Christliche Werte
In gesellschaftspolitischen Fragen ist immer wieder von „Werten“ die Rede – von „moralischen“ Werten, von demokratischen „Grundwerten“ und auch von „christlichen Werten“. Die soll man in der Erziehung „vermitteln“, man soll sie „hochhalten“, „verteidigen“ und „leben“. Doch so edel das auch klingt – welche Werte es im Einzelnen sind und woher sie kommen, wird selten erklärt. Denn was ist überhaupt ein „Wert“? Und wer hat ihn dazu gemacht? Ist unser „Wertebewusstsein“ historisch gewachsen? Ist es „naturgegeben“? Oder beruht es auf gesellschaftlicher Übereinkunft? Ist „Wert“ jeweils das, was einer „subjektiv“ wertschätzt und gut findet? Oder beruht unsere Wertschätzung darauf, dass der Sache selbst ein „objektiver Wert“ innewohnt? Gibt‘s überhaupt einen „Wert an sich“, der unabhängig vom Auge des Betrachters in der Sache liegt? Oder ist das, was keiner würdigt und schätzt, eben darum auch „wertlos“? Gern würde man diese Fragen beiseite schieben. Doch das geht nicht, weil ja all unser Handeln und Entscheiden auf Werturteilen beruht. Wir fahren im Urlaub nach Norden oder nach Süden, wir konsumieren oder bilden uns, wir pflegen Gärten oder Freundschaften, weil wir jeweils eines höher schätzen als das andere. Und ohne ständig Werturteile zu fällen, wären wir gar nicht handlungsfähig. Denn nur aus Präferenzen für dies oder jenes ergeben sich die Entscheidungen, die das Leben von uns fordert. Wenn einem alles gleich „wertvoll“ schiene, fiele er einer Lähmung seines Willens anheim. Und so kommen wir nicht umhin, ständig etwas als „besser“ oder „schlechter“ einzustufen. Nur – auf welcher Grundlage tun wir das? Und an welchem Maßstab bemessen wir‘s? Bei dem, was unmittelbar unseren Bedürfnissen entspricht, scheint die Antwort einfach. Denn ohne lange nachzudenken, nennen wir „gut“, was sich „gut anfühlt“. Wer gerade friert, weiß den warmen Sonnenschein zu schätzen. Sobald er aber schwitz, schreibt er dem Schatten einen größeren Wert zu. Dem Hungrigen erscheint das Brot unendlich kostbar, und dem Durstigen das Wasser. Doch dieses „Wertempfinden“ schwankt. Denn nach einem Vier-Gänge-Menü interessiert sich ein satter und halb betrunkener Mensch kaum noch für Brot und Wasser. Er begehrte diese Dinge nur im Blick auf sein Wohlbefinden. Und wenn das hergestellt ist, sinkt auch gleich die Wertschätzung für die erforderlichen Mittel. Überhaupt werden die meisten „Werte“ nicht um ihrer selbst willen erstrebt, sondern weil sie zu etwas anderem verhelfen und somit einen „Nutzwert“ haben. Der Handwerker bemisst den Wert eines Werkzeugs daran, ob es zuverlässig seinen Zweck erfüllt. Und wenn er sagt, die Maschine sei „gut“, kann er auch erklären, „wozu“ und „für was“ sie gut ist. Doch keine Maschine ist für alles „gut“. Und wenn einer Stahlteile verschweißen will, hat die große Bandsäge dafür nicht den geringsten „Wert“. Auch ein Medikament ist nur für den Kranken kostbar, während der Gesunde wenig damit anfangen kann. Und so scheint der „Wert“ einer Sache immer an einen konkreten Bedarf gekoppelt – und scheint zu schwinden, sobald der Bedarf schwindet. Die Bildung eines Lehrers verliert viel von ihrem Wert, wenn es weit und breit keine Schüler gibt. Und selbst der Goldschatz, der im Wüstensand vergraben liegt, kommt nur zur Geltung, wenn ein Schatzsucher danach gräbt. Denn den Kamelen, die drüber hinweglaufen, ist das Gold völlig egal. Hat es also „an und für sich“ keinen Wert? Kommt die Wertfrage immer erst ins Spiel, wenn man Personen mitdenkt, die etwas wertschätzen oder missachten? Beim Gold leuchtet das ein, weil das allzu weiche Metall keinen echten Nutzwert