Absalom

Absalom

Absalom / Albert Weisgerber, Public domain, via Wikimedia Commons

 

Ja, da ist einer mit den Haaren im Baum hängengeblieben. Und hinten auf dem Weg sieht man gerade noch sein Reittier davonstürmen. Was die Landschaft aber nicht so recht erkennen lässt: das Missgeschick ereignet sich in Israel. Und der da baumelt ist ein Sohn Davids. Man muss allerdings hinzufügen, dass Absalom nicht der erstgeborene Sohn Davids war, sondern der dritte von insgesamt 19 Söhnen. Sieben Frauen Davids kennen wir namentlich, die Nebenfrauen nicht eingerechnet. Und so erklärt sich die stolze Zahl von 19 Söhnen. Der Erstgeborene heißt Amnon und verdient wenig Sympathie, weil er seiner Schwester Gewalt antat. In 2. Samuel 13 wird berichtet, dass Amnon sich in Tamar verliebt, die seine Halbschwester ist und von derselben Mutter stammt, die auch Absalom zur Welt brachte. Und weil der verliebte Amnon es nicht ohne Tamar aushalten kann, gebraucht er eine List. Er stellt sich krank und bittet König David, seine Schwester möge ihm doch als Krankenschwester zugeteilt werden, damit sie ihn auf seinem Krankenlager pflegt und ihm das Essen ans Bett bringt. 

