Claus Harms, 95 Thesen zum Reformationsjubiläum 1817

( entnommen aus: Dr. Claus Harms‘ gewesenen Predigers in Kiel Lebensbeschreibung verfasset von ihm selber. Mit den 95 Thesen

des Verfassers, Gotha 1888, S. 257-268 )

 

1. Wenn unser Meister und Herr Jesus Christus spricht: „Tut Buße!“ so will er, dass die Menschen sich nach seiner Lehre formen sollen; er formt aber die Lehre nicht nach den Menschen, wie man jetzt tut, dem veränderten Zeitgeist gemäß.

 

2 Tim. 4,3. 2. Der Lehrbegriff sowohl des Glaubens als des Handelns ist nunmehr also geformt, dass im ganzen schon die Menschen hineinpassen. Daher müssen jetzt wiederholt werden Protest und Reform.

 

3. Mit der Idee einer fortschreitenden Reformation, so wie man diese Idee ge-fasset hat und vermeintlich an sie gemahnet wird, reformiert man das Luthertum ins Heidentum hinein und das Christentum aus der Welt hinaus.

 

4. Da der Lehrbegriff des Glaubens sich nach dem Lehrbegriff des Handelns, dieser nach dem Handeln der Menschen sich geformt hat, so muss wie immer damit angefangen werden: Tut Buße!

 

5. Diese Predigt ergeht, wenn es reformatorische Zeit ist, an alle, ohne zu unter-scheiden Gute und Schlechte; denn auch die dem falschen Lehrbegriff gemäß sich geformt haben, werden für Schlechte angesehen.

 

6. Der christliche Lehrbegriff wie das christliche Leben sind beide nach einem Risse zu bauen.

 

7. Wären die Menschen in ihrem Handeln auf dem richtigen Wege, so könnte man sagen: In der Lehre gehet rückwärts und im Leben gehet vorwärts, dann kommet ihr zum wahren Christentum.

 

8. Die Buße erzeigt sich zuvörderst als Wiederabfall von dem, der sich oder den man gesetzet hat an die Stätte Gottes, welches war zu Lutheri Zeit in gewissem Betracht der Papst, ihm der Antichrist.

 

9. Den Papst zu unserer Zeit, unsern Antichrist, können wir nennen in Hinsicht des Glaubens die Vernunft, in Hinsicht des Handelns das Gewissen (nach ihrer beider, ihnen gegebener Stellung gegen das Christentum, Gog und Magog, Offb. 20,8), welchem letzten man die dreifache Krone aufgesetzt hat: die Gesetzge-bung, die Belobung und die Bestrafung.

 

10. Das Gewissen kann aber kein Gesetz geben, sondern nur vorhalten und ein-schärfen die Gesetze, welche Gott gegeben hat; es kann nichts loben, als was Gott gelobet hat; nicht strafen, als mit Vorhaltung der Strafen Gottes, – nach Gottes Wort, welches der Text des Gewissens ist.

 

11. Das Gewissen kann nicht Sünden vergeben, mit anderen Worten dasselbe: niemand kann sich selbst Sünden vergeben. Die Vergebung ist Gottes.

 

12. Dass die Operation, als einen Absenker das Gewissen abzuschneiden vom Worte Gottes, bei einigen nicht vollbracht worden ist, das ist eine besondere Gnade Gottes an diesen.

 

13. Wo sie vollbracht ist, dass da nicht viel mehrere Schlechtigkeit sich hervortut, das danken wir teils den Gesetzen der Obrigkeit, teils den Satzungen der Sitte, die noch immer gottesfürchtiger ist, als der herrschende Lehrbegriff.

 

14. Diese Operation, infolge deren man Gott vom Richterstuhl herab- und jeden sein eigenes Gewissen hinauf- hat setzen lassen, ist geschehen, während keine Wacht in unserer Kirche war.

 

15. Calixtus, der die Tugendlehre trennte von der Glaubenslehre, hat dem Ge-wissen den Stuhl der Majestät gesetzt, und Kant, der die Autonomie (die eigene Gesetzgebung) des Gewissens lehrte, hat dasselbe hinaufgesetzt.

 

16. Es verdient eine historische Beleuchtung, wie das Wort „gottesfürchtig“ zu-rückgetreten sei gegen das hervortretende Wort „gewissenhaft“ nach den vor-handenen Zeitbüchern, und, ob nicht Belege zu finden seien, dass die soge-nannte Gewissenhaftigkeit die Gewissenlosigkeit von jeher befördert habe.

 

17. Hört das Gewissen auf zu lesen, und fängt es an selbst zu schreiben, so fällt das so verschieden wie die Handschriften der Menschen aus. Nenne mir jemand eine Sünde, die jedermann dafür hält!

 

18. Hört das Gewissen auf, ein Diener des göttlichen Gerichts über die Sünde zu sein, so wird es in seinem Gerichte Gott nicht einmal Diener sein lassen. Der Be-griff von göttlichen Strafen verschwindet ganz.

 

19. Früher war schon die Furcht vor göttlichen Strafgerichten entfernt worden. Die dazu die Ableiter erfunden haben, verdienen nicht gleichen Ruhm und Dank wie Franklin.

 

20. Die Bußtage stehen noch da als Erinnerungen des alten Glaubens. Man hätte besser getan, wenn man ihnen keine neue Bedeutung gegeben. Bettage – der Name ist schon verschwunden, wie denn auch ein Vernunftgläubiger konse-quenterweise gar nicht beten kann.

 

21. Die Vergebung der Sünden kostete doch Geld im sechzehnten Jahrhundert; im neunzehnten hat man sie ganz umsonst, denn man bedient sich selbst damit.

 

22. Die damalige Zeit stand höher wie die jetzige, – weil näher bei Gott.

 

23. Abbitte tun, – bei wem? bei sich selbst? – Tränen der Reue weinen, – sich selbst vorweinen? – Der Gnade Gottes sich trösten, – ja, wenn er die natürlichen schlimmen Folgen meiner Taten abwendete! Diese Sprache lehrt der jetzt herrschende Lehrbegriff.

 

24. „Zwei Ort’, o Mensch, hast du vor dir“, hieß es im alten Gesangbuch. In neuern Zeiten hat man den Teufel totgeschlagen und die Hölle zugedämmt.

 

25. Ein Irrtum in der Tugendlehre erzeugt Irrtum in der Glaubenslehre; wer die ganze Tugendlehre auf den Kopf stellt, der stellt die ganze Glaubenslehre auf den Kopf.

 

26. Zittern und beben muss man, wenn man bedenkt, wie gottlos, d.h. ohne Gott und dessen Furcht die Menschen jetzt sind.

 

27. Nach dem alten Glauben hat Gott den Menschen erschaffen; nach dem neuen Glauben erschafft der Mensch Gott, und wenn er ihn fertig hat, spricht er: Hoja! Jes. 44,12-20.

 

28. Dass die Operation, als einen Absenker die Vernunft abzuschneiden vom Worte Gottes, bei einigen nicht vollbracht worden ist, das ist eine besondere Gnade Gottes an diesen.

 

29. Wo sie vollbracht ist, dass da nicht viel mehr Unglaube sich hervortut, das danken wir zum Teil den früheren Eindrücken der Glaubenswahrheit, die schwer-lich ganz vertilgt werden können.

 

30. Diese Operation, infolge deren jede geoffenbarte Religion, also die christliche auch, insofern und insoweit als sie nicht mit der Vernunft übereinstimmt, d.h. gänzlich, verworfen wird, ist geschehen, während keine Wacht in unserer Kirche war.

 

31. Wer sie zuerst vorgenommen habe, weiß ich nicht, wer sie aber zuletzt vor-genommen hat, das weiß ich, und ganz Holstein weiß es.

 

32. Die sogenannte Vernunftreligion ist entweder von Vernunft oder von Religion oder von beiden entblößt.

 

33. Ihr zufolge sieht man den Mond für die Sonne an.

 

34. Es ist zu unterscheiden ein zweifacher Sprachgebrauch: Vernunft als Inbegriff aller Geisteskräfte, die den Menschen auszeichnen, und Vernunft als eine be-sondere Geisteskraft. In dieser letzten Bedeutung wird behauptet, dass Vernunft so wenig Religion lehre, als sich lehren lasse.

 

35. Ob du die rechte oder die linke Hand brauchst, das ist einerlei; aber den Fuß anstatt der Hand, oder das Ohr anstatt des Auges, das ist nicht einerlei, und ebenso wenig einerlei ist es, mit welcher Geisteskraft du Religion vornehmest.

