Gottes Wesen und Eigenschaften
Wie ist Gott?
Die christliche Lehre von Gott orientiert sich am Zeugnis der Heiligen Schrift und beschreibt darum Gott mit zahlreichen „Eigenschaften“. Sie entspricht damit dem Interesse der Glaubenden, nicht nur etwas über das Da-Sein, sondern auch etwas über das So-Sein Gottes zu erfahren. Man will nicht nur wissen, dass er ist, sondern auch wie er ist. Und die Lehre von Gottes Eigenschaften antwortet darauf. Damit sie es aber in verantwortlicher Weise tut, ist mancherlei zu beachten:
- Eigenschaftsbegriffe können auf Gott nicht in derselben Weise angewandt werden, wie auf Menschen (univok), denn Gottes Wirklichkeit ist von der menschlichen radikal verschieden. Eigenschaftsbegriffe können in der Anwendung auf Gott aber auch nichts völlig anderes besagen als in der Anwendung auf den Menschen (äquivok), weil sie sonst jeden Sinn verlören. Nur im Sinne einer Ähnlichkeit (analog), können sie Verwendung finden. Doch auch dann gilt noch der Grundsatz: „...von Schöpfer und Geschöpf kann keine Ähnlichkeit ausgesagt werden, ohne dass sie eine größere Unähnlichkeit zwischen beiden einschlösse.“ Anders gesagt: Gott ist immer größer als alles, was in menschlichen Worten eingefangen und ausgesagt werden kann.
- Gottes Eigenschaften sind nicht von dem zu trennen, was über das „Wesen“ Gottes gesagt wird. Denn sonst entsteht der Eindruck, das als „Wesen“ Gottes bestimmte sei in irgendeinem Sinne grundlegender als die ihm zugeordneten „Eigenschaften“. Tatsächlich gibt es bei Gott keinen Unterschied von „wesentlichen“ und bloß „zufälligen“ Eigenschaften. Alle Eigenschaften Gottes sind unmittelbarer Ausdruck seines Wesens. Keine könnte fehlen. Keine ist nachrangig. Und ein Wesen Gottes jenseits seiner Eigenschaften kann auch gar nicht sinnvoll beschrieben werden.
- Gottes Eigenschaften sind von menschlichen Eigenschaften dadurch unterschieden, dass Gott niemals Eigenschaften „hat“, ohne sie zu betätigen. Und er betätigt sie nie anders, als dass er zugleich die jeweilige Eigenschaft „ist“. Gott „hat“ also die Eigenschaft der Gerechtigkeit nicht anders, als indem er „gerecht“ handelt. Und er handelt nicht anders „gerecht“, als indem er zugleich selbst die Gerechtigkeit „ist“. Ist Gott „Schöpfer“, so ist sein schöpferisches Wirken nicht eine Folge oder Konsequenz dessen, sondern ist mit seinem Schöpfer-Sein identisch. „Herrscher“ ist Gott, indem er Herrschaft ausübt, und „Erlöser“, indem er erlöst. „Ruhende“ oder „inaktive“ Eigenschaften Gottes kann es nicht geben, denn Wesen und Wirken Gottes sind eins.
- Gottes Eigenschaften sind nicht spekulativ aus einer philosophischen Gotteslehre abzuleiten, sondern müssen sich aus dem (biblisch bezeugten) Handeln Gottes ergeben. Denn anders als in seinem Handeln, ist Gott nicht offenbar. Seine Eigenschaften stehen darum in der Theologie nicht von vornherein fest, sondern müssen sich an der Gesamtheit von Schöpfung, Erlösung und Vollendung bewähren. Die Glaubenslehre insgesamt zeugt von „Gottes großen Taten“. Und sie beschreibt damit das „So-Sein“ Gottes angemessener und authentischer, als es durch nachträglich abstrahierte Eigenschaftsbegriffe geschehen kann.
- Die Lehre von Gottes Eigenschaften hat ihren Ursprung im biblischen Zeugnis, wo in erster Linie nicht „von“ Gott, sondern „zu“ Gott geredet wird. Und die Frage muss erlaubt sein, ob z.B. die Jubelrufe eines Psalmbeters ohne Weiteres aus der Situation der existentiellen Betroffenheit herausgelöst und in die abstrakte Begriffswelt einer allgemeinen Gotteslehre versetzt werden dürfen. Auf der einen Seite stehen Beziehungsgeschehen, persönliches Widerfahrnis und Zeugnis. Auf der anderen aber verallgemeinerte theologische „Lehrsätze“. Der Zusammenhang beider wird nur glaubhaft sein, wenn der, der von Gottes Eigenschaften redet, dabei zugleich von sich selbst redet.