hat. Nur aufgrund menschlicher Konvention wird es als Zahlungsmittel akzeptiert. Und beim Papiergeld ist das noch auffälliger, weil der Materialwert des Papiers zu seiner Kaufkraft in keinem Verhältnis steht. Der Wert des Geldscheins beruht allein auf der gesellschaftlichen Verabredung, ihn als Gegenwert für Waren zu akzeptieren. Und das verstärkt den Verdacht, „Wert“ sei eigentlich gar nichts Reales und keine Eigenschaft der Dinge, sondern bloß eine menschliche Zuschreibung. Das bestätigt auch der Kaufmann, wenn er vom „Marktwert“ seiner Ware spricht, der je nach Angebot und Nachfrage schnell steigen oder sinken kann. Denn eben davon lebt der Händler, dass der Wert seiner Waren nicht überall gleich ist. Er erzielt Gewinne, wenn die Waren dort, wo er sie verkauft, höher taxiert werden als dort, wo er sie einkauft. Und so scheint Wert nichts „Objektives“ zu sein, sondern scheint immer von der Wertschätzung abzuhängen, die Menschen einer Sache entgegenbringen. Ist also wertvoll, was viele begehren, und ist wertlos, was keiner haben will? Oder verwechseln wir da den Wert mit dem Preis? Soviel dürfte immerhin klar sein, dass zu der Feststellung, etwas habe „Wert“, zwei Voraussetzungen gegeben sein müssen. Nämlich einerseits der Bezug zu einer Person, die (Ziele verfolgend) einen Willen und Wünsche hat. Und andererseits gewisse Eigenschaften des beurteilten Gegenstandes, die der Willensrichtung dieser Person förderlich und dienlich sind. Ist beides gegeben, wird die Person dem Gegenstand „Wert“ zuschreiben – sonst aber nicht. Denn nichts ist wertvoll „an und für sich“, ohne wertvoll zu sein „für jemand“. Und nichts ist wertvoll für den, der es aufgrund unnützer Eigenschaften weder genießen noch gebrauchen kann. Welche Eigenschaften wie gewertet werden, hängt aber wiederum von der Absicht dessen ab, der den Gegenstand beurteilt. Das Kamel hat da andere Maßstäbe als der Schatzsucher, und der Hungrige empfindet anders als der Satte! Und so muss man folgern, dass Werturteile recht wenig besagen über den beurteilten Gegenstand, dass sie aber sehr viel besagen über den Urteilenden und seine Beziehung zu diesem Gegenstand. Wohl liegt es in den Eigenschaften des Dings begründet, dass es einem Betrachter mit passenden Bedürfnissen „wertvoll“ erscheint. Insofern hat das Werturteil Anhalt an den faktischen Qualitäten der Sache und ist keineswegs „beliebig“. Weil aber ein anderer Betrachter aufgrund anders gelagerter Bedürfnisse dasselbe Ding nicht brauchen kann (und das eventuell mit genau den Eigenschaften begründet, die der andere so schätzt), gilt das Werturteil des ersten nicht absolut, sondern nur relativ – unter Voraussetzung seiner persönlichen Perspektive. Es sind weniger die Eigenschaften des Rohdiamanten, die ihn über den Kieselstein erheben, als die Vorlieben der Menschen. Und abgesehen davon, dass viele Menschen in ihren Vorlieben übereinstimmen, ist der „Wert“ des Diamanten nicht seine Eigenschaft, sondern eine subjektive Zuschreibung. Denken wir das zu Ende, gibt‘s dann aber überhaupt keinen „objektiven Wert“ mehr, weil das Kamel nur schätzt, was dem Kamel nützt, und der Kranke, was dem Kranken nützt, niemand aber verpflichtet werden kann, etwas zu würdigen und zu ehren, wofür er keinen Bedarf hat. Und konsequenterweise dürften wir dann von niemandem erwarten, er solle im Leben seines Mitmenschen einen „Wert“ sehen, wenn der keinen Wert hat für ihn selbst und seine Pläne. Denn wenn es keinen „objektiven Wert“ gibt, kommt auch dem Menschen keiner zu. Aber – können wir das so stehen lassen? Widerspricht dieser Werte-Relativismus nicht unserem Empfinden und der Logik