Gottes Eifer

Gottes Eifer

Es gibt ein Wesensmerkmal Gottes, das in der Bibel oft genannt wird, das aber in den Katalogen göttlicher Eigenschaften fast immer fehlt. Denn dort wird zur Beschreibung Gottes zwar seiner „Barmherzigkeit“ gedacht, seiner „Ewigkeit“, seiner „Allmacht“, „Güte“ und „Weisheit“. Unerwähnt bleibt aber sein „Eifer“. Und das ist verwunderlich, weil sich Gott selbst so beschreibt und schon im ersten Gebot sagt: „Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifernder Gott...“ (2. Mose 20,5; 5. Mose 5,9). Auch in 2. Mose 34 lesen wir: „Der Herr heißt ein Eiferer; ein eifernder Gott ist er“ (2. Mose 34,14). Und in 5. Mose 4 steht: „Der Herr, dein Gott, ist ein verzehrendes Feuer und ein eifernder Gott“ (5. Mose 4,24). Gott ist leidenschaftlich engagiert, will das besagen. Er ist nicht gleichgültig, müde oder unentschlossen, sondern brennenden Herzens, er ist kompromisslos in seinem Anspruch und scheut zur Durchsetzung seines Willens auch keinen Konflikt. Gott ist kein Schnarcher, der zuschaut, wie man ihm wegnimmt, was er liebt, sondern er tut alles, was er tut, auf entschiedene Weise, tut es mit Hingabe und Nachdruck. Darum wundert es auch nicht, dass Gottes Eifer so oft in Verbindung mit Gottes Zorn, Grimm und Vergeltung genannt wird (5. Mose 6,15 / 5. Mose 29,19 / Hiob 36,33 / Psalm 79,5 / Hes 5,13 / Hes 16,38 u. 42 / Hes 23,25 / Hes 36,5 / Hes 38,19 / Nahum 1,2-8 / Zef 3,8 / Jos 24,19 / Weish 1,9-10 / Weish 5,18). Es ist eben der Eifer eines Kämpfers, den seine Feinde zu spüren bekommen. Und besonders wenn es um sein auserwähltes Volk geht, ist Gott nicht geneigt, seinen Anspruch zu relativieren. Sondern weil er sein Volk liebt, gerät er „in Rage“. Man erkennt daran aber schon, dass Gottes Eifer einen guten und heilvollen Sinn hat. Denn es ist eben dieser Eifer, der ihn nicht ruhen lässt, bis er sein Volk gerettet und wiedergewonnen hat. Wenn Jesaja den Messias ankündigt, der Israel Gerechtigkeit und Frieden bringen wird, fügt er ausdrücklich hinzu: „Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth“ (Jes 9,6 / vgl. 2. Kön 19,31 u. Jes 37,32). Und auch andere Heilsverheißungen werden in dieser Weise begründet, weil Gott genau so, wie er gegen sein Volk eifern kann, auch für sein Volk eifert – und mit derselben Entschlossenheit, mit der er dem Bösen wehrt, das Gute fördert. Gott streitet voller Eifer für die Seinen, wenn sie auf Abwege und in Gefahr geraten sind. Er streitet dann aber auch mit ihnen und scheut die Auseinandersetzung nicht. Er ist mit ganzem Herzen dabei. Und darum ist es durchaus tröstlich und beglückend, um seinen Eifer zu wissen (vgl. Jes 26,11 / Jes 42,13 / Jes 59,17 / Hes 39,25 / Joel 2,18). Die Frommen sehnen sich, Gottes Macht und Eifer zu sehen (Jes 63,15), denn er eifert für Jerusalem und für den Zion (Sach 1,14). Gott tut das um seines Bundes und um seines heiligen Namens willen: er hat ja Israel sein Wort gegeben! Dieselbe Hingabe, mit der Gott für sein Volk eifert, erwartet er aber auch vom Volk ihm gegenüber. Und er wacht mit Eifer darüber, dass diese Beziehung eine exklusive Beziehung bleibt. Sie darf keinesfalls durch andere Götter gestört und entheiligt werden. Denn der Heilige, der Israel aus Ägypten führte, akzeptiert es nicht, für Israel nur einer unter vielen zu sein. Und darin ähnelt Gottes Eifer tatsächlich dem eines Ehemannes, der verständlicherweise