Bonhoeffer: Die sichtbare Gemeinde

 

Die sichtbare Gemeinde.

 

Der Leib Jesu Christi nimmt Raum ein auf Erden. Mit der Menschwerdung fordert Christus Raum unter den Menschen. Er kam in sein Eigentum. Aber sie gaben ihm bei seiner Geburt einen Stall, „denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge“, sie stießen ihn in seinem Tode von sich, daß sein Leib zwischen Erde und Himmel am Galgen hing. Doch die Fleischwerdung schließt den Anspruch auf eigenen Raum auf Erden ein. Was Raum einnimmt, ist sichtbar. So kann der Leib Jesu Christi nur ein sichtbarer Leib sein, oder er ist nicht Leib. Sichtbar ist der Mensch Jesus, geglaubt wird er als der Sohn Gottes. Sichtbar ist der Leib Jesu, geglaubt wird er als der Leib des menschgewordenen Gottes. Sichtbar ist, daß Jesus im Fleisch war, geglaubt wird, daß er unser Fleisch trug. „Auf diesen Menschen sollst du zeigen und sprechen: das ist Gott“ (Luther).

Eine Wahrheit, eine Lehre, eine Religion braucht keinen eigenen Raum. Sie ist leiblos. Sie wird gehört, gelernt, begriffen. Das ist alles. Aber der menschge-wordene Sohn Gottes braucht nicht nur Ohren oder auch Herzen, sondern er braucht leibhaftige Menschen, die ihm nachfolgen. Darum berief er seine Jünger in seine leibliche Nachfolge, und seine Gemeinschaft mit ihnen war jedermann sichtbar. Sie war begründet und zusammengehalten durch Jesus Christus den Menschgewordenen selbst, das fleischgewordene Wort hatte gerufen, hatte die leibliche sichtbare Gemeinschaft geschaffen. Die Gerufenen konnten nicht mehr verborgen bleiben, sie waren das Licht, das leuchten muß, die Stadt auf dem Berge, die gesehen werden muß. Über ihrer Gemeinschaft stand sichtbar das Kreuz und Leiden Jesu Christi. Um seiner Gemeinschaft willen mußten die Jünger alles aufgeben, mußten sie leiden und verfolgt werden, und doch empfin-gen sie gerade unter Verfolgungen in seiner Gemeinschaft sichtbar wieder, was sie verloren, Brüder und Schwestern, Äcker und Häuser. Die Gemeinde der Nachfolgenden war offenbar vor der Welt. Hier waren Leiber, die handelten, arbeiteten und litten in der Gemeinschaft Jesu. Auch der Leib des erhöhten Herren ist sichtbarer Leib in der Gestalt der Gemeinde. Wie wird dieser Leib sichtbar? Zuerst in der Predigt des Wortes. „Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre“ (Apg. 2,42). Jedes Wort ist in diesem Satz bedeutsam. Lehre (DIDACHE) heißt die Predigt, hier im Gegensatz zu jeder Art religiöser Rede. Hier ist Mitteilung von geschehenen Tatsachen gemeint. Der Inhalt des zu Sagenden liegt objektiv fest, er bedarf nur der Vermittlung durch die „Lehre“. Mitteilung beschränkt sich aber ihrem Wesen nach auf Unbekanntes. Ist es bekannt geworden, so ist weitere Mitteilung sinnlos; so liegt es an sich im Begriff der „Lehre“, sich selbst überflüssig zu machen. In eigenartigem Widerspruch dazu heißt es hier, daß die erste Gemeinde sich „beständig“ zu dieser Lehre hielt, daß sich also diese Lehre nicht überflüssig macht, sondern daß sie gerade Beständigkeit fordert. Eine sachliche Nötigung muß in der Verbindung dieser „Lehre“ mit der „Beständigkeit“ liegen. Sie ist darin ausgesprochen, daß es „Lehre der Apostel“ ist, um die es sich handelt. Was heißt „Lehre der Apostel“? Apostel sind die von Gott erwählten Tatsachenzeugen der Offenbarung in Jesus Christus. Sie haben in Jesu leiblicher Gemeinschaft gelebt, sie haben den Menschgewordenen, Gekreuzigten und Auferstandenen gesehen und seinen Leib mit ihren Händen betastet (1. Joh. 1,1). Sie sind die Zeugen, deren sich Gott, der heilige Geist als Werkzeug bedient, um das Wort auszurichten. Apostelpredigt ist Zeugnis des leibhaftigen Geschehens der Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Auf dem Grunde der Apostel und Propheten ist die Kirche erbaut, deren Eckstein Jesus Christus ist (Eph. 2,20). Jede weitere Predigt muß selbst apostolische Predigt sein, indem sie auf diesen Grund aufbaut. So ist die Einheit zwischen uns und der ersten Gemeinde durch das Wort der Apostel hergestellt. Inwiefern macht diese apostolische Lehre die Beständigkeit des Hörens notwendig? Das apostolische Wort ist im Menschenwort wahrhaftig Gottes Wort (1. Thess. 2,13). Es ist darum Wort, das Menschen annehmen will und Kraft hat, es zu tun. Gottes Wort sucht Gemeinde, um sie anzunehmen. Es ist wesentlich in der Gemeinde. Es geht von selbst in die Gemeinde hinein. Es hat eine eigene Bewegung zur Gemeinde hin. Nicht so ist es, daß auf der einen Seite ein Wort, eine Wahrheit ist, und auf der anderen Seite eine Gemeinde, und der Prediger habe nun dies Wort zu nehmen, zu handhaben, zu bewegen, um es in die Gemeinde hinein zu bringen, es auf die Gemeinde anzuwenden. Vielmehr geht das Wort diesen Weg ganz von selbst, der Prediger soll und kann nichts tun, als dieser eigenen Bewegung des Wortes zu dienen, ihr nichts ins den Weg zu stellen. Das Wort geht aus, um Menschen anzunehmen; das wußten die Apostel, und das machte ihre Predigt aus. Sie hatten ja Gottes Wort selbst gesehen, wie es gekommen war, wie es Fleisch angenommen hatte und in diesem Fleisch die ganze Menschheit selbst. Nun hatten sie nichts zu bezeugen als dieses, daß Gottes Wort Fleisch geworden ist, daß es kam, um Sünder anzunehmen, um zu vergeben und zu heiligen. Dies ist das Wort, das nun in die Gemeinde hinein geht; das fleischgewordene Wort, das schon die ganze Menschheit trägt, das nicht mehr sein kann ohne die Menschheit, die es angenommen hat, kommt zur Gemeinde. In diesem Wort aber kommt der Heilige Geist selbst, der dem Einzel-nen und der Gemeinde zeigt, was in Christus schon längst geschenkt ist. Er wirkt in den Hörenden den Glauben, daß im Wort der Predigt Jesus Christus selbst mitten unter uns getreten ist in der Kraft seines Leibes, daß er kommt, um mir zu sagen, daß er mich angenommen hat und heute wiederum annehmen will.