 

36. Wer des ersten Buchstabens der Religion, heißet „heilig“, mit seiner Vernunft mächtig werden kann, der entbiete mich zu sich.

 

37. Ich kenne ein religiöses Wort, dessen die Vernunft zur Hälfte mächtig ist und zur Hälfte nicht: „Feier“. Die Vernunft sagt: nicht arbeiten u.s.w.; wird das Wort verwandelt in ,,Feierlichkeit“, ist’s der Vernunft gleich entrückt, ihr zu wunderlich und zu hoch. Ebenso Weihen, Segnen. Die Sprache ist so voll und das Leben so reich an Dingen, die ebenso entfernt von der Vernunft wie von den leiblichen Sinnen liegen. Ihr gemeinschaftliches Gebiet ist das Mystische, die Religion ist ein Teil dieses Gebietes. Terra incognita für die Vernunft.

 

38. Die Vernunft ist genau ins Auge zu nehmen, denn sie gebärdet sich und spricht oft als wäre sie da gewesen, so herzlich, gemütlich, gläubig oder wie man es nennen will.

 

39. Gleichwie die Vernunft ihren Verstand hat, also hat auch das Herz seinen Verstand, nur einer ganz andern Welt zugekehrt.

 

40. Es ist noch nicht hinlänglich untersucht, wenigstens das Ergebnis nicht öffentlich eingestanden worden, was es für einen Grund habe, dass man so spät auf Vernunftreligion gekommen ist; als wäre die Vernunft so spät zur Welt ge-kommen.

 

41. Einige Wahrheiten der geoffenbarten Religion vermag der Mensch, nachdem sie ihm gegeben sind, wiederzufinden unter gewissen Erscheinungen der Natur und der Menschenwelt. Diese zusammen, zwei oder drei, nennt man natürliche oder Vernunftreligion, ungeachtet die Vernunft auch dabei weder zu geben noch zu nehmen hat.

 

42. Das Verhältnis der sogenannten natürlichen Religion zur geoffenbarten ist wie das Verhältnis des Nichts zu Etwas oder wie das Verhältnis der geoffen-barten Religion zur geoffenbarten Religion.

 

43. Wenn die Vernunft die Religion antastet, wirft sie die Perlen hinaus und spielt mit den Schalen, den hohlen Worten.

 

44. Sie tut, wie der Prediger tat, welcher den Physiker Ritter kopulierte. Zu den Worten des Formulars: „Was Gott zusammengefügt, das soll der Mensch nicht scheiden“, setzte derselbe hinzu: „es sei denn aus wichtigen Gründen“. S. Nach-lass eines jungen Physikers. Heidelberg 1810, S. LXXIII.

 

45. Sie zieht das Heilige des Glaubens in den Kreis gemeiner Erfahrung und spricht wie Mohammed: „Wie sollte Gott einen Sohn haben? er hat ja keine Frau!“

 

46. Von den Lippen gewisser Prediger lauten die Worte: „unser Heiland und Er-löser“, wie unter den Briefen die Worte: „Ihr Freund und Diener“. Der Charakter ihrer Predigten aber ist dieser: Sie lassen anstatt der Arzenei das Rezept ein-nehmen: mit gangbaren Worten: durch den Verstand zum Herzen.

 

47. Wenn in Religionssachen die Vernunft mehr als Laie sein will, so wird sie eine Ketzerin Die meide! Tit. 3,10. Übrigens hat es das Ansehen, als wären alle Ketzereien wieder losgelassen auf einmal. Gewissener und Naturalisten, Soci-nianer und Sabellianer, Pelagianer, Synergisten, Cryptocalvinisten, Anabaptisten, Syncretisten, Interimisten u.a.m.

 

48. Wir fürchten Inquisition und Glaubensgerichte, heißt nichts anders als: Wir fürchten den Missbrauch der Vernunft.

 

49. Uns ist bange vor Pöschlianern – Uns ist bange vor wahnsinnigen Leuten. Aber wider die hat man ja Anstalten!

 

50. Zudem: Wir haben ein festes Bibelwort, darauf wir achten, 2 Petr. 1,19; und dass niemand mit Gewalt uns dasselbe drehe gleich einem Wetterhahn, davor ist durch unsere symbolischen Bücher gesorgt.

