Bonhoeffer: Die Seligpreisungen
Die Bergpredigt.
Matthäus 5:
Vom „Außerordentlichen“ des christlichen Lebens.
Die Seligpreisungen.
Jesus am Berghang, die Volksmenge, die Jünger. Das Volk sieht: Da ist Jesus mit seinen Jüngern, die zu ihm getreten sind. Die Jünger – sie gehörten ja selbst noch vor kurzem ganz und gar zur Menge des Volkes. Sie waren wie alle anderen auch. Dann kam der Ruf Jesu; da ließen sie alles zurück und folgten ihm nach. Seitdem gehören sie zu Jesus, ganz und gar. Nun gehen sie mit ihm, leben mit ihm, folgen ihm, wohin er sie auch führt. Es ist an ihnen etwas geschehen, was an den anderen nicht geschah. Das ist eine äußerst beunruhigende und anstößige Tatsache, die das Volk hier sichtbar vor Augen hat. Die Jünger sehen: Da ist das Volk, aus dem sie kommen, die verlorenen Schafe vom Hause Israel. Es ist die berufene Gemeinde Gottes. Es ist die Volkskirche. Als sie aus diesem Volk erwählt wurden durch Jesu Ruf, da taten sie, was für die verlorenen Schafe des Hauses Israel das Selbstverständliche und Notwendige ist, sie folgten der Stimme des guten Hirten, denn sie kannten seine Stimme. Sie gehören also gerade mit ihrem Weg diesem Volk zu, sie werden in diesem Volk leben, in es hineingehen und ihm den Ruf Jesu und die Herrlichkeit der Nachfolge predigen. Aber was wird das Ende sein? Jesus sieht: da sind seine Jünger. Sie sind aus dem Volk heraus sichtbar zu ihm getreten. Jeden einzelnen hat er gerufen. Sie haben auf alles Verzicht getan auf seinen Ruf hin. Nun leben sie in Entbehrung und Mangel, sie sind die Ärmsten unter den Armen, die Angefochtensten unter den Angefochtenen, die Hungrigsten unter den Hungrigen. Sie haben nur ihn. Ja, und mit ihm haben sie in der Welt nichts, gar nichts, aber alles, alles bei Gott. Es ist eine kleine Gemeinde, die er gefunden hat, und es ist eine große Gemeinde, die er sucht, wenn er das Volk ansieht. Jünger und Volk, sie gehören zusammen, die Jünger werden seine Boten sein, sie werden auch hier und dort Hörer und Gläubige finden. Und doch, es wird eine Feindschaft bis ans Ende zwischen ihnen sein. Aller Zorn gegen Gott und sein Wort wird auf seine Jünger fallen und sie werden mit ihm verstoßen sein. Das Kreuz kommt in Sicht. Christus, die Jünger, das Volk – das ist schon das ganze Bild der Leidensgeschichte Jesu und seiner Gemeinde (Anm.: Das exegetische Recht zu diesen Ausführungen liegt in dem ANOIGEN TO STOMA, was schon in der altkirchlichen Exegese stark beachtet wurde. Bevor Jesus spricht, liegen Augenblicke des Schweigens). Darum: selig! Jesus spricht zu den Jüngern. (Vgl. Lk. 6,20ff.). Er spricht zu denen, die schon unter der Gewalt seines Rufes stehen. Dieser Ruf hat sie arm, angefochten, hungrig gemacht. Er preist sie selig, nicht um ihres Mangels oder um ihres Verzichtes willen. Weder Mangel noch Verzicht sind an sich in irgendeiner Weise Grund zur Seligpreisung. Allein der Ruf und die Verheißung, um derentwillen die Nachfolgenden in Mangel und Verzicht leben, ist Grund genug. Die Beobachtung, daß in einigen Seligpreisungen vom Mangel, in anderen vom bewußten Verzicht bzw. von besonderen Tugenden der Jünger gesprochen ist, ist ohne Bedeutung. Objektiver Mangel und persönliches Verzichten haben ihren gemeinsamen Grund in dem Ruf und der Verheißung Christi. Keines von beiden hat in sich Wert und Anspruch (Anm.: Die Konstruktion eines Gegensatzes zwischen Mt. und Lk. hat keinen Grund in der Schrift. Weder handelt es sich bei Mt. um eine Spiritualisierung der ursprünglich lukanischen Seligpreisung, noch bei Lk. um eine Politisierung der ursprünglich nur die „Gesinnung“ betreffenden Seligpreisungen. Weder ist bei Lk. der Mangel Grund der Seligpreisung, noch bei Mt. der Verzicht. Vielmehr ist bei beiden Mangel oder Verzicht, Spirituelles oder Politisches allein gerechtfertigt durch Ruf und Verheißung Jesu, der allein die Seliggepriesenen zu dem macht, was sie sind, und der allein Grund ihrer Seligsprechung ist. Die katholische Exegese hat von den Clementinen an die Tugend der Armut seligpreisen lassen wollen, dabei einerseits an die paupertas voluntaria der Mönche, andernteils an jede freiwillige Armut um Christi willen gedacht. In beiden Fällen liegt die Fehlauslegung darin, daß nicht allein Ruf und Verheißung Jesu, sondern irgendein menschliches Verhalten als Grund der Seligpreisung gesucht wird).