Das Wort der apostolischen Predigt ist das Wort, das die Sünden aller Welt leibhaftig getragen hat, es ist der gegenwärtige Christus im Heiligen Geist. Christus in seiner Gemeinde, das ist die „Lehre der Apostel“, die apostolische Predigt. Diese Lehre macht sich niemals überflüssig, sondern sie schafft sich die Gemeinde, die beständig an ihr bleibt, weil sie vom Wort angenommen ist und täglich dessen gewiß wird. Diese Lehre schafft sich eine sichtbare Gemeinde. Zu der Sichtbarkeit des Leibes Christi in der Predigt des Wortes tritt die Sichtbarkeit in Taufe und Abendmahl. Beide kommen her aus der wahrhaftigen Menschheit unseres Herren Jesu Christi. In beiden begegnet er uns leibhaftig und macht uns der Gemeinschaft seines Leibes teilhaftig. Zu beiden Handlungen gehört die Verkündigung. In der Taufe wie beim Abendmahl ist es die Verkündung des Todes Christi für uns (Röm. 6,3ff.; 1. Kor. 11,26). Bei beiden ist die Gabe der Leib Christi. In der Taufe wird uns die Gliedschaft am Leibe geschenkt, im Abendmahl die leibliche Gemeinschaft (KOINONIA) mit dem Leib des Herren, den wir empfangen, und eben darin die leibliche Gemeinschaft mit den Gliedern dieses Leibes. So werden wir durch die Gaben seines Leibes mit Ihm Ein Leib. Weder die Gabe der Taufe noch die des Abendmahls ist ganz umfaßt, wenn wir sie als Sündenvergebung bezeichnen. Die Gabe des Leibes, die in den Sakramenten gespendet wird, schenkt uns den leibhaftigen Herren in seiner Gemeinde. Sündenvergebung aber ist mit eingeschlossen in der Gabe des Leibes Christi als Gemeinde. Von hier aus ist es verständlich, daß die Austeilung von Taufe und Abendmahl ursprünglich – im genauen Gegensatz zu unserem heutigen Ge-brauch – nicht an das Amt der apostolischen Verkündigung gebunden ist, son-dern von der Gemeinde selbst vollzogen wird (1. Kor. 1,1 u. 14ff.; 11,17ff.). Taufe und Abendmahl gehören allein der Gemeinde des Leibes Christi. Das Wort richtet sich an Glaubende und Ungläubige. Die Sakramente gehören allein der Gemein-de. So ist die christliche Gemeinde im eigentlichen Sinne Tauf- und Abendmahls-gemeinde, und erst von hier aus Predigtgemeinde.

Es ist deutlich geworden, daß die Gemeinde Jesu Christi in der Welt einen Raum der Verkündigung beansprucht. Der Leib Christi ist sichtbar in der um Wort und Sakrament versammelten Gemeinde. Diese Gemeinde ist ein gegliedertes Ganzes. Der Leib Christi als Gemeinde schließt Gliederung und Ordnung der Gemeinde ein. Diese ist mit dem Leib mitgesetzt. Ein ungegliederter Leib ist im Zustand der Verwesung. Die Gestalt des lebendigen Leibes Christi ist nach der Lehre des Paulus gegliederte Gestalt (Röm. 12,5; 1. Kor. 12,12ff.). Die Unter-scheidung von Inhalt und Form, von Wesen und Erscheinung ist hier unmöglich. Sie bedeutete Leugnung des Leibes Christi, d. h. des fleischgewordenen Christus (1. Joh. 4,3). So beansprucht der Leib Christi mit dem Raum der Verkündigung auch den Raum der Gemeindeordnung. Die Ordnung der Gemeinde ist göttlichen Ursprungs und Wesens. Freilich steht sie im Dienst, nicht in der Herrschaft. Die Ämter der Gemeinde sind „Dienste“ (DIAKONIAI) (1. Kor. 12,4). Sie sind von Gott (1. Kor. 12,28), von Christus (Eph. 4,11), vom Heiligen Geist (Apg. 20,28) in der Gemeinde gesetzt, d. h. nicht durch sie. Auch dort, wo die Gemeinde selbst Ämter austeilt, tut sie es ganz unter der Leitung des Heiligen Geistes (Apg. 13,2 u. ö.). Amt und Gemeinde sind gleich ursprünglich im dreieinigen Gott. Die Ämter dienen der Gemeinde, sie haben ihr geistliches Recht allein in diesem Dienst. Darum muß es in verschiedenen Gemeinden verschiedene Ämter „Diakonien“ geben, z. B. andere in Jerusalem als in den paulinischen Missionsgemeinden. Zwar ist die Gliederung von Gott gesetzt, aber ihre Gestalt ist veränderlich und allein dem geistlichen Urteil der Gemeinde selbst unterworfen, die ihre Glieder zum Dienst verordnet. Auch die Charismen, die der Heilige Geist Einzelnen schenkt, stehen streng in der Zucht der Diakonie an der Gemeinde, denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens (1. Kor. 14,32f.). Darin eben macht sich der Heilige Geist sichtbar (PHANEROSIS 1. Kor. 12,6), daß alles zum Nutzen der Gemeinde geschieht. Apostel, Propheten, Lehrer, Aufseher (Bischö-fe), Diakone, Älteste, Vorsteher und Leiter (1. Kor. 12,28ff.; Eph. 2,20 u. 4,11) sind Diener der Gemeinde, des Leibes Christi. Sind sie zum Dienst in der Ge-meinde verordnet, so ist ihr Amt göttlichen Ursprungs und Wesens. Allein die Gemeinde kann sie vom Dienst entbinden. So ist die Gemeinde zwar frei in der Gestaltung ihrer Ordnungen je nach ihrer Not; wird aber ihre Ordnung von außen angetastet, so ist damit die sichtbare Gestalt des Leibes Christi selbst angetastet.

Besondere Aufmerksamkeit verdient unter den Ämtern der Gemeinde zu aller Zeit die Sorge für die unverfälschte Austeilung des Wortes und der Sakramente. Dabei ist Folgendes zu bedenken: Immer wird die Verkündigung dem Auftrag und den Gaben der Verkündiger entsprechend eine mannigfaltige und verschiedene sein. Aber ob paulisch oder petrisch oder apostlisch oder christisch, in allem muß doch der Eine unzerteilte Christus erkannt werden (1. Kor. 1,11). Einer soll dem andern in die Hände arbeiten (1. Kor. 3,6). Schulbildungen führen zu Schulge-zänk, in dem jeder sein eigenes sucht (1. Tim. 6,5 u. 20; 2. Tim. 2,10; 3,8; Tit. 1,10). Allzu leicht wird hier aus der „Gottseligkeit“ ein irdischer Gewinn, sei es an Ehre, an Macht oder an Geld. Auch wird die Neigung zum Problematisieren um des Problematisierens willen leicht entbrennen und von der klaren, einfachen Wahrheit ablenken (2. Tim. 3,7). Sie wird zum Eigenwillen und Ungehorsam gegen Gottes Gebot verleiten. Dem gegenüber bleibt die gesunde heilsame Lehre das Ziel der Verkündigung (2. Tim. 4,3; 1. Tim. 1,10; 4,16; 6,1; Tit. 1,9 u. 13; 2,1; 3,8) und Gewähr für rechte Ordnung und Einheit. Es ist nicht immer leicht, den Übergang zwischen erlaubter Schulmeinung und Irrlehre zu erkennen. So ist in mancher Gemeinde eine Lehre, die in einer anderen schon als Irrlehre ausgeschieden ist, noch als Schulmeinung geduldet (Offenb. 2,6 u. 15ff.). Wird aber die Irrlehre offenbar, so ist völlige Scheidung nötig. Den Irrlehrer aber trifft die Ausstoßung aus der christlichen Gemeinde und aus der persönlichen Ge-meinschaft (Gal. 1,8; 1. Kor. 16,22; Tit. 3,10; 2. Joh. 10ff.). So muß das Wort der reinen Verkündigung verbinden und trennen in sichtbarer Weise. Der Raum der Verkündigung und der Ordnung der Gemeinde ist somit in seiner gottgesetzten Notwendigkeit deutlich geworden. Die Frage ist nun, ob hiermit bereits die sichtbare Gestalt der Gemeinde des Leibes Christi umschrieben ist, oder ob sie noch weiteren Anspruch auf Raum in der Welt einschließt. Die Antwort des Neuen Testaments geht unzweideutig dahin, daß die Gemeinde nicht nur für ihren Gottesdienst und ihre Ordnung, sondern auch für das tägliche Leben ihrer Glieder Raum auf Erden beansprucht. Es wird daher jetzt zu sprechen sein von dem Lebensraum der sichtbaren Gemeinde.