 

51. Auch die Worte unserer geoffenbarten Religion halten wir heilig in ihrer Ur-sprache und betrachten sie nicht wie ein Kleid, welches man der Religion aus-ziehen könnte, sondern als ihren Leib, mit welchem vereint sie ein Leben hat.

 

52. Eine Übersetzung aber in eine lebende Sprache muss alle hundert Jahr revidiert werden, damit im Leben sie bleibe.

 

53. Es hat die Wirksamkeit der Religion gehemmt, dass man dies nicht getan hat. Die Bibelgesellschaften sollten eine revidierte lutherische Bibelübersetzung veranstalten.

 

54. Eine deutsche Übersetzung mit Erklärungen deutscher Wörter versehen, heißt: sie als die Ursprache der Offenbarung ansehen. Das wäre papistisch und abergläubisch.

 

55.

Die Bibel mit solchen Glossen edieren,

die das ursprüngliche Wort emendieren,

heißt: den heiligen Geist korrigieren,

die Kirche spoliieren,

und die dran glauben zum Teufel führen.

 

56. In den erklärenden Noten der im Jahr 1815 zum Volks- und Schulgebrauch herausgegebenen altonaer Bibel herrscht, wie der Gelehrte sich ausdrückt, die rationalistische Ansicht, – wie das Volk dasselbe benennt, ein neuer Glaube, – nach biblischem Sprachgebrauch, welcher tiefer geht und schärfer bezeichnet, – der Teufel. Eph. 2,2.

 

57. Wer will behaupten, dass es mit dieser Bibelausgabe von den Beförderern nicht gut gemeinet sei? Aber wer will leugnen, dass sie die Bibel als das aller-schlechteste Buch auf der Welt öffentlich darstellen?

 

58. Es fehlte bisher den Vernunftgläubigen an einem Band und Symbol unter sich; das ist ihnen gegeben, so weit sie sich vereinigen können, in dieser Bibel-ausgabe.

 

59. Fortan darf kein Prediger lutherisch, d.h. christlich predigen, ohne sich der Gegenrede aus dieser Bibel auszusetzen: Diese Männer wissen es doch wohl besser wie du!

 

60. Und wenn er arme gebeugte Sünder zu Jesus weist, der sie so freundlich gerufen hat: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“, – fährt diese Bibelausgabe ihn mit der Note an: Was sollen diese? Es sind ja keine Juden! und seine Lehre habt ihr längst! – Christus soll bloß ein anderer Moses sein.

 

61. Man soll die Christen lehren überall, dass sie sich hüten vor dieser Bibel-ausgabe, und es ihnen in Gottes Namen verheißen, auf Glauben zu unserm Könige: Sie wird bald verworfen.

 

62. Dass die inländischen Bibelgesellschaften über diese wichtige Bibelange-legenheit schweigen und nicht reden, das kann nicht gutgeheißen werden.

 

63. Man soll die Christen lehren, dass sie nicht ein blindes Vertrauen auf die Prediger setzen, sondern selbst mit zusehen und forschen in der Schrift, wie die Berrhoenser, Apg. 17,11 ob sich’s also verhalte.

 

64. Man soll die Christen lehren, dass sie das Recht haben, Unchristliches und Unlutherisches auf den Kanzeln wie in Kirchen- und Schulbüchern nicht zu leiden.

 

65. Wenn sonst niemand sich um die Lehre bekümmert, so ist zu besorgen, dass das Volk es selber tue, welches freilich nicht Maß noch Ziel hat.

 

66. Vertrauen kann das Volk nicht haben zu den Oberkommissarien der Kirche, davon mehrere in dem Geschrei stehen, dass sie selber den Glauben der Kirche nicht haben.

 

67. Es ist ein sonderbares Verlangen, dass es frei stehen müsse, einen neuen Glauben zu lehren von einem Stuhl, den der alte Glaube gesetzt hat, und aus einem Munde, dem der alte Glaube zu essen gibt. Ps. 41,10.

 

68. Gehe mit Hermann Tast unter die Linde und predige da, wenn du deinen neuen Glauben nicht für dich behalten kannst. Kraffts Jubel-Gedächtnis, S. 103. Indes man hat es schon seit mehreren Jahren auf den Kanzeln versucht und die Leute haben sich verlaufen. Matth. 11,17.