Wert darauf legt, der einzige Mann seiner Frau zu sein. Er eifert für sein Volk. Und wenn fremde Völker es angreifen und bedrängen, eilt er ihm zu Hilfe. Nötigenfalls eifert er aber auch gegen sein Volk, wenn es nämlich aus der exklusiven Bindung an ihn ausscheren möchte und abtrünnig wird. Gott zeigt sich dann leidenschaftlich engagiert und kein bisschen duldsam, sondern ist mit brennendem Herzen zu allem entschlossen. Israel soll ihn lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all seiner Kraft (vgl. 5. Mose 6,4f.). Denn mit genau solcher Hingabe liebt Gott auch sein Volk. Er mäßig sich nicht und lässt von seinem Ziel nicht ab, bis er es ganz und gar erreicht hat. Wer aber meint, so leidenschaftlich rigoros sei Gott nur im Alten Testament und das Neue zeichne ein anderes Bild – der irrt sich gewaltig. Denn wenn Jesus schimpfend, handgreiflich und mit gewaltigem Zorn die Händler aus dem Tempel vertreibt, zeigt auch er sich keineswegs duldsam, sondern beweist so brennenden Eifer, dass den Jüngern angst und bange wird (Joh 2,17). Doch kann das überhaupt sein, dass Gott in Rage kommt? Passt das etwa zu seiner Würde, zu seiner Vollkommenheit und Erhabenheit, dass Gott sich um seines Volkes und um seines Tempels willen „aufregt“? Die Frage muss erlaubt sein. Denn zumindest der Vorstellung der antiken Philosophen entsprach so ein leidenschaftlicher Gott ganz und gar nicht. Und die prägen bis heute unser Denken! Männer wie Platon und Aristoteles waren der Meinung, Gott in seiner Hoheit könne emotional gar nicht „in Wallung“ geraten – das sei viel zu menschlich von ihm gedacht. Denn in Wahrheit werde Gott in seiner absoluten Überlegenheit vom irdischen Treiben gar nicht tangiert. Den griechischen Denkern schien es unmöglich, dass den Höchsten berühren könnte, was törichte Menschen auf Erden tun. Sie meinten, Gott bewege zwar alles, er werde aber selbst nicht von Leidenschaften bewegt, sondern bliebe stets ungerührt. Und sie begründeten das damit, dass sich heißes Begehren für oder gegen etwas nur aus Defiziten und unerfüllten Wünschen erkläre – die ein vollkommener Gott nicht hat. Sie waren überzeugt, wer mit Eifer etwas wolle, zeige damit, dass ihm zu seinem Glück noch etwas fehlt. Gott hingegen sei per definitionem „perfekt“. Er habe also keine Bedürfnisse, entbehre folglich auch nichts – und ruhe ganz „in sich selbst“, weil das Vollkommenen nun mal keinen Mangel kennt. Sie dachten sich Gott prinzipiell leidensunfähig, denn ihrer Ansicht nach werden nur wir armen Menschen von wechselnden Gefühlen hin- und hergeworfen. Gott hingegen steht da „drüber“. Und es ihm ein wenig nachzutun, war dann auch das Ideal dieser Philosophen, die sich wünschten, in stoischer Ruhe wie ein Fels in der Brandung zu stehen. Leidenschaft schien ihnen schon unter der Würde eines weisen Menschen zu sein – und also erst recht unter der Würde Gottes. Das Göttliche ist schließlich ewig. Und das Ewige schwankt nicht! Die sich Gott so vorstellten, waren dann aber ziemlich irritiert vom biblischen Zeugnis. Denn da begegnet uns ein Gott, der für das Volk eifert, der an seiner Untreue leidet und seine Rückkehr ersehnt. Der Gott der Bibel zeigt sich in seiner Liebe durchaus verletzlich. Ohne die Treue seines Volkes hat er nicht alles, was er will! Und weil er in dieser Sache leidenschaftlich engagiert ist, ruht er auch nicht gelassen „in sich selbst“, sondern strebt und kämpft. Statt souverän über den Dingen zu schweben, zeigt er ein verwundetes Herz. Und wenn sein Volk „fremdgeht“, indem es anderen Göttern nachläuft, bleibt Gott nicht etwa „cool“, sondern geht mit großer Emotion aus sich heraus. Die Untreue seiner Geschöpfe zieht den Gott der Bibel in Mitleidenschaft: er erbarmt sich und zürnt, sehnt sich und grollt, liebt und hasst. Wie kann das aber sein? Ist wirklich denkbar, dass Gott etwas fehlt, wenn wir ihm fehlen? Die Philosophen schütteln den Kopf. Jede Gemütsbewegung scheint ihnen ein peinliches Zeichen menschlichen Wankelmuts zu sein. Und der passt nicht zur Erhabenheit eines Weltenlenkers, der keiner Beziehung bedürftig ist. In der Bibel begegnet aber trotzdem ein Gott, der gekränkt und erfreut werden kann, weil ihm so viel an seinem Volk liegt. Und erst recht wenn man das Neue Testament aufschlägt, lässt sich die Vorstellung eines leidensunfähigen Gottes nicht mehr halten. Denn schließlich ist Jesus Christus „eines Wesens“ mit dem Vater. Auch in seiner Passion war Jesus jederzeit „eins“ mit ihm. Und da keine „Person“ des dreieinigen Gottes jemals von den anderen isoliert ist, hat Gott auch „insgesamt“ in und mit Christus den Schmerz des Kreuzes getragen. Christi Not war Gottes Not! Und wie paradox es auch klingen mag: Der Herr des Lebens nahm den Tod auf sich, und der Allmächtige die denkbar größte Ohnmacht. Nicht anders als durch die Niederlage des Kreuzes wollte Gott siegen! Wer aber ernst nimmt, wie sehr sich Gott da ins Weltgeschehen verwickeln ließ, für den ist es vorbei mit der philosophischen Idee eines in sich ruhenden, durch nichts tangierten Gottes. Denn der Gott, der Mensch wurde, wählte damit einen Weg, der unserem menschlichen Streben zuwiderläuft. Wir Menschen sind in viele Gefühle verwickelt, die uns herumwerfen. Und wir idealisieren darum die distanzierte Ruhe, in die wir uns gern zurückzögen. Gott aber, der seinem Wesen nach genau diese Ruhe genießen könnte, der verwickelt sich mit hohem emotionalen Einsatz in die Geschichte seines Volkes auf Erden. Obwohl er das nicht müsste, ist er aus Liebe engagiert, teilt in Christus das menschliche Schicksal, bindet sich damit unsere Probleme auf den Hals und macht sich verletzlich. Nun wäre das noch halbwegs verständlich, wenn er‘s für gute Freunde täte. Es wäre nachvollziehbar, wenn‘s Gott für seine Engel täte, für treue und herrlich schöne Geschöpfe. Doch Gott tut es für uns, die wir ihn tausendfach beleidigt und ignoriert haben! Er tut’s für Leute, die schwach und gewöhnlich sind – für untreue Geschöpfe, die seinen guten Willen weder verstehen noch achten! Ausgerechnet unser Schicksal nimmt Gott sich zu Herzen! Und an dem Punkt steigen die Weisen dieser Welt endgültig aus und erklären das Wort vom Kreuz zur Torheit (1. Kor 1,18ff.). Denn dass Gott sich für ideale Geschöpfe engagierte, könnten sie zur Not akzeptieren. Dass er aber eifrig bemüht sein soll, Missratene zu retten – ja, dass es Gott den Frieden raubt, Sünder in verdientem Unglück zu sehen – wie sollten Philosophen das verstehen? „Vernünftig“ ist diese Liebe nicht. Im Gegenteil. Und wenn von ihr nichts geschrieben stünde, würden auch wir sie nicht plausibel finden. Denn schon beim Volk Israel ist nicht zu erkennen, womit es Gottes Aufmerksamkeit verdient – andere Völker waren kulturell viel weiter! Dass im