Die Gemeinschaft Jesu mit seinen Jüngern war volle Lebensgemeinschaft in sämtlichen Lebensbeziehungen. In der Jüngergemeinde spielte sich das ganze Leben des Einzelnen ab. Diese Gemeinschaft ist ein lebendiges Zeugnis für die leibhaftige Menschheit des Sohnes Gottes. Die leibliche Gegenwart des Sohnes Gottes fordert den leiblichen Einsatz für ihn und mit ihm im täglichen Leben. Der Mensch mit seinem ganzen lebendigen Leibesleben gehört zu dem, der um seinetwillen den menschlichen Leib annahm. Der Jünger gehört in der Nachfolge mit dem Leib Jesu unzertrennlich zusammen.

So bezeugt es auch der erste Bericht über die junge Gemeinde in der Apostelge-schichte (2,42ff.; 4,32ff.). „Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet.“ „Aber die gläubig waren geworden, waren beisammen und hatten alle Dinge gemeinsam.“ Es ist lehrreich, daß hier die Gemeinschaft (KONOMIA) zwischen Wort und Abendmahl ihren Ort bekommt. Es ist keine zufällige Bestimmung ihres Wesens, wenn sie ihren Ursprung immer wieder im Wort, ihr Ziel und ihre Vollendung immer wieder im heiligen Abendmahl haben soll. Alle christliche Gemeinschaft lebt zwischen Wort und Sakrament, sie entspringt und sie endet im Gottesdienst. Sie wartet auf das letzte Abendmahl mit dem Herren im Reich Gottes. Eine Gemeinschaft, die solchen Ursprung und solches Ziel hat, ist völlige Gemeinschaft, der auch die Dinge und Güter dieses Lebens sich einordnen. In Freiheit, Freude und in der Kraft des Heiligen Geistes wird hier eine vollkommene Gemeinschaft hergestellt, in der „keiner Mangel hatte“, und man „einem jeglichen gab, was ihm not war“, in der auch „keiner von seinen Gütern sagte, daß sie sein wären“. In der Alltäglich-keit dieses Geschehens bekundet sich die volle evangelische Freiheit, die keines Zwanges bedarf. Sie waren ja „ein Herz und eine Seele“.

Sichtbar stand diese junge Gemeinde vor aller Augen und – seltsam genug! – „sie hatten Gnade bei dem ganzen Volk“ (Apg. 2,47). Ist das die Blindheit des Volkes Israel, das hinter dieser völligen Gemeinschaft das Kreuz Jesu nicht mehr sah? Ist es die Vorwegnahme des Tages, an dem alles Volk das Volk Gottes ehren muß? Ist es jene Freundlichkeit Gottes, in der er gerade in Zeiten des Wachstums, des ernsten Kampfes und der Scheidung in Gläubige und Feinde um die Gemeinde einen Ring rein menschlichen Wohlwollens, menschlicher Anteilnahme an den Geschicken der Gemeinde legt, oder ist das Volk, bei dem die Gemeinde Gnade fand, das Volk, das das Hosianna, aber eben nicht das Kreuzige schrie? „Und der Herr tat hinzu täglich die da selig wurden zur Ge-meinde.“ Diese sichtbare Gemeinde der völligen Lebensgemeinschaft bricht herein in die Welt und entreißt ihr ihre Kinder. Das tägliche Wachstum der Ge-meinde beweist die Kraft des in ihr lebendigen Herren.

Es gilt für die ersten Jünger: wo ihr Herr ist, da müssen sie auch sein, und wo sie sein werden, da wird ihr Herr auch sein bis an der Welt Ende. Alles, was der Jünger tut, tut er in der Gemeinschaft der Gemeinde Jesu als ihr Glied. Auch das profanste Tun geschieht nun in der Gemeinde. So gilt es für den Leib Christi: Wo ein Glied ist, da ist auch der ganze Leib, und wo der Leib ist, da ist auch das Glied. Es gibt keinen Lebensbereich, in dem sich das Glied dem Leibe entziehen dürfte oder wollte. Wo immer einer ist, was immer einer tut, es geschieht „im Leib“, in der Gemeinde, „in Christo“. Das ganze Leben ist „in Christo“ aufge-nommen. Der Christ ist stark oder schwach in Christo (Phil. 4,13; 2. Kor. 13,4), er arbeitet und müht sich oder er freut sich „im Herrn“ (Röm. 16,9 u. 12; 1. Kor. 15,58; Phil. 4,4), er redet und ermahnt in Christo (2. Kor. 2,17; Phil. 2,1), er übt Gastfreundschaft in Christo (Röm. 16,2), er heiratet in dem Herren (1. Kor. 7,39), er ist im Gefängnis in dem Herrn (Phil. 1,13 u. 23), er ist ein Sklave in dem Herren (1. Kor. 7,22). Die ganze Fülle menschlicher Beziehungen unter den Christen ist von Christus, von der Gemeinde umschlossen.

