Christus als Apotheker
Christ the Pharmacist with Adam and Eve, from Chants royaux sur la conception couronnee du Puy du Rouen,
Paris. MS Francais 1537, fol. 82 v. (Quelle: gallica.bnf.fr / Bibliothèque nationale de France). Link:
https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8539706t
Man will gar nicht glauben, was man da sieht. Man schaut zwei- oder dreimal hin. Aber man hat sich nicht getäuscht: Adam und Eva stehen ziemlich verlegen in einer Apotheke herum. Und der freundlich lächelnde Mann, der ihnen ein Rezept aufschreibt, ist Jesus. Nun stammt diese Buchmalerei aus dem 16. Jahrhundert, so dass die Einrichtung der Apotheke in die Zeit passt. Doch in so ein Umfeld biblische Gestalten hineinzusetzen, ist ein Anachronismus. Zwar ist bekannt, dass Adam und Eva ein Problem haben und dringend Hilfe brauchen. Sie schauen nicht nur schuldbewusst, weil sie nackt in der Apotheke stehen (was peinlich genug wäre), sondern weil sie sich im Sündenfall mit ihrem Schöpfer entzweit haben. Sie sind schuldig geworden. Doch dagegen helfen weder Salben noch Tropfen. Und Jesus? Natürlich wissen wir, dass er viele Kranke heilte. Doch als wandernder Prediger hatte er keine Apotheke dabei und brauchte auch keine Medikamente. Es genügte meist, dass Gottes Sohn ein Machtwort sprach – und schon konnten die Lahmen gehen und die Blinden sehen. Wenn aber weder Jesus noch das erste Menschenpaar in eine mittelalterliche Apotheke gehören, wie kommt es dann zu diesem Bild? Nun, immerhin sagt Gott im Alten Testament: „Ich bin der Herr, dein Arzt“ (2. Mose 15,26). Und dort ist auch davon die Rede, dass Gott verbindet und heilt (Hiob 5,18; Hos 6,1). Doch erst Jesus wird direkter und vergleicht sein Kommen mit dem Besuch eines Arztes. Als man ihm vorwirft, dass er sich mit Zöllnern und Sündern abgibt, antwortet er: „Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken“ (Mt 9,12). Der Vergleich leuchtet ein. Denn schließlich ist Gott die Quelle des Lebens. Und wer sich von dieser Quelle abschneidet, zieht sich damit den Tod zu. Gott ist der Ursprung aller Gesundheit. Und wer sich von ihm trennt, zerstört die Grundlage seines Daseins. Seine Gottesbeziehung bedarf dann dringend der Heilung! Und eben darin sieht Christus seine Aufgabe: Die Therapie besteht darin, dass Christus den zerrissenen Bund heilt und durch sein versöhnendes Werk die Gemeinschaft des Sünders mit Gott wieder herstellt. Christi Wort und Sakrament dienen dieser Heilung. Und schon Kirchenvater Tertullian hat daraus gefolgert, das Abendmahl sei eine „Arznei der Unsterblichkeit“. So ist „Christus als Arzt“ ein sehr altes Motiv. Bilder, die ihn als Apotheker zeigen, entstehen erst später. Sie führen uns dann aber vor, wie er ganz professionell mit Waagen und Pülverchen hantiert, mit Löffeln und Tütchen, Kräutern, Pillen und Tinkturen. Die Büchsen, Flaschen und Kästen, die vor ihm auf dem Tisch oder hinter ihm im Regal stehen, sind beschriftet. Sie enthalte aber nicht Aspirin oder Hustensaft, sondern „Seelenarzneien“ wie Glaube, Liebe und Hoffnung, Trost und Demut, Buße und Gebet, Licht und Wahrheit. Zu Christus, dem Heilkundigen, dürfen alle kommen, die mühselig und beladen sind (Mt 11,28). Und selbst wenn der Schaden so groß ist wie bei Adam und Eva, kennt er doch immer das rechte Mittel, das geistliche Gegengift und die passende Kur. Wie beim Pharmazeuten gehört dazu eine Menge Erfahrung! Denn manche Sünder brauchen mehr Gesetz – und andere mehr Evangelium. Manchmal liegt es ja nur an der Dosierung, ob eine Substanz den Patienten gesund macht oder umbringt! Und so verordnet Christus von Zeit zu Zeit Kreuz und Leid, harte Kuren der Buße und bittere Pillen der Selbsterkenntnis. Dann aber sind es wieder warme Umschläge des Trostes und wohltuende Salben voller Gnade und Barmherzigkeit. Manche Enttäuschung, die Christus seinen Patienten zumutet, dient dem Abbau des alten Menschen, der verstockt und stolz seine eigene Heilung blockiert. Und mancher stärkende Einfluss dient dem Aufbau des neuen Menschen, der durch den Geist Christi wiedergeboren und erleuchtet wird. Dass der geistliche