Davids tiefer Fall

Davids tiefer Fall

David: "Oh, that I had wings like a Dove! For then would I fly away, and be at rest." (Psalm 55:6)

Frederic Leighton, Public domain, via Wikimedia Commons

Da sitzt er nun, der große König, und hat seine Krone achtlos hingeworfen. Seine Miene ist so finster wie die Gewitterwolken am Himmel. Und er schaut zwei Tauben hinterher, die sich eilig davon machen. Der Maler nimmt damit ein Wort aus Davids Psalmen auf: „O hätte ich Flügel wie Tauben, dass ich wegflöge und Ruhe fände! Siehe, so wollte ich in die Ferne fliehen und in der Wüste bleiben“ (Psalm 55,7-8). Der große König hat keine Lust mehr, seine Krone zu tragen. Er sieht den Zorn Gottes wie ein Gewitter über sich kommen. Und er weiß auch, dass es ihm recht geschieht. Denn hier oben auf dem Dach des Palastes, von wo man so schön über die Stadt schauen kann, hier hat das ganze Elend angefangen. Hier hat David der Sünde den kleinen Finger gereicht. Sie aber griff nicht nur nach der Hand, sondern nach dem ganzen Mann. Und geblendet von der eigenen Macht hatte der König immer mehr nachgegeben. Er war unversehens in immer größere Sünden hineingerutscht. Und nach und nach hatte er, der Richter über sein Volk sein sollte, selbst Unrecht auf Unrecht gehäuft und eine Lüge mit der nächsten zu decken versucht. Im Ergebnis starben dadurch zwei Menschen. Ein treuer Soldat und ein illegitimes Kind. David aber – einst der Liebling seines Volkes und der Liebling Gottes zugleich –, dieser erfolgsverwöhnte Herrscher, hatte über die eigenen Begierden nicht zu herrschen vermocht und ist nun in düstere Ahnungen und in Trübsinn versunken, wie einst sein Vorgänger Saul. „O hätte ich Flügel wie Tauben, dass ich wegflöge und Ruhe fände! Siehe, so wollte ich in die Ferne fliehen und in der Wüste bleiben.“ Freilich: Wie kann auf einem so schönen Balkon etwas Schlimmes beginnen? Es ist ein prächtiges Flachdach mit Balustrade, man schaut weit in die Berge hinaus, und die roten Turmspitzen rechts lassen ahnen, dass Davids Palast sich bis dort hinüber erstreckt. Der Boden ist mit Teppich ausgelegt. Und ein fürstlicher Sessel lädt zur Ruhe ein. Hier kann man sich‘s gut gehen lassen! Und doch – eben mit der schönen Aussicht von diesem Punkt fing alles an (2. Sam 11,1ff). Israel befand sich im Krieg mit den Ammonitern. Doch David konnte die Sache seinen Generälen überlassen. Er musste die Truppen nicht selbst führen, sondern konnte zuhause bleiben, in Jerusalem. Vor dem Schlafen ging er nur noch mal aufs Dach, um die Abendluft zu genießen, und ließ dabei seine Blicke über die Stadt schweifen. Weil der Palast aber weit und breit das höchste Gebäude war, hatte der König freie Sicht auf alle Dächer Jerusalems. Und so fiel sein Blick auch auf eine Frau, die sich auf dem Dach ihres Hauses wusch. Und wie die Bibel vermerkt, war die Frau von sehr schöner Gestalt. Nun hat der König eigentlich keinen Mangel an Frauen. Er kann so viele haben, wie er will. Diese aber gefällt seinen Augen mehr als andere. Und so erkundigt er sich und erfährt, dass die sich waschende Schönheit Batseba heißt und mit Uria dem Hetiter verheiratet ist, der gerade als Soldat Davids am Feldzug gegen die Ammoniter teilnimmt. Das wäre der Punkt gewesen, um keine weiteren Überlegungen anzustellen. Denn schließlich ist die Frau verheiratet. „Schönheit“ hin oder her – sie ist vergeben. Und Gottes Gebot, das den Ehebruch verbietet, gilt auch für Könige. David aber, der ja nun weiß, dass der Ehemann fern an der Front und nicht zuhause ist, nimmt sich, worauf er Lust hat. Er sendet Boten zu Batseba, die zu einer Einladung des Königs schlecht „nein“ sagen kann. Sie verbringen einen Abend, und David „wohnt ihr bei“. Danach aber schickt er sie wieder heim, verpflichtet alle Diener zur Verschwiegenheit und hofft, dass die Sache damit erledigt ist. Denn eigentlich ist ja niemand zu Schaden gekommen. Was Uria nicht weiß, macht ihn nicht heiß. Und Batseba wird klug genug sein, den Mund zu halten. Doch kommt es zu einer Komplikation, mit der David nicht gerechnet hat. Denn während Uria immernoch an der fernen Front steht, entdeckt Batseba, dass sie schwanger ist! Sie wird das nicht endlos verbergen können. Und Uria, wenn er nach Monaten heimkommt, wird zwei und zwei zusammenzählen. Das könnte nicht nur für Batseba, sondern auch für den König peinlich werden. Darum informiert sie David. Und der denkt sich gleich eine Lösung aus. Er schickt Boten an die Front und verlangt, dass Uria nach Jerusalem kommt, um ihm über den Verlauf des Krieges Bericht zu erstatten. Als Uria da ist, hört sich der König scheinbar interessiert Einzelheiten an, über diese und jene Schlacht. Er bedankt sich bei Uria mit einem Geschenk. Und dann schickt er ihn nach Hause, damit sich der verdiente Soldat bei seiner Frau von all den Strapazen mal richtig erholen kann. Davids Freundlichkeit ist natürlich gespielt. Im Stillen rechnete er damit, dass Uria in den vielen Monaten an der Front doch wohl auch seine schöne Frau und die Freuden der Ehe vermisst haben wird. Und wenn die zwei die Nacht miteinander verbringen, und später ein Kind zur Welt kommt, kann man Uria in dem Glauben lassen, dass er der Vater sei. Für diesen Plan sind allerhand Lügen nötig. Aber wenn’s hilft, Davids Ehebruch zu bemänteln, ist es ihm das wert. Darauf kommt‘s auch nicht mehr an. Doch – dumm gelaufen: Uria der Hetiter ist noch viel anständiger, als alle dachten! Uria geht nach dem Gespräch mit dem König nicht nach Hause, wo Batseba und das weiche Bett auf ihn warten, sondern er legt sich draußen bei der Palastwache schlafen. Und als man ihn darum fragt, sagt er, seine Kameraden an der Front schliefen ja schließlich auch auf freiem Feld. Da könnte er sich doch nicht zuhause amüsieren, essen und trinken und gemütlich bei seiner Frau liegen! David ist einigermaßen verblüfft. Er muss seinen Ärger aber verbergen und behält Uria noch einen Tag länger in Jerusalem. Am nächsten Tag bewirtet er den Uria ganz fürstlich, nötig ihn zu essen und zu trinken, macht ihn richtig besoffen und denkt sich: Nun – in betrunkenem Zustand – wird er doch wohl die nötige Bettschwere haben, um seine Kameraden zu vergessen und nach Hause zu gehen, wo Batseba auf ihn wartet! Doch, nein: Uria bettet sich auch volltrunken noch wie ein Soldat draußen bei der Palastwache. Und David weiß, dass es nun eng wird. Denn wenn Uria an die Front zurückkehrt, ohne seine Frau berührt zu haben, lässt sich ihre Schwangerschaft später nicht erklären. Der königliche Ehebruch flöge auf, David wäre blamiert! Und das kann er nicht zulassen. Darum beschließt der König, dass der treue Soldat unter diesen Umständen eben gar nicht mehr nach Hause kommen darf. David schreckt nun auch vor einem Mord nicht mehr zurück und lässt Uria sein eigenes Todesurteil überbringen. Der König verfasst ein Schreiben an den Feldherrn Joab, in dem er befiehlt, den Uria in der nächsten Schlacht an einer besonders gefährlichen Stelle zu platzieren, direkt an der Mauer der belagerten Stadt, und dann plötzlich die eigenen Truppen zurückzuziehen, so dass Uria allein bleibt und vom Feind getötet wird. David versiegelt den Brief. Uria darf ihn nicht lesen. Und der brave Mann liefert das Schreiben auch wirklich bei seinem Feldherrn ab, ohne zu ahnen, dass dies seinen Tod bedeutet. Joab, der Feldherr, mag sich über den Befehl gewundert haben. Aber er gehorcht seinem König. Und beim nächsten Angriff wird Uria ganz nach Plan vom Feind erschlagen. Ein Bote eilt nach Jerusalem, um von der Schlacht zu berichten. Er erwähnt auch, dass Uria dabei gefallen ist. Und David nimmt es mit gespieltem Bedauern zur Kenntnis. Denn, naja – meint der König – was kann man schon machen? Das ist im Krieg eben so, dass es bald diesen und bald jenen erwischt. Und dass Urias Tod des Königs eigener Plan war, weiß ja keiner. Uria ist damit Geschichte. Wenn Batsebas Kind zur Welt kommt, wird keiner Fragen stellen. Und des Königs guter Ruf ist gerettet. Batseba bekommt zwar die traurige Nachricht, dass ihr Mann im Krieg gefallen ist. Und sie trauert um ihn, wie es die Sitte erfordert. Doch dann ist sie alleinstehend, und David kann sie, ohne Anstoß zu erregen, zu sich holen, kann Urias Witwe heiraten und sich an dem Sohn freuen, der bald geboren wird. Der Schein ist gewahrt, und David bekommt einmal mehr, was er will. Nur hatte er den vergessen, der auch ins Verborgene sieht. David hatte bei alledem Gott vergessen und im Laufe der Aktion mindestens 4 der 10 Gebote gebrochen: Zuerst hat er die Frau seines Nächsten begehrt – und so gegen das 10. Gebot verstoßen. Dann hat er durch den Ehebruch gegen das 6. Gebot gehandelt. Um die Sache zu vertuschen, gebrauchte er einen Vorwand, um Uria nach Jerusalem zu holen. Bei der Angabe der Gründe verstößt er gegen das 8. Gebot, indem er lügt. Und zuletzt bricht er das 5. Gebot, indem er Uria umbringen lässt und ganz nebenbei seinen Feldherrn Joab zum Mittäter macht. Ziemlich sicher hätte David, um seine Haut zu retten, auch noch weitere Gebote missachtet, um eine Sünde mit der anderen zu bemänteln. Einmal auf der abschüssigen Bahn, gibt es kein Halten mehr. Aber sollte er damit durchkommen? Die Bibel sagt ganz nüchtern: „Dem Herrn missfiel die Tat, die David getan hatte.“ Und so bekommt der König bald Besuch von einem Propheten namens Nathan. Und Nathan erzählt dem König eine empörende Geschichte: „Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß und er hielt's wie eine Tochter. Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er's nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war“ (2. Sam 12,1-4). Als König David das hört, gerät er in Zorn und regt sich auf. Er will jenen Reichen, der den Armen beraubte, auf der Stelle zum Tode verurteilen. Der Schuft hat großes Unrecht getan! Doch der Prophet Nathan sagt nur ganz trocken: „Du bist der Mann!“ Du hast dir selbst das Urteil gesprochen, von dir habe ich geredet. Denn wie jener reiche Mann viele Schafe besaß, so hattest du viele Frauen, und hättest als König noch viel mehr haben können. Uria aber war wie jener arme Mann, der nur ein Schäfchen besaß – Uria hatte nur eine Frau. Und als du feiern wolltest, David, bist du nicht zu deinen eigenen Frauen gegangen, sondern zu Urias Frau, und statt dich mit einer von deinen zu amüsieren, hast du‘s mit Batseba getan. Du bist der Mann, David, und hast dir im Zorn dein eigenes Urteil gesprochen. Denn du hast nicht nur dem Uria seine Frau genommen, sondern hast ihn zudem auch noch umgebracht, um deine Schuld zu verbergen. Nathan kündigt an, dass zur Strafe so manches Gericht über David ergehen wird. Weil der ertappte König daraufhin Reue zeigt, wird sein Leben verschont. Aber der in jener unheilvollen Nacht gezeugte Sohn wird sterben. Nach dieser Mitteilung geht der Prophet wieder heim. Und vermutlich lässt er David so gebrochen zurück, wie ihn jenes Gemälde zeigt – nämlich voller düsterer Ahnung, das Gewitter des göttlichen Gerichts vor Augen, und in dem vollen Bewusstsein, dass es ihm recht geschieht. „O hätte ich Flügel wie Tauben, dass ich wegflöge und Ruhe fände! Siehe, so wollte ich in die Ferne fliehen und in der Wüste bleiben.“ Doch nein – David weiß nur zu genau, dass niemand vor Gottes Gericht fliehen kann. Und so muss er starr und düster da sitzen. 

Der biblische Bericht spricht für sich. Und so will ich nur eines anmerken, das mir wichtig scheint. Denn wir sehen hier, wie auch große Sünden nicht etwa mit dem Entschluss beginnen, große Sünden zu tun, sondern mit unmerklich kleinen, scheinbar verzeihlichen Fehlern, die dann größere und gröbere nach sich ziehen. König David hat, als er von seinem Dach aus die sich waschende Batseba entdeckte, nur einmal zu lange hingeschaut. Und, du meine Güte – wenn sie wirklich so schön war, wer könnte nicht nachvollziehen, dass der Mann nicht sofort die Augen schloss? Auch Davids Nachfrage, wer die Frau sei, ist noch kein Verbrechen. Und doch kommt hier das Unglück ins Rollen, an dessen Ende ein Mord steht. David hätte uns anfangs glaubhaft versichert, dass er gar nichts Böses vorhat – und schon gar kein Verbrechen. Doch er verstrickt sich. Schritt für Schritt gerät er tiefer hinein – und ohne es recht zu merken, ist er am Ende moralisch bankrott. Er wollte durchaus nicht böse sein. Er wollte nur nicht erwischt werden. Er versucht es zunächst mit Tricks – und greift erst am Ende zur Gewalt. Aber eben das ist die teuflische Strategie dabei, dass wir in unmerklich kleinen Schritten korrumpiert werden und „scheibchenweise“ dem Unheil verfallen, um dann am Ende doch in Gänze verdammlich zu sein. Martin Luther sagt: „Eine Lüge ist wie ein Schneeball: Je länger man ihn wälzt, desto größer wird er.“ Eben das sehen wir bei David. Und leider gilt es auch von anderen Sünden. Denn um die erste zu kaschieren, begehen wir eine zweite. Damit die nicht auffliegt, wird eine dritte nötig. Und am Ende ist alles schrecklich falsch – ohne dass wir das so geplant oder uns bewusst dafür entschieden hätten. Es gilt aus solch einer Dynamik auszusteigen, bevor sie Fahrt aufnimmt, uns mitreißt und verschlingt! Aber das ist nicht einfach. Darum muss Gott uns gegen unsre Schwächen helfen. Und wir bitten ihn nicht ohne Grund: „Führe uns nicht in Versuchung…“