Die Taufe in den Leib Christi hinein ist es, die jedem Christen das volle Leben in Christo, in der Gemeinde gewährt. Es ist eine böse, ganz und gar nicht neutesta-mentliche Verkürzung, wenn die Gabe der Taufe auf die Teilnahme an Predigt und Abendmahl, d. h. also, auf den Anteil an den Heilsgütern, vielleicht auch noch an den Ämtern und Diensten der Gemeinde beschränkt wird. Vielmehr ist mit der Taufe der Raum des gemeinschaftlichen Lebens der Glieder des Leibes Christi in sämtlichen Lebensbeziehungen jedem Getauften vorbehaltlos aufgetan. Wer einem getauften Bruder die Teilnahme am Gottesdienst gewährt, ihm aber im täglichen Leben die Gemeinschaft versagt, ihn mißbraucht oder verachtet, der macht sich am Leib Christi selbst schuldig. Wer getauften Brüdern die Gaben des Heils zuerkennt, ihnen aber die Gaben des irdischen Lebens verweigert oder sie wissentlich in irdischer Not und Bedrängnis läßt, verspottet die Gabe des Heils und wird zum Lügner. Wer dort, wo der Heilige Geist gesprochen hat, noch der Stimme seines Blutes, seiner Natur, seiner Sympathien und Antipathien Gehör leiht, versündigt sich am Sakrament. Die Taufe in den Leib Christi hinein ver-ändert nicht nur den persönlichen Heilsstand des Getauften, sondern auch alle seine Lebensbeziehungen. Den Sklaven Onesimus, der seinem gläubigen Herren Philemon entflohen ist und ihn sehr geschädigt hat, soll Philemon nach seiner Taufe „ewig wiederhaben“ (Philem. 15) „nicht mehr als einen Knecht, sondern mehr denn einen Knecht, als einen lieben Bruder … beides, nach dem Fleisch und in dem Herren“ (Philem. 16). „Nach dem Fleisch“ ein Bruder, betont Paulus und warnt damit vor jenem gefährlichen Mißverständnis aller „privilegier-ten“ Christen, die Gemeinschaft mit den Christen minderen Ansehens und Rechts wohl im Gottesdienst zu dulden, aber darüber hinaus nicht wirksam werden zu lassen. Nach dem Fleisch ein Bruder des Philemon! Brüderlich soll Philemon den Sklaven aufnehmen, als wäre es Paulus selbst (V. 17), brüderlich ihm den zugefügten Schaden nicht zurechnen (V. 18). Freiwillig soll Philemon dies tun, wiewohl Paulus auch den Freimut hätte, hier zu gebieten (V. 8-14), und gewiß wird Philemon mehr tun als gefordert (V. 21). Nach dem Fleisch ein Bruder, weil getauft. Ob nun Onesimus auch Knecht seines Herrn Philemon bleibt, es ist auch in dieser ihrer Beziehung zueinander jetzt alles anders ge-worden. Wodurch? Freier und Knecht sind Glieder am Leibe Christi geworden. In ihrer Gemeinschaft lebt nun als in einer kleinen Zelle der Leib Christi, die Gemeinde. „Wieviel ihrer getauft sind, die haben Christum angezogen. Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib; denn ihr seid allzumal einer in Christo Jesu“ (Gal. 3,27f.; Kol. 3,11). In der Gemeinde sieht der eine im andern nicht mehr den Freien oder den Knecht, den Mann oder die Frau, sondern das Glied am Leib Christi. Gewiß heißt dies nicht, daß nun der Knecht nicht mehr Knecht und der Mann nicht mehr Mann sei. Aber es heißt darum noch lange nicht, daß nun weiterhin in der Gemeinde ein jeder daraufhin anzusprechen sei, ob er Jude oder Grieche, Freier oder Knecht ist. Gerade dies soll ausgeschlossen sein. Wir sehen einander nur auf unsere Gliedschaft am Leibe Christi hin an, darauf also, daß wir allzumal Einer sind in ihm. Jude und Grieche, Freier und Knecht, Mann und Frau stehen nun in der Gemeinschaft als Teil der Gemeinde des Leibes Christi. Wo sie miteinander leben, sprechen, handeln, ist die Gemeinde, sind sie in Christo. Damit aber ist auch ihre Gemeinschaft entscheidend bestimmt und verändert. Das Weib gehorcht dem Mann „im Herrn“, der Knecht dient Gott, wenn er seinem Herrn dient, der Herr weiß, daß auch er einen Herren im Himmel hat (Kol. 3,18-4,1), aber sie sind nun Brüder „nach dem Fleisch und in dem Herren.“ So greift die Gemeinde mitten hinein in das Leben der Welt und erobert Raum für Christus; denn was „in Christo“ ist, ist nicht mehr unter der Herrschaft der Welt, der Sünde und des Gesetzes. In dieser neugewordenen Gemeinschaft hat kein Gesetz der Welt etwas zu bestimmen. Der Bereich der christlichen Bruderliebe steht unter Christus, nicht unter der Welt. Den Dienst der Liebe am Bruder, den Dienst der Barmherzigkeit kann sich die Gemeinde niemals mehr beschränken lassen. Denn wo der Bruder ist, da ist Christi eigener Leib, und wo Christi Leib ist, da ist immer auch seine Gemeinde, da muß ich auch sein. Wer zu Christi Leib gehört, der ist aus der Welt befreit und herausgerufen, der muß der Welt sichtbar werden, nicht nur durch die Gemeinschaft des Gottesdienstes und der gemeindlichen Ordnung, sondern auch durch die neue Gemeinschaft des brüderlichen Lebens. Wo die Welt den christlichen Bruder verachtet, wird der Christ ihn lieben und ihm dienen; wo die Welt ihm Gewalt tut, wird er helfen und lindern; wo die Welt ihn entehrt und beleidigt, wird er seine Ehre geben für die Schande des Bruders. Wo die Welt Gewinn sucht, wird er verzichten; wo die Welt ausbeutet, wird er sich entäußern, wo die Welt unterdrückt, wird er sich herabbeugen und aufrichten. Verweigert die Welt Gerechtigkeit, so wird er Barmherzigkeit üben, hüllt sich die Welt. in Lüge, so wird er seinen Mund für die Stummen auftun und für die Wahr-heit Zeugnis geben. Um des Bruders willen, sei er Jude oder Grieche, Knecht oder Freier, stark oder schwach, edel oder unedel, wird er auf alle Gemeinschaft der Welt verzichten; denn er dient der Gemeinschaft des Leibes Jesu Christi. So kann er in dieser Gemeinschaft auch nicht verborgen bleiben vor der Welt. Er ist herausgerufen und folgt nach.

Aber „ein jeglicher bleibe in dem Beruf, darin er berufen ist. Du bist als Sklave berufen, laß es dich nicht anfechten! Auch wenn du frei werden könntest, brau-che es lieber“ (nämlich: Sklave zu bleiben!); „denn der als Sklave berufen ist im Herrn, ist ja der Freigelassene des Herrn; desgleichen wer als Freier berufen ist, der ist ein Knecht Christi. Ihr seid teuer erkauft; werdet nicht der Menschen Knechte. Ein jeglicher, liebe Brüder, worin er berufen ist, darinnen bleibe er bei Gott“ (1. Kor. 7,20-24). Ist hier nicht alles anders geworden als damals beim ersten Rufe Jesu in die Nachfolge? Dort mußten die Jünger alles verlassen, um mit Jesus zu gehen. Hier heißt es: Ein jeglicher bleibe in dem Beruf, darinnen er berufen ist! Wie löst sich dieser Widerspruch? Allein darin, daß wir erkennen, daß es bei dem Ruf Jesu wie bei der Ermahnung der Apostel allein darum geht, daß der Angesprochene in die Gemeinschaft des Leibes Jesu Christi kommt. Die ersten Jünger mußten mit Jesus gehen, um in seiner leiblichen Gemeinschaft zu stehen. Jetzt aber ist der Leib Christi durch Wort und Sakrament nicht mehr an einen einzigen Ort der Erde gebunden. Der auferstandene und erhöhte Christus ist der Welt näher gerückt, der Leib Christi ist mitten in die Welt – in der Gestalt der Gemeinde – eingedrungen. Wer getauft ist, ist in Christi Leib hineingetauft. Christus ist zu ihm gekommen, hat sein Leben angenommen und hat damit der Welt geraubt, was ihr gehörte. Ist einer als Sklave getauft, so ist er nun als Sklave der Gemeinschaft des Leibes Jesu Christi teilhaftig geworden. Als Sklave ist er der Welt schon entrissen, ist er ein Freigelassener Christi geworden. So mag denn der Sklave Sklave bleiben! Als Glied der Gemeinde Christi ist ihm ja eine Freiheit zuteil geworden, die ihm keine Auflehnung, keine Revolution eingebracht hätten oder noch einbringen könnten! Wahrhaftig nicht, um ihn der Welt fester zu verbinden, um sein Leben in der Welt auch noch „religiös zu verankern“, um aus ihm einen besseren, treueren Bürger dieser Welt zu machen, ermahnt Paulus den Sklaven, Sklave zu bleiben! Wahrhaftig nicht zur Recht-fertigung, zur christlichen Verbrämung einer dunklen sozialen Ordnung spricht Paulus. Nicht weil die berufliche Ordnung der Welt so gut und göttlich wäre, daß sie nicht umgestoßen werden dürfte, sondern allein darum, weil die ganze Welt ja schon aus den Angeln gehoben ist durch die Tat Jesu Christi, durch die Be-freiung, die der Sklave wie der Freie durch Jesus Christus erfahren hat. Müßte eine Revolution, ein Umsturz der Gesellschaftsordnung nicht nur den Blick für die göttliche Neuordnung aller Dinge durch Jesus Christus und die Gründung seiner Gemeinde verdunkeln? Müßte nicht sogar durch jeden solchen Versuch der Abbruch der ganzen Weltordnung, der Anbruch des Reiches Gottes gehindert und verzögert werden? Also gewiß auch nicht darum, weil in der weltlichen Berufserfüllung an sich schon die Erfüllung des christlichen Lebens zu sehen wäre, sondern weil in dem Verzicht auf Auflehnung gegen die Ordnungen dieser Welt der angemessenste Ausdruck dafür liegt, daß der Christ nichts von der Welt, aber alles von Christus und seinem Reich erwartet, – darum bleibe der Sklave Sklave! Weil diese Welt nicht reformbedürftig, sondern zum Abbruch reif ist, – darum bleibe der Sklave Sklave! Er hat eine bessere Verheißung! Ist es nicht auch Gericht genug über die Welt und Trost genug für den Sklaven, daß Gottes Sohn „die Gestalt eines Sklaven“ annahm (Phil. 2,5), als er auf diese Erde kam? Ist nicht der Christ, der als Sklave berufen wurde, gerade mitten in seinem Sklavendasein in der Welt schon weit genug von der Welt entfernt, die er lieben und begehren, um die er sich sorgen könnte? Darum leide der Sklave nicht als Aufsässiger, sondern als Glied der Gemeinde und des Leibes Christi! Darin wird die Welt zum Abbruch reif.

