichem Gericht verbinden, auf deren Gehorsam Gott den Segen und Leben, auf Übertretung aber den Fluch und ewiges Verderben gesetzt hat. Dies Gesetz ist eigentlich dasjenige, davon hier gehandelt und gesagt wird, Gott fordere einen vollkommenen Gehorsam des-selben.
Bei ihm sind diese zwei Fragen in acht zu nehmen: 1. aus welchem Recht Gott diesen Gehorsam von uns begehre, 2. ob das Gesetz von jemand könne erfüllt und daraus die vor Gott geltende Gerechtigkeit erlangt werden.
269. Aus welchem Recht Gott einen völligen Gehorsam aller seiner Gebote von uns fordere? Die Antwort ist, das geschehe wegen der Erschaffung, dadurch wir Gottes Eigentum sind, wie ein jedes Werk dem Meister zu eigen gehört, der es gemacht hat. Daher hat Gott ein genugsames und völliges Recht zu uns, dass wir ihm in allem, was er von uns fordert, Gehorsam leisten. Und wie mit dieser Schuldforderung auf die Erschaffung gesehen wird, also muss auch mit dem Gehorsam dahin gesehen werden, nämlich, dass uns Gott nicht habe unmögli-ches Ding befohlen, als der uns in der Erschaffung genugsame Kräfte gegeben hat, seinen Willen zu erfüllen. Wiewohl nun jezund, nachdem uns die Sünde verderbt hat, dieselben Kräfte zum völligen Gehorsam nicht mehr vorhanden sind, so bleibt doch Gott dem Herrn sein Recht unverloren; sintemal wir schuldig waren die Sünde zu meiden und damit die angeschaffenen Kräfte zu behalten, die zum Gehorsam notwendig sind.
270. Die andere Frage, ob das Gesetz von jemand könne erfüllt und daraus die vor Gott geltende Gerechtigkeit erlangt werden. Es wird von Gott ein solcher vollkommener Gehorsam gefordert, dass eine Genüge soll geschehen allem dem, was im Gesetz befohlen ist, 5 Mos. 27,26. Wer demnach sündigt an einem, der ist es ganz schuldig, Jak. 2,10. Nachdem nun das Gesetz erfordert den Gehorsam des ganzen Herzens, der ganzen Seele, alles Vermögens und Kräfte, 5 Mos. 6,5., so folgt, dass demselben keinen Gehorsam geleistet habe, wer nur einmal mit äußerlichen oder innerlichen Werken des Herzens und der Seelen, auch allein mit einem bösen Gedanken wider Gott oder den Nächsten sich ver-griffen hat. Wo aber jemand das ganze Gesetz hielte, so war verheißen, dass der sollte dadurch gerecht sein, 3 Mos. 18,4: „nach meinen Rechten sollt ihr tun und meine Satzung sollt ihr halten, denn welcher Mensch dieselben tut, der wird dadurch leben“. Und solchen mosaischen Spruch versteht St. Paulus von dem ewigen Leben, Gal. 3,12.
271. Obwohl demnach auf den völligen Gehorsam die Gerechtigkeit und ewiges Leben gesetzt ist, so müssen wir doch erkennen, dass kein Mensch auf Erden das Gesetz erfüllen oder alles, was Gott von uns erfordert, tun und also die vor Gott geltende Gerechtigkeit durch des Gesetzes Gehorsam erlangen könne,
272. weil alle Menschen sündigen, Ps. 143,2: „vor dir ist kein Lebendiger ge-recht“; Pred. Sal. 7,21: „es ist kein Mensch auf Erden, der Gutes tue und nicht sündige“; Röm. 3,23: „sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie an Gott haben sollen“; Gal. 3,22: „die Schrift hat es alles beschlossen unter die Sünde“.
273. Ferner sagt die Schrift, das Gesetz sei dem Menschen zu erfüllen un-möglich; Apost. Gesch. 15,10: „das Joch des Gesetzes haben weder unsere Väter noch wir ertragen mögen“; Röm. 8,3: „das dem Gesetz unmöglich war, sintemal es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott und sandte seinen Sohn“.
