Zwingli - Sakramente
Zwingli in seinem "Kommentar" über die Sakramente:
Sehr wünschte ich, die Deutschen hätten das Wort „Sakrament“ niemals in ihren Sprachschatz aufgenommen, es sei denn, dass sie es deutsch, unmissver-ständlich, aufgenommen hätten. Hören sie das Wort „Sakrament“, so verstehen sie darunter etwas Großes und Heiliges, das durch seine Kraft das Gewissen von der Sünde befreie. Andere hingegen erkannten, dass das falsch sei, und sagten, Sakrament sei das Zeichen für ein heiliges Ding. Das gefiele mir gar nicht so übel, wenn sie nicht hinzusetzten: beim äußeren Gebrauch des Sakramentes vollzöge sich sicherlich eine innere Reinigung. Wieder andere, die Dritten, erklärten das Sakrament für ein Zeichen nach vollzogener Reinigung des Herzens zwecks Vergewisserung des Empfängers über den inneren Vollzug des durch das Sakrament äußerlich Bedeuteten. Ich bin nicht gerne anderer Ansicht als die geltenden Persönlichkeiten, vorab die gegenwärtig angesehenen, die glänzenden Schriftsteller, die der Welt scheinbar ein neues Antlitz gegeben, sie gebildet gemacht haben. Doch bitte ich darum, sie möchten meine Ausführungen so ansehen, wie ich stets ihre Schriften einschätzte. Bei der Lektüre fremder Schriften achte ich einzig und allein auf die vom Verfasser befolgte Gesinnung – denn im Worte selbst offenbaren sich alle Gedanken. Erkenne ich Liebe zu Gott und dem Nächsten als Grundlage, so kann ich viel zugestehen, wie ja auch bei meinen Schriften mir viel nachgesehen wird. Freilich flicke ich bei Gelegenheit tüchtig am Zeug, richte Verkehrtes zurecht, löse Knoten auf, rücke vage Gedan-ken in Ordnung, stets jedoch ohne persönliche Schmähung, auf dass Friede bleibe, den gewisse Leute so gern stören möchten. Zwei Ausnahmen mache ich dabei: Emser und Eck; sie sind eine Pest der Lehre Christi. Gegen sie etwas schärfer und persönlich zu schreiben, zwang mich ihre Frechheit. Der eine, Emser, hat mich ohne vorherige Warnung ahnungslos so schnöde angegriffen, dass ich Christi Lehre – seine Sache führe ich, nicht meine – preisgegeben hätte, wenn ich ihm nachgegeben hätte, der schon zum Siege blies, bevor er mir vor die Augen kam; denn in der Art schrieb er gegen mich und veröffentlichte er sein Buch, sechs Monate lang ließ er mich vergeblich auf die Zusendung warten. Der andere, Eck, sann hinterlistig Verderben, zugleich schickte er abgeschmackte und lügnerische Verleumdungen auf die schweizerische Tagsatzung; glückte seine Absicht, so schien ich mit Recht niedergeworfen, und er konnte sich bei den römischen und deutschen Tyrannen um so teurer verkaufen. Wo ich nun sein Verbrechen aufdecke – leugnen lässt es sich ja nicht – großer Gott, wie wütet er! So bitte ich alle Leser meines „Kommentars“, offen, nicht leiden-schaftlich zu urteilen, und alle Abweichungen von der reinen Lehre Christi, die sie bemerken, zu beseitigen, nicht mit eigenmächtigen Dekreten oder Verdammun-gen, sondern mit dem Schwerte des himmlischen Wortes aus altem und neuem Testament. Doch genug der Einleitung; es sei mir gestattet, mein Wissen von Namen und Bedeutung dieses Wortes „Sakrament“ mitzuteilen: Für den Grammatiker ist „Sakrament“ ein von Streitenden auf den Altar niedergelegtes Pfand; der Sieger im Streit nahm sein Pfand oder sein Geld wieder. Ferner ist „Sakrament“ der Eid – so noch heute bei Franzosen und Italienern. Endlich bedeutet es den Fahneneid, kraft dessen die Soldaten sich ihrem Hauptmann verpflichten, laut seines Befehls nach Kriegs-Recht