„Werdet nicht der Menschen Knechte!“ Auf zweierlei Weise aber würde das geschehen: Durch Auflehnung und durch Umsturz der gegebenen Ordnungen einerseits, durch religiöse Verklärung der gegebenen Ordnungen andrerseits. „Ein jeglicher, liebe Brüder, worin er berufen ist, darin bleibe er bei Gott.“ „Bei Gott“ – und darum „werdet nicht der Menschen Knechte“, weder durch Auf-lehnung, noch durch falsche Unterwerfung. Im Beruf bei Gott bleiben, heißt eben mitten in der Welt am Leibe Christi in der sichtbaren Gemeinde bleiben, im Gottesdienst und im Leben in der Nachfolge das lebendige Zeugnis der Über-windung dieser Welt ausrichten. 

Darum „sei jedermann untertan den Obrigkeiten, die Gewalt über ihn haben“ (Röm. 13,1ff.). Nicht nach oben hin zu den Gewalthabern soll es den Christen verlangen, sondern unten zu bleiben ist seines Berufes. Die Obrigkeiten sind über (HYPER) ihm, er bleibe darunter (HYPO). Die Welt herrscht, der Christ dient, darin hat er Gemeinschaft mit seinem Herrn, der Sklave wurde. „Aber Jesus rief sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisset, daß die weltlichen Fürsten herrschen, und die Mächtigen unter ihnen haben Gewalt. Aber also soll es unter euch nicht sein, sondern welcher will groß werden unter euch, der soll euer Diener sein; und welcher unter euch will der Vornehmste werden, der soll aller Knecht sein. Denn auch des Menschen Sohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene und gebe sein Leben zur Bezahlung für viele“ (Mark. 10,42-45). „Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott.“ – Dem Christen ist das gesagt, nicht den Obrigkeiten! Die Christen sollen wissen, daß sie gerade dort unten, wohin sie durch die Obrigkeiten verwiesen sind, Gottes Willen erkennen und tun. Die Christen sollen getröstet sein, daß Gott selbst durch die Obrigkeit hindurch ihnen zugute wirken will, daß ihr Gott der Herr auch der Obrigkeiten ist. Das aber soll nicht eine allgemeine Erwägung und Erkenntnis über das Wesen der Obrigkeit (EXOUSIA – Singular!) bleiben, sondern es soll seine Anwendung finden auf die Stellung des Christen zu den tatsächlich bestehenden Obrigkeiten (HAI DE OUSAI…). Wer sich ihnen widersetzt, wider-setzt sich der Setzung Gottes (DIATACHE TOU THEOU), der es so gewollt hat, daß die Welt herrscht, und daß Christus im Dienst siegt und mit ihm seine Christen. Der Christ, der das nicht begriffe, müßte dem Gericht verfallen (V. 2); denn er wäre der Welt wiederum gleich geworden. Woran entsteht denn so leicht der Widerspruch der Christen gegen die Obrigkeiten? Daran, daß sie Anstoß nehmen an den Fehlern und dem Unrecht der Obrigkeit. Aber mit solchen Be-trachtungen sind die Christen bereits in höchster Gefahr, auf etwas anderes zu achten, als auf den Willen Gottes, den sie selbst zu erfüllen haben. Mögen sie selbst nur überall auf das Gute bedacht sein und es auch tun, wie es ihnen Gott befiehlt, so können sie „ohne Furcht“ vor der Obrigkeit leben, „denn die Ge-waltigen sind ein Schrecken nicht dem guten Werk, sondern dem bösen“ (V. 3). Wie sollte sich auch der Christ, der bei seinem Herren bleibt und das Gute tut, fürchten müssen? „Du willst ohne Furcht vor der Obrigkeit leben, tue das Gute.“ – Tue du das Gute! darauf allein kommt es an. Nicht was Andere tun, sondern was du tun wirst, wird für dich wichtig sein. Tue du das Gute, ohne Furcht, ohne Einschränkung, ohne Bedingung! Wie könntest du auch die Obrigkeit tadeln um ihrer Fehler willen, wenn du selbst nicht das Gute tust? Wie willst du anderen das Gericht sprechen, der du selbst dem Gericht verfällst? Willst du ohne Furcht sein, tue du das Gute! „Und du wirst Lob von der Obrigkeit empfangen, denn sie ist Gottes Dienerin dir zugute“. – Nicht als könnte dies das Motiv unseres guten Handelns sein, Lob zu empfangen, nicht als wäre es auch nur das Ziel; es ist etwas, was hinzukommen wird und muß, wenn es recht um die Obrigkeit steht. So sehr denkt Paulus von der christlichen Gemeinde her, so sehr ist es ihm allein um die christliche Gemeinde und ihr Heil und ihren Wandel zu tun, daß er – die Christen vor eigenem Unrecht und Bösen warnen muß, aber die Obrigkeit ohne Vorwurf läßt. „Tust du Böses, so fürchte dich, denn sie trägt das Schwert nicht umsonst, sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe über den, der Böses tut“ (V. 4). Alles liegt daran, daß nicht in der christlichen Gemeinde Böses geschehe. Die Christen sind hier angeredet, und abermals nicht die Obrigkeit. Daß die Christen in der Buße, im Gehorsam erhalten bleiben, wo sie auch seien, welche Konflikte ihnen auch drohen, nicht daß eine Obrigkeit der Welt gerecht-fertigt oder verworfen würde, ist Paulus wichtig! Keine Obrigkeit kann diesen Worten eine göttliche Rechtfertigung ihrer Existenz entnehmen. Träfe vielmehr dieses Wort wirklich einmal eine Obrigkeit, so wäre es für sie in eben derselben Weise ein Bußruf, wie es in Wahrheit und hier ein Bußruf an die Gemeinde ist. Ein Gewaltiger (ARCHON), der dieses Wort hörte, könnte hieraus niemals die göttliche Autorisierung seiner Amtsführung entnehmen, er müßte vielmehr den Auftrag hören, Gottes Diener zu sein, der Christenheit die Gutes tut, zugute. Und unter diesem Auftrag müßte er in die Buße gehen. Gewiß nicht, weil die Ordnungen der Welt so gut wären, sondern weil ihre Güte oder Schlechtigkeit unwichtig ist gegenüber dem allein Wichtigen, daß in der Gemeinde der Wille Gottes herrsche und befolgt werde, spricht Paulus so zu den Christen. Nicht über die Aufgaben der Obrigkeit will er die Christenheit belehren, sondern von den Aufgaben der Christenheit gegenüber der Obrigkeit allein spricht er.