Apotheker aber nicht allen Patienten dasselbe in der gleichen Dosis und in der gleichen Reihenfolge verschreibt, versteht sich von selbst. Denn was der eine vertragen kann, wäre dem anderen nicht bekömmlich. So variiert Christus die Mischung der geistlichen Heilmittel und den Verlauf der Therapie. Was der Mensch in seiner Pillendose findet, wird seiner persönlichen Konstitution genau angepasst. Und daher ist der Apotheker auf unserem Bild so konzentriert bei der Sache. Das Rezept, das er für Adam und Eva aufschreibt, kann man leider nicht lesen. Es enthält aber sicher neben einem Anteil von Reue und Buße auch jede Menge Gnade. Als Basis verordnet Christus den Glauben – verbunden mit einer kräftigen Prise Hoffnung, Liebe und Beständigkeit. Ergänzt wird die Mischung durch drei Löffel Gerechtigkeit, einen kräftigen Schuss Seelenfrieden und ein paar Gramm Geduld. Abgerundet wird das Ganze mit der wohlriechenden Essenz des ewigen Lebens. Und manche Bilder dieses Typs zeigen auf dem Apothekertisch auch das Brot und den Wein des Abendmahls neben einer Kanne Wasser für die Taufe. Christus hält alles bereit, was zur Gesundung nötig ist! Warum schauen dann aber Adam und Eva so betreten drein? Scheinbar haben sie noch nicht begriffen, dass gegen ihr Leid und ihre Schuld ein Kraut gewachsen ist. Doch der freundliche Apotheker gibt ihnen alles, was sie brauchen – letztlich gibt er sich selbst! Und wenn die Kranken seine Verschreibung nach Vorschrift anwenden, wird ihnen der Sündenfall auch nicht zum Verhängnis. Sie sind bei Christus in den besten Händen. Aber wissen sie das? Werden sie seinen Ratschlag nicht nur anhören, sondern ihm auch folgen? Werden sie ihre Medikamente konsequent einnehmen? Oder legen sie die zuhause in den Schrank, bis das Verfallsdatum abgelaufen und ihre Krankheit nicht mehr heilbar ist? Erst an diesem Punkt wird das Bild zur Anfrage an den Betrachter. Denn der bedarf ja selbst der Heilung. Als Kinder Adams und Evas haben auch die Betrachter des Bildes ein massives Sündenproblem. Wir alle leiden an derselben Krankheit. Unsere Gottesbeziehung ist lebensbedrohlich gestört. Die Bindung, ohne die wir zugrunde gehen, ist unterbrochen. Und folglich stehen auch wir in Christi Apotheke und wissen, dass mit unserer Krankheit nicht zu spaßen ist. Unbehandelt führt sie zum Tod. Und so wäre es fahrlässig, die Behandlung aufzuschieben. Der freundliche Apotheker steht schließlich bereit, um auch uns die richtige Dosis von Kreuz und Gnade, Buße, Hoffnung und Frieden zuzumessen. Seine Tür steht weit offen – uns kann geholfen werden! Aber nehmen wir auch die Tabletten, die Christus uns verschreibt? Oder warten wir lieber darauf, dass der Schmerz von selbst verschwindet? Viele sehen Jesus als einen Arzt, den vorwiegend die anderen brauchen. Sie selbst fühlen sich gar nicht krank, wollen auch keine Patienten sein – und ignorieren daher Jesu Rezept. Doch ist das fatal. Denn Jesus wird seine Medizin niemandem zwangsweise verabreichen. Und wie einem der Apotheker wenig nützt, wenn man seine Tabletten nicht schluckt, so nützt auch Christus nichts, wenn man seine Wohltaten nicht in Anspruch nimmt. Solange sich der Patient für gesund hält, kann es keine erfolgreiche Therapie geben. Und eben das ist die Tragödie unserer Zeit, dass viele den seelischen Tod nicht deshalb sterben, weil es kein Gegenmittel gäbe, sondern weil man ihnen einredet, sie seien gesund. Dass Sünde eine Krankheit zum Tode ist, wird heute auch von manchen Vertretern der Kirche bestritten. Von Verdammnis wollen sie nicht mehr reden. Und so beruhigen sich die Menschen mit der Vorstellung, ihre Sünde sei ein Schnupfen, der von selbst weggeht. Doch unbehandelt sterben sie daran. Und jene Theologen, die sie über ihren Irrtum nicht aufklärten, sind schuld (Hes 3,17-19). Denn wer sich einredet, er sei gesund, findet nicht den Weg in die Apotheke. Und dem entgeht dann die Heilung, die Christus ihm von Herzen gegönnt hätte. Ist das also wirklich ein lustiges Bild? Wir sollten über die Darstellung wohl erst lachen, wenn wir den dargestellten Sachverhalt ganz ernst genommen haben!