Meine Bestimmung
Wenn jemand fragt, was der Glaube ihm „bringt“, ist er noch ziemlich weit vom Glauben entfernt. Denn der berechnet nichts, sondern mit dem Glauben ist es wie mit dem Verlieben: es passiert einfach. Und selbst wenn tausend Gründe dagegen sprechen, kann man’s nicht unterbinden. Denn Gott lässt einen nicht los. Das ist nicht des Christen Wahl, sondern sein Wesen. Gott nimmt ihn innerlich gefangen. Er aber fragt nicht, ob sich‘s „lohnt“, sondern folgen dem, der ihn zu sich zieht. Natürlich kann man einwenden, das sei riskant. Die meisten Schiffe gehen ja auf hoher See zugrunde – vielleicht blieben sie besser im Hafen! Doch, um im Hafen zu liegen, wurden sie nicht gebaut. Ihre Bestimmung ist die See. Flugzeuge, die am Boden bleiben, stürzen ja auch nicht ab! Doch zum Herumstehen wurden sie nicht gebaut. Ihre Bestimmung ist der Flug. Und es macht mehr Sinn, sich in Übereinstimmung mit der eigenen Natur zu verbrauchen, als durch Untätigkeit seinen Daseinszweck zu verfehlen. „Ja wie“, fragt der Mensch, „sollte auch ich so eine Bestimmung haben wie das Schiff und das Flugzeug? Eine im Voraus festgelegte, die ich mir nicht aussuchen kann?“ Und ja – genau das gehört zur biblischen Botschaft. Wie der Tischler ein Stück Holz dazu bestimmt, Stuhl, Regal oder Tisch zu werden, so schafft Gott Menschen zu dem konkreten Zweck, sein Gegenüber und seine Gesprächspartner zu werden. Er will mit uns im Dialog stehen und Gemeinschaft haben. Wer sich dem entzieht, entspricht also einem Schiff, das niemals schwimmt, und einem Flugzeug, das niemals fliegt. Er bekommt zwar keine Kratzer. Aber er verfehlt seine Bestimmung. Und er kann auch nicht zum Glauben überredet werden. Denn ein Jagdhund, der zum Jagen überredet werden muss, ist kein Jagdhund. Ist er aber einer, so bedarf es keines Drängens, denn er kann’s gar nicht lassen. Wer von Gott angezogen wird, kann seine innere Leere mit nichts anderem füllen. Und zuletzt folgt er Gottes Ziehen. Denn dazu ist er bestimmt, wie das Boot für das Meer, in dem es eines Tages untergeht. Worum dreht es sich also beim Christ-Sein? Darum, dass wir die Gemeinschaft mit Gott, für die wir geschaffen wurden und aus der wir schuldhaft gefallen sind, durch Gottes barmherzigen Zugriff wieder erlangen. Das ist kein komplizierter Gedanke. Aber freilich: für Boote, die sich vor dem Meer fürchten, ist es nichts. Die müssen auf dem Trockenen bleiben – und werden dort leider nie erfahren, wozu sie jemand gebaut hat.
Bild am Seitenanfang: The Boat Builder's Yard, Cancale, Brittany
Henry Herbert La Thangue, Public domain, via Wikimedia Commons