Lob soll der Christ empfangen von der Obrigkeit! Empfängt er es nicht, sondern statt Lob Strafe und Verfolgung, was trägt er für Schuld daran? Er hat ja nicht um des Lobes willen getan, was ihm nun zur Strafe ausläuft. Er tat ja auch das Gute nicht aus Furcht vor der Strafe. Trifft ihn nun Leid statt Lob, so ist er doch vor Gott frei und ohne Furcht, so ist ja doch auf die Gemeinde keinerlei Schande gekommen! Er gehorcht der Obrigkeit nicht um irgendeines Vorteils willen, sondern „um des Gewissens willen“ (V. 5). So kann der Fehler der Obrigkeit sein Gewissen nicht antasten. Er bleibt frei und ohne Furcht und kann im unschuldi-gen Leiden noch der Obrigkeit den schuldigen Gehorsam erweisen. Er weiß ja, daß zuletzt nicht die Obrigkeit, sondern Gott herrscht, daß die Obrigkeit Gottes Dienerin ist. Die Obrigkeit Gottes Dienerin – so spricht der Apostel, der selbst oftmals durch diese Obrigkeit hat unschuldig Gefangenschaft leiden müssen, der dreimal die harte Prügelstrafe von ihr empfangen hat, der von der Ausweisung aller Juden aus Rom durch den Kaiser Claudius wußte (Apg. 18,1ff.). Die Obrigkeit Gottes Dienerin – so spricht der, der weiß, daß schon längst alle Mächte und Obrigkeiten der Welt entmächtigt sind, daß Christus sie im Triumph ans Kreuz gebracht hat, und daß nur noch kurze Zeit ist, bis dies alles offenbar werden muß. Alles Gesagte steht hier aber unter der Ermahnung, die Paulus den Sätzen über die Obrigkeit vorangestellt hat. „Laß dich nicht das Böse überwin-den, sondern überwinde das Böse mit Gutem“ (Röm. 12,21). Nicht um die gute oder böse Obrigkeit, sondern um die Überwindung alles Bösen durch die Christen geht es.

Während es für die Juden eine echt versucherische Frage war, ob sie dem Kaiser den Zins geben dürfen oder nicht, da sie ihre Hoffnung auf die Zerstörung des römischen Kaisertums und auf die Aufrichtung einer eignen Herrschaft setzten, ist dies für Jesus und die Seinen eine leidenschaftslose Frage. „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist“ (Matth. 22,21), sagt Jesus, „darum zahlt auch eure Steuern“ (Röm. 13,6) – so schließt Paulus seine Ausführungen. Diese Pflicht bringt die Christen nicht nur in keinen Konflikt mit dem Gebot Jesu, sie geben ja dem Kaiser zurück, was ihm ohnedies gehört. Ja, als „Diener Gottes“ (LEITOURGOI!) sollen sie die ansehen, die die Steuern von ihnen fordern und darauf bestehen (V. 6). Freilich, es kann hier keine Verwechslung eintreten: Nicht daß die Christen Gottesdienst tun, wenn sie ihre Steuern zahlen, sagt Paulus, sondern die die Steuern erheben, tun darin – ihren! – Gottesdienst. Auch nicht zu diesem Gottesdienst fordert Paulus die Christen auf, sondern dazu, sich zu unterwerfen und niemandem etwas schuldig zu bleiben, was ihm zukommt (V. 7-8). Jeder Widerspruch, jeder Widerstand an dieser Stelle würde nur deutlich machen, daß die Christen Gottes Reich mit einem Reich dieser Welt ver-wechseln. Darum bleibe der Sklave Sklave, darum bleibe der Christ untertan den Obrigkeiten, die Gewalt über ihn haben, darum räume der Christ nicht die Welt (1. Kor. 5,11). Aber freilich als Sklave lebe er als Freigelassener Christi; unter der Obrigkeit lebe er als einer, der Gutes tut; in der Welt lebe er als Glied des Leibes Christi der neugewordenen Menschheit; dies alles tue er ohne Vorbehalt, damit gebe er mitten in der Welt Zeugnis von der Verlorenheit der Welt und der Neu-schöpfung in der Gemeinde. Er leide allein dafür, daß er Glied am Leibe Christi ist.

Der Christ bleibe in der Welt. Nicht um der gottgegebenen Güte der Welt willen, nicht einmal um seiner Verantwortung für den Lauf der Welt willen, sondern um des Leibes Christi des Menschgewordenen, um der Gemeinde willen. Er bleibe in der Welt um des frontalen Angriffes gegen die Welt willen, er lebe sein „inner-weltliches Berufsleben“, um seine „Weltfremdheit“ erst ganz sichtbar werden zu lassen. Das aber geschieht nicht anders, als durch die sichtbare Gliedschaft an der Gemeinde. Der Widerspruch gegen die Welt muß in der Welt ausgetragen werden. Darum wurde Christus Mensch und starb mitten unter seinen Feinden. Darum – und darum allein! – bleibe der Sklave Sklave, bleibe der Christ der Obrigkeit untertan.

Nicht anders hat Luther in den entscheidenden Jahren der Abwendung vom Kloster über den weltlichen Beruf geurteilt. Nicht das hat er verworfen, daß im Kloster höchste Forderung gestellt wurde, sondern dies, daß Gehorsam gegen das Gebot Jesu als Leistung Einzelner verstanden wurde. Nicht die „Welt-fremdheit“ des klösterlichen Lebens hat Luther angegriffen, sondern dies, daß diese Weltfremdheit im Raum des Klosters gerade wieder zu einer neuen geistlichen Weltförmigkeit geworden war, die die schändlichste Verkehrung des Evangeliums ist. Die „Weltfremdheit“ des christlichen Lebens gehört mitten in die Welt, in die Gemeinde, in ihr tägliches Leben hinein – so hatte Luther gedacht. Darum sollen die Christen im Beruf ihr christliches Leben vollstrecken. Darum sollen sie im Beruf der Welt absterben. Darin hat der Beruf für den Christen seinen Wert, daß der Christ in ihm durch Gottes Güte leben und den Angriff auf das Wesen der Welt ernster führen kann. Nicht eine „positivere Bewertung“ der Welt oder gar der Verzicht auf die urchristliche Erwartung der nahen Wiederkunft Christi begründete Luthers Rückkehr in die Welt. Sie hatte vielmehr die rein kritische Bedeutung des Protestes gegen die Verweltlichung des Christentums in der Klosterexistenz. Indem Luther die Christenheit in die Welt zurückruft, ruft er sie erst in die rechte Weltfremdheit hinein. Das hat Luther selbst am eigenen Leibe erfahren. Luthers Ruf in die Welt war immer ein Ruf zur sichtbaren Gemeinde des menschgewordenen Herrn. Nicht anders aber war es bei Paulus.