 

69. Die Parole der Irrlehrer ist Joh. 4,24: Gott ist ein Geist, und alle, die ihn an-beten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. Sie gebärden sich damit, als hätten sie die ganze christliche Kirche, ja Christum selbst gefangen in seiner Rede.

 

70. Ihr Feldgeschrei ist Apg 10,35: „In allerlei Volk, wer Gott fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.“ Das legen sie aus (nicht die altonaer Bibel) als sei es einerlei, ob Jude oder Christ, ob Halbchrist ob gar nichts.

 

71. Die Vernunft geht rasen in der lutherischen Kirche: reißt Christum vom Altar, schmeißt Gottes Wort von der Kanzel, wirft Kot ins Taufwasser, mischt allerlei Leute beim Gevatterstand, wischt die Anschrift des Beichtstuhls weg, zischt die Priester hinaus und alles Volk ihnen nach, und hat das schon so lange getan. Noch bindet man sie nicht? Das soll vielmehr echt lutherisch und nicht karl-stadtisch sein!

 

72. Wohl könnte die katholische Kirche, wie man es ihr ansinnt, das Reforma-tionsfest mit uns feiern, denn was den herrschenden Glauben betrifft in unsrer Kirche, so ist sie ebenso sehr lutherisch wie die unsrige.

 

73. Es wäre zu wünschen, dass man in verschiedenen lutherischen Ländern auch den Text zu einer Säkularpredigt hätte, Luk. 15,18: Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen. Das könnte sehr erbaulich werden für manche Ge-meinde, die vielleicht mit ihrem Prediger in der Fremde des Irrglaubens Hunger und Kummer leidet.

 

74. Dazu sagen, dass man ja fortgeschritten sei in der Aufklärung, das wird man doch nicht begründen mit der gegenwärtigen Finsternis im wahren Christentum? Viele Tausende können erklären wie einst die Johannisjünger, Apg. 19,2: „Wir haben auch nie gehöret, ob ein heiliger Geist sei“ (Note der altonaer Bibel: heili-ger Geist, vollständiger Unterricht im Christentum).

 

75. Als eine arme Magd möchte man die lutherische Kirche jetzt durch eine Kopulation reich machen. Vollziehet den Akt ja nicht über Luthers Gebein! Es wird lebendig davon und dann – weh euch!

 

76. Die da meinen, „brach es“ sei ein Wörtlein von großem Reichtum und für dasselbe, so weit sie können, die lutherische Kirche aufzugeben bereit stehen, sind unwissender als das unbefragte Volk, das man über seinen Glauben doch wohl hätte befragen sollen, geschweige als Löscher. Vgl. dessen Historia Motuum, Heilsame Worte § 14ff.

 

77. Sagen, die Zeit habe die Scheidewand zwischen Lutheranern und Reformier-ten aufgehoben, ist keine reine Sprache. Es gilt, welche sind abgefallen von dem Glauben ihrer Kirche, die Lutheraner oder die Reformierten? oder beide?

 

78. War auf dem Kolloquio zu Marburg 1529 Christi Leib und Blut im Brot und Wein, so ist es noch 1817.

 

79. Wenn es nicht Frevel ist, so ist es doch Leichtfertigkeit, die Schätze der Kirche verschließen und den Schlüssel wegwerfen. Dawider sollten alle Lutheraner sagen: Wir protestieren. Welches zu sagen in Dänemark noch unverboten ist. So tut seinerseits ein rechtschaffner Genfer Kandidat und will nicht den Glauben seiner Kirche lachieren. S. Hamburger Korrespondent 1817, Nr. 146.

 

80. Wider solche Verbindung, zumal da sie nur das Äußerliche berührt, unter beiderseitigem Vorbehalt des Innerlichen, wäre wohl eines einzigen Lutheraners oder Reformierten Protestation genug. Matth. 25,9: Nicht also! auf dass nicht uns und euch gebreche. Gehet aber hin zu den Krämern.

 

81. Es wird den Erbauern der neuen sogenannten evangelischen Kirche gehen, wie es den Dithmarschern mit ihrem Kloster zu Hemmingstedt gegangen ist: da wollten keine Jungfrauen herein und einige alte Bäuerinnen liefen wieder hinaus. Dieses Kloster war nicht volkstümlich und diese Kirche ist nicht christentümlich. S. Bolten, Dithm. Gesch., Bd. III, § 40.

