Erziehung

Erziehung

Du kannst deinen Kindern nichts Größeres leisten, als wenn

sie durch dich das Gut haben, welches sie niemals verlieren. 

(Salvianus) 

 

Wie soll man Kinder erziehen? Na, mit viele Liebe, lautet die Antwort. Und alle nicken dazu, denn natürlich ist niemand gegen die Liebe. Nur – werden wir diesem Anspruch auch gerecht? Besteht unser Familienleben denn permanent aus Liebe? Besteht es nicht auch aus Mühe, Geschrei und Konflikten? Und da soll trotzdem alles nur „in Liebe“ geschehen (1. Kor 16,14)? Sind Kinder nicht manchmal auch bockig, anstrengend, nervtötend? Und kann man die dann mit nichts als nur mit Liebe erziehen? Ist das mehr als ein schöner Traum, der bald an der Realität zerschellt? Man kann da schon Zweifel haben. Und darum will ich kurz etwas über „Erziehung in Liebe“ sagen: 

(1.) „Erziehung in Liebe“ heißt sicher nicht, dass wir jeden Streit vermeiden, dass wir alles mit einem sanften Lächeln sagen und dem Kind immer seinen Willen lassen. Sondern „in Liebe“ geschieht, was zum Besten des Kindes geschieht. Und das muss nicht dasselbe sein, was es sich wünscht. Liebe will nicht das, was sich für den anderen gerade „gut anfühlt“, sondern das, was ihm langfristig wirklich „gut tut“. Und wenn sie dafür Konflikte durchstehen muss, dann streitet die Liebe aus Liebe mit dem Geliebten. Sie kämpft dabei nicht gegen ihn, sondern für ihn. Und darum ist eine willfährige und konfliktscheue Erziehung im Grunde lieblos. Denn es ist immer bequemer, das Kind machen zu lassen, als Reibungen auszuhalten. Und obwohl es heute als „locker“ und „tolerant“ ausgegeben wird, heißt es doch oft nur, dass einem das Kind die Mühe der Auseinandersetzung nicht wert ist – während wahre Liebe das Kind um des Kindes willen nicht in Ruhe lässt, sondern es auf das ihm bestimmte Ziel hin zu fördern versucht. (2.) Was ist aber dieses Ziel? Wenn wir von christlicher Liebe reden, besteht es nicht einfach darin, dass mein Kind „glücklich“ werden soll „wie auch immer“, sondern dass es sein Leben in der Verantwortung vor Gott und in der Liebe zu Gott bestehen soll, um letztendlich von Gott kommend auch wieder gut bei Gott zu landen. D.h. für die Liebe ist nicht das Sparbuch entscheidend, nicht die Frühförderung in Englisch, nicht das Sportabzeichen und der Klavierunterricht, nicht die zehnte Impfung, die Privatschule und die super-gesunde Ernährung. Sondern für die Liebe zählt die „Herzensbildung“, die das Kind voranbringt auf seinem Weg zu Gott. Natürlich gönnt die Liebe dem Kind auch Gesundheit, Wohlstand und Erfolg. Aber viel wichtiger nimmt sie die Herzensbildung, mit der das Kind auch unter schlechten äußeren Bedingungen ein aufrechter Mensch bleibt. Denn nur wer Gott gewinnt, ist dauerhaft gut orientiert. Und davon hat er am Ende viel mehr, als wenn er alle Güter dieser Erde besitzt und mit Titeln, Orden, Glanz und Gloria auf dem Friedhof ankommt. Nein! In der Treue Gottes zu ruhen, ist für das Kind viel besser. Und so nimmt wahre Liebe dieses Ziel auch viel wichtiger und versucht sich in der Herzensbildung, weil es niemandem nützt, mit einem Nobelpreis und in goldener Kutsche zur Hölle zu fahren. Das Beste, was man von einem sagen kann, ist nicht, dass ihn alle Welt beneidet hat, sondern dass er als aufrechter Mensch in Gott verwurzelt war. Und „Erziehung in Liebe“ will das Kind darum genau dahin bringen. (3.) Wenn’s dabei aber große Widerstände gibt, wundert sich die Liebe darüber nicht. Denn anders als die dumme Verliebtheit, die ihren Gegenstand überhöht, idealisiert und vergöttert, hat wahre Liebe einen nüchternen Blick für das geliebte Wesen – und gibt sich keineswegs der Illusion hin, das eigene Kind sei herzensgut und rein wie ein Engel auf die Welt gekommen. Nein, bitte – das Gerede von den ach so „unschuldigen“ Kindern