oder -Gesetz. Denn auch der Krieg hat seine Gesetze, freilich seine ganz besondern; die gerechten Gesetze schweigen im Kriege. Dass „Sakrament“ bei den Alten für etwas Heiliges und Geheimnisvolles gebraucht wird, ist nicht bekannt. Deshalb brauche ich es auch nicht so; ebensowenig schließe ich mich der lateinischen Übersetzung des neuen Testamentes an, wenn sie „Mysterium“ mit „Sakrament“ wiedergibt. Denn das gibt den Sinn nicht richtig wieder; ich weiß auch nicht, welches lateinische Wort „Mysterium“ recht wiedergibt. „Geheimnis“ ist zu weit, „Heiliges“ zu eng. So kommen wir also dazu, im Sakrament nichts Anderes zu sehen als eine Ein-führung oder Verpflichtung. Wie Streitende eine bestimmte Geldsumme hinter-legten, die nur der Siegende wieder fortnehmen durfte, so verpflichten sich die Teilnehmer an Sakramenten, hinterlegen und empfangen gleichsam ein Pfand, nicht zurückweichen zu dürfen ... Wenn also „Sakrament“ nichts Anderes bedeuten kann als Einführung der öffentlichen Einzeichnung, so kann es nichts zur Gewissensbefreiung vermögen; denn das Gewissen kann Gott allein befreien. Er allein kennt es ja, er allein dringt zu ihm ... Wie sollten also Wasser, Feuer, Öl, Milch, Salz und derartige groben Dinge, wie sie bei den katholischen Sakramenten eine Rolle spielen, bis in’s Herz dringen? Können sie das nicht, wie wollen sie reinigen? Was heißt denn Reinigung des Herzens? Etwa die Be-rührung eines reinen Dings?! Was kann denn das Herz berühren, oder was kann das Herz rühren?! Da nichts Kreatürliches den Menschen innen und außen kennt, sondern Gott allein, kann auch nur Gott das Gewissen reinigen ... Folglich irren die gänzlich, die den Sakramenten die Kraft, zu reinigen, zuschreiben. Das erkannten die anderen, und gaben die Sakramente für gewisse Zeichen aus, die bei ihrem Vollzug den Menschen eines inneren Vorganges vergewissern. Auch das ist ein eitles Fündlein; als wenn bei der Taufe mit Wasser etwas im Men-schen vorginge, was er selbst ohne die Taufe niemals hätte wissen können! Diese Leute wissen mit Verlaub nichts vom Wesen oder der Entstehung des Glaubens im Menschen. Ich habe längst gesagt, der Glaube ist eine Wirklichkeit, kein Wissen, kein Wahn oder Einbildung. Der Mensch empfindet also innerlich im Herzen den Glauben. Dann entsteht er, wenn der Mensch an sich zu verzweifeln und die Notwendigkeit allein auf Gott zu vertrauen, einzusehen beginnt. Abge-schlossen ist er, wenn der Mensch sich ganz preisgegeben hat, sich nur Gottes Barmherzigkeit hingibt, derart, dass er um Christi Opfer für uns willen fest darauf baut. Welcher Gläubige wüsste das nicht? Dann erst bist Du von der Sünde frei, wenn das Herz unerschütterlich auf Christi Tod sich verlässt, in ihm ruht. Und wenn Du mit dem ganzen Jordan übergossen wärest und heilige Worte sechs-hundertfach mitgelaufen wären, so hätte doch das Herz keine Besserung ge-spürt, außer soweit jene frivole und abgängige Meinung, die den Sakramenten Reinigungskraft zuschreibt, dank fortgesetzter Einschärfung Dir das fälschlich eingeredet hätte. Denn wer den Glauben nicht hat, staunt über alles scheinbar Wirkungskräftige, und glaubt Heil gefunden, ja, empfunden zu haben, wo er doch tatsächlich gar nichts spürt, wie das nachfolgende Leben beweist. Denn wirklich neue, das heißt: Gott und den Nächsten liebende, Menschen schrecken vor den Lastern zurück, ziehen aber Christus an und wachsen von Tag zu Tag mehr zur Vollkommenheit heran, der heilige Geist hat sie umgewandelt – jedermann