 

82. Gleichwie die Vernunft die Reformierten gehindert hat, ihre Kirche auszu-bauen und zur Einigkeit zu bringen, so würde die Aufnahme der Vernunft in die lutherische Kirche nur Verwirrung und Zerstörung in derselben anrichten.

 

83. Verwirrung mit den Bekenntnisschriften, – die nichts anders sind als eine be-stimmte, allgemein angenommene Auslegung der heiligen Schrift.

 

84. Verwirrung mit den auktorisierten und angenommenen Kirchenagenden, Gesangbüchern und Katechismen, wie denn schon der öffentliche Vortrag vieler-wärts in grellem, greulichem Widerspruch an heiliger Stätte dasteht.

 

85. Verwirrung unter den Lehrern, wenn der eine alten, der andere neuen Glau-ben predigt. Der so hochgelobte Wahlspruch 1 Thess. 5,14: „Prüfet alles und das Beste behaltet!“ wird fälschlich von freier Prüfung des biblischen Glaubens ver-standen.

 

86. Verwirrung in dem Verhältnis zwischen Lehrern und Gemeinden. Heinrich v. Zütphen hat eine Thesis aufgestellt: „Die Kirche Christi teilt sich in Priester und Laien.“ Die neuen Irrlehrer würden sich ausdrücken: Die Kirche Christi teilt sich in Küster und Nichtküster. – Ja, wären die Priester rechte Küster, custodes!

 

87. Verwirrung mit andern Kirchen. Jegliche beruht auf der Bibel nach ver-schiedener Auslegung, über welche sie sich vereinbart haben: Ihr nehmet diese, wir jene Auslegung an und dabei wollen wir uns lieben und achten. Die Vernunft-religion will von keiner Auslegung wissen außer von der, die sich jeder Kopf für heute und vielleicht für morgen macht.

 

88. Verwirrung mit den Staaten. Diese haben ihren Schutz der Kirche ver-sprochen auf die von ihr demselben vorgelegten Bekenntnisschriften. Von solchen will die Vernunftreligion nichts wissen. Aber das religiöse Element im Menschen, wenn es nicht gebunden liegt an einer göttlichen Offenbarung, ist ein furchtbares Element.

 

89. Verwirrung im bürgerlichen Leben. Dasselbe ist mit jeder bedeutenden Erscheinung und Angelegenheit ganz in den Kreis der Kirche gezogen. Bei der Vernunftreligion in einem Lande wäre kein Ehemann seines Weibes, kein Mensch seines Lebens sicher, auch kein Eid zulässig wie unter den Quäkern, aber aus entgegengesetzten Gründen.

 

90. Die lutherische Kirche hat in ihrem Bau Vollständigkeit und Vollkommenheit; nur dass die oberste Leitung und letzte Entscheidung auch in eigentlich geist-lichen Sachen bei einer Person, die nicht geistlichen Standes ist, bei dem Landesherrn steht, das ist ein in Eil’ und Unordnung gemachter Fehler, den man auf ordentlichem Wege wieder gut zu machen hat.

 

91. So wie noch das mit den protestantischen Grundsätzen unsrer Kirche sich nicht vereinigen lässt, dass einige wenige Personen in einer Gemeinde, oder gar eine einzige nur, die vielleicht nicht einmal zur Gemeinde gehört, derselben einen Prediger setzt. Schafen setzt man einen Hirten, Seelen aber sollten sich allent-halben ihren Pastoren wählen.

 

92. Die evangelisch-katholische Kirche ist eine herrliche Kirche. Sie hält und bildet sich vorzugsweise am Sakrament.

 

93. Die evangelisch-reformierte Kirche ist eine herrliche Kirche. Sie hält und bildet sich vorzugsweise am Worte Gottes.

 

94. Herrlicher als beide ist die evangelisch-lutherische Kirche. Sie hält und bildet sich am Sakrament wie am Worte Gottes.

 

95. In diese hinein bilden sich, selbst ohne der Menschen absichtliches Zutun, die beiden andern. Aber der Gottlosen Weg vergehet, sagt David, Ps. 1,6.