Hutter - Gebet
Leonhard Hutter (1563-1616): Inbegriff der Glaubens-Artikel aus der heiligen Schrift und den symbolischen Büchern zusammengestellt (Compendium locorum theologicorum ex scripturis sacris et libro concordiae), Leipzig 1837
Leonhard Hutter über das Gebet:
Fünfundzwanzigster Artikel. Von dem Gebet.
+ 1. Ist der Mensch zu beten schuldig, oder steht es, wie ein anderes Mittelding, in seiner Willkür?
Das Gebet ist durchaus notwendig, wegen des Gebotes Gottes. Denn so hören wir im andern Gebot: Du sollt Gottes Namen nicht unnützlich führen. Mit welchen Worten zugleich gefordert wird, dass wir den heiligen Namen Gottes loben, und ihn in aller Not betend anrufen. Denn Anrufen ist nichts Anderes, als beten. Gr. Katech. S. 729. Ps. 50,15. „Rufe mich an in der Not.“ Matth. 7,7. „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.“ So muss uns auch das Bedürfnis und die Not unserer selbst und Anderer zum Gebet zu Gott antreiben. Matth. 26,41. „Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallet.“ (S. 154) 1 Tim. 2,1. „So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen zuerst tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen.“
2. Was ist das Gebet oder die Anrufung Gottes?
Das Gebet ist eine Bitte an Gott, dass er, um des im wahren Glauben ergriffenen Mittlers Christi willen, notwendige Güter geben wolle; welche Bitte aber nicht bloß mit dem Munde, sondern mit dem Herzen geschehen muss. Und zugleich muss mit ihr die schuldige Danksagung für die empfangenen Wohltaten verbunden sein.
+ 3. Was ist des Gebetes Ende und Wirkung?
„Das sollen wir wissen, dass alle unser Schirm und Schutz allein in dem Gebete steht. Denn wir sind dem Teufel viel zu schwach, samt seiner Macht und Anhang, so sich wider uns legen, dass sie uns wohl könnten mit Füßen zertreten.“ Weshalb wir allein durch die Stütze des Gebetes stärker, als der Teufel und sein Anhang sind. Gr. Katech. S. 735. Ps. 145,18. „Der Herr ist nahe allen, die ihn anrufen: allen, die ihn mit Ernst anrufen. Er tut, was die Gottesfürchtigen be-gehren, und höret ihr Schreien und hilft ihnen.“ Sprüche 18,10. „Der Name des Herrn ist ein festes Schloss: der Gerechte läuft dahin und wird beschirmet.“ Sirach 35,21. „Das Gebet der Elenden dringet durch die Wolken, und lässt nicht ab, bis es hinzu komme, und höret nicht auf, bis der Höchste darein sehe.“
4. Was wird zum wahren Gebet gefordert?
Vorzüglich diese drei Stücke: 1) dass Gott allein angerufen wird, Matth. 4,10: „Du sollst anbeten Gott, deinen Herrn, und ihm allein dienen.“ Jes. 42,8: „Ich will meine Ehre keinem andern geben.“ 2) Dass Gott in dem Namen Jesu Christi, unseres Erlösers, angerufen wird, Joh. 14,14: „Was ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun.“ Kp. 16,23: „Wahrlich, wahrlich ich sage euch: So ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er es euch geben.“ 3) Dass sich unser Gebet mit Zuversicht stütze auf die Verheißungen, welche uns im Worte gegeben sind.
5. Also ist es erlaubt, jedwede Güter von Gott zu bitten?
Es ist dies zwar erlaubt, aber nicht auf eine und dieselbe Weise. Denn geistliche Güter, als den heiligen Geist, Vergebung der Sünden, Beharrlichkeit im Glauben, Geduld und Anderes (S. 155) dergleichen, was zum Glauben und zur Seligkeit gehört, sollen wir, auf die Verheißung Gottes gestützt, ohne Bedingung bitten, und ohne Zweifel erwarten, wie aus dem 51. Psalm zu ersehen. Leibliche Güter aber sollen wir bedingt bitten: wenn es nämlich der gute Gotteswille sei. Matth. 8,2: „Herr, so du willst, kannst du mich wohl reinigen“ Kp. 26,39: „Mein Vater, ist es möglich, so gehe dieser Kelch von mir, doch nicht wie Ich will, sondern wie Du willst.“
6. Was muss mit dem wahren Gebet verbunden sein?
Die Danksagung; Ps. 50,15: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen.“ Kol. 3,17. „Alles was ihr tut mit Worten, oder mit Werken, das tut alles in dem Namen des Herrn Jesu, und danket Gott und dem Vater durch ihn.“
* 7. Sind wir denn nicht auch den verstorbenen Heiligen diese Ehre der Anbetung schuldig?
