Das Kreuz

Das Kreuz

In jeder Kirche finden wir ein Kreuz aus Holz, Stein oder Metall. Und doch wird es oft nicht verstanden. Denn dass Christus ein so bitteres Ende nahm, war kein Unfall, sondern Absicht. Er wusste genau, was ihn in Jerusalem erwartet – und ist trotzdem hingegangen. Er lief in keine Falle, sondern hat seinen Tod geradezu herbeigeführt. Und warum? Er war von allen Menschen derjenige, der eine Hinrichtung am wenigsten verdiente, war ohne Schuld, hatte nie Unrecht getan. Trug er die schreckliche Strafe aber nicht für sich – für wen dann? Er hätte die Macht gehabt, sich dem zu entziehen. Warum tat er’s nicht? Weil er gekommen war, um die Todesstrafe stellvertretend für uns zu erleiden. Das ist die einzig logische Erklärung. Denn wäre Christi Kreuzestod zu unsrer Erlösung nicht nötig gewesen, hätte er sich die Qualen sicher gespart. Und in dem Fall wäre er seinen Jüngern lebend auch viel nützlicher gewesen. Er hätte sie dann länger begleiten, formen, stärken, unterrichten und auf ihre Aufgaben vorbereiten können. Sie wollten ihn nicht verlieren! Sein Sterben war aber nötig, weil sonst das, was Christus stellvertretend ertrug, unausweichlich uns getroffen hätte. Da war kein Frieden zwischen Himmel und Erde, sondern der sündigen Menschheit stand ein zorniger Gott gegenüber. Menschliches Unrecht war kurz davor, Gottes härteste Reaktion herauszufordern. Über unseren Köpfen braute sich ein rabenschwarzes Gewitter zusammen. Christus aber wollte nicht, dass wir bekommen, was wir verdienen. Und er konnte es uns nur ersparen, indem er zum „Blitzableiter“ wurde. Die Spannung zwischen Himmel und Erde musste sich entladen. Gottes Sohn aber zog die vernichtende Energie auf sich – und fing dadurch den Schlag ab, der von Rechts wegen uns hätte treffen müssen. Er ließ sich verwerfen, damit wir nicht verworfen würden. Er wählt für sich den Fluch, damit für uns der Segen bliebe. Und seither kommt das allen zugute, die sich im Glauben an Christus halten. Sie gedenken seines Todes wie eines reinigenden Gewitters. Sie überleben im Schutzraum der Gnade. Und das zu ermöglichen, war Christus den Preis seines Lebens wert. Um als Mensch stellvertretend für die sündige Menschheit diesen Preis zu zahlen – dazu war er Mensch geworden. Er lud unsere Last auf seine Schultern, denn so wurde Gottes Liebe nicht ein Gefühl oder Gerede, sondern Tat. Und anderswo als in dieser Tat, wird man der Liebe Gottes nicht teilhaftig. Christus hält über Gottes Liebe keine Vorträge, er öffnet sie wie eine Tür. Und wer nicht durchgeht, bleibt außen vor. Gottes Liebe nimmt nicht beliebige Formen an, sondern hat diese Form. Und wer sie in dieser Form nicht will, wird sie in keiner anderen empfangen. Damit man sich darüber aber klar werde – dazu steht oder hängt in jeder Kirche gut sichtbar ein Kreuz.

 

 

 

Bild am Seitenanfang: Thomas Gerlach, privat