Zwingli - unfreier Wille
Zwingli in seinem "Kommentar" über Vorherbestimmung und unfreien Willen:
Da diejenigen, die ihre Hoffnung auf die Heiligen setzen, hauptsächlich auf ihre Verdienste sich verlassen, und in der Kirche Gottes bisher das Verdienst nicht etwa der Heiligen, vielmehr der schamlosesten Hurer so teuer verkauft wurde, als sie es einzuschätzen wagten, liegt es nahe, jetzt vom Verdienste zu sprechen. Ich habe oben von der Verwandtschaft dieser vier Dinge : Vorsehung, Vorher-bestimmung, freier Wille und Verdienst gesprochen, nicht in dem Sinne, dass die beiden letzteren den beiden ersteren verwandt wären, vielmehr in dem Sinne, dass, wer diese richtig erfasst hat, auch jene kennt. Die Vorsehung ist gleichsam der Vater der Vorherbestimmung; darüber habe ich bei der Erörterung über Gott nach bestem Vermögen gesprochen und brauche das nicht zu wiederholen. Ich bezeichnete Gott als den Fürsorger für alle Dinge; denn Alles besteht durch ihn. Darum wird auch Alles durch ihn erhalten und angeordnet. Dass unser Verstand das nicht begreift, liegt an seiner Kleinheit und Beschränktheit. Tatsächlich könnte mancherlei bei rechter Betrachtung uns selbst ein Bild von der göttlichen Vorsehung geben; ich führe nur das Wichtigste an: den Menschen selbst. Der unterstellt sich so der Herrschaft der Vernunft, dass alle Glieder von ihrem Winke abhängen – unter Vernunft verstehe ich die ganze Entschluss- und Willenskraft des Menschen. Ich meine die äußeren Handlungen, nicht die innere Leitung oder Änderung des Herzens. Auf Befehl der Vernunft gehen die Füße, wird die Hand an den Pflug gelegt, ohne Vernunft bewegt der Mensch keinen Finger. Noch weit kraftvoller und sicherer ist die göttliche Vorsehung bei der Bewegung der ganzen Welt. Darf man Großes mit Kleinem vergleichen, so ist Gott in der Welt, was die Vernunft im Menschen ist. Sehen wir also die Vernunft alle Handlungen, Motive und Quietive so leiten, dass ohne ihren Befehl nichts geschieht, warum bekennen wir dann nicht, dass Gottes Vorsehung Alles so leitet und anordnet, dass ohne seinen Willen oder Befehl nichts geschieht? Wir haben Angst, wir fürchten, dann Gott auch den Urheber des Übels nennen zu müssen. Indessen erfassen wir hier den Menschen nicht genau. Bisweilen befallen ihn Krankheiten und Leiden; aber befielen sie ihn nicht, so würde er ganz zu Grunde gehen. Fieberhitze quält ihn; inzwischen kann er nicht mehr so viel essen und wird bald wieder gesund. Podagra plagt ihn, da ist der dünne und scharfe Säftefluss von den Lebens-organen nach außen gezogen; im anderen Falle wäre der Mensch längst gestorben. So wollen wir bei Ereignissen, deren Ursache und Zweck wir nicht kennen, die göttliche Vorsehung nicht anerkennen, die uns, ja Alles nach Belieben benutzt. Was wir für schimpflich halten, ist noch nicht schimpflich für Gott. Die Schimpflichkeit für uns kommt aus unserer Unterordnung unter das Gesetz. Das Gesetz wurde aber um der Maßlosigkeit unserer Leidenschaften willen gegeben. Gott kennt keine Leidenschaften; so ist er auch dem Gesetze nicht verhaftet, ist vielmehr selbst der Inhalt der Gesetzesforderung an uns. Daher ist bei ihm nicht schimpflich, was für uns schimpflich ist. Der schranken-lose Geschlechtsverkehr unter den Tieren ist auch nach unserem Urteil nicht schimpflich, bei den Menschen wäre er sehr schimpflich. Was aber spricht die Tiere frei und macht uns Menschen schuldig? Das Gesetz. Wir sind durch göttliches Gesetz an die Schranken der Ehe gebunden. So kann für Gott nichts schimpflich sein, was doch für uns schimpflich sein muss ... Die Vorherbe-stimmung, die nichts Anderes ist als ein Vorher-Anordnen, entsteht aus der Vorsehung, ja, ist sie selbst; die Theologen unterscheiden Vorsehung und Weisheit so, dass jene alles wirkt und