unseres Handelns? Sollten die Zustände und Gegenstände, die wir erstreben, wirklich keinen anderen Wert haben als den, den wir selbst ihnen beilegen? Dem Gefühl nach schätzen wir das „in sich“ Wertvolle. Doch anscheinend ist es nur wertvoll, weil wir es schätzen! Und so gesehen wäre eine Tugend keine Tugend, wenn Menschen sie nicht erstrebten. Das aber widerspricht der Logik unseres Verhaltens. Denn intuitiv meinen wir ja, uns für etwas zu entscheiden, weil es wertvoll ist – und nicht, damit es wertvoll sei! Wir nehmen an, dass eine Tugend wie „Gerechtigkeit“ auch dann eine Tugend wäre, wenn keiner sie übte und keiner sie bewunderte. Und doch will es scheinen, dass unabhängig von einer wertschätzenden Person gar nicht von „Wert“ gesprochen werden kann. Wert ist scheinbar „Ansichtssache“. Und wenn viele Individuen dieselbe Ansicht teilen, ändert das wenig. Denn die Menge der Fliegen auf einem Kuhfladen besagt ja nichts über den Kuhfladen selbst, sondern nur etwas über die Beziehung der Fliegen zu ihm. Er ist nicht wertvoll, weil er ist, wie er ist, sondern nur, weil Fliegen sind, wie Fliegen sind. Die Hinterlassenschaft der Kuh passt zur Bedürfnislage der Fliegen – aber die muss niemand teilen! Oder sollte man annehmen, dass alles, was den Massengeschmack trifft, darum auch wirklich wertvoll sei? Wenn dem so wäre, müssten wir viele schlechte Bücher für „gut“ erklären und viele schlechte Filme für „künstlerisch wertvoll“! Wir müssten annehmen, eben das sei die beste Musik, die sich am besten verkauft. Tatsächlich unterscheiden wir aber zwischen der Wertschätzung, die ein Werk bekommt, und der Wertschätzung, die es verdient – und jeder versteht den Unterschied. Denken wir nur an die genialen Künstler, die in einem Anfall von Verzweiflung ihre Jugendwerke verbrannt haben. Diese unbekannten Werke hat nie jemand zu sehen bekommen. Und folglich erfuhren sie keine Wertschätzung. Aber sollten sie darum „ohne Wert“, sollten sie „wertlos“ gewesen sein? Das können wir unmöglich zugeben. Denn wir verstehen „Wert“ als etwas, das der Sache innewohnt, auch wenn niemand ihren Wert erkennt. Es ist ja auch zweierlei, ob ein Mensch aufgrund seiner ehrenhaften Haltung verdient hätte, geehrt zu werden, oder ob er von seinen Zeitgenossen tatsächlich geehrt wird. Die Zeitgenossen können in ihrem Werturteil irren! Doch ist ein Irrtum immer nur möglich, wenn es eine Wahrheit gibt, von der man irrend abweicht. Und wenn andere Menschen anders urteilen als wir, zweifeln wir nicht daran, dass nur eine Seite Recht hat. Wir lachen über Leute, die schlechte Musik gut finden und Schundromane für große Literatur halten. Wir bedauern alle, die Kitsch mit Kunst verwechseln und Gold gegen Glasperlen tauschen. Wir glauben zu wissen, dass sie ein schlechtes Geschäft machen. Aber wie kann es „schlechte Geschäfte“ überhaupt geben, oder wie kann man in Werturteilen irren, wenn „objektiver Wert“ nicht existiert? Wir fühlen uns in diesen Dingen nur sicher, weil wir meinen, wir hätten im Gefühl, was „gut“ ist. Man zweifelt erst mal nicht an der eigenen Kompetenz, sondern unterstellt in jugendlicher Naivität, was gut schmeckt, müsse auch gut tun, und was gefällt, müsse wertvoll sein. Man bemisst das schlicht an den eigenen Bedürfnissen. Und erst im Laufe des Lebens wachsen die Zweifel. Denn manches, worum man sich bemüht hat, war im Rückblick den Aufwand nicht wert – und anderes wäre ihn wert gewesen. Da müssen wir unsere Werturteile dann revidieren, können das gelebte Leben aber nicht mehr ändern. Wir trafen unsere Entscheidungen immer aufgrund des Werturteils, dieses sei jenem vorzuziehen. Wir hielten uns diesbezüglich für kompetent, waren es aber nicht wirklich – und erkannten den Irrtum zu spät. Was unseren Gelüsten wertvoll scheint, muss nicht wirklich wertvoll sein! Was ist dann aber wert, dass wir danach streben? Wie finden wir heraus, was wirklich „gut“ ist und „schätzenswert“? Die Frage nach dem „objektiv“ Guten lässt sich an diesem Punkt nicht mehr abweisen, obwohl unsere bisherigen Überlegungen den Eindruck erweckten, aller Wert sei „subjektiv“. Es kam uns vor, als habe da jeder ganz eigene Maßstäbe, weil nicht jedem schmeckt, was der Mehrheit schmeckt, und weil die Mehrheit manche Werte, die der Kenner sieht, gar nicht zu sehen gelernt hat. Ja es schien uns, „Wert“ läge generell nicht in der Sache, sondern allein im Auge des Betrachters. Doch wenn sich’s so verhielte, gäbe es mangels „objektiver Werte“ auch keine moralisch „richtigen“ Handlungen. Sondern dann wäre eine Handlung immer nur „mehr oder weniger passend“ zu den Vorlieben des Handelnden – und wäre ansonsten genauso „richtig“ oder „falsch“ wie jede andere. Ja, leiten wir unsre Werturteile nur von den eigenen Bedürfnissen ab, so ist die Lüge ein Wert für den, der täuschen möchte, dann ist die Gewalt ein Wert für den, der unterdrücken möchte, und Faulheit ist ein Wert für den, der nicht arbeiten möchte. Die Treue hingegen wird kein Wert sein, weil sie den Betreffenden am Ehebruch hindert, die Gerechtigkeit wird kein Wert sein, weil sie ihm keinen Vorteil verschafft, und die Liebe wird kein Wert sein, weil sie verlangt, er solle auf die Schwachen Rücksicht nehmen. Folgen wir dieser schiefen Bahn, so wird es keine Werte mehr geben, die des Menschen Begehrlichkeit Grenzen setzen, sondern überhaupt nur, weil er begehrt, wird etwas für ihn Wert haben. Und für „Ethik“ bleibt da kein Raum. Denn wer ernsthaft nach „gut“ und „böse“ fragt, will ja keine Unterscheidung „erfinden“, die anschließend nur ihn selbst bindet, sondern will sich an einer Unterscheidung orientieren, die unabhängig von ihm schon besteht. Wie sollte das aber möglich sein, wenn es „Werte“ immer nur gäbe in Beziehung zu einem von vielen ganz gegensätzlich wertenden Individuen? Der eine sagt „hui!“, der andere „pfui!“ – und was ist die Sache nun wert? Der Knoten löst sich nur auf eine Weise. Denn wenn es stimmt, dass alle Werte sich an der Willensrichtung einer Person bemessen, die Ziele verfolgt, dann ist „absoluter“ Wert nur denkbar im Blick auf eine „absolute“ Person, wie es auch „objektive“ Wahrheit nur gibt im Blick auf einen „objektiven“ Geist. Und das heißt: nur Gottes Dasein eröffnet einen Ausweg aus dem Dilemma. Das aber nicht bloß, weil Gott alle Dinge zuverlässig erkennt, sondern vor allem, weil die Werte, nach denen wir hier fragen, aus seiner Willensrichtung resultieren. Gott ist jene Person, an deren Absichten sich aller Wert bemisst. Und alles ist genau so viel wert, wie Gott davon hält. Denn dem Willen Gottes ist kein Maß gegeben, sein Wille ist aber „maßgeblich“ im strikten Sinne des Wortes, weil da zwischen Gott und Mensch ein großer Unterschied besteht: Der Mensch bemüht sich, Wert zu erkennen, wenn er da ist. Gott hingegen verleiht den Dingen, die er bejaht, einen Wert, den sie sonst nicht hätten und nur eben dadurch bekommen, dass er sie bejaht. Gott nimmt da nichts zur Kenntnis, sondern durch seine Wertschätzung verleiht er den Dingen Wert. Er bejaht die Tugend nicht, weil sie an sich schon wertvoll wäre, sondern nur, weil und insofern Gott sie bejaht, hat Tugend einen hohen Wert. Gott nimmt etwas nicht in seinen Willen auf, weil es vorher schon gut wäre, sondern erst als Bestandteil seines Willens ist es dann gut. Bei Gott folgt die Wertschätzung nicht vorgegebenen Qualitäten, sondern seine Wertschätzung verleiht diese Qualitäten. Und damit vollbringt Gott genau das, was wir uns selbst in unserer Relativität nicht zutrauen konnten: Gott „setzt“ Werte, wo vorher keine waren. Und exakt den Wert, den er einer Sache zuschreibt, hat sie auch. Denn anders als unser Wille ist Gottes Wille maßgeblich. Menschliche Werturteile schwanken und widersprechen sich. Doch Gottes universeller Plan übergreift all unsre beschränkten Perspektiven und gibt jedem Teil seiner Schöpfung Ziel und Richtung! So kommt es bei Werturteilen zuletzt nicht auf die Bedürfnislage des Menschen an, der da urteilt, sondern was immer zwischen Himmel und Erde geschieht ist in dem Maße wertvoll, wie es dem Willen Gottes entspricht. Wie der menschliche Wille dazu geschaffen wurde, gegebenen Werten zu folgen, so ist es das Vorrecht des göttlichen Willens, diese Werte zu setzen. Es war darum nicht falsch, was wir eingangs sagten: Es gibt keinen „Wert an sich“, der den Dingen innewohnte oder den sie „besäßen“ wie eine feste Eigenschaft, sondern es gibt „Wert“ nur in Bezug auf eine wertschätzende Person. Doch diese Person – das sind nicht wir, sondern die maßgebliche Person ist Gott. Menschen unterstellen zwar gern, alles sei gerade so bedeutend, wie es für ihre Pläne Bedeutung hat – das ist der Grundfehler des Sünders, dass er die eigene Bedeutung überschätzt und alles wie selbstverständlich an dem krummen Lineal seiner eigenen Vorlieben prüft. Infolgedessen vermag er die Schätze des Glaubens dann auch nicht zu würdigen, denn er kennt den wirklichen Zweck seines Daseins so wenig wie die dazu hilfreichen Mittel! Doch tatsächlich hat alles den Wert, den es in Gottes Augen hat. Und da kann vieles „gut“ sein, das sich für uns nicht „gut anfühlt“, und vieles kann „ehrwürdig“ sein, das wir nicht zu „ehren“ gewohnt sind. Die Schlussfolgerung ist aber, dass wir in Entscheidungen nicht so sehr prüfen sollten, wie die Sache uns gefällt, sondern wie sie Gott gefällt. Denn nichts ist wert erstrebt zu werden, wozu er seinen Segen nicht gibt. Gut ist, was Gott gut findet – und ansonsten gibt es gar nichts Gutes. Denn Gott selbst ist das höchste Gut. Und nur was nach seinem Urteil sein soll, stellt auch einen Wert dar. Dem Menschen aber, der diesen Wert als Setzung Gottes erkennt, erwächst daraus die Pflicht, an seiner Verwirklichung mitzuwirken. Denn wir respektieren Gott nicht anders, als indem wir bejahen, was er fordert. Und im Idealfall ist es uns dann ein tiefes Bedürfnis, dass geschieht, was ihm gefällt. Welches sind die „christlichen Werte“, auf die das hinausläuft? Sicher wären Verantwortungsgefühl und Nächstenliebe zu nennen, Gehorsam, Wahrhaftigkeit und Bekennermut, Ergebung in den Willen Gottes, Dienstbereitschaft und Zuversicht, Heiligung und Enthaltung, Demut, Barmherzigkeit und Treue. Darüber hinaus müsste man die hoffende Resistenz erwähnen, Geduld und Gerechtigkeit, Sanftmut, Versöhnungsbereitschaft und Dankbarkeit, Reinheit des Herzens und Leidensbereitschaft, Selbstvergessenheit, Hingabe und Gottesfurcht, Gottvertrauen und Lauterkeit. Wenn es nicht zu weit führte, könnte man jeden dieser Begriffe am Beispiel Jesu veranschaulichen – und der Gewinn wäre groß. Denn anschließend wäre das mit den gesellschaftlichen Werten, die man „hochhalten“ und „verteidigen“ soll, keine Phrase mehr! Aber das ist keine Aufgabe für eine Viertelstunde, sondern für ein ganzes Leben. Und darum will ich hier schließen.
Bild am Seitenanfang: Seven Virtues by Francesco Pesellino
Birmingham Museum of Art, Public domain, via Wikimedia Commons