neuen Bund aber sie und ich Gegenstand göttlichen Eifers werden, dass wir im Mittelpunkt göttlichen Bemühens stehen, und dem Herrn des Himmels an der Beziehung zu uns ernsthaft gelegen ist – das klingt ganz unwahrscheinlich. Unsere Vernunft kommt zu keinem anderen Ergebnis, als dass wir für Gott entbehrlich sind. Und dennoch nimmt er uns wichtiger, als wir uns selbst nehmen, und ringt um uns, als dürften gerade sie und ich in seinem Himmel nicht fehlen. Für diese Zuwendung lässt sich kein Grund angeben. Und doch scheint es Gott aus der Fassung zu bringen, wenn wir uns von ihm entfernen. Obwohl wir ihm egal sein könnten, sind wir’s nicht. Und das muss unsere Vorstellung von Gott grundlegend ändern. Denn einerseits haben die Philosophen wirklich recht damit, dass Gott niemanden braucht – der Vollkommene kennt keinen Mangel, dem durch unsere Erlösung abgeholfen werden müsste. Andererseits gilt aber, dass er uns aus unerfindlichen Gründen liebt und sich leidenschaftlich müht, unsere Seelen in den Himmel zu heben. Beides stimmt, und wer nur eine Seite kennt, weiß von Gott zu wenig. Da wir aber beides zur Kenntnis nehmen und Gottes Eifer sehen, dessen Gegenstand wir sind – wie könnten wir da auf dieses Evangelium noch anders als mit Eifer antworten? Es ist völlig undenkbar, auf Gottes leidenschaftlichen Ruf leidenschaftslos und halbherzig zu reagieren. Vielmehr wird ein Menschen, der sich von Gottes Eifer gemeint weiß, auch seinerseits für Gott eifern, so wie die Bibel das etwa von Pinhas, Jehu und Elia sagt. Und ausgeschlossen ist jede gähnende, lauwarme Reaktion, die sich auf Gott nur unter Vorbehalt einlassen will. Denn Gottes Hingabe fordert unsere Hingabe! Und jene Unentschlossenen, die nur erwägen Christen zu sein, falls es nicht anstrengt und zu nichts verpflichtet – die sind automatisch außen vor. Denn eine Gottesbeziehung kann man nicht als Hobby betreiben, das nur dran ist, wenn man Zeit übrig hat. Nein! Gott eifert um seine Gemeinde wie ein Mann um seine Braut – und er verträgt darum nichts weniger als eine gelangweilte oder halbherzige Reaktion. Er erwartet auf sein entschiedenes Fragen eine ebenso entschiedene Antwort. Und so dürfen wir uns wahrlich nicht schämen, wenn uns jemand „religiösen Eifer“ nachsagt, sondern sollten stolz darauf sein. Denn „religiöser Eifer“ ist zwar zum Schimpfwort geworden. Er scheint heute etwas Bedenkliches zu sein, das man therapieren muss. Aber – ist jemals ein Mensch ohne Eifer wirklich religiös gewesen? Geht das überhaupt: auf halbherzige und leidenschaftslose Weise gläubig zu sein? Besteht Glaube nicht genau darin, das Relative nur relativ wichtig zu nehmen, das Absolute aber absolut wichtig? Auch Jesus war in diesem Sinne „radikal“! Und auf dem Weg der Nachfolge Jesu kommt niemand voran, der mit angezogener Handbremse fährt. Auch das Neue Testament fordert Hingabe, die ohne Bedingung ist. Und so sollten wir Gott um einen Glaubenseifer bitten, der seinem Eifer nicht nachsteht. Ja – haben wir am besten Leidenschaft für Gott, wie er Leidenschaft hat für uns. Denn dann werden wir ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und mit all unserer Kraft. Und weniger ist ihm nicht genug.

 

 

 

 

Bild am Seitenanfang: 

Snow Storm - Steam-Boat off a Harbour's Mouth making Signals in Shallow Water, and going by the Lead

William Turner, Public domain, via Wikimedia Commons