274. Endlich wird durch das Gesetz kein Mensch vor Gott gerecht und selig. Wer das Gesetz mit Gehorsam erfüllt, der wird dadurch leben und selig sein. Nun kann durchs Gesetz kein Mensch leben und selig sein; Röm. 3,20: „kein Fleisch mag durch des Gesetzes Werk vor Gott gerecht sein“; Gal. 3,11.12: „dass durchs Gesetz niemand gerecht wird vor Gott, ist offenbar, denn der Gerechte wird seines Glaubens leben, das Gesetz aber ist nicht des Glaubens“, v. 21.22: „wenn ein Gesetz gegeben wäre, das da könnte lebendig machen, so käme die Ge-rechtigkeit wahrhaftig aus dem Gesetz, aber die Schrift hat alles beschlossen unter die Sünde“. Darum erfüllt kein Mensch das Gesetz. Ferner: alle, die das Gesetz übertreten, sind unter dem Fluch und Verdammnis. Alle Menschen über-treten das Gesetz, darum sind alle Menschen unter dem Fluch, wie uns der folgende Punkt dieses Kapitels lehren wird.
275. Bei dem andern Punkt, von der Strafe der Sünden, haben wir uns zu er-innern, was zuvor von der Sünde ist angezeigt, dass sie den Zorn Gottes ver-ursache. Wo aber der Zorn ist, da kann die Strafe nicht fern sein. Und obwohl Gott gerühmt wird, dass er ein gnädiger, barmherziger und gütiger Herr sei, der sich bald der Strafe gereuen lässt und die Sünde vergibt, so muss man doch dasselbe recht verstehen, wie es in diese Regel kann gefasst werden: wenn die Gerechtigkeit Gottes durch Sünde beleidigt ist, alsdann kann die Barmherzigkeit ihre völlige Wirkung nicht haben noch die Sünde vergeben, bis zuvor der gött-lichen Gerechtigkeit für solche Sünde eine völlige Genüge geschehen ist.
276. Hier kommen drei Dinge zusammen, 1. die Gerechtigkeit, 2. die Strafe, so die Sünde verdient, 3. die Genugtuung, dadurch die Gerechtigkeit kann zufrieden gestellt und die Strafe abgewendet werden. Die Strafe ist die Hölle oder ewige Verdammnis. So viel die Gerechtigkeit anlangt, ist Gott nach derselben allen Sünden von Natur feind, und weil er aller Welt Richter ist, 1 Mos. 18,25. Ps. 9,5.9., so tut er als ein rechtschaffener und redlicher Richter. Wie derselbe das Gesetz vor sich hat, nach dem er muss urteilen, und kann keine Übertretung ungestraft hingehen lassen, welche im Gesetz, darnach er richten soll, zur Strafe verdammt wird; so hat Gott zwar kein Gesetz, das ihm von jemand andern vor-geschrieben wäre, darnach er urteilen müsste, aber er selber und seine wesent-liche Heiligkeit und Gerechtigkeit ist ihm eine solche Richtschnur, darnach er sein Gericht anstellt. Darum welche Werke der Gerechtigkeit zuwider laufen, die kann er nicht ungestraft lassen hingehen, übersehen und ohne Entgeltung vergeben, wo er nicht seine Gerechtigkeit verleugnen und wider dieselbe handeln wollte.
277. Denn Gott ist in seiner Gerechtigkeit dermaßen ernsthaft und strafbeflissen, dass sein Zorn über die Gottlosen kein Aufhören hat, und wenn das Feuer an-geht in seinem Zorn, so brennets bis in die unterste Hölle, 5 Mos. 32,22. In Summa, Gott ist ein verzehrend Feuer, 5 Mos. 4,24., und eine ewige Glut, Jes. 33,14. Wie nun ein solcher Zorn, der kein Aufhören hat, ein Feuer, so bis in die unterste Hölle ewig brennt, sich selber nicht zurückhalten kann, dass der Zorn aufhört zu wüten und das Feuer zu brennen; also kann Gottes Gerechtigkeit und Zorn sich selber nicht aufhalten, die Sünde zu strafen mit ewigem Verderben, wo nicht für dieselbe Sünde der Gerechtigkeit genug getan und also der Barmherzig-keit Raum und Statt gelassen würde.
278. Niemand kann aber ihm selber diesfalls helfen noch einige Kreatur den Sündern Rat schaffen, wie in Ps. 49,8.9. geschrieben ist: „kann doch ein Bruder niemand erlösen, noch Gott jemand versühnen, denn es kostet zu viel, ihre Seele zu erlösen, dass ers muss lassen anstehen ewiglich“. Darum bleibt der Zorn Gottes über ihnen und sie haben von Gott nichts anders, denn Hölle und ewiges Feuer zu gewarten. Dies ist also der jetzige natürliche Zustand des Menschen, wie derselbe geistlich und der Seele nach betrachtet wird.