Gründe des Glaubens, Glaube als Grund
Wie kann man Gewissheit haben?
Wenn wir nach der Gewissheit des Glaubens fragen, müssen wir über das Wirken des Heiligen Geistes nachdenken. Denn er ist es, dem wir unseren Glauben verdanken. Die vertrauensvolle Beziehung zu Gott, die wir Glauben nennen, wird ja nicht hervorgebracht durch unsere Nachdenklichkeit oder unseren Willensentschluss, sondern durch den Geist Gottes, der uns ergreift, der in uns wohnt und unserem menschlichen Geist auf die Sprünge hilft, damit er glauben kann. Unser eigener Geist würde aus seiner Verwirrung und aus seinen Zweifeln nie herausfinden, er würde Gott nie erkennen können und würde niemals Gewissheit des Glaubens erlangen, wenn er das nicht von außen her geschenkt bekäme. Denn so geschickt unser Verstand auch sein mag, im Blick auf den Alltag und die praktischen Probleme dieser Welt, so ist er doch im Blick auf göttliche Dinge ganz untauglich, blind und stumpf. Das Instrumentarium des menschlichen Erkennens reicht einfach nicht aus, um den Sinn unseres Daseins, das Ziel der Schöpfung und die Wahrheit Gottes zu ergründen. Denn wie es unser Verstand auch drehen und wenden mag, so könnte es doch immer auch noch ganz anders sein.
Natürlich können wir uns vor Augen führen, welche Weltanschauungen und welche Glaubensweisen sich in vielen Generationen bewährt haben – und diese Bewährung ist kein schlechtes Argument! Doch den Millionen von Menschen, die glauben, was wir glauben, stehen immer andere Millionen gegenüber, deren Glaube dem unseren widerspricht. Wir können unsere Vernunft anstrengen, um Überzeugungen zu prüfen und zu verwerfen, die in sich widersprüchlich oder mit bekannten Tatsachen unvereinbar sind. Doch wissen wir danach immer noch zu wenig, um auf argumentativem Wege eine der verbleibenden Weltanschauungen als wahr zu erweisen.
Um den Kreis einzuengen, können wir verschiedene Glaubensweisen einer funktionalen Prüfung unterziehen und können testen, inwieweit sie uns Trost und ethische Orientierung geben, inwieweit sie Sinn stiften und offene Fragen beantworten. Vielleicht finden wir auf diesem Weg eine weltanschauliche Jacke, die uns passt! Doch nur weil sie nicht kneift und unserer Bedürfnislage angenehm ist, heißt das noch nicht, dass diese Weltanschauung auch wahr sein muss. Wir können uns in eine Religion einfühlen, in ihre Riten eintauchen und mit ihrer Gedankenwelt Erfahrungen machen. Doch geht das nur, indem wir die kritische Distanz aufgeben. Und wenn wir das tun, können wir nie sicher sein, ob wir nicht hinterher aus unseren Erfahrungen herauslesen, was wir vorher absichtsvoll hineingelegt haben. Gern würden wir uns Klarheit verschaffen, indem wir historische Fakten prüfen und schauen ob’s denn so gewesen ist, wie es der Koran oder die Bibel beschreiben. Gerne hielten wir uns an solche Tatsachen! Aber sobald sich Historiker daran machen, geschichtliche Zeugnisse zu interpretieren, kommen auch bei ihnen weltanschauliche Voraussetzungen zum Tragen, und es zeigt sich, dass die historische Wissenschaft nicht dafür zuständig und nicht in der Lage ist, Glaubensfragen zu entscheiden.
So kann man es drehen und wenden wie man will: Die Methoden der Vergewisserung und der Erkenntnis, die dem Menschen zur Verfügung stehen, können ihm in Glaubensdingen keine Gewissheit verschaffen. Und an diesem etwas peinlichen Sachverhalt, haben alle Weltanschauungen Anteil. Die Atheisten stehen diesbezüglich nicht besser da als die Buddhisten, Anthroposophen, Kommunisten, Nihilisten, Existentialisten, Satanisten, Materialisten, Christen, Juden oder Muslime. Sie alle bleiben einen zwingenden Beweis für die Wahrheit ihrer Überzeugungen schuldig. Und selbst die Agnostiker, die meinen „gar nichts“ zu glauben, wissen nicht wirklich, ob sie damit im Recht sind. Zweifel sind immer möglich – Gewissheit scheint ausgeschlossen! Die Wahrheit lässt sich von uns nicht packen und ergreifen! Was aber, wenn die Wahrheit uns ergriffe?