Wir können wohl der Heiligen gedenken, damit wir ihrem Glauben nachahmen, Hebr. 13,7; dann, damit wir Gott Dank sagen, dass er der Kirche solche Lehrer gegeben hat; und endlich, dass ein jeder, nach seinem Beruf, ihre Tugenden nachahme, Jacob. 5,10. Aber, dass wir sie sollen anrufen, oder einige Hilfe von ihnen erbitten, das lehret die heil. Schrift nirgends. Augsb. Conf. Art. 21. S. 54. Apol. Art. 9. S. 376.
* 8. Wieso?
„Weil allein ein einiger Versöhner und Mittler ist, gesetzt zwischen Gott und den Menschen, Jesus Christus, 1 Tim. 2,5., welcher ist der einige Heiland, der einige oberste Priester, Gnadenstuhl und Vorsprecher für Gott, Röm. 3,25 und 8,34. Und der hat allein zugesagt, dass er unser Gebet erhören wolle, Hebr. 11,11. Das ist auch der höchste Gottesdienst nach der Schrift, dass man denselbigen Jesum Christum in allen Nöten und Anliegen, von Herzen suche und anrufe, 1 Joh. 2,1: Und ob Jemand sündiget, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesum Christum, der gerecht ist. Und derselbige ist die Versöhnung für unsere Sünden; nicht allein aber für die unsere, sondern auch für der ganzen Welt.“ Augsb. Conf. a. a. O. S. 54. Dann, „weil man weder Gebot, noch Zusage, noch Exempel von der Heiligenanbetung aus der Schrift mag fürbringen, so folget, dass kein Herz noch Gewissen darauf sich verlassen kann.“ Apol. a. a. O. S. 376. (S. 156) Endlich muss das Gebet aus dem Glauben gehen. Nun aber bestätigt die heil. Schrift nirgends, weder dass Gott jene Anbetung billige, noch dass die Heiligen die Gebete der Einzelnen hören.
* 9. So behauptest du, dass die Heiligen unsere Gebete nicht hören?
Ob wir gleich von den heiligen Himmelsbürgern zugestehen, dass sie, wie die Lebendigen für die ganze Kirche im Allgemeinen beten, eben so auch in dem Himmel für die Kirche im Allgemeinen beten, obwohl davon, dass die Verstorbe-nen beten, kein Beispiel in der heil. Schrift gefunden wird, außer jenem Traum 2 Makkab. 15,12 ff.: so leugnet die heil. Schrift doch geradezu, dass sie im Be-sondern die Seufzer und Bitten der Betenden hören und verstehen, Jes. 63,16: „Abraham weiß von uns nicht, und Israel kennet uns nicht. Du aber, Herr, bist unser Vater und unser Erlöser; von Alters her ist das dein Name.“ Apol. ebend.
+ 10. Können die Heiligen auch ihre Verdienste uns zueignen?
„Die Katholischen zwar reden nicht allein von Anrufen der Heiligen, sondern sagen auch: dass Gott der Heiligen Verdienst annehme für unsere Sünde, und machen also aus den Heiligen nicht allein Fürbitter, sondern Mittler und Ver-söhner. Das ist nun gar nicht zu leiden, denn da geben sie die Ehre, so Christo allein gebühret, den Heiligen, denn sie machen aus ihnen Mittler und Versöhner.“ Apol. ebend. S. 377.
+ 11. Machen denn aber die Katholischen nicht den Unterschied, dass sie die Heiligen nicht zu Mittlern machen, die uns versöhnen, sondern nur zu Mittlern, die für uns bitten?
So unterscheiden sie zwar; „aber aus ihren Schriften erhellet, dass sie die Heiligen auch zu Mittlern machen, die uns versöhnen. Und dass sie sagen, die Heiligen sind Mittler für uns zu bitten, das sagen sie auch ohne alle Schrift. Denn durch solche Lehre wird doch Christus und seine Wohltat unterdrückt, und vertrauen da auf die Heiligen, da sie auf Christum vertrauen sollten. Denn sie erdichten ihnen selbst einen Wahn, als sei Christus ein strenger Richter, und die Heiligen gnädige, gütige Mittler, fliehen also zu den Heiligen, scheuen sich für Christo, vertrauen mehr auf die Güte der Heiligen, denn auf die Güte Christi, laufen von Christo und suchen der Heiligen Hilfe. Also machen sie im Grunde aus den Heiligen doch Mittler, die uns versöhnen.“ Apol. ebend. (S. 157)