anordnet, diese aber das Was? und Wie? des Handelns in’s Auge fasst. Denn es würde dem höchsten Guten nicht ent-sprechen, alles zu wissen, bevor es geschieht, und nicht auch Alles anordnen und verfügen zu können; umgekehrt wäre es peinlich und blamabel, alles anzu-ordnen wissen und können, es aber nicht tun. Derartiges darf man von der Gottheit nicht annehmen. Durch die göttliche Vorsehung werden also gleichzeitig freier Wille und Verdienst aufgehoben; denn wenn sie alles anordnet, wie dürften wir glauben, uns etwas zuzuschreiben?! Geschieht Alles durch Ihn, wie könnten wir irgend etwas Verdienstliches leisten?! ... Wer zur rechten Gotteserkenntnis nicht gelangte, redete mancherlei vom freien Willen und Verdienst; wer aber zur Erkenntnis der göttlichen Vorsehung gelangte, schätzte das nicht hoch ein. Zugleich jedoch kann man beobachten, dass selbst solche, die die rechte Erkenntnis der Vorsehung besaßen, die Verdienste der guten Werke verherrlicht haben, wiederum zum besten derer, die die Vorsehung nicht deutlich erkannten, damit sie nämlich nicht so große Verbrechen begingen. Dahin gehören die Propheten, die mächtig auf gute Werke dringen. Aber bei wem? Bei den noch nicht recht Gläubigen! Seitdem nämlich der Glaube und, nach Christi Wort Mat. 24,12 die Liebe erkaltet waren, wollten die frommen Menschen der Ehre Gottes und der öffentlichen Ruhe trotzdem keinen Abbruch geschehen lassen. Zwar schärften sie vor Allem den Glauben und die Gottesfurcht energisch ein; in der Erkenntnis jedoch, dass Gott die Herzen ihrer Mitmenschen verblendet hatte, sodass gar nichts Gesundes mehr von ihnen zu erhoffen wäre, unterließen sie gleichzeitig die Predigt von den Werken nicht, trotz alles Wissens um die göttliche Vorsehung ... Hältst Du mir nun entgegen: geschieht Alles nach göttlicher Vorsehung, warum lässt er dann die so Irrenden und ferner unfrei und gezwungen Handelnden nicht aufklären, damit sie mit den Einsichtigen den Hauptpunkt erkennen? Antwort: Frage den, der sie geschaffen hat, und fordere von Ihm Rechenschaft seiner Taten. Ich bin nicht sein Ratgeber gewesen Jer 23,18, ich habe ihm nichts geliehen, sodass ich gesetzmäßig etwas von ihm wieder fordern könnte Röm. 9,20f. ... Es leugnet also Niemand, dass in der heiligen Schrift mehr Stellen unseren Werken ein Verdienst zuschreiben als es ihnen versagen; deshalb aber darf man nicht schließen, wir wollten wie Schieds-männer beiden Teilen etwas nehmen und beiden Teilen etwas geben, auf dass zwischen unserem Verdienst und der göttlichen Gnade, zwischen unserem freien Willen und der Vorsehung oder Vorherbestimmung Gottes Friede werde. Gott ist nicht wie ein Mensch. Vielmehr müssen wir handeln, wie jene frommen Men-schen, von denen ich sprach. Die Gotteserkenntnis muss energisch eingeprägt, der Glaube geweckt werden. Machen wir da Fortschritte, so werden von selbst aus dem guten Baume gute Früchte hervorgehen. Gleichzeitig muss man die Faulen anstacheln mit der Hoffnung auf Belohnung und der Angst vor Übeln, damit Gottes Werk niemals stille stehe ... Nur darauf wollen wir gleichzeitig achten: wenn wir beobachten, dass Gottes Wort uns etwas zuschreibt, was doch nur Gottes sein kann, so wollen wir die Gnade anerkennen, die er so reichlich über uns ausgießt, dass er uns zuschreibt, was ihm gehört; wir sollen uns dann nicht rühmen oder darüber streiten. „Denn wir vermögen nichts wider die Wahr-heit“ 2. Kor. 13,8 und sind dazu da, zu bauen, nicht zu zerstören. Das christliche Leben besteht in Unschuld, wie ich schon oft gesagt habe. Unschuld aber ge-deiht am besten auf dem Acker der Selbstverachtung; der Boden ist aber hier um so fetter, je mehr er vom Tau göttlicher Erkenntnis aufgesogen hat; denn je mehr man reich in Gott ist, desto ärmer ist man an sich selbst ...