Jesus preist seine Jünger selig. Das Volk hört es und ist entsetzt Zeuge dessen, was da geschieht. Was nach Gottes Verheißung dem ganzen Volk Israel gehört, fällt hier der kleinen Gemeinde der von Jesus erwählten Jünger zu. „Das Himmelreich ist ihr“. Aber die Jünger und das Volk sind ja darin eins, daß sie alle Gottes berufene Gemeinde sind. So soll die Seligpreisung Jesu allen zur Ent-scheidung und zum Heil werden. Alle sind gerufen zu sein, was sie in Wahrheit sind. Seliggepriesen werden die Jünger um des Rufes Jesu willen, dem sie gefolgt sind. Seliggepriesen wird das ganze Volk Gottes um der Verheißung willen, die ihm gilt. Aber wird Gottes Volk die Verheißung nun auch im Glauben an Jesus Christus und sein Wort ergreifen oder wird es sich im Unglauben von Christus und seiner Gemeinde scheiden? Das bleibt die Frage.
„Selig sind, die da geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihr“. Mangel haben die Jünger an allen Stücken. Sie sind schlechthin „arm“ (Lk. 6,20). Keine Sicherheit, kein Besitz, den sie ihr eigen nennen könnten, kein Stück Erde, das sie ihre Heimat nennen dürften, keine irdische Gemeinschaft, der sie ganz gehören dürften. Aber auch keine eigene geistliche Kraft, Erfahrung, Erkenntnis, auf die sie sich berufen, deren sie sich getrösten könnten. Um seinetwillen haben sie das alles verloren. Als sie ihm nachfolgten, da verloren sie ja sich selbst und damit auch alles, was sie noch reich machen konnte. Nun sind sie arm, so unerfahren, so töricht, daß sie auf nichts mehr hoffen können als auf den, der sie gerufen hat. Jesus kennt ja auch jene anderen, die Vertreter und Prediger der Volksreligion, diese Mächtigen, Angesehenen, die fest gegründet auf der Erde stehen in Volkstum, Zeitgeist, Volksfrömmigkeit unlösbar verwurzelt. Aber nicht zu ihnen, sondern allein zu seinen Jüngern sagt er: Selig, – denn das Himmel-reich ist ihr. Über ihnen, die um Jesu willen schlechthin in Verzicht und Mangel leben, bricht das Himmelreich an. Sie sind mitten in der Armut Erben des himmlischen Reiches. Sie haben ihren Schatz tief in der Verborgenheit, sie haben ihn am Kreuz. Das Himmelreich ist ihnen verheißen in sichtbarer Herrlichkeit, und es ist ihnen auch schon geschenkt in der vollkommenen Armut des Kreuzes. Hier unterscheidet sich Jesu Seligpreisung gänzlich von ihrer Karikatur in der Gestalt politisch-sozialer Programmatik. Auch der Antichrist preist die Armen selig, aber er tut es nicht um des Kreuzes willen, in dem alle Armut beschlossen und selig ist, sondern gerade um der Abwehr des Kreuzes willen durch politisch-soziale Ideologie. Er mag diese Ideologie christlich nennen und wird doch gerade darin zum Feind Christi.