- Menschen mögen es nicht, wenn man sie auf bestimmte Eigenschaften festlegt und sich ein starres Bild von ihnen macht. Wenn es heißt „Du warst schon immer so und so...“, wehrt sich der Betroffene. Kann es dann aber richtig sein, Gott auf bestimmte Eigenschaften festzulegen? Kann der theologische Verstand ihn mit Begriffen begreifen und fixieren? Oder entspricht es eher der Freiheit Gottes, sich stets neu als der zu erweisen, der er sein will? Sind uns nicht gerade deshalb Bilder Gottes verboten? Gott sprach zu Mose: „Ich werde sein, der ich sein werde“ (2.Mose 3,14). Eigenschaftslehre kann darum Gottes Sein nie „festschreiben“.
- Die Rede von den „Eigenschaften“ Gottes erweist sich als Problem, wenn diese wie Eigenschaften einer Substanz aufgefasst werden. Ein Werkstoff hat feste „Eigenschaften“, weil Stahl eben hart ist und Butter weich. Wenn Butter plötzlich stahlhart wäre, wäre sie keine Butter mehr. Und wenn Stahl butterweich wäre, würden wir nicht mehr von Stahl reden. Wenn Feuer nicht mehr heiß wäre, und Wasser nicht mehr nass, würden wir es nicht mehr Feuer oder Wasser nennen. Substanzen „können nicht anders“. Aber in diesem Sinne muss Gott nicht gütig oder liebend sein. Er kann durchaus „anders“. Es ist nicht etwa seine Natur, zu vergeben! Er erweist sich zwar in konkreten Beziehungen als „liebend“ und wird dann als liebend gelobt. Aber festgelegt ist er damit nicht. Denn wenn ich sage: „Der und der ist ein freundlicher Mensch“, dann habe ich diese Person nicht darauf festgelegt, sie müsse immer, überall und zu jedem freundlich sein!
(Die Umschreibungen der im Folgenden genannten Eigenschaften folgt: Johann Friedrich König, Theologia positiva acroamatica, Rostock 1664)
Von-sich-selbst-sein
Die Unabhängigkeit Gottes im Sein besteht darin, dass er selbst von keiner anderen Ursache abhängt, sondern aus sich selbst ist.
Offb 1,8 / „Ich bin das A und das O, spricht Gott der Herr, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige.“ 2.Mose 3,14 / „Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: »Ich werde sein«, der hat mich zu euch gesandt.“
Unveränderlichkeit
Die Unwandelbarkeit ist die fortwährende Selbstübereinstimmung des göttlichen Wesens und aller seiner Vollkommenheiten, die jede naturhafte wie moralische Veränderung völlig ausschließt.
Jak 1,17 / „Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis.“ Ps 102,26-28 / „Du hast vorzeiten die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werk. Sie werden vergehen, du aber bleibst; sie werden alle veralten wie ein Gewand; wie ein Kleid wirst du sie wechseln, und sie werden verwandelt werden. Du aber bleibst, wie du bist, und deine Jahre nehmen kein Ende.“
Unermesslichkeit
Die Unermesslichkeit ist die einfache Unbegrenzbarkeit des göttlichen Wesens durch irgendein geschaffenes Wo.
1.Kön 8,27 / „Aber sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen - wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?“ Jer 23,23-24 / „Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe? spricht der HERR. Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt? spricht der HERR.“
Ewigkeit
Die Ewigkeit Gottes ist die unbegrenzte Fortdauer des göttlichen Wesens, die gänzlich jedes Nacheinander ausschließt.
Ps 90,2-4 / „Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Der du die Menschen lässest sterben und sprichst: Kommt wieder, Menschenkinder! Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache.“
Allgegenwart
Gottes Allgegenwart ist seine wesenhafte göttliche Anwesenheit bei den Geschöpfen.
Ps 139,7-10 / „Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.“
Lebendigkeit
Das den Ursprung des göttlichen Handelns bezeichnende Prinzip ist das Leben, durch das sich das göttliche Wesen als immer tätig erweist.
Joh 5,26 / „Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber...“
Vollkommenheit
Die Vollkommenheit Gottes besteht darin, dass er von allem Mangel frei und in sich selbst für sich selbst unendlich genügend ist.
Mt 5,48 / „Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“
Unbegreiflichkeit
Die Unbegreiflichkeit Gottes besteht darin, dass er von einem begrenzten Verstand nicht vollkommen begriffen werden kann.
Jes 55,8-9 / „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, sondern soviel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.“ Jes 40,28 / „Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich.“ Jes 45,15 / „Fürwahr, du bist ein verborgener Gott, du Gott Israels, der Heiland.“ 1.Tim 6,16 / „...der allein Unsterblichkeit hat, der da wohnt in einem Licht, zu dem niemand kommen kann, den kein Mensch gesehen hat noch sehen kann. Dem sei Ehre und ewige Macht! Amen.“
Allwissenheit
Die Allwissenheit Gottes ist das, wodurch er mit einem einfachen und ewigen Erkenntnisakt alles weiß, was war, ist, sein wird oder auf irgendeine Weise überhaupt sein kann.
