Die Theologie der Tatsachen. Dritte Auflage.
Die Theologie der Tatsachen wider die Theologie der Rhetorik.
Bekenntnis und Abwehr
von Aug. Frdr. Chrn. Vilmar, Dr. phil.,
ord. Professor der Theologie zu Marburg, Konsistorialrat,
Ritter des kurfürstl. hessischen Wilhelmsordens.
Dritte, teilweise umgestaltete Auflage. M a r b u r g.
Elwert’sche Universitäts-Buchhandlung. 1 8 5 7.
Vorwort zur dritten Auflage.
Diese kleine Schrift, welche im Anfange dieses Jahres geschrieben wurde und am Ende desselben bereits ihren dritten Umlauf beginnt, sollte in möglichster Einfachheit und Unmittelbarkeit den Eindruck wiedergeben, welchen die Theologie in einer ihrer Hauptgestaltungen der Neuzeit auf den im vollen Glauben der sichtbaren evangelischen Kirche stehenden Christen macht, vor allem auf den Pfarrer, welchem die Weide einer Gemeinde zur Seligkeit anvertraut ist, welcher seines Glaubens gewiss, auf dem festen Boden seiner Kirche der Welt gegenüber, aber eben in der Welt, im wirklichen Leben steht. Dass ich hiermit bei eben jener Gestaltung der Theologie den äußersten Anstoß erregen würde, habe ich mir wohl gesagt, auch habe ich diesen Anstoß keineswegs vermeiden ja nicht einmal mildern wollen. Der Zusammenstoß des wirklichen Kirchenlebens mit jener Art von Theologie ist vorhanden und ist ein sehr harter; sollte ich ihn milder darstellen als er ist? Das wäre wieder eine neue Art von Rhetorik gewesen. Dass ich mich auf eine eigentliche Disceptation mit jener Richtung der Theologie nicht einlassen könne, wird sich leicht von selbst verstehen; wie käme ich dazu, mich mit der Protestantischen Kirchenzeitung oder mit Baurs und Zellers theologischen Jahrbüchern oder auch nur mit der Allgemeinen Kirchenzeitung wie dieselbe jetzt ist, auseinanderzusetzen? Es kam ja eben darauf an, die grundsätzliche Verschiedenheit des Standpunktes innerhalb der (S.VI) Kirche mit ihrem Glauben von dem Standpunkte der Führer jener Blätter darzulegen. Habe ich durch meine Schrift die Unvereinbarkeit der rhetorischen Theologie mit dem gesunden Leben der Kirche nur um etwas mehr, als bisher geschehen, aufgedeckt, und so scheint es nach allen Beurteilungen meiner Schrift, welche mir zu Gesicht gekommen sind, so ist der Zweck derselben erreicht. Dass die Herren Beurteiler welche der mir gegenüberstehenden Richtung angehören, den Erfahrungen welche ich gemacht habe, fern geblieben sind und dass sie dieselben im hohen Grade unbequem finden, glaube ich gern; dass sie ähnliche und noch weit reichere Erfahrungen in der Zukunft ihres Lebens machen, und nicht wie jetzt, bei leeren Worten und hohlen Formeln stehen bleiben mögen, wünsche ich ihnen aus aufrichtigem Herzen; aber wie man einem Vierzigjährigen nicht zumuten kann, er solle fünfundzwanzig Jahre alt sein, so mögen sie mir nicht zumuten, auf ihren Standpunkt herab zu treten. Vielleicht lassen sich Mehrere, für welche und in deren Sinn ich geschrieben habe, eine solche Zumutung eben so wenig gefallen. Die Invektiven welche mir dabei zu Teil geworden sind, verzeihe ich gern, zumal, da ich dergleichen Dinge reichlich gewohnt bin und das „lasst ihn bezemen“ ec. endlich verstehen gelernt habe. Was ich in wohlmeinenden und zugeneigten Kreisen gern — nicht erreichen aber — anbahnen möchte, ist das, dass man auf unserer Seite das Spielen mit dem Worte „Wissenschaft“ beseitigte. Sind wir stark genug, dem Worte Wissenschaft seinen älteren Sinn (als episteme, doctrina) im Sprachgebrauche wieder zu verschaffen, so mögen wir uns nicht allein unbedenklich, sondern mit vollem Rechte des Wortes Wissenschaft für unsere Theologie, zumal für die Dogmatik und die Ethik, wiederum bedienen. Ich glaube jedoch kaum, dass unsere Stärke zur Änderung des Sprachgebrauches ausreicht, zumal da derselbe unleugbar eine gewisse Berechtigung für sich hat. Ist aber eine Änderung desselben nicht möglich, so tun wir besser, uns dieser Bezeichnung für unsere Disziplinen so lange zu enthalten, als der jetzige Sprachgebrauch besteht. Wir verwirren sonst wenigstens die Grenzen, wenn wir nicht gar den Feind, die menschliche Autonomie, durch (S.VII) den Gebrauch jener Bezeichnung mitten in unser Besitztum unvermerkt selbst einführen. Grenzverwirrer und Schleichhändler aber sind eben die, welche ich Rhetoriker nenne. In den ersten beiden Ausgaben war eine persönliche Abwehr (gegen Richter in Berlin) enthalten. Der Zweck derselben ist, da das Büchlein hinreichende Verbreitung gefunden hat, auf das Vollständigste erreicht. Ich habe deshalb die Abwehr, so weit sie einen persönlichen Charakter trug, gänzlich gestrichen, die Sachen aber, auf welche die Abwehr sich bezog, unberührt stehen gelassen. Die kleinen kurhessischen Details kommen in gar keinen Anschlag, wo es sich um den Kampf zwischen Glauben und Trugglauben handelt, und dass diese Schrift in diesen Kampf mit eingetreten sei, darüber hat das Urteil der Leser, der feindlichen wie der freundlichen, entschieden. Den Letzteren bin ich es demnach auch schuldig diejenigen Waffenstücke, welche nur für einen Kämpfer passen, allen andern aber lästig sind, völlig zu beseitigen. Das ist in dieser Ausgabe geschehen.
Marburg, Anfangs November 1856.
Vilmar.
Inhalt.
Einleitung. Seite
I. Die Theologie, ihre Meister und Jünger . . . 5
II. Wissenschaft . . . 11
III. Literatur und Exegese der heiligen Schrift . . . 24
IV. Systematische Theologie . . . 36
V. Kirche . . . 49
VI. Sakramente . . . 69
VII. Bekenntnis . . . 75
VIII. Kirchenzucht . . . 80
IX. Geistliches Amt . . . 89
X. Homiletik . . . 101
XI. Pastoraltheologie . . . 107