„Selig sind die Leidtragenden, denn sie sollen getröstet werden.“ Mit jeder weiteren Seligpreisung vertieft sich die Kluft zwischen den Jüngern und dem Volk. Immer sichtbarer wird die Jüngerschaft herausgerufen. Die Leidtragenden sind ja die, die im Verzicht auf das, was die Welt Glück und Frieden nennt, zu leben bereit sind, die mit der Welt nicht auf einen Ton gestimmt werden können, die sich der Welt nicht gleichstellen können. Sie tragen Leid über die Welt, ihre Schuld, ihr Schicksal und ihr Glück. Die Welt feiert und sie stehen abseits; die Welt schreit: freut euch des Lebens, und sie trauern. Sie sehen, daß das Schiff, auf dem festlicher Jubel ist, schon leck ist. Die Welt phantasiert von Fortschritt, Kraft, Zukunft, die Jünger wissen um das Ende, das Gericht und die Ankunft des Himmelreiches, für das die Welt so gar nicht geschickt ist. Darum sind die Jünger Fremdlinge in der Welt, lästige Gäste, Friedensstörer, die verworfen werden. Warum muß die Gemeinde Jesu bei so viel Festen des Volkes, in dem sie lebt, draußen stehen? Ob sie ihre Mitmenschen nicht mehr versteht? Ob sie dem Menschenhaß und der Menschenverachtung verfallen ist? Keiner versteht seine Mitmenschen besser als die Gemeinde Jesu. Keiner liebt die Mitmenschen mehr als die Jünger Jesu – eben darum stehen sie draußen, eben darum tragen sie Leid. Es ist bedeutungsvoll und schön, daß Luther das griechische Wort hier mit Leid-Tragen übersetzt. Aufs Tragen nämlich kommt es an. Die Jüngergemeinde schüttelt das Leid nicht ab, als hätte sie nichts damit zu schaffen, sondern sie trägt es. Eben darin ist ihre Verbundenheit mit den Mitmenschen bekundet. Zugleich ist damit gesagt, daß sie das Leid nicht willkürlich sucht, daß sie nicht in eigenwilliger Weltverachtung sich entzieht, sondern trägt, was ihr auferlegt ist und was auf sie fällt um Jesu Christi willen in der Nachfolge. Schließlich aber werden die Jünger von dem Leid auch nicht mürbe gemacht, zerrieben und bitter, so daß sie daran zerbrechen. Sie tragen es vielmehr in der Kraft dessen, der sie trägt. Die Jünger tragen das ihnen auferlegte Leid allein in der Kraft dessen, der am Kreuz alles Leid trägt. Sie stehen als Leidtragende in der Gemeinschaft des Gekreuzigten. Sie stehen als Fremdlinge in der Kraft dessen, der der Welt so fremd war, daß sie ihn kreuzigte. Dies ist ihr Trost, vielmehr dieser ist ihr Trost, ihr Tröster (vgl. Lk. 2,25). Die Fremdlingsgemeinde wird getröstet im Kreuz, sie wird getröstet darin, daß sie an den Ort gestoßen wird, an dem der Tröster Israels auf sie wartet. So findet sie ihre wahre Heimat bei dem gekreuzigten Herrn, hier und in Ewigkeit.
„Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.“ Kein eigenes Recht schützt diese Fremdlingsgemeinde in der Welt. Sie beanspruchen es auch nicht, denn das sind die Sanftmütigen, die in Verzicht auf jedes eigene Recht leben um Jesu Christi willen. Schilt man sie, so sind sie still, tut man ihnen Gewalt, so dulden sie es, stößt man sie weg, so weichen sie. Sie prozessieren nicht um ihr Recht, sie machen kein Aufsehen, wenn ihnen Unrecht geschieht. Sie wollen kein eigenes Recht. Sie wollen alles Recht Gott allein lassen; non cupidi vindictae, lautet die altkirchliche Auslegung. Was ihrem Herrn Recht ist, das soll ihnen auch Recht sein. Nur das. In jedem Wort, in jeder Gebärde wird es offenbar, daß sie nicht auf diese Erde gehören. Laßt ihnen den Himmel, sagt die Welt mitleidig, da gehören sie hin (Anm.: Der Kaiser Julian schrieb in seinem 43. Brief höhnisch, er konfisziere die Güter der Christen nur, damit sie arm ins Himmelreich eingehen könnten). Aber Jesus sagt: sie sollen das Erdreich be-sitzen. Diesen Rechtlosen und Ohnmächtigen gehört die Erde. Die sie jetzt besitzen mit Gewalt und Unrecht, sollen sie verlieren, und die hier ganz auf sie Verzicht geleistet haben, die sanftmütig waren bis zum Kreuz, sollen die neue Erde beherrschen. Es wird hier nicht an innerweltliche Strafgerechtigkeit Gottes zu denken sein (Calvin), sondern wenn das Himmelreich herabkommt, dann wird die Gestalt der Erde erneuert werden, und es wird die Erde der Gemeinde Jesu sein. Gott verläßt die Erde nicht. Er hat sie erschaffen. Er hat seinen Sohn auf die Erde gesandt. Er baute seine Gemeinde auf Erden. So ist der Anfang schon in dieser Zeit gemacht. Ein Zeichen ist gegeben. Schon hier ist den Ohnmächtigen ein Stück Erde gegeben, die haben die Kirche, ihre Gemeinschaft, ihre Güter, Brüder und Schwestern – mitten unter Verfolgungen bis ans Kreuz. Aber auch Golgatha ist ein Stück Erde. Von Golgatha her, wo der Sanftmütigste starb, soll die Erde neu werden. Wenn das Reich Gottes kommt, dann werden die Sanft-mütigen das Erdreich besitzen.
„Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.“ Nicht nur im Verzicht auf das eigene Recht, sondern sogar im Verzicht auf die eigene Gerechtigkeit leben die Nachfolgenden. Sie haben keinerlei eigenen Ruhm aus dem, was sie tun und opfern. Sie können Gerechtig-keit nicht anders haben als in Hunger und Durst nach ihr; weder eigene Gerech-tigkeit, noch die Gerechtigkeit Gottes auf Erden; sie sehen allezeit auf die zukünftige Gerechtigkeit Gottes, aber sie können sie nicht selbst aufrichten. Die Jesus nachfolgen, werden hungrig und durstig auf dem Weg. Nach Vergebung aller Sünden und völliger Erneuerung tragen sie Verlangen, nach dem Neu-werden der Erde und vollkommener Gerechtigkeit Gottes. Noch deckt der Fluch der Welt diese zu, noch fällt die Sünde der Welt auf sie. Der, dem sie nachfolgen, muß als Verfluchter am Kreuz sterben. Ein verzweifeltes Verlangen nach der Gerechtigkeit ist sein letzter Schrei: mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Der Jünger aber ist nicht über seinen Meister. Ihm folgen sie nach. Selig sind sie darin, denn ihnen ist verheißen, daß sie satt werden sollen. Gerechtigkeit sollen sie empfangen, nicht nur durchs Ohr, sondern leibliche Sättigung mit Gerechtigkeit soll ihnen widerfahren. Das Brot des wahrhaftigen Lebens sollen sie essen im zukünftigen Abendmahl mit ihrem Herrn. Um dieses zukünftigen Brotes willen sind sie selig; denn sie haben dieses Brot ja schon gegenwärtig. Der das Brot des Lebens ist, ist in all ihrem Hunger unter ihnen. Das ist die Seligkeit der Sünder.
„Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.“ Diese Besitzlosen, diese Fremdlinge, diese Ohnmächtigen, diese Sünder, diese Nach-folger Jesu leben mit ihm nun auch im Verzicht auf die eigene Würde, denn sie sind barmherzig. Sie haben nicht genug an eigener Not, eigenem Mangel, sondern sie machen sich auch noch fremder Not, fremder Niedrigkeit, fremder Schuld teilhaftig. Sie haben eine unwiderstehliche Liebe zu den Geringen, Kranken, Elenden, zu den Erniedrigten und Vergewaltigten, zu den Unrechtlei-denden und Ausgestoßenen, zu allem, was sich quält und sorgt; sie suchen die in Sünde und Schuld Geratenen. Keine Not ist zu tief, keine Sünde zu furchtbar, die Barmherzigkeit geht zu ihr ein. Die eigene Ehre schenkt der Barmherzige dem in Schande Geratenen und nimmt dessen Schande auf sich. Er läßt sich finden bei den Zöllnern und Sündern und trägt die Schmach ihrer Gemeinschaft willig. Das höchste Gut des Menschen, die eigene Würde und Ehre, geben sie hin und sind barmherzig. Nur eine Würde und Ehre kennen sie: die Barmherzig-keit ihres Herrn, aus der allein sie leben. Er schämte sich nicht seiner Jünger, er wurde den Menschen ein Bruder, er trug ihre Schande bis zum Tod am Kreuz. Das ist die Barmherzigkeit Jesu, aus der die an ihn Gebundenen allein leben wollen, die Barmherzigkeit des Gekreuzigten. Diese Barmherzigkeit läßt sie alle eigene Ehre und Würde vergessen und allein die Gemeinschaft der Sünder suchen. Fällt nun Schande auf sie, so sind sie doch selig. Denn sie sollen Barm-herzigkeit erlangen. Gott wird sich einst tief zu ihnen herabbeugen und sich ihrer Sünde und Schande annehmen. Gott wird seine Ehre ihnen geben und ihre Unehre selbst von ihnen nehmen. Es wird Gottes Ehre sein, die Schmach der Sünder zu tragen und sie mit seiner Ehre zu kleiden. Selig sind die Barmherzi-gen, weil sie den Barmherzigen zum Herrn haben.
„Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie sollen Gott schauen.“ Wer ist reines Herzens? Allein der, der sein Herz Jesus ganz hingegeben hat, daß er allein darin herrsche; der sein Herz nicht befleckt durch eigenes Böses, aber auch nicht durch eigenes Gutes. Das reine Herz ist das einfältige Herz des Kindes, das nicht weiß um Gut und Böse, das Herz Adams vor dem Fall, das Herz, in dem nicht das Gewissen, sondern Jesu Wille herrscht. Wer im Verzicht steht auf das eigene Gute und Böse, auf das eigene Herz, wer so in der Buße steht, und allein an Jesus hängt, dessen Herz ist rein durch das Wort Jesu. Reinheit des Herzens steht hier im Gegensatz zu aller äußerlichen Reinheit, zu der selbst die Reinheit der guten Gesinnung noch gehört. Das reine Herz ist rein von Gut und Böse, es gehört ganz und ungeteilt Christus an, es sieht allein auf ihn, der vorangeht. Gott schauen wird allein der, der in diesem Leben allein auf Jesus Christus gesehen hat, den Sohn Gottes. Sein Herz ist frei von befleckenden Bildern, nicht hin- und hergezogen durch die Mannigfaltigkeit eigener Wünsche und Absichten. Es ist ganz im Anschauen Gottes hingenommen. Gott schauen wird der, dessen Herz ein Spiegel des Bildes Jesu Christi geworden ist.
„Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Jesu Nach-folger sind zum Frieden berufen. Als Jesus sie rief, fanden sie ihren Frieden. Jesus ist ihr Friede. Nun sollen sie den Frieden nicht nur haben, sondern auch schaffen (Anm.: EIRENOPOIOI hat doppelten Sinn: Auch „friedfertig“ ist nach Luthers eigener Auslegung nicht nur passivisch zu verstehen. Die englische Übersetzung „peacemaker“ ist einseitig und Anlaß zu mancherlei mißverstande-nem christlichen Aktivismus geworden). Damit tun sie Verzicht auf Gewalt und Aufruhr. In der Sache Christi ist damit niemals etwas geholfen. Das Reich Christi ist ein Reich des Friedens, und die Gemeinde Christi grüßt sich mit dem Friedensgruß. Die Jünger Jesu halten Frieden, indem sie lieber selbst leiden, als daß sie einem Anderen Leid tun, sie bewahren Gemeinschaft, wo der Andere sie bricht, sie verzichten auf Selbstbehauptung und halten dem Haß und Unrecht stille. So überwinden sie Böses mit Gutem. So sind sie Stifter göttlichen Friedens mitten in einer Welt des Hasses und Krieges. Nirgends aber wird ihr Frieden größer sein als dort, wo sie den Bösen im Frieden begegnen und von ihnen zu leiden bereit sind. Die Friedfertigen werden mit ihrem Herrn das Kreuz tragen; denn am Kreuz wurde der Friede gemacht. Weil sie so in das Friedenswerk Christi hereingezogen sind, berufen zum Werk des Sohnes Gottes, darum werden sie selbst Söhne Gottes genannt werden.
„Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn das Himmelreich ist ihr.“ Es ist hier nicht die Rede von der Gerechtigkeit Gottes, sondern vom Leiden um einer gerechten Sache (Anm.: Beachte das Fehlen des Artikels!), um des gerechten Urteilens und Tuns der Jünger Jesu willen. In Urteil und Tat werden sich die, die Jesus nachfolgen in Verzicht auf Besitz, auf Glück, auf Recht, auf Gerechtigkeit, auf Ehre, auf Gewalt, unterscheiden von der Welt; sie werden der Welt anstößig sein. Darum werden die Jünger um Gerechtigkeit willen verfolgt werden. Nicht Anerkennung, sondern Verwerfung ist der Lohn ihres Wortes und Werkes durch die Welt. Es ist wichtig, daß Jesus seine Jünger auch dort selig preist, wo sie nicht unmittelbar um des Bekenntnisses zu seinem Namen willen, sondern um einer gerechten Sache willen leiden. Es wird ihnen dieselbe Ver-heißung zuteil wie den Armen. Als die Verfolgten sind sie ja ihnen gleich.
Hier am Ende der Seligpreisungen entsteht die Frage, welcher Ort dieser Welt einer solchen Gemeinde eigentlich noch bleibt. Es ist deutlich geworden, daß es für sie nur einen Ort gibt, nämlich den, an dem der Allerärmste, Allerangefochtenste, Allersanftmütigste zu finden ist, das Kreuz auf Golgatha. Die Gemeinde der Seliggepriesenen ist die Gemeinde des Gekreuzigten. Mit ihm verlor sie alles und mit ihm fand sie alles. Vom Kreuz her heißt es nun: selig, selig. Nun aber spricht Jesus ganz allein zu denen, die es begreifen können, zu den Jüngern, darum in direkter Anrede: „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles wider euch, so sie daran lügen. Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel wohl belohnt werden. Denn also haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.“ „Um meinetwillen“ – die Jünger werden geschmäht, aber getroffen wird Jesus selbst. Auf ihn fällt alles, denn um seinetwillen werden sie geschmäht. Er trägt die Schuld. Das Schmähwort, die tödliche Verfolgung und die üble Nachrede be-siegeln die Seligkeit der Jünger in ihrer Gemeinschaft mit Jesus. Es kann ja nicht anders sein, als daß die Welt sich an den sanftmütigen Fremdlingen austobt mit Wort, Gewalt und Verleumdung. Zu bedrohlich, zu laut ist die Stimme dieser Armen und Sanftmütigen, zu geduldig und still ihr Leiden; zu gewaltig zeugt diese Jüngerschar Jesu durch Armut und Leiden von dem Unrecht der Welt. Das ist tödlich. Während Jesus ruft: selig, selig, schreit die Welt: hinweg, hinweg! Ja, hinweg! Aber wohin? Ins Himmelreich. Seid fröhlich und getrost, es wird euch im Himmel wohl belohnt werden. Da stehen die Armen im Freudensaal. Gott selbst wischt den Weinenden die Tränen der Fremde ab, er speist die Hungrigen mit seinem Abendmahl. Die verwundeten und gemarterten Leiber stehen verklärt da, und statt der Kleider der Sünde und Buße tragen sie das weiße Kleid der ewigen Gerechtigkeit. Aus dieser ewigen Freude dringt schon hier ein Ruf zu der Ge-meinde der Nachfolgenden unter dem Kreuz, der Ruf Jesu: selig, selig.