Närrische Theologie

Närrische Theologie

Was wir da sehen, ist ein absurdes Bild. Es spielt aber in meiner Biografie ein Rolle. Denn als ich begann Theologie zu studieren, kam ich mir genau so vor – wie ein Ruderer mit einer unförmigen, eigentlich viel zu großen Fracht. Als ich 20 war, passte Gott weder in meine Lebenssituation noch in die meiner Altersgenossen. Er wirkte deplatziert wie ein Nashorn auf dem Meer. Und wer sich trotzdem für Gott interessierte, wurde für vorgestrig, für unaufgeklärt oder dumm gehalten. Gott wirkte wie ein Dinosaurier. Und wer sich zu ihm bekannte, wurde belächelt. Es war sozusagen peinlich, mit Gott gesehen zu werden. Und das theologische Unternehmen schien darin zu bestehen, dieses anachronistische Ungetüm über das Meer der Neuzeit zu rudern. Denn was hat der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs noch in unsrer säkularen Welt zu suchen? Wie soll er in dieser Umgebung überleben? Das Nashorn würde sofort ertrinken, wenn sich der Ruderer nicht so rührend darum bemühte! Es schien, als müssten clevere Theologen Gott am Leben erhalten, indem sie Menschen von seiner bleibenden Bedeutung überzeugen. Doch tatsächlich brauchten ihn die meisten weder als gedankliche Hypothese noch als moralische Instanz oder jenseitige Zuflucht. Ohne die engagierten Kirchenvertreter würde er wohl bald vergessen sein. Denn wie lange kann ein Nashorn schon schwimmen? So liehen wir uns Begriffe aus der Humanwissenschaft und Philosophie, um Gott mit eleganten Worten neu zu frisieren – etwa so, wie man ein hässliches Kind in hübsche Kleider steckt, damit die Leute Gefallen an ihm finden. Aber freilich – sie durchschauen es dann doch, wenn man ihnen ein verkleidetes Nashorn als Gazelle präsentiert. Deshalb lächelten sie milde. Und während sie uns beim Rudern zusahen, riefen sie: „Vergebliche Liebesmüh! Euer Nashorn hat ja doch keine Zukunft!“ Viele unserer Professoren dachten dasselbe. Und so fragte sich mancher, ob er wirklich noch Pfarrer werden soll – oder ob’s nicht besser wäre, das Nashorn irgendwie loszuwerden. Der Ruderer müsste ja nur mal kräftig schaukeln, um Gott aus dem Boot seines Lebens hinauszukippen! So dumm waren wir! Aber, was soll ich sagen? Die Zeit verging. Und das Boot schwamm weiter. Inzwischen neigt sich mein beruflicher Weg durch verschiedene Pfarrämter dem Ende zu. Und jetzt lese ich das Bild ganz anders. Ich hatte nämlich meine Rolle Gott gegenüber komplett missverstanden – und bekenne nun, dass ich das Nashorn bin, und er der Ruderer! Die ganze Zeit über war nicht Gott deplatziert und peinlich, sondern ich. Doch hat er mich treu gerudert – und war auch so freundlich, mich nicht über Bord zu werfen. Er sorgte für mein Überleben, nicht etwa ich für seines! Und noch heute steuert er das Boot umsichtig und verlässlich dem Heimathafen zu. Wir Kirchenleute sind dabei so nützlich wie ein Nashorn beim Rudern. Wir Theologen sind für Gott eine lästige Fracht. Oft erkennen wir weder ihn noch uns (Nashörner sehen ja schlecht). Aber unser Ruderer ist weit stärker, als er auf dem Bild aussieht. Und ich erschrecke darüber, dass ich es jemals umgekehrt „lesen“ konnte. Denn was ist von einem zu halten, der meint, er rette den, von dem er gerettet wird? Manche Theologen versuchen immernoch, Gott mit ihren Gerede vor dem Untergang im Meer der Moderne zu bewahren. Doch – wie anmaßend ist das? Nicht er braucht unsre Hilfe, wir brauchen seine. Und während Kirche ihr Bestes tut, den eigenen Untergang herbeizuführen, erlaubt es der Herr der Kirche doch nicht, sondern hält sie beharrlich am Leben. Sie ist das Nashorn, und Gott rudert sie geduldig über das Meer der Zeit. Wir sind der Anachronismus in Gottes Welt. Aber es ist ihm nicht peinlich, sich mit seinem seltsamen Passagier sehen zu lassen, sondern er vergibt uns sogar unsre närrischen Predigten, wenn wir mal wieder versuchen, ihn im löchrigen Kahn unsrer theologischen Weisheit über das Meer zu fahren. Bis heute möchten ihn viele hübsch frisieren – und meinen es gut. Sie hängen ihm das Mäntelchen ihrer Gedanken um, damit er den Zeitgenossen gefallen möge. Er aber lacht – und bleibt, der er ist. Er hätte allen Grund, uns auf den Meeresgrund zu schicken. Seltsamerweise will er aber weiter mit uns in einem Boot sitzen. Er duldet sogar die Nashörner, die meinen, sie wären Kapitän! Doch besser ist’s, wenn wir den Irrtum erkennen. Nicht wir befördern ihn, sondern er uns. Und das ist gut. Denn sonst wäre der Kahn längst gesunken.