Darum ist es nun auch klar, daß das Leben im weltlichen Beruf für den Christen seine ganz bestimmten Grenzen hat und daß also gegebenenfalls dem Ruf in den weltlichen Beruf hinein der Ruf aus dem weltlichen Beruf heraus folgen muß. Das ist paulinisch und auch lutherisch gedacht. Die Grenzen sind durch die Zugehörigkeit der sichtbaren Gemeinde Christi selbst gegeben. Wo der vom Leib Christi in dieser Welt beanspruchte und eingenommene Raum des Gottes-dienstes, der kirchlichen Ämter und des bürgerlichen Lebens mit dem Rauman-spruch der Welt kollidiert, dort ist die Grenze erreicht. Daß sie erreicht ist, wird im selben Augenblick deutlich durch die Notwendigkeit des sichtbaren öffentlichen Bekenntnisses zu Christus von seiten des Gemeindegliedes, von seiten der Welt aber durch kluges Zurückziehen oder durch Gewalttat. Hier kommt der Christ ins öffentliche Leiden. Er, der mit Christus starb in der Taufe, dessen heimliches Leiden mit Christus die Welt nicht erkannte, wird nun öffentlich aus dem Beruf in dieser Welt ausgestoßen. Er tritt in die sichtbare Leidensgemeinschaft seines Herrn. Nun bedarf er der vollen Gemeinschaft und der brüderlichen Hilfe der Gemeinde erst recht.

Nicht immer aber ist es die Welt, die den Christen aus dem beruflichen Leben ausstößt. Es hat schon in den ersten Jahrhunderten der Kirche Berufe gegeben, die für unvereinbar mit der Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde angesehen wurden. Der Schauspieler, der heidnische Götter und Helden darstellen muß, der Lehrer, der in heidnischen Schulen die heidnischen Mythologien zu unterrichten hat, der Gladiator, der Menschenleben zum Spiel töten muß, der Soldat, der das Schwert führt, der Gendarm, der Richter – sie alle mußten ihren heidnischen Beruf aufgeben, wenn sie die Taufe empfangen wollten. Später gelang es der Kirche – bzw. der Welt! – den Christen die meisten dieser Berufe wieder freizu-geben. Die Abwehr ging nun mehr und mehr von der Seite der Gemeinde auf die der Welt über.

Je älter aber die Welt wird, und je schärfer der Kampf zwischen Christus und Antichristus entbrennt, desto gründlicher versucht nun die Welt, sich der Christen zu entledigen. Den ersten Christen gewährte die Welt immer noch den Raum, in dem sie sich von ihrer Hände Arbeit ernähren und kleiden konnten. Eine voll-kommen antichristlich gewordene Welt kann aber den Christen auch diese private Sphäre beruflichen Wirkens und Arbeitens um das tägliche Brot nicht mehr überlassen. Sie muß von ihnen um jeglichen Stückes Brot willen, das sie essen wollen, die Verleugnung ihres Herrn fordern. So bleibt den Christen zuletzt nur noch die Flucht aus der Welt oder das Gefängnis. Dann aber wird das Ende nahe sein, wenn der Christenheit der letzte Raum auf Erden genommen sein wird.

So greift zwar der Leib Christi tief hinein in die weltlichen Lebensbereiche, und doch bleibt an anderen Stellen die völlige Trennung sichtbar, und sie muß immer sichtbarer werden. Aber ob in der Welt oder von ihr geschieden, es geschieht beides im Gehorsam gegen das eine Wort: „Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern laßt euch zu einer andern Gestalt verwandeln (METAMORPHOUSTHE) durch Erneuerung des Geistes, damit ihr prüfen könnt, was der Wille Gottes ist“ (Röm. 12,2). Es gibt ein Sich-der-Welt-gleich-stellen in der Welt, aber es gibt auch die selbstgewählte geistliche „Welt“ des Klosters. Es gibt ein unerlaubtes Bleiben in der Welt und eine unerlaubte Flucht aus der Welt. In beidem stellen wir uns der Welt gleich. Die Gemeinde Christi aber hat eine andere „Gestalt“ als die Welt. In diese Gestalt hinein soll sie sich immer mehr verwandeln lassen. Es ist die Gestalt Christi selbst, der in die Welt kam und die Menschen in unendlicher Barmherzigkeit trug und annahm und sich doch der Welt nicht gleichstellte, sondern von ihr verworfen und ausgestoßen wurde. Er war nicht von dieser Welt. In der rechten Begegnung mit der Welt wird die sichtbare Gemeinde der Gestalt des leidenden Herrn immer ähnlicher werden. So müssen die Brüder wissen: „Die Zeit ist kurz. Weiter ist das die Meinung: Die da Weiber haben, daß sie seien, als hätten sie keine; und die da weinen, als weinten sie nicht; und die sich freuen, als freuten sie sich nicht; und die da kaufen, als besäßen sie es nicht; und die diese Welt gebrauchen, daß sie dieselbe nicht mißbrauchen; denn das Wesen dieser Welt vergeht. Ich wollte aber, daß ihr ohne Sorge wäret“ (1. Kor. 7,29-32a). Das ist das Leben der Gemeinde Christi in der Welt. Die Christen leben wie andere Menschen auch. Sie heiraten, sie weinen und sie freuen sich, sie kaufen und sie gebrauchen die Welt zum täglichen Leben. Aber was sie haben, haben sie allein durch Christus und in Christus und um Christi willen, und darum bindet es sie nicht. Sie haben es, als hätten sie es nicht. Sie hängen ihr Herz nicht daran. Sie sind ganz frei. Weil sie das sind, darum können sie die Welt gebrauchen und sollen sie nicht räumen (1. Kor. 5,13). Weil sie frei sind, darum können sie auch die Welt verlassen, wo sie sie in der Nachfolge ihres Herrn hindert. Sie heiraten, freilich des Apostels Meinung ist, daß es seliger ist, wenn sie frei bleiben, sofern es im Glauben geschehen kann (1. Kor. 7,7 u. 33-40). Sie kaufen und treiben Handel, aber es geschieht allein zur Notdurft des täglichen Lebens. Keine Schätze sammeln sie sich, an denen ihr Herz hängt. Sie arbeiten, denn sie sollen nicht müßig gehen. Aber freilich ist Arbeit für sie kein Selbst-zweck. Arbeit um der Arbeit willen kennt das Neue Testament nicht. Ein jeder soll sich durch Arbeit das Seine verdienen. Er soll auch etwas haben, um seinen Brüdern abzugeben (1. Thess. 4,11f.; 2. Thess. 3,11f.; Eph. 4,28). Er soll unab-hängig sein von denen, „die draußen sind“, den Heiden (1. Thess. 4,12), wie Paulus selbst seinen Ruhm darein setzte, sein eigenes Brot durch seiner Hände Arbeit zu erwerben und sogar von seinen Gemeinden unabhängig zu sein (2. Thess. 3,8; 1. Kor. 9,15). Diese Unabhängigkeit dient dem Verkündiger als besondere Beweiskraft dafür, daß seine Predigt nicht um Gewinnes willen ge-schieht. Es steht alles ganz im Dienst der Gemeinde. Neben das Gebot der Arbeit tritt das andere: „Sorget nichts! sondern in allen Dingen lasset eure Bitten im Gebet und Flehen mit Danksagungen vor Gott kund werden“ (Phil. 4,6). Die Christen wissen: 