Ps 139,1-4 / „HERR, du erforschest mich und kennest mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege. Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht schon wüsstest.“
Allmacht
Allmacht ist das Prinzip durch welches Gott unabhängig und kraft der ewigen Tätigkeit seines Wesens schlechthin alles tun kann, was keinen Widerspruch in sich schließt.
Jes 46,9-11 / „Gedenket des Vorigen, wie es von alters her war: Ich bin Gott, und sonst keiner mehr, ein Gott, dem nichts gleicht. Ich habe von Anfang an verkündigt, was hernach kommen soll, und vorzeiten, was noch nicht geschehen ist. Ich sage: Was ich beschlossen habe, geschieht, und alles, was ich mir vorgenommen habe, das tue ich... Wie ich's gesagt habe, so lasse ich's kommen; was ich geplant habe, das tue ich auch.“ Ps 115,3 / „Unser Gott ist im Himmel; er kann schaffen, was er will.“ 1. Mose 18,14 / „Sollte dem HERRN etwas unmöglich sein?“
Weisheit
Die Allweisheit Gottes ist das, wodurch er all das auf allervollkommenste Weise durchdringt, was das Urteilsvermögen der Menschen und Engel unendlich übersteigt.
1. Kor 2,6-7 / „Wovon wir aber reden, das ist dennoch Weisheit bei den Vollkommenen; nicht eine Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen. Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit...“ Röm 16,27 / „„...dem Gott, der allein weise ist, sei Ehre durch Jesus Christus in Ewigkeit! Amen.“ Hiob 12,13 / „Bei Gott ist Weisheit und Gewalt, sein ist Rat und Verstand.“
Heiligkeit
Die Heiligkeit Gottes ist die höchste und von jeder Befleckung freie Reinheit Gottes, welche die geschuldete Reinheit vom Geschöpf fordert und ihr Gegenteil verabscheut.
Offb 4,8 / „Und eine jede der vier Gestalten hatte sechs Flügel, und sie waren außen und innen voller Augen, und sie hatten keine Ruhe Tag und Nacht und sprachen: Heilig, heilig, heilig ist Gott der Herr, der Allmächtige, der da war und der da ist und der da kommt.“ 1.Sam 2,2 / „Es ist niemand heilig wie der HERR, außer dir ist keiner, und ist kein Fels, wie unser Gott ist.“ 3. Mose 19,2 / „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der HERR, euer Gott.“
Gerechtigkeit
Die Gerechtigkeit Gottes ist die höchste Richtigkeit des göttlichen Willens, die vom vernunftbegabten Geschöpf fordert, was recht und gerecht ist.
Ps 9,8-9 / „Der HERR aber bleibt ewiglich; er hat seinen Thron bereitet zum Gericht, er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit und die Völker regieren, wie es recht ist.“ Röm 2,5-8 / „Du aber mit deinem verstockten und unbußfertigen Herzen häufst dir selbst Zorn an auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, der einem jeden geben wird nach seinen Werken: ewiges Leben denen, die in aller Geduld mit guten Werken trachten nach Herrlichkeit, Ehre und unvergänglichem Leben; Ungnade und Zorn aber denen, die streitsüchtig sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit...“
Wahrhaftigkeit
Das lenkende Prinzip, demgemäß Gott die Ratschlüsse seines Verstands machtvoll ausführt, ist die Wahrhaftigkeit, durch die er in Worten und Taten der Allerwahrhaftigste ist.
4. Mose 23,19 / „Gott ist nicht ein Mensch, dass er lüge, noch ein Menschenkind, dass ihn etwas gereue. Sollte er etwas sagen und nicht tun? Sollte er etwas reden und nicht halten?“ Mt 24,35 / „Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.“ Ps 33,4 / „Denn des HERRN Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, das hält er gewiss.“
Güte
Die Güte Gottes besteht darin, dass er von sich selbst und durch sich selbst gut ist. Das bewegende Prinzip seiner Güte umfasst seine Liebe, Gnade, Barmherzigkeit und Geduld.
5. Mose 32,3-4 / „Gebt unserm Gott allein die Ehre! Er ist ein Fels. Seine Werke sind vollkommen; denn alles, was er tut, das ist recht. Treu ist Gott und kein Böses an ihm, gerecht und wahrhaftig ist er.“ Ps 86,15 / „Du aber, Herr, Gott, bist barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Güte und Treue.“ Mt 19,16-17 / „Und siehe, einer trat zu ihm und fragte: Meister, was soll ich Gutes tun, damit ich das ewige Leben habe? Er aber sprach zu ihm: Was fragst du mich nach dem, was gut ist? Gut ist nur Einer. Willst du aber zum Leben eingehen, so halte die Gebote.“
Bild am Seitenanfang: Vision of the Cross
Frederic Edwin Church, Public domain, via Wikimedia Commons