Luther - Heilige Schrift
D. Martin Luthers Antwort an Erasmus von Rotterdam, daß der freie Wille nichts sei (De servo arbitrio, 1525), in: Dr. Martin Luthers sämmtliche Schriften, hrg. von Dr. Joh. Georg Walch (Zweite Walchsche Ausgabe, St. Louis, 1880-1910), Band 18, Sp. 1668-1969
In seiner Schrift über den unfreien Willen betont Luther, dass der Sinn der Heiligen Schrift keineswegs dunkel und zweideutig ist, sondern hell, klar, eindeutig und gewiss:
So sagen wir, die Schrift soll Richter sein, um nach ihr angesichts der Kirche alle Geister zu prüfen. Denn das muß bei den Christen ausgemacht und das Aller-festeste sein, daß die heilige Schrift ein geistliches Licht ist, weit heller als selbst die Sonne, besonders in den Dingen, welche die ewige Seligkeit betreffen, oder welche ein Christ nothwendiger Weise wissen muß. Aber weil wir schon längst zum Gegentheil überredet sind, durch die obenerwähnte verderbliche Rede der Sophisten, die Schrift sei dunkel und zweifelhaft, so sind wir gezwungen, zuerst selbst gerade diese unsere Hauptgrundlage (primum principium) zu beweisen, aus der alles Andere bewiesen werden muß. Bei den Philosophen würde man dafür halten, dies wäre etwas ganz Ungereimtes und unmöglich, es zu thun. Zuerst sagt Moses im fünften Buche Cap. 17,8-11.: Wenn eine schwere Sache vorfallen sollte, so solle man zu der Stätte gehen, die der Herr seinem Namen erwählt hätte, und dort die Priester um Rath fragen, welche dieselbe nach dem Gesetze des Herrn urtheilen sollen. Nach dem Gesetze des Herrn (sagt er), wie aber könnten sie urtheilen, wenn nicht das Gesetz des Herrn äußerlich ganz klar wäre, dadurch jenen Befriedigung gegeben würde? Sonst wäre es genug gewesen zu sagen, sie sollen urtheilen nach ihrem Geiste. Ja, so geht es in der Regierung aller Völker, daß alle streitigen Sachen aller Leute durch Gesetze beigelegt werden. Wie aber könnten sie beigelegt werden, wenn nicht ganz gewisse Gesetze wären, die auch geradezu ein Licht sind in dem Volke? Denn wenn die Gesetze zweideutig und ungewiß sind, könnten nicht allein keine streitigen Sachen geschlichtet werden, sondern es könnte auch keine feste sittliche Lebensweise bestehen. Denn Gesetze werden deshalb gegeben, damit die Lebensweise nach einer gewissen Regel eingerichtet werde und streitige Fragen in Sachen entschieden werden. Darum muß das, was das Maß und Richtscheit für andere Dinge ist, weitaus das Gewisseste und Klarste sein; der Art ist das Gesetz. Da nun dieses Licht und die Gewißheit der Gesetze in un-heiligen weltlichen Dingen, wo es sich um zeitliche Güter handelt, sowohl noth-wendig ist, als auch durch Gottes Gnadengabe der ganzen Welt umsonst gegeben ist, wie sollte er seinen Christen, nämlich den Auserwählten, nicht viel mehr helle und gewisse Gesetze und Regeln schenken, nach welchen sie sich und alle Sachen richten und alles beilegen könnten, da er will, daß die Seinigen die zeitlichen Dinge verachten sollen? Denn da Gott das Gras, das heute stehet und morgen in den Ofen geworfen wird, so kleidet, wie viel mehr uns? Doch wir wollen fortfahren und jenes verderbliche Wort der Sophisten mit Schrift zu Boden stürzen. Im 19. Psalm heißt es (V. 9.): „Das Gebot des Herrn ist hell oder rein, und erleuchtet die Augen.“ Ich glaube, das, was die Augen erleuchtet, ist nicht dunkel oder zweifelhaft. Desgleichen Psalm 119,130.: „Die Thür deiner Worte erleuchtet und gibt den Einfältigen Verstand.“ Hier sagt er von den Worten Gottes aus, daß sie eine Thür und etwas Offenbares seien, welches allen klar dargelegt sei und auch die Einfältigen erleuchte. Jes. 8,20. weist er alle Fragen an „das Gesetz und Zeugniß“, und so wir das nicht thun werden, so droht er uns, daß wir das Licht der Morgenröthe nicht haben sollen. Im 2. Capitel Maleachi (V. 7.) befiehlt er, „daß man aus dem Munde des Priesters das Gesetz suchen soll, weil er ein Engel des Herrn der Heerschaaren ist“. Das wäre natürlich ein sehr feiner Engel oder Bote des Herrn, der solche Dinge vorbrächte, welche ihm selbst nicht allein zweideutig wären, sondern auch dem Volke dunkel, so daß er selbst nicht wüßte, was er redete, und das Volk nicht, was es hörte. Und was wird im ganzen Alten Testamente, besonders im 119. Psalm, zum Lobe der Schrift häufiger gesagt, als daß sie das allergewisseste und augenscheinlichste Licht ist? Denn so preist er ihre Klarheit (Ps. 119,105.): „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Pfade.“ Er sagt nicht, dein Geist allein ist meines Fußes Leuchte, wiewohl er auch diesem sein Amt zutheilt und spricht (Ps. 143,10.): „Dein guter Geist führe mich auf ebener Bahn.“ So wird Gottes Wort auch ein Weg und ein Pfad genannt, natürlich wegen seiner überschwänglichen Gewiß-heit. Nun wollen wir zum Neuen Testamente übergehen. Paulus sagt Röm. 1,2., „das Evangelium sei durch die Propheten in der heiligen Schrift verheißen“, und Cap. 3,21., „die Gerechtigkeit des Glaubens sei bezeugt durch das Gesetz und die Propheten“. Was für eine Art von Bezeugung wäre das, wenn sie dunkel wäre? Ja, in allen seinen Episteln nennt er das Evangelium das Wort des Lichtes, das Evangelium der Klarheit, dann redet er aber auch insonderheit davon mit reichen Worten 2 Cor. 3,7.ff. und Cap. 4., wo er von der Klarheit Mosis und Christi gar herrlich handelt. Petrus sagt auch 2 Petr. 1,19.: „Wir haben ein sehr gewisses prophetisches Wort; wenn ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheinet in einem dunkeln Ort, so thut ihr wohl.“ Hier nennt Petrus das Wort Gottes eine helle Leuchte, alles Andere aber Finsterniß; und wir machen Finster-niß und Dunkelheit aus dem Worte? Christus (Joh. 8,12.) nennt sich so oft das Licht der Welt und Johannes den Täufer (Joh. 5,35.) ein brennendes und scheinendes Licht, ohne Zweifel nicht wegen der Heiligkeit des Lebens, sondern um des Wortes willen, wie Paulus die Philipper (2,15.) helle Lichter der Welt nennt, „weil ihr (spricht er) haltet ob dem Wort des Lebens“; denn das Leben ohne das Wort ist ungewiß und dunkel. Und was thun die Apostel, da sie ihre Predigten mit der Schrift beweisen? etwa, daß sie uns ihre finsteren Dinge mit noch größerer Finsterniß verdunkeln? oder, daß sie uns Bekannteres mit Unbekannterem beweisen? Was thut Christus, da er die Juden lehrt Joh. 5,39., „daß sie in der Schrift forschen sollten, welche nämlich Zeugniß gäbe von ihm“? Hat er das etwa gethan, um sie zweifelhaft zu machen über den Glauben an ihn? Was thun doch die, Apost. 17,11., welche, nachdem sie den Paulus gehört hatten, Tag und Nacht die Schrift lasen, um zu sehen, ob es sich also hielte? Beweist nicht dies alles, daß sich die Apostel, gleichwie Christus, auf die Schrift berufen, als auf das hellste Zeugniß ihrer Reden? Wie können wir uns also erdreisten, die Schrift für dunkel auszugeben? Ich bitte dich, sind denn diese Worte der Schrift auch dunkel oder zweideutig: „Gott schuf Himmel und Erde“; „das Wort ward Fleisch“, und alles, was die ganze Welt als Glaubensartikel angenommen hat? Woher hat sie es angenommen? Hat sie es denn nicht aus der Schrift? Und was thun die, welche noch heutiges Tages predigen, die Schrift auslegen und erklären? Aber wenn die Schrift, welche sie erklären, dunkel ist, wer macht uns gewiß, daß gerade ihre Erklärung zuverlässig ist? Eine andere, neue Erklärung. Wer wird nun diese erklären? So wird es ins Unendliche fort-gehen. Kurz, wenn die Schrift dunkel oder zweideutig ist, was wäre es denn vonnöthen gewesen, daß Gott sie uns hätte geben lassen? Wären wir etwa nicht finster und zweifelhaft genug gewesen, wenn uns nicht vom Himmel herab die Dunkelheit und Zweideutigkeit und Finsterniß vermehrt worden wäre? Wo wird dann der Ausspruch des Apostels bleiben (2 Tim. 3,16.): „Alle Schrift von Gott eingegeben ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Züchtigung“? Ja, lieber Paulus, es ist ganz unnütz: bei den Vätern, die von einer langen Reihe von Jahrhunderten angenommen sind, und bei dem römischen Stuhle muß man solches holen, was du der heiligen Schrift beilegst. Daher muß dein Ausspruch widerrufen werden, da du an den Titus(1,9.) schreibst: „Ein Bischof solle mächtig sein, zu ermahnen durch die heilsame Lehre und zu strafen die Widersprecher, und den unnützen Schwätzern und Verführern der Seelen das Maul zu stopfen.“ Wie kann er mächtig sein, wenn du ihm nur die dunkele Schrift lässest, das ist, Waffen aus Werg und statt eines Schwertes leichte Strohhalme? Dann müßte auch Christus nothwendiger Weise seinen Ausspruch widerrufen, der uns eine falsche Zusage gegeben hätte, indem er sagt (Luc. 21,15.): „Ich will euch Mund und Weisheit geben, welcher nicht sollen widerstehen mögen alle eure Widersacher.“ Wie sollen sie uns nicht widerstehen können, da wir mit dunkeln und ungewissen Dingen gegen sie streiten? Und wie kannst auch du, Erasmus, uns eine Weise des christlichen Lebens vorschreiben, da dir die Schrift dunkel ist? Aber ich glaube, daß ich sogar Unverständigen hier beschwerlich falle, weil ich in einer so überaus klaren Sache so viele Worte verliere und so lange dabei verweile. Aber ich habe die unverschämte Rede, die heilige Schrift sei dunkel, so überschütten müssen, damit auch du sähest, lieber Erasmus, was du sagst, wenn du leugnest, daß die Schrift klar sei. Denn damit mußt du mir nothwendiger Weise auch zu-gleich behaupten, daß alle deine Heiligen, welche du anziehst, viel weniger klar sind. Denn wer macht uns ihres Lichtes gewiß, wenn du uns die Schrift dunkel gemacht hast? Darum machen uns diejenigen nichts als lauter Finsterniß, welche leugnen, daß die Schrift ganz hell und deutlich ist.