ist im Humanismus zu Hause, nicht im Christentum! Denn als Christen wissen wir, dass wir als sündige Menschen nichts anderes als Sünder zeugen, und dass folglich unsere Kinder aus demselben krummen Holz geschnitzt sind, wie wir selbst. Trotzdem lieben wir sie von Herzen. Aber wir machen uns keine Illusionen. Denn es ist nicht erst die „böse Welt“, die unsere Kinder „verdirbt“, so dass sie plötzlich komisch werden, sondern sie kommen schon völlig egozentrisch zur Welt! Und obwohl ganz viel Gutes in ihnen liegt, das der Schöpfer ihnen mitgab, und das wir fröhlich entfalten sollen, ist durchaus nicht alles gut, was in ihnen liegt. Und manches davon ist auch gar nicht dazu bestimmt entfaltet, sondern überwunden zu werden. Nein, unsre Kinder sind keine „kleinen Engel“. Sie sind vielmehr ganz von unsrer Sorte. Und genau wie wir brauchen sie mehr Liebe, als sie verdienen. Die erziehende Liebe aber, die das weiß, ist robust und resistent gegen Enttäuschungen, weil sie das Kind von Anfang an nicht vergöttert oder überhöht. Wir alle werden von Gott geliebt nicht etwa, weil wir sind, wie wir sind – sondern trotzdem. Und in diesem Sinne soll auch die Liebe zum Kind „bedingungslos“ sein. Sie ist nicht darauf berechnet, dass ein Kind unsere Erwartungen erfüllt oder uns Ehre macht. Sie ist nicht an gute Noten gekoppelt und nicht an den Gehorsam. Denn wie Paulus schreibt, sucht die Liebe nicht „das Ihre“. Sie ist kein Geschäft auf Gegenseitigkeit. (4.) Und sie besteht auch nicht darin, das Kind zum eigenen Ebenbild zu formen, oder es mit der Erwartung zu belasten, es möge das Leben der Eltern in die Zukunft hinein verlängern. Denn das ist ein häufiger Fehler. Manche Eltern finden sich selbst so „toll“, dass sie versuchen, ihr Kind nach dem eigenen Muster zu formen. Dabei ist es nicht die Bestimmung des Menschen, ein Ebenbild seiner Eltern, sondern ein Ebenbild Gottes zu sein! Kein Kind ist berufen, eine Kopie seiner Eltern zu werden, sondern jedes ist von Gott als ein ganz eigener Mensch geschaffen. Und wenn Eltern ihr Kind drängen, es solle weiterführen und zu Ende bringen, was sie selbst nicht mehr geschafft haben, dann missbrauchen sie ihre Rolle. Schauen wir doch nur mal in den Spiegel! Reicht es nicht, wenn’s auf der Welt einen von unsrer Sorte gibt? Gott war jedenfalls dieser Ansicht – darum hat er uns nicht zweimal gemacht! Und auch das Kind ist nicht gedacht als Verlängerung unsrer Existenz mit anderen Mitteln, sondern ist ein Original, wie die Eltern auch. Nicht verdoppeln sollen die sich, sondern sollen ihrem Kind in Liebe den Weg zeigen. „In Liebe“ aber heißt, dass nicht die Eltern, sondern vor allem das Kind etwas davon hat. Es soll den Weg zu Gott finden, darum lässt man es ja auch taufen. Es soll Herzensbildung empfangen, die mehr wert ist als der Schulabschluss und das vererbte Haus. Es soll sich auf eine Liebe verlassen können, die keine Bedingungen stellt und sich keine Illusionen macht. Und wo diese Liebe die verlässliche Basis bildet, kann man auf dieser Basis auch „in Liebe“ streiten, kann genervt sein, kann widersprechen und Wünsche verweigern. Denn Liebe ist nicht willfährig auf dem Weg des geringsten Widerstandes unterwegs, sondern sie verteidigt das Beste des Menschen notfalls auch gegen ihn. Ja: „Erziehen heißt, den Kampf gegen sich selbst in seinen Kindern weiterkämpfen“ (Fliegende Blätter). (5.) Wie aber macht man das? Nun sicher nicht, indem man seine Kinder mit goldenen Worten zuschüttet, mit Vorschriften und Ratschlägen, sondern durch das persönliche Vorbild, das man gibt. „Die Werke der Eltern sind die Bücher, aus welchen die Kinder lernen“ (Chrysostomus). Und: „Des Vaters Selbstbeherrschung ist der beste Unterricht für seine Kinder“ (Demokrit). Darum soll man das, was man sich von den Kindern erhofft, am