„Es ist aber ein großer Gewinn, wer gottselig ist und lässet sich genügen. Denn wir haben nichts in die Welt gebracht; darum offenbar ist, wir werden auch nichts hinausbringen. Wenn wir aber Nahrung und Kleider haben, so lasset uns genü-gen. Denn die da reich werden wollen, die fallen in Versuchung und Stricke und viel törichte und schädliche Lüste“ (1. Tim. 6,6-9). So brauchen die Christen die Güter dieser Welt als solche, die „sich unter den Händen verzehren“ (Kol. 2,22). Sie tun es mit Danksagung und Gebet gegen den Schöpfer aller guten Kreatur (1. Tim. 4,4). Aber sie sind dennoch frei. Sie können satt sein und hungern, übrig haben und Mangel leiden. „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus“ (Phil. 4,12f.).

Die Christen sind in der Welt, sie brauchen die Welt, denn sie sind Fleisch und um ihres Fleisches willen kam Christus in die Welt. Sie tun weltliche Dinge. Sie heiraten, aber ihre Ehe wird anders aussehen als die Ehe der Welt. Sie wird „im Herrn“ sein (1. Kor. 7,39). Sie wird im Dienst des Leibes Christi geheiligt sein und in der Zucht des Gebetes und Enthaltsamkeit stehen (1. Kor. 7,5). Sie wird darin ein Gleichnis sein der entsagenden Liebe Christi zu seiner Gemeinde. Ja, ihre Ehe wird ein Teil des Leibes Christi sein. Sie wird Kirche sein (Eph. 5,32). Die Christen kaufen und verkaufen, treiben Handel und Gewerbe, aber sie werden auch dies anders tun als die Heiden. Sie werden einander nicht nur nicht über-vorteilen (1. Thess. 4,6), ja, sie werden sogar das der Welt Unbegreifliche tun, sich lieber übervorteilen und Unrecht tun zu lassen, als um „zeitlicher Güter“ willen vor einem heidnischen Gericht sich ihr Recht zu holen. Sie werden, wenn es schon sein muß, ihre Konflikte innerhalb der Gemeinde austragen, vor eige-nen Gerichten (1. Kor. 6,1-8).

So führt die christliche Gemeinde ihr eigenes Leben mitten in der Welt und gibt in ihrem ganzen Wesen und Tun jeden Augenblick Zeugnis davon, daß „das Wesen dieser Welt vergeht“ (1. Kor. 7,31), daß die Zeit kurz (1. Kor. 7,23) und der Herr nahe ist (Phil. 4,5). Das erfüllt sie mit höchster Freude (Phil. 4,4). Die Welt wird ihr zu klein, die Wiederkunft des Herrn ist ihr alles. Noch wandelt sie im Fleisch. Aber ihr Blick ist auf den Himmel gerichtet, von dem der wiederkommen wird, auf den sie wartet. Hier ist sie im fremden Lande eine Kolonie fern von der Heimat, eine Fremdlingsgemeinde, die das Gastrecht des Landes genießt, in dem sie lebt, die dem Gesetz dieses Landes gehorcht und seine Obrigkeit ehrt. Was zur Notdurft des Leibes und Lebens gehört, braucht sie dankbar, in allen Dingen erzeigt sie sich ehrbar, gerecht, keusch, linde, still und zum Dienst bereit. Allen Menschen erweist sie die Liebe ihres Herrn, „allermeist aber an des Glaubens Genossen“ (Gal. 6,10; 2. Petr. 1,7). Im Leiden ist sie geduldig und fröhlich und rühmt sich der Trübsal. Sie lebt ihr eigenes Leben unter fremder Obrigkeit und fremdem Recht. Sie betet für alle Obrigkeit und tut ihr damit ihren größten Dienst (1. Tim. 2,1). Aber sie ist nur auf dem Durchzug. Jeden Augenblick kann das Signal zum Weitermarsch ergehen. Dann bricht sie auf und verläßt alle weltliche Freundschaft und Verwandtschaft und folgt allein der Stimme, die gerufen hat. Sie verläßt die Fremde und zieht ihrer Heimat entgegen, die im Himmel ist. Arm und im Leiden, hungrig und durstig, sanftmütig, barmherzig, friedfertig sind sie, verfolgt und geschmäht von der Welt, und doch sind sie es, um derentwillen allein die Welt noch erhalten wird. Sie schützen die Welt vor dem Zornesgericht Gottes. Sie leiden, damit die Welt noch unter der Geduld Gottes leben kann. Gäste und Fremdlinge sind sie auf Erden (Hebr. 11,13; 13,14; 1. Petr. 2,1). Sie trachten nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist (Kol. 3,3). Denn ihr wahres Leben ist noch nicht offenbar geworden, es ist noch verborgen mit Christo in Gott. Hier liegt ihnen das Widerspiel vor Augen von dem, was sie sein werden. Hier wird allein ihr Sterben sichtbar, ihr heimliches tägliches Sterben am alten Menschen und ihr öffentliches Sterben vor der Welt. Noch sind sie auch sich selbst verborgen. Die linke Hand weiß nicht, was die rechte tut. Gerade als die sichtbare Gemeinde bleiben sie sich selbst ganz unbekannt. Sie sehen allein auf ihren Herrn. Der ist im Himmel und bei ihm ist ihr Leben, auf das sie warten. Wenn aber Christus, ihr Leben, sich offenbaren wird, dann werden sie auch offenbar werden mit ihm in der Herrlichkeit (Kol. 3,4).

 

Sie wandeln auf Erden und leben im Himmel, 

Sie bleiben ohnmächtig und schützen die Welt; 

Sie schmecken den Frieden bei allem Getümmel, 

Sind arm, doch sie haben, was ihnen gefällt.

Sie stehen im Leiden und bleiben in Freuden, 

Sie scheinen ertötet den äußeren Sinnen 

Und führen das Leben des Glaubens von innen.

 

Wenn Christus, ihr Leben, wird offenbar werden, 

Wenn er einst sich dar in der Herrlichkeit stellt, 

So werden sie mit ihm als Fürsten der Erden 

Auch herrlich erscheinen zum Wunder der Welt.

Sie werden regieren, mit ihr triumphieren, 

Den Himmel als prächtige Lichter auszieren.

Da wird man die Freude gar offenbar spüren.

 

Aus „Es glänzet der Christen inwendiges Leben“ von Chr. F. Richter.

 

Das ist die Gemeinde der Herausgerufenen, die Ekklesia, der Leib Christi auf Erden, die Nachfolger und Jünger Jesu.

- FORTSETZUNG -