merkt das! Wenn sie aber eine Zeit lang an sich selbst wegen der erlangten Unschuld Gefallen haben und alsbald, wenn jenes törichte Staunen schwindet, zum alten Leben, wie der Hund zum Ausgespeiten Spr. 26,11 zurückkehren, so beweist das, dass sie von Sinnesänderung gar nichts gespürt haben, sondern nur das Gruseln vor dem Wasser. Viele werden getauft, die während der Taufe nur das Gruseln vor dem Wasser empfinden, nicht auch die Sündenvergebung, das heißt: die Herzensbefreiung. Dazu gehörten zum Beispiel die von Johannes Getauften und die Täuflinge nach Christi Himmelfahrt auf Grund der Predigt der Apostel und Jünger, bevor sie des Heiles durch Christus sicher oder vollkommen unterrichtet waren, wie Apg. 19,2-6 und 14,44 berichtet wird ... Jene zweite Ansicht also, nach der die Sakramente Zeichen sind, bei deren Vollziehung am Menschen sich zugleich innerlich das vollzieht, was sie bedeuten, ist frostig. Denn dann wäre die Freiheit des göttlichen Geistes gebunden, der nach Be-lieben, das heißt: wem, wann und wo er will, schenkt. Wenn er dann innen wirken müsste, wenn wir äußerlich die Zeichen brauchten, so wäre er ganz an die Zeichen gebunden; wir sehen aber dank jener biblischen Zeugnisse das Gegen-teil. Die Dritten nun sahen deutlich, dass die Sakramente nicht reinigen können, dass auch die Wirksamkeit des göttlichen Geistes nicht derart an die Sakramente gebunden ist, dass er bei ihrem Vollzug zugleich innerlich wirken muss ... ; darum sagten sie, die Sakramente seien Zeichen der Vergewisserung eines schon innerlich erfolgten Vorganges. Zum Beispiel sie weigern die Taufe allen, die nicht vorher den Glauben so beredt gelernt und bekannt haben, dass sie auf alle Glaubensartikel antworten können. Auch diese Ansicht ist, wie die vorher-gehende, falsch; denn wer so den Glauben gelernt und bekannt hatte, war längst des Heiles gewiss ... Denn wenn das Herz vertraut, so muss es auch um sein Vertrauen wissen. Was bedarf der also der Taufe, der längst durch den Glauben an Gott der Sündenvergebung gewiss war? Folglich sind die Sakramente Zeichen oder Zeremonien – der Ausdruck sei mir gestattet – , durch die sich der Mensch der Kirche als Jünger oder Soldat Christi vorstellt; sie machen vielmehr die ganze Kirche, und nicht sowohl Dich, Deines Glaubens gewiss. Denn wenn Dein Glaube nur dann vollendet ist, wenn er ein Zeremonialzeichen zur Bestäti-gung nötig hat, ist er überhaupt kein Glaube. Echter Glaube verlässt sich uner-schütterlich, fest und unbeweglich auf Gottes Barmherzigkeit, wie Paulus an vielen Stellen zeigt. – So viel über den Begriff „Sakrament“. Zwei Sakramente im Ganzen hat uns Christus hinterlassen: Taufe und Abendmahl. Ihre verpflichtende Bedeutung ist diese: mit jener bekennen wir den Namen „Christen“, mit diesem stellen wir uns, eingedenk des Sieges Christi, als Glieder seiner Kirche vor. In der Taufe empfangen wir ein verpflichtendes Symbol für eine Neugestaltung des Lebens nach der Regel Christi, im Abendmahl geben wir den Beweis, dass wir auf Christi Tod vertrauen, wenn wir voll Glück und Freude uns zu der Gemeinde einfinden, die dem Herrn für die uns durch seinen Tod für uns gütig geschenkte Wohltat der Erlösung dankt. Die übrigen Sakramente sind mehr Zeremonien; denn sie haben in der Kirche Gottes keine verpflichtende Bedeutung. Deshalb sind sie mit Recht zu entfernen; sie sind nicht von Gott eingesetzt zum Zweck irgend einer Verpflichtung in der Kirche. Das Alles wird im Folgenden noch klarer werden.