Der König denkt sich nichts Böses dabei, und Tamar bekommt den Auftrag, Amnon zu pflegen. Der spielt nun erfolgreich den Kranken. Als aber Tamar an sein Krankenlager tritt, und er mit ihr allein ist, vergewaltigt er seine Schwester. Allerdings wird er ihrer auch gleich überdrüssig – und jagt sie davon. König David erfährt das. Aber weil Amnon sein Erstgeborener ist, unternimmt er nichts. Absalom hingegen will die Schändung seiner Schwester nicht einfach hinnehmen. Er wartet zwei Jahre und nutzt dann eine günstige Gelegenheit, um seinen Bruder Amnon ermorden zu lassen. Absalom rächt damit seine Schwester, muss nun aber den Zorn seines Vaters fürchten – und flieht ins Ausland. Für König David wird die Sache damit doppelt bitter. Denn er verliert gleich zwei Söhne. Der eine ist tot. Und der andere – der Mörder – ist über alle Berge. Weil Absalom aber Fürsprecher am Hof hat, währt sein Exil nicht sehr lang (vgl. 2. Sam 14). Der alternde David hat eine sentimentale Schwäche für seine Söhne, in denen er sich wiedererkennt. Und so erlaubt er Absalom, nach Jerusalem zurückzukehren. Womit aber dankt es ihm der Sohn? Freut er sich? Nein. Kaum zuhause angekommen, beginnt der Brudermörder am Stuhle seines Vaters zu sägen, indem er Bittsteller aus dem ganzen Land, die zum König wollen, am Stadttor von Jerusalem abfängt und ihre Herzen für sich gewinnt (vgl. 2. Sam 15). Er hört sich ihre Probleme an, gibt ihnen allen Recht, schmeichelt ihnen, sagt dann aber: „Wie schade! Deine Sache ist zwar gut und recht, aber du hast keinen beim König, der dich hört. Ja, wenn ich hier König und oberster Richter wäre – ich würde dir sehr bald zu deinem Recht verhelfen!“ So stiehlt Absalom dem Vater die Zuneigung des Volkes. Und nebenbei legt er sich eine Leibwache von 50 bewaffneten Männern zu. Nach vier Jahren sind die Vorbereitungen so weit gediehen, dass er eine offene Revolte gegen David wagen kann. Er sammelt seine Leibwache mit weiteren Truppen außerhalb der Stadt, verbündet sich mit abtrünnigen Stämmen, lässt sich zum König ausrufen und schart immer mehr Volk um sich. David – als alter Stratege – weiß aber, was als nächstes passiert. Und da er die Hauptstadt nicht verteidigen kann, kommt er dem Angriff des Sohnes zuvor und flieht mit seinen Getreuen an den Jordan. Er lässt zehn Nebenfrauen zurück, die auf das Haus aufpassen sollen. Und ein paar kluge Männer, die eigentlich mit ihm gehen möchten, lässt er als Spione zurück, damit er durch sie erfährt, was Absalom weiter plant. David ist ausgewichen. Und so kann Absalom kampflos in Jerusalem einziehen und sich auf den Thron setzen – das ist ein leichter Sieg! Um der Stadt nun aber zu zeigen, dass er vollständig mit dem Vater gebrochen hat und in jeder Hinsicht sein Nachfolger ist, errichtet Absalom auf dem Dach des Palastes ein Zelt und schläft dort mit den zehn Nebenfrauen, die David zurückließ – sozusagen als Demütigung des Vaters vor den Augen des Volkes (2. Sam 16,22). In seiner Freude über den Sieg versäumt Absalom allerdings, was strategisch richtig gewesen wäre: Er hält es nicht für nötig, dem geflohenen David mit einer Streitmacht nachzujagen. Er wartet zu lang. David hingegen, den die zurückgelassenen Spione über alles informieren, findet dadurch Gelegenheit, die eigenen Truppen zu sammeln und zu ordnen. Bald kann David mit neuen Kräften auf die Hauptstadt marschieren. Bevor es zur Schlacht kommt, zeigt sich aber, dass der alte König bezüglich seiner Söhne ein allzu weiches Herz hat. Denn er schärft seinen Kämpfern ein, mit Absalom auf jeden Fall schonend zu verfahren und ihm bloß kein Haar zu krümmen (2. Sam 18,5). Im Walde Ephraim kommt es zu einem blutigen Gemetzel mit vielen, vielen Toten. Die Männer Davids sind siegreich. Und als sie im Wald auf Absalom treffen, muss der sein Reittier wenden und fliehen. Doch wie es das Schicksal will hat Absalom eine wilde Mähne auf dem Kopf – er hat besonders lange, kräftige Haare. Und wie er zwischen dem Bäumen davonreitet, verfängt sich sein Haar in den Zweigen einer Eiche. Absalom bleibt hängen, das Reittier läuft unter ihm weg, und er schwebt hilflos zwischen Himmel und Erde. Seine Verfolger zögern trotz der günstigen Gelegenheit, ihn zu töten. Denn David hat ja ausdrücklich geboten, seinen Sohn zu verschonen. Hauptmann Joab fackelt aber nicht lange, sondern nimmt drei Stäbe und stößt sie dem Absalom ins Herz, der noch lebend an der Eiche hängt. Und so wird David zum Sieger dieser Schlacht. Seine Leute haben ihm unter großen Opfern den Thron zurückerobert. Doch gebührend gefreut hat er sich nicht. Sondern er jammert, weint und klagt stattdessen um den Sohn – und verdirbt damit seinen Soldaten die Siegesfeier. Der König grämt sich fast, als hätten seine Männer eine Niederlage erlitten. Dem Hauptmann Joab wird das aber irgendwann zu bunt und er sagt zu David: „...du lässt heute merken, dass dir nichts gelegen ist an den Obersten und Kriegsleuten. Ja, ich merke heute wohl: wenn nur Absalom lebte und wir heute alle tot wären, das wäre dir recht“ (2 Sam 19,7). David reißt sich daraufhin zusammen und hat nun seinen Thron zurück. Aber wozu eigentlich – und für was? Der alte Mann hat das Gerangel um die Krone noch einmal gewonnen. Aber wird er nun die Kraft haben, seine Nachfolge selbst zu regeln? Nein! David ergeht es wie vielen Mächtigen. Er klebt an seiner Macht. Er duldet niemanden neben sich und lässt niemand hochkommen. Er bestimmt auch keinen Nachfolger. Und erst als er geistig nicht mehr auf der Höhe ist (1. Kön 1), und wieder einmal einer seiner Söhne gegen ihn putscht, gelingt es seiner Frau Batseba und dem Propheten Nathan, den alten Mann hereinzulegen. Sie erinnern den Greis einfach an ein Versprechen, dass er nie gegeben hat. Sie behaupten übereinstimmend, er habe Salomo den Thron versprochen. Und der verwirrte alte Mann, der offenbar selbst nicht mehr weiß, wem er was versprochen hat, fällt darauf herein und bestätigt nun öffentlich, dass er seinen Sohn Salomo zum König und Nachfolger bestimmt habe. Wahrlich – wenn es schwer ist, politische Macht zu erringen, so ist es offenbar noch viel schwerer, sie mit Anstand wieder herzugeben. Und wie in der ganzen Weltgeschichte, weiß man auch im Alten Testament nicht recht, ob man die Protagonisten bedauern soll. Denn eigentlich trifft es einen jeden verdientermaßen: Amnon wird von Absalom ermordet, weil er seine Schwester vergewaltigt hat. Und Absalom, der trotz seiner Bluttat an den Hof zurückkehren darf, dankt David die Nachsicht, indem er ihn vom Thron verjagt. Absalom selbst, der den Aufstand mit dem Leben bezahlt, wird uns nicht sonderlich leidtun. Und auch David, dem einst so listigen Fuchs, geschieht es recht, dass er am Ende selbst überlistet wird. Wirklich zu bedauern sind hingegen Tamar und die Soldaten, die in dem unsinnigen Machtkampf zwischen Vater und Sohn ihr Leben lassen. So liegt es nahe, die Bibel an dieser Stelle zuzuklappen und in das alte Klagelied einzustimmen, dass Machtgier vielen den Charakter verdirbt. Doch dazu steht’s wahrscheinlich nicht in der Heilige Schrift, dass wir mit dem Finger auf „die da oben“ zeigen. Sondern wir dürfen uns ruhig auch selbst fragen, wo wir über andere zu herrschen versuchen. Denn das geschieht nicht bloß durch äußere Machtmittel, sondern ebenso auf subtile und verborgene Weise – in der Familie, in der Schule, im Betrieb und im Verein. Wer sich prüft, entdeckt vielleicht, dass auch in ihm ein David und ein Absalom steckt, ein Tyrann und ein Rebell. Mit dem Gerangel um die Macht sind wir irgendwie alle beschäftigt! Doch Jesus (daran sollten wir uns erinnern) fand keinen Gefallen an solcher Konkurrenz. Er warnte seine Jünger vor falschem Ehrgeiz und sprach: „Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener; und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht“ (Mt 20,25-27). Nun, vom Dienen verstand Absalom wohl ebenso wenig wie sein Vater. Sie sind sich im Grunde sehr ähnlich. Und so hängt Absalom da im Baum – und stirbt uns allen zur Warnung.