Bonhoeffer: Das Weib
Das Weib.
„Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist: „Du sollst nicht ehebrechen.“ Ich aber sage euch: Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen. Ärgert dich aber dein rechtes Auge, so reiß es aus und wirf’s von dir. Es ist besser, daß eins deiner Glieder verderbe, und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde. Ärgert dich deine rechte Hand, so haue sie ab und wirf sie von dir. Es ist dir besser, daß eins deiner Glieder verderbe, und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde. Es ist auch gesagt: „Wer sich von seinem Weibe scheidet, der soll ihr geben einen Scheide-brief.“ Ich aber sage euch: Wer sich von seinem Weibe scheidet (es sei denn um Ehebruch), der macht, daß sie die Ehe bricht; und wer eine Abgeschiedene freit, der bricht die Ehe“ (Mt. 5,27-32).
Die Bindung an Jesus Christus gibt keine Lust frei, die ohne Liebe ist, sondern versagt sie dem Nachfolgenden. Weil Nachfolge Selbstverleugnung und ganze Bindung an Jesus ist, darum kann nicht an irgendeiner Stelle der eigene, lust-beherrschte Wille des Jüngers freien Lauf bekommen. Solche Begierde, und läge sie nur in einem einzigen Blick, trennt von der Nachfolge und bringt den ganzen Leib in die Hölle. Mit ihr verkauft der Mensch seine himmlische Erstgeburt um ein Linsengericht von Lust. Er glaubt dem nicht, der ihm hundertfältig Freude ver-gelten kann für versagte Lust. Er traut nicht aufs Unsichtbare, sondern ergreift die sichtbare Frucht der Lust. So stürzt er vom Weg der Nachfolge ab und ist von Jesus getrennt. Die Unreinheit der Begierde ist Unglaube. Darum allein ist sie Verwerflich. Kein Opfer, das der Nachfolgende der Freiheit von dieser Lust, die von Jesus trennt, zu bringen vermag, ist zu groß. Das Auge ist weniger als Christus, und die Hand ist weniger als Christus. Wenn Auge und Hand der Lust dienen und den ganzen Leib an der Reinheit der Nachfolge hindern, so sind sie eher zum Opfer zu bringen als Jesus Christus. Der Gewinn, den die Lust bringt, ist gering gegen den Schaden – du gewinnst die Lust des Auges und der Hand für einen Augenblick, und du verlierst den Leib in Ewigkeit. Dein Auge, das der unreinen Begierde dient, kann Gott nicht schauen.
Muß nun nicht an dieser Stelle die Frage wirklich zur Entscheidung kommen, ob Jesus sein Gebot wörtlich gemeint habe oder in übertragenem Sinn? Hängt nicht von einer klaren Antwort auf diese Frage unser ganzes Leben ab? Ist nicht angesichts der Haltung der Jünger auch die Antwort schon gegeben? In dieser scheinbar so todernsten Entscheidungsfrage rät unser Wille zur Flucht vor der Entscheidung. Aber diese Frage selbst ist falsch und böse. Sie kann keine Antwort finden. Würde nämlich gesagt, natürlich sei das nicht wörtlich gemeint, so wären wir bereits dem Ernst des Gebotes entwichen, würde aber gesagt, natürlich sei es wörtlich zu verstehen, so wäre nicht nur die grundsätzliche Absurdität der christlichen Existenz offenbar gemacht und damit das Gebot außer Kraft gesetzt. Gerade darin, daß uns diese grundsätzliche Frage nicht beant-wortet wird, werden wir erst ganz und gar in Jesu Gebot gefangen genommen. Wir können nach keiner Seite ausweichen. Wir sind gestellt und müssen ge-horchen. Jesus zwingt seine Jünger nicht in einen unmenschlichen Krampf, er verbietet ihnen nicht den Blick, aber er lenkt den Blick des Jüngers auf sich und weiß, daß hier der Blick rein bleibt, auch wenn er sich nun auf die Frau richtet. So legt er seinen Jüngern nicht ein unerträgliches Joch des Gesetzes auf, sondern er hilft ihnen barmherzig durch das Evangelium. Keine Aufforderung zur Ehe gibt Jesus den Nachfolgenden. Aber er heiligt die Ehe nach dem Gesetz, indem er sie für unverbrüchlich erklärt und dort, wo sich ein Teil durch Ehebruch vom anderen scheidet, dem anderen die zweite Ehe verwehrt. Durch solches Gebot befreit Jesus die Ehe von der selbstischen bösen Lust und will sie als Dienst der Liebe, wie sie in der Nachfolge allein möglich ist, geführt wissen. Jesus tadelt nicht den Leib und sein natürliches Verlangen, aber er verwirft den Unglauben, der in ihm verborgen ist. So löst er nicht die Ehe auf, sondern festigt und heiligt sie durch den Glauben. So wird der Nachfolgende seine alleinige Bindung an Christus auch in seiner Ehe bewahren müssen in Zucht und Verleugnung. Christus ist der Herr auch seiner Ehe. Daß damit die Ehe des Jüngers etwas anderes ist als die bürgerliche Ehe, ist wiederum nicht eine Verachtung der Ehe, sondern gerade ihre Heiligung.
Es scheint, als setze sich Jesus durch die Forderung der Unauflöslichkeit der Ehe in Widerspruch zum alttestamentlichen Gesetz. Aber er gibt selbst (Mtt. 19,8) seine Einheit mit dem mosaischen Gesetz zu verstehen. „Um des Herzens Härtigkeit willen“ war den Israeliten der Scheidebrief erlaubt, d.h. nur um ihr Herz vor größerer Zuchtlosigkeit zu bewahren. Die Absicht des alttestamentlichen Gesetzes aber stimmt mit Jesus überein, daß es auch in ihm allein um die Reinheit der Ehe, um die Ehe, die im Glauben an Gott geführt wird, geht. Diese Reinheit, d.h. Keuschheit aber ist gewahrt in der Gemeinschaft Jesu, in seiner Nachfolge.
Weil es Jesus allein um die vollkommene Reinheit, d. h. Keuschheit seiner Jünger zu tun ist, darum muß er sagen, daß auch der vollendete Verzicht auf die Ehe um des Reiches Gottes willen zu preisen ist. Jesus macht aus Ehe oder Ehelosigkeit kein Programm, sondern er befreit seine Jünger von der PORNEIA, der Hurerei in der Ehe und außerhalb der Ehe, die nicht nur eine Versündigung am eigenen Leibe, sondern eine Versündigung am Leibe Christi selbst ist (1. Kor. 6,13-15). Auch der Leib des Jüngers gehört Christus und der Nachfolge, unsere Leiber sind Glieder seines Leibes. Weil Jesus, der Sohn Gottes, einen mensch-lichen Leib trug und weil wir Gemeinschaft mit seinem Leibe haben, darum ist Hurerei Sünde gegen Jesu eignen Leib. Jesu Leib wurde gekreuzigt. Der Apostel sagt von denen, die Christus angehören, daß sie ihren Leib mit seinen Lüsten und Begierden kreuzigen (Gal. 5,24). So wird die Erfüllung auch dieses alt-testamentlichen Gesetzes allein wahr in dem gekreuzigten, gemarterten Leib Jesu Christi. Der Anblick und die Gemeinschaft dieses Leibes, der für sie gege-ben ist, ist den Jüngern die Kraft zur Keuschheit, die Jesus gebietet.