Tatsächlich gibt es zur Glaubensgewissheit keinen anderen Weg, als dass Gottes Geist sie schenkt. Denn es macht keinen Sinn, berechtigte Zweifel zu leugnen oder die Schwächen des menschlichen Geistes zu überspielen. Der Mensch kann sich nicht an die sogenannten „harten Fakten“ halten, weil dabei die wichtigsten Fragen des Lebens offen bleiben. Er kann sich nicht einreden, die Grenzen seiner Wahrnehmung seien identisch mit den Grenzen des Wirklichen. Und noch viel weniger kann der Mensch auf Gewissheit verzichten, weil er ohne verlässliche Erkenntnis in dieser Welt orientierungslos bliebe. Ein Mensch ohne Überzeugung wird handlungsunfähig, denn niemand kann einen Standpunkt vertreten, wenn er den gegenteiligen Standpunkt für genauso berechtigt hält. Und wer den Knoten durchschlägt, indem er erklärt, aus eigenem Willensentschluss von etwas überzeugt sein zu wollen, gibt auch eine komische Figur ab. Nein – der Mensch und der Christ kämen nie zu einer festen Überzeugung, wenn es nicht neben ihren menschlichen Bemühungen noch die seltsame Erfahrung gäbe, dass einer von Gewissheit überrollt und überwunden wird – und dann plötzlich „hat“, was er kraft eigener Erkenntnis nicht erlangen konnte.
Es gibt diese erstaunliche Erfahrung, dass nicht wir uns Gottes erkennend bemächtigen, sondern dass er sich unser bemächtigt. Und die dabei vom Heiligen Geist geschenkte Gewissheit kann so eindrücklich sein, dass sie für den Betroffenen danach gar nicht mehr Gegenstand seines Denkens, sondern Ausgangspunkt seines Denkens ist. Nicht der Christ hat eine Erkenntnis, sondern sie hat ihn. Nicht er hat seine Weltsicht rational abgeleitet oder souverän gewählt, sondern sie ist über ihn gekommen. Er ist dann, wie die Bibel sagt, wiedergeboren „aus Wasser und aus Geist“. Und die Frage nach Gründen und Beweisen, tritt dabei ganz in den Hintergrund – wie ja auch der, der von einem mächtigen Gegner überrannt wurde, keine besonderen Gründe braucht, um am Boden zu liegen. Der Mensch, der sich überwältig sieht, fragt nicht, ob die Wirklichkeit, an der er sich blutig gestoßen hat, auch denknotwendig sei. Und das Problem der weltanschaulichen Gewissheit stellt sich für ihn komplett anders, weil zwar die Welt um ihn her noch dieselbe, er selbst aber nicht mehr derselbe ist.
Unter dem Einfluss des Heiligen Geistes, sind nicht erst die Ergebnisse unseres Denkens neu, sondern schon die Voraussetzungen unseres Denkens sind neu. Der Wandel selbst aber, wird nicht etwa begründet, sondern liefert seinerseits die Begründung für vieles, was auf die Bekehrung folgt. Denn der Betroffene kommt zu seiner Überzeugung nicht in der Weise, dass er verschiedene Religionen und Philosophien sichtet und prüft, um dann die ihm „passende“ zu wählen, sondern tatsächlich kommt er zu seiner Überzeugung, indem er ihr verfällt. Nicht der Mensch eignet sich eine christliche Weltanschauung an, sondern sie eignet sich den Menschen an, um ihn künftig zu beherrschen. Denn der Glaube, von dem das Neue Testament spricht, beruht nicht auf einer Erkenntnisleistung, einem Willensakt oder einer Wahl des Menschen, sondern auf einem Widerfahrnis, das sich der Kontrolle des Betroffenen gänzlich entzieht, weil er darin von Gottes Geist zum Glauben überwunden wird. Der Zweifel ist ihm danach keineswegs verboten und er muss auch nicht unterdrückt werden! Aber er interessiert einfach nicht mehr, weