Zwingli - Rechtfertigung

 

Zwingli in seinem "Kommentar" über die Rechtfertigung:

 

Christus hat das Alles für uns erlitten. Hätten wir durch unsere Werke oder unsere Unschuld das Heil verdienen können, so wäre er umsonst gestorben Gal. 2,21. Darum kann des Evangeliums Art jetzt kurz so begriffen werden: es ist, um das vorauszuschicken, allgemein bekannt, dass der Name nichts als „Froh-botschaft“ bezeichnet. Doch muss der Inhalt der Botschaft aus den Worten dessen, der verkündigt wird, erlernt werden. Er schickte seine Jünger Mark. 16,15f. mit dem Auftrage aus: „Gehet hin in alle Welt und prediget das Evange-lium aller Kreatur! Wer da glaubt und getauft wird, wird selig, wer aber nicht glaubt, verdammt werden“. Hier hören wir zuerst, dass das Evangelium den Gläubigen selig macht. Damit kennen wir seine Wirkung, aber noch nicht sein Wesen. Wir müssen also noch einen anderen Evangelisten fragen; auf diese Weise lernen wir die heilige Schrift am besten verstehen. Lukas 24,45-47 be-schreibt dieselbe Sache, und zwar auch am Auferstehungstage Christi, so: „Da öffnete er ihnen den Verstand zur Erkenntnis der heiligen Schrift, dass so oder so geschrieben stände, und dass Christus so oder so leiden musste und am dritten Tage auferstehen von den Toten, und dass in seinem Namen Buße und Verge-bung der Sünden allen Völkern verkündet werden solle“. Hier haben wir deutlich das Wesen des Evangeliums und die rechte Art der Verkündigung. Das ist das Evangelium, dass im Namen Christi die Sünden vergeben werden; eine fröh-lichere Botschaft hat nie ein Herz vernommen. Doch das bedarf noch weiterer Erläuterung, damit wir der Sache noch näher kommen. Christus lehrte, in seinem Namen müsse allen Völkern Buße und Vergebung der Sünden gepredigt werden. Da glaube ich zunächst auf Zustimmung rechnen zu dürfen, wenn ich „Name“ an dieser Stelle im Sinne von „Macht, Gewalt, Kraft, Majestät“ verstehe, wie Mark. 16,17 und Apg. 3,6, 16 … Durch Christi Kraft also reut uns unser bisheriges Leben; denn wir haben bei Betrachtung des Menschen genügend gezeigt, dass er ohne die Gnade Gottes um sich selbst ebenso wenig weiß als um Gott. Gottes Kraft bedarf’s, soll der Mensch sich erkennen. Soll jemand seine Fehler bereuen, so muss er sie als solche erkennen; das kann das Fleisch, das heißt: der Mensch, nicht; denn es ist in eigener Angelegenheit so blind, dass es sich niemals verdammt. Wenn es sich verdammt, so geschieht das durch fremde Kraft. Aber diese fremde Kraft stammt nicht von einem fremden Fleische; denn alles Fleisch ist einerlei Art. Es muss also die den Menschen zur Selbster-kenntnis führende fremde Kraft Geisteskraft sein. Das schärfen wir fortgesetzt ein, derart, dass wir gar nichts Gutes am Menschen lassen, während gewisse Menschen ihn so hoch werten. Der göttliche Geist allein bringt den Menschen zur Selbsterkenntnis. Ohne diese Selbsterkenntnis gibt es aber keine Selbstver-achtung. Denn wie könnte man, ohne an sich selbst Verächtliches zu finden, sich verachten? So lehrt also Christus zuerst, wie in seinem Namen Buße gepredigt werden muss, das heißt: dass durch seine Kraft der Mensch zur Selbsterkenntnis und zur Reue über sich selbst kommt. Sodann, um auf die Erklärung der Lukas-worte zurückzukommen, ohne Buße, Reue, Missfallen an uns selbst, kann Christus uns nicht heilsam und wert werden, da wir ja schon wissen, was Gesetz und Sünde ist. Wir müssen also jetzt davon reden, wie die Buße ihren Anfang nimmt. Als die göttliche Majestät den Plan zur Erlösung des Menschen fasste, geschah es nicht, um die Welt in ihrer Bosheit beharren und alt werden zu lassen. In dem Falle hätte Gott besser gar keinen Heiland geschickt, als einen, nach dessen Erlösungstat wir an unserem früheren Zustand und unserer Krankheit nichts änderten. Es wäre lächerlich gewesen, wenn der, dem alle Zukunft gegenwärtig ist, den Menschen um so hohen Preis hätte befreien wollen, den er unmittelbar nach der Befreiung wieder im früheren Sündenschmutz hätte liegen lassen wollen. Darum kündigt er zuerst die Änderung des Lebens und Charakters an. Denn ein Christ sein ist nichts Anderes als ein neuer Mensch und eine neue Kreatur sein. Als er daher seinen Vorläufer, Johannes den Täufer, schickte, begann er mit dem Worte: „Tut Buße!“. „Denn die himmlische Ge-rechtigkeit zürnt so, dass ihr ohne Änderung des Lebens schwere Strafe, ja, das schlimmste Verderben und den Untergang erleiden werdet“ Mat. 3,2 f. ... Mit dem Symbol der Taufe kennzeichnete Johannes die, welche nach sorgsamer Prüfung ihres bisherigen Lebens nur des Todes Würdiges an sich fanden und deshalb Ihr Herz der Buße zuwandten. Es war ein einleitender Einweihungsakt für alle Büßenden, nicht die Reinigung selbst 1. Pet. 3,8-22 ... Die erfolgt allein durch Christi Blut. Denn wie das Fleisch, ohne Zeugen, leicht schamlos wird, vom Winde hin und her getrieben, so hätte es leicht geschehen können, dass jemand sich als durch die Predigt des Johannes schwer erschüttert gab, in Wirklichkeit aber schamlos und unfromm lebte; dem beugte das Taufsymbol vor. Denn sobald einer es an sich empfangen hatte, schämte er sich, gleichzeitig öffentlich die Weihe zur Buße empfangen zu haben und sich mit den früheren Schandtaten zu beflecken ... Wenn also Johannes lehrte, der Mensch müsse sich sein Leben vor Augen stellen und ändern, was stellte er da in Aussicht? Lehrte er etwa: wenn Ihr dieses oder jenes tut, werdet Ihr selig werden? Keineswegs. Vielmehr wusste er sehr gut, dass der Mensch nur selig wird, wenn er sich ganz geprüft hat, ja, dass eine wiederholte Prüfung ihn nur gewisser machen kann, dass er an sich und seiner Gerechtigkeit gänzlich verzweifelt – daher muss sicherlich zuerst Ekel vor sich selbst entstehen – ; und darum kündete er alsbald den an, auf dem das Heil ruhen sollte, und richtete die Gedanken auf den, der da kommen sollte Apg. 19,4; Joh. 1,4 betonte, dass in ihm das Heil liege, der der Zeit nach zwar nach ihm käme, aber dank seiner göttlichen Geburt und Würde ihm weit voraus sei Mat. 3,11 ... Was heißt „mit dem heiligen Geiste taufen“ anders als: das Gewissen durch seine Ankunft ruhig und fröhlich machen? Aber wie kann es ruhig gemacht werden, wenn es nicht eine starke Hoffnung auf einen Untrüg-lichen besitzt? „Mit dem heiligen Geiste taufen“ heißt also nichts anderes als: Christus gibt uns seinen Geist, der unsere Herzen so erleuchtet und lenkt, dass wir auf ihn vertrauen, auf ihn uns verlassen, der Gottes Sohn ist, für uns gesandt, dessen Brüder wir durch sein Erbarmen, nicht durch unsere Verdienste ge-worden sind. Johannes zeigt also, dass unser Leben verbesserungsbedürftig sei, wiewohl wir, wenn wir es gebessert haben, bei uns nichts finden, das uns Hoffnung auf Seligkeit verspräche. Johannes verweist daher auf Christus; er sei es, in dem wir das Heil sogar umsonst fänden Joh. 1,26, 29-31 ... Wenn der Mensch durch die Buße zur Selbsterkenntnis kommt, findet er nur die äußerste Verzweiflung; daher muss er im völligen Misstrauen gegen sich selbst zur Barmherzigkeit Gottes seine Zuflucht nehmen. Kaum tut er das, so schreckt ihn die Gerechtigkeit. Da wird Christus gezeigt, der für unsere Schuld der göttlichen Gerechtigkeit genug tat, und wenn man ihm dann vertraut, dann ist das Heil gefunden. Denn er selbst ist das untrügliche Pfand der göttlichen Barmherzigkeit Röm. 8,32 ... O unaussprechliche göttliche Weisheit, o unermessliche Güte, o Barmherzigkeit über alle Maßen, weit über alles Hoffen! Gott erleuchtet, damit wir uns selbst erkennen; geschieht das, geraten wir in Verzweiflung; wir nehmen Zuflucht zu seiner Barmherzigkeit, aber die Gerechtigkeit schreckt. Da findet die ewige Weisheit den Ausweg, zugleich Gottes Gerechtigkeit genugzutun, was uns gänzlich unmöglich war, und uns auf seine Barmherzigkeit vertrauen und ihn genießen zu lassen. Seinen Sohn schickt er, er sollte seiner Gerechtigkeit für uns genugtun und ein untrügliches Pfand des Heils werden. Doch unter der Be-dingung, dass wir eine neue Kreatur würden, Christus anzögen und so wandelten 2. Kor. 5,17. Darum ist das ganze Leben eines Christenmenschen Buße. Denn wann sündigen wir nicht? Deshalb ließ auch Christus bei der ersten Aussendung der Jünger sie dasselbe predigen, wie Johannes und er selbst Mat. 4,17; 10,7 ... Auch sie mahnten zur Umkehr vom schlechten Leben und betonten die Nähe des Reiches Gottes. Doch damit das Wesen der Buße klarer werde, wollen wir zugleich auf einen Einwurf antworten: wenn wir, heißt es, Christus in dieser Weise als Opfer verstehen wollen, das ein für alle Mal für die Sünden aller Menschen genugtat, so werden wir alle zu ungezügelter Lust geneigt sein, da ja Alles ungestraft geschehen kann; Christus ist ja das Pfand, das alle Sünden bezahlt hat. Darauf vernimm Folgendes: Vorab wollen wir durch die heilige Schrift klar machen, wie man allein durch Christus zum Vater kommt, und dass er allein alle Sünden tilgt. Dann wird man auf jenen Einwurf eingehen können. Dass man allein durch Christus zum Vater kommt, könnte schon dadurch klar werden, dass Christi Tod unnötig gewesen wäre, wenn man auf irgend einem anderen Wege hätte zu Gott kommen können. Aber es ist besser, seine eigenen Worte anzu-führen. Von ihnen setzen wir die an die Spitze, in denen er klar bezeugt, um des Heiles aller willen gesandt zu sein; dann folgen die, in denen er sich als den alleinigen Spender des Heils bezeichnet. Denn zuerst kommt das „sein“, dann das „ausschließlich und allein sein“. (Bibelstellen für den ersten Zweck sind Joh. 3,16, 6,53-58, 8,12, 10,9, 12,31 f., für den zweiten Joh. 6,33, 8,36, 10,1, 14,6, 15,1-11, Apg. 4,12 u.a. ....) Von diesen Voraussetzungen aus, dass Christus die Sühne für alle Sünden und der Weg des Heils ist, und zwar er allein, und nur für den Gläubigen an ihn, glauben diejenigen, die dem Evangelium teils zu wenig Glauben schenken, teils es nicht rein in sich aufgenommen haben, schließen zu können, dass alle sich auf dasselbe Verlassende in Zügellosigkeit schlechter werden. Denn wenn das Menschenherz höre, dass Alles so gnädig durch Christus geschenkt werde, müsse es seiner ganzen Anlage nach zur Sünde geneigter werden. Das haben nun einige unkluge Klüglinge verhüten wollen und teils gesagt, Christus habe nur für die Erbschuld bezahlt, teils, nur für die vor seiner Zeit begangenen Sünden. Diese Irrtümer stammen aus Unkenntnis vom Wesen des Christentums, das man so gut zu kennen glaubt! Glaube ist sein Wesen, nicht Weisheit, Wissen oder Klugheit; da sie also „keinen Glauben hatten, sind sie Toren in ihren Gedanken geworden“ Röm. 1,21. Der christliche Glaube wird im Herzen der Gläubigen gespürt, wie die Gesundheit am Leibe. Die spürt man leicht, ob sie schlecht oder gut ist. So spürt der Christ die Krankheit des Herzens wegen der Sündenlast, sein Wohlbefinden aber in der Gewissheit des Heils in Christus. Sehr oft schätzen nun dauernd gesunde Menschen die rechte Gesundheit nicht so hoch ein wie mit langwierigen oder schweren Krank-heiten behaftete. So ist Christus denen, die keine Krankheit ihres Innern spüren, nicht so wertvoll wie denen, die sie spüren und Schmerzen haben. Da wir uns selbst nun nicht recht, das heißt: von innen und außen kennen – denn wir wissen ja nichts von der Krankheit und ihrer Gefahr – , so ist uns Christus niemals so heilbringend und wertvoll, wie er tatsächlich ist. Hätten wir wirklich einmal über unsere Krankheit Schmerz empfunden, das heißt: hätten wir uns selbst, ganz erkannt, welch ein verworfen und krankes Tier wir sind, dabei aber als groß, berühmt, gerecht, heilig allenthalben gelten wollen, wie wir schmählichen Be-gierden uns hingeben, sodass wir nichts ohne böse Leidenschaft tun – wenn, sage ich, wir je unsere Krankheit empfunden hätten, so hätte uns der Schmerz übermannt, und nach der Heilung durch den Arzt hätten wir niemals sprechen können: ich will noch einmal Schmerz erleiden, das heißt: noch einmal sündigen. Wer ein Bein gebrochen hat und einen geschickten Arzt fand, der das ge-brochene Glied wieder einrichtete, denkt nicht: Gott sei Dank, dass Du einen solchen Arzt gefunden hast, nun willst Du oft das Bein brechen; denn der Arzt kann Alles. Vielmehr in seinem ganzen Leben achtet er auf Schritt und Tritt darauf, das Bein nicht zum zweiten Male zu brechen. Denn er spürte den starken Schmerz bei der Einrenkung des Beinbruches und kennt den Ärger, einen ganzen Monat lang auf dem Rücken oder nur auf einer Seite liegen zu müssen. Wer also auf die Kunde, Christus habe für die Sünden aller Menschen Bezahlung geleistet, frohlockt: „nun wollen wir sündigen!; denn alles wird uns umsonst durch Christus geschenkt“, der hat niemals den Sündenschmerz gespürt. Denn sonst würde er, wie er nur könnte, sich vor dem Rückfall hüten ...