besten vorleben – und ohne viele Worte einfach durch die Tat beweisen, dass man es auch tun kann. Denn die Kinder hören uns ja gar nicht zu, sondern in Wahrheit machen sie uns einfach alles nach. Unser Leben ist ihr „Anschauungsunterricht“. Und so besteht die beste christliche Erziehung darin, auf eine für das Kind erkennbare Weise Christ zu sein. Das ist natürlich schwer. Denn auch in der Herzensbildung kann keiner weitergeben, was er nicht hat. Was einer aber hat, das soll er sein Kind auch sehen lassen, damit es merkt: Ach, schau, so ist das, wenn einer mit Gott im Reinen ist! Meine Mutter hält sich nicht für das Maß aller Dinge! Und auch mein Vater beugt sich und verantwortet sich vor Gott. So geht also Ehrfurcht! Sieh an, meine Eltern können trauern und weinen, ohne drüber zu verzweifeln. So geht also Gottvertrauen! Meine Eltern können streiten, aber auch wieder verzeihen. Das hat wohl etwas mit Vergebung zu tun! Sie weigern sich zu lügen, weil Gott das nicht will! Sie nehmen Gottes Buch ernster als jedes andere! Und manchmal falten sie sogar die Hände! Durch diesen „Anschauungsunterricht“ lernt das Kind die Verhaltensmuster kennen, die es später für seine eigene Gottesbeziehung braucht. Das Beispiel der Eltern vermittelt ihm die ersten Begriffe von Treue, Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit, Demut, Autorität und Dankbarkeit. Und wenn es diese Dinge nicht anschaulich und live erlebt, nützt kein Gerede, kein Bitten und Drohen. Die Kinder schauen sich einfach ab, was sie bei uns sehen. Und so steht die ganze Familie in der Verantwortung, dass ein Kind am Beispiel seiner Verwandten das Glauben, Lieben und Hoffen lernt – und einen Eindruck davon bekommt, wie man das lebt. Denn dies zu wissen, ist mehr wert als all der Glanz irdischer Schätze, Erfolge und Ehren. Und diesen höheren Reichtum zu vermitteln, ist darum das eigentliche Ziel der Erziehung in Liebe. (6.) Sie erfolgt aber nicht „einfach so“, bloß weil die Eltern nett und in ihr Kind vernarrt sind, sondern weil sie dem Kind dieses Bemühen schuldig sind – und noch viel mehr dem Schöpfer, der ihnen das Kind anvertraut hat „zu treuen Händen“. Nicht die Eltern haben ihr Kind „gemacht“, wie es manche so dumm sagen, es ist nicht ihr biologisches „Produkt“, das anschließend den „Erzeugern“ gehört, und die Mutter hat dem Kind auch keineswegs „das Leben geschenkt“, sondern es ist von Gott geschaffen. Es bleibt jederzeit sein Werk, sein Eigentum. Und er hat es den Eltern lediglich anvertraut, damit sie es stellvertretend für ihn schützen, nähren und fördern. Das ist eine große Ehre, weil Gott die Eltern so zu Mitarbeitern seines Schöpfungswerkes macht! Sie dürfen mitwirken an der Weitergabe des von Gott gewollten Lebens – und machen dabei Erfahrungen, die sich durch nichts anderes ersetzen lassen. Erhebliche Teile des Mann-Seins und des Frau-Seins können gar nicht anders gelebt werden als in der familiären Gemeinschaft mit Kindern! Aber der resultierende Dank (niemand hat einen Anspruch darauf, Kinder zu bekommen) verbindet sich immer auch mit der Verantwortung vor Gott als dem eigentlichen Auftraggeber unsrer erzieherischen Bemühungen. Zum Glück ist der Mensch nicht geschaffen, um sich selbst zu genügen. Er darf (als Bindeglied zwischen seinen Eltern und seinen Kindern) an dem Schöpfungsprozess mitwirken, dem er sich selbst verdankt. Aber das heißt zugleich, dass er darüber Gott Rechenschaft schuldet und eines Tages vom Schöpfer gefragt wird, was aus dem ihm anvertrauten Kind geworden ist. Wohl dem, der dann sagen kann: Ich habe es nach Kräften geschützt, genährt, gefördert und in Liebe erzogen – und, Herr, ich danke dir für diese schöne Erfahrung!

 

 

Bild am Seitenanfang: Pirunkiikku (Devil on a Swing)

Hugo Simberg, Public domain, via Wikimedia Commons