Die Verleugnung des Petrus

Die Verleugnung des Petrus

„Petrus saß draußen im Hof; da trat eine Magd zu ihm und sprach: Und du warst auch mit dem Jesus aus Galiläa. Er leugnete aber vor ihnen allen und sprach: Ich weiß nicht, was du sagst. Als er aber hinausging in die Torhalle, sah ihn eine andere und sprach zu denen, die da waren: Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth. Und er leugnete abermals und schwor dazu: Ich kenne den Menschen nicht. Und nach einer kleinen Weile traten hinzu, die da standen, und sprachen zu Petrus: Wahrhaftig, du bist auch einer von denen, denn deine Sprache verrät dich. Da fing er an, sich zu verfluchen und zu schwören: Ich kenne den Menschen nicht. Und alsbald krähte der Hahn. Da dachte Petrus an das Wort, das Jesus zu ihm gesagt hatte: Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und er ging hinaus und weinte bitterlich.“ (Mt 25,69-75)

 

 

Die blamable Geschichte, wie Petrus seinen Herrn verleugnet, ist allgemein bekannt. Der stolze Apostel, der vorher noch groß getönt hat, er werde sich von Jesus niemals trennen und lieber mit ihm in den Tod gehen, bekommt es nach Jesu Gefangennahme mit der Angst – und verhält sich feige. Doch darf man ihm nicht Unrecht tun. Denn immerhin ist er der Einzige, der den Soldaten folgt, die Jesus zum Palast des Hohepriesters bringen. Petrus schleicht hinterher. Er will sehen, was weiter mit Jesus geschieht. Und natürlich versucht er dabei nicht aufzufallen. Er wärmt sich im Hof des Palastes an einem Feuer – so als wäre er ein zufälliger Passant. Und nur beiläufig spitzt er die Ohren. Er beobachtet aus dem Augenwinkel, um mitzubekommen, was man nun mit Jesus macht und wohin man ihn bringt. Doch dreimal wird Petrus erkannt und droht aufzufliegen. Dreimal zeigt jemand mit dem Finger auf ihn und sagt: „Du warst doch auch dabei! Haben wir dich nicht mit Jesus gesehen? Sprichst du nicht auch wie einer von diesen Galiläern?“ Petrus aber hebt abwehrend die Hand und leugnet, dass er zu Jesus gehört. „Nein, nein!“ sagt er, „Ihr irrt euch, ihr verwechselt mich, ich kenne diesen Jesus gar nicht, ich habe mit dem nichts zu schaffen!“ Sein ängstlicher Blick spricht Bände, denn offenbar wird es jetzt eng für Petrus. Der Soldat rechts im Bild hat ihn schon am Handgelenkt gepackt und greift mit der linken Hand ans Schwert. Auch der zweite Soldat mit der spitzen Hellebarde ist aufmerksam geworden. Wenn sich der Verdacht bestätigt, wird der alte Mann diesen beiden nicht entkommen. Und jene Magd in der Bildmitte will es offenbar genau wissen. Sie trägt eine Fackel. Sie wird dem Petrus gleich hell ins Gesicht leuchten. Und so bekommt Petrus immer mehr Angst. Er setzt ein ganz unschuldiges Gesicht auf – wie ein zu Unrecht Verdächtigter. Und mit seinem weitgehend kahlen Kopf und dem zotteligen Bart sieht er auch wirklich nicht mehr wie ein imposanter Apostel aus, sondern nur wie ein verschreckter alter Mann. Petrus tut nicht nur verwirrt. In diesem Moment ist er es wohl auch. Denn er findet sich sozusagen eingeklemmt zwischen Wahrheit und Gewalt. Die Fackel jener Magd steht für das Licht der Wahrheit. Und jene Waffen der Wächter für die Gewalt. Petrus aber, den wir sonst als Draufgänger und großen Prediger kennen, jener „Fels der Kirche“ wirkt plötzlich gar nicht mehr imposant. Denn wie konnte er in solch eine Lage geraten? War Petrus nicht selbst ein Freund und stolzer Verkünder der Wahrheit? Nun findet er sich plötzlich auf der Seite der Lüge, denkt sich Ausreden aus, stammelt herum und spielt den Ahnungslosen! Eingeklemmt zwischen Wahrheit und Gewalt versucht er wie ein Feigling seine Haut retten. Plötzlich scheut er das Licht, als wäre er wirklich ein Verbrecher, und zieht den Kopf ein, weil er eben doch am Leben hängt. Er muss hoffen, dass er geschickt genug lügt, um kein weiteres Interesse auf sich zu ziehen. Er windet sich wie ein Wurm und kommt sich dabei gewiss erbärmlich vor. Aber wie sich zeigt, hat er doch nicht das Format, um loyal und tapfer an Jesu Seite in den Tod zu gehen. Petrus zieht seinen Kopf aus der Schlinge. Er will in diesem Moment kein Held sein – und wird auch nicht gezwungen. Gleich wenden die Soldaten ihre Aufmerksamkeit wieder anderen Dingen zu, und Petrus kann aufatmen. Aber dann kräht der Hahn genau so, wie Jesus es vorausgesagt hat. Der Hahn posaunt das Versagen des Jüngers in die Welt hinaus. Und eben so groß wie seine Angst war, so groß ist nun die Scham, die Petrus befällt. Er läuft davon und weint bitterlich über sich und seine Schwäche. Er ist von sich selbst maßlos enttäuscht. Denn während all die anderen Jünger davonliefen, hätte er derjenige sein können, der an Jesu Seite blieb. Aber Petrus hat seinen Herrn verleugnet. Und infolgedessen steht Jesus seinen Feinden in völliger Einsamkeit gegenüber. Zu gern würde Petrus diese Episode vergessen. Doch auch 2000 Jahre später reden wir noch von dieser unrühmlichen Tat, dass Petrus gekniffen hat, als er hätte bekennen sollen. Und jeder Wetterhahn oben auf einer Kirchturmspitze erinnert an die Blamage dieser Nacht. Es liegt also nahe, über Petrus den Kopf zu schütteln, weil er den Mund so voll nahm, als er sich in Sicherheit wähnte, und dann feige war, als es drauf ankam. Aber so einfach sollten wir es uns dann doch nicht machen. Denn ganz abgesehen davon, dass wir selbst nicht in einer Lage sind, wo Glaubenstreue unser Leben gefährden könnte, muss man ja auch fragen, was es eigentlich gebracht hätte, wenn Petrus in diesem Moment ehrlich gewesen wäre. Es ist natürlich leicht, mit dem Finger auf ihn zu zeigen. Petrus aber, der nicht unbedingt zum Märtyrer werden wollte, könnte für sich in Anspruch nehmen, nicht nur aus Angst, sondern vielleicht auch vernünftig gehandelt zu haben. Denn wenn Petrus sich in so einer Situation als Jünger Jesu „outet“ – wem nützt das schon? Vermutlich wäre auch er verhaftet worden und wäre wie Jesus verurteilt, gefoltert und getötet worden. Aber – hätte das Jesus viel geholfen? Hätte es an seinem Schicksal etwas geändert? Statt einem Justizmord hätten zwei stattgefunden. Aus einfachem Unrecht wäre doppeltes geworden. Die übrigen Jünger hätten aber eine Leitfigur und einen erfahrenen Mann eingebüßt. Die Kirche hätte einen wichtigen Apostel verloren. Wär‘s also vernünftig gewesen, in jener Nacht das Martyrium zu suchen? Hätte sich Jesus etwa gefreut, Petrus neben sich gekreuzigt zu sehen? Sollte sich Petrus der Brutalität des Feindes ausliefern, nur um nicht als Feigling zu gelten? Hätte es irgendwem genützt, in dieser Lage den Helden zu spielen? Freilich kann er seinen Kopf nicht aus der Schlinge ziehen, ohne zu lügen. Und Lügen ist verwerflich. Aber muss er in seiner Not jedem die Wahrheit auf die Nase binden, wenn er sich damit massiv schadet und anderen nicht wirklich nützt? Mancher von uns hat wohl schon aus schlechteren Gründen gelogen – ganz ohne Lebensgefahr, einfach nur aus Bequemlichkeit! Und so ist es ziemlich leicht, für Petrus eine Verteidigungsrede zu halten und mildernde Umstände geltend zu machen. Er war eben zwischen Wahrheit und Gewalt in die Klemme geraten. Niemand konnte das voraussehen. Und so pragmatisch wie er, sind auch wir gewohnt zu denken. Wir verstehen den Petrus nur zu gut! Und gerade das ist das Erschreckende an der Geschichte. Denn die Logik, die Petrus dazu bringt, seinen Glauben zu verleugnen, ist dieselbe, der auch wir zu folgen gewohnt sind. Ja, nach geläufigen Maßstäben war es vernünftig, dass Petrus sich nicht als Jünger zu erkennen gab. Viele von uns hätten es genauso gemacht. Und doch wissen wir zugleich, dass, was uns „vernünftig“ erscheint, dennoch falsch war. Es war eben vernünftig und es war falsch! Wenn aber das, was falsch ist, so vernünftig erscheinen kann, was besagt das dann über unsere Vernunft? Ich meine erst hier haben wir den Punkt erreicht, wo uns die Geschichte wirklich angeht und verstört. Denn unser Alltagsverstand sagt, es gebe Situationen, in denen es unvernünftig ist, Treue zu zeigen, in denen es aber vernünftig wäre, zu lügen. Unserem Alltagsverstand nach ist Petrus nicht nur zu entschuldigen, sondern er hat das einzig Richtige getan. Was besagt das dann aber über unsere alltägliche Vernunft, wenn der Hahn trotzdem kräht, wenn Jesus trotzdem traurig ist, und Petrus sich trotzdem in Grund und Boden schämt? Bedeutet es vielleicht, dass Vernunft, Feigheit und Heuchelei manchmal Koalitionen eingehen gegen den Glauben, die Treue und das Recht? Und folgt möglicherweise, dass man sich entscheiden muss, ob man mit der Welt „vernünftig“ leben oder mit Jesus „unvernünftig“ sterben will? Schließt Christ-Sein die Bereitschaft ein, in den Augen der Welt dumm dazustehen? Oder heiligt der Zweck, am Leben zu bleiben, jedes erdenkliche Mittel? Ich meine, Petrus selbst gibt uns die Antwort, indem er so bitterlich weint und sein Versagen erkennt. Denn vor die Wahl gestellt, entweder treu oder am Leben zu sein, hat er sich für das Leben entschieden. Und er weiß, dass es falsch war. Denn bei der pragmatischen Frage, was das Martyrium schon „genützt“ hätte, wird die Hauptsache meist übersehen. Das offene Bekenntnis hätte Petrus vielleicht den Kopf gekostet. Es hätte ihn aber in der Einheit mit Jesus erhalten – und damit die Integrität seiner Person gewahrt. Und diese Einheit mit Jesus, jene Integrität der Person, ist ein höheres Gut als das Leben selbst. Denn das irdische Leben ist uns nur als Mittel gegeben, um jene Einheit mit Gott zu erlangen. Und wenn es dahin nicht führt, war’s vergebens. Indem Petrus seinen Herrn verleugnet, gibt er aber einem niederen Ziel Vorrang vor einem höheren. Er erhält sein Leben, verliert darüber aber jene Integrität und Treue, die sein Leben erst zu einem guten Leben macht. Was er preisgibt, ist mehr wert, als was er dadurch gewinnt – das ist die Definition einer schlechten Entscheidung! Und weil Petrus das spürt, kann es ihn kaum trösten, dass tausend Menschen jeden Tag dasselbe tun. Sondern erst lange nach diesem Moment findet Petrus Trost, weil Christus nach seiner Auferstehung die Verbindung mit dem Jünger wieder herstellt und Petrus mit wichtigen Aufgaben betraut (vgl. Joh 21). Das Versagen des Apostels wird nicht mehr erwähnt. Und Jesus hat die Beziehung zu Petrus auch nicht abgebrochen. Er zahlt nicht etwa mit gleicher Münze heim und verleugnet nun Petrus! Der aber versteht im Nachhinein umso besser, was Gnade bedeutet, und was er seinem Herrn verdankt. Denn in derselben Nacht, in der Petrus der äußersten Konsequenz seines Glaubens ausweicht, ist Jesus auf Kurs geblieben und hat nicht zuletzt für den versagenden Petrus sein Leben gegeben. Jesus hat weder die Fackel der Wahrheit gefürchtet noch ist er der Gewalt seiner Feinde ausgewichen. Jesus konnte da in keine Klemme geraten. Und Petrus weiß, dass er hätte mitgehen sollen. Es ist immer falsch, nicht bei Jesus zu sein. Doch in jener Nacht war Petrus innerlich zerrissen – und der armselige Teil von ihm, jener, den die Angst regiert, behielt die Oberhand. Petrus wollte unbedingt an Jesu Seite stehen – und wollte es doch in diesem Moment auf keinen Fall. Er wollte davonkommen – und treu sein. Er wollte Mut zeigen – und trotzdem am Leben bleiben. Als ihm aber beides zugleich nicht gelang, weil es nicht gelingen konnte, da zerbrach das Bild, das Petrus von sich hatte. Er merkte, dass er längst nicht der Mann war, für den er sich hielt, lief davon und weinte. Muss man da noch erklären, was die Sache mit uns zu tun hat? Muss man erst noch betonen, dass wir alle Petrus sind? Auch wir kommen jeden Tag in Situationen, in denen wir vor der Wahl stehen, entweder clever unseren Vorteil zu suchen oder um des Glaubens willen Nachteile in Kauf zu nehmen. Mit geschickter Heuchelei kommen wir glatt durchs Leben. Mit Wahrhaftigkeit und Konsequenz ecken wir ständig an. Und so ist es allemal bequemer, die Treue zu Jesus und seinem Gebot zu relativieren. Denn nach wie vor hat die Welt kein Verständnis dafür, wenn‘s einer mit dem Glauben übertreibt. Niemand versteht, warum einer bei der Wahrheit bleibt, wenn ihm die Wahrheit nichts einbringt als nur Leid und Ärger. Doch wer das nicht versteht, versteht auch Jesus nicht. Und wer sich davor fürchtet, der Welt töricht zu erscheinen, wird nicht lang auf Jesu Seite stehen. Denn die Logik dieser Welt und die Logik Gottes lassen sich nicht versöhnen oder kombinieren. Wer nicht mit Jesus bei den Opfern steht, wird ohne Jesus bei den Tätern stehen. Man muss sich da entscheiden. Wir können entweder nach himmlischen Maßstäben erfolgreich sein oder nach irdischen – beides zugleich wird nur selten gelingen. Und wer in den Himmel will, kommt am Kreuz nicht vorbei. Auch über unser Leben wacht dieser nimmermüde Hahn. Der wird über uns krähen – oder nicht. Und wenn er erst mal angefangen hat, unserer Schande hinauszurufen, bringt ihn niemand mehr zum Schweigen. Dieser elende Hahn wird es in die Welt hinausposaunen, wenn wir nicht bereit sind, für die Wahrheit zu leiden. Und das schöne Bild, das wir von uns selbst haben, geht dann in die Brüche. Aber immerhin: Der Hahn hatte, was Petrus betrifft, nicht das letzte Wort. Nach vielen Tränen hat ihn Christus doch für tauglich befunden, seine Kirche zu bauen. Auch Feiglinge dürfen demnach Apostel werden. Und Petrus bekam sogar eine zweite Chance zum Martyrium – und ist später in Rom für seinen Glauben gestorben (Joh 21,18-19). Wir müssen ihn darum sicher nicht beneiden. Und wir werden uns auch nicht zum Kreuz hin drängen – oh, nein! – das kommt schon ganz von selbst. Aber wenn’s uns erreicht in der einen oder anderen Form, dann wollen wir Gott bitten, dass er uns allen Mut schenkt, der nötig ist, um standzuhalten. Ja, Gott helfe uns, alles zu tun, was er von uns erwartet – nicht mehr und nicht weniger. Wenn wir aber versagen, dann stehe er uns bei in Geduld und Gnade, wie er das schon bei Petrus tat.

 

 

 

Bild am Seitenanfang: The Denial of Saint Peter

Adam de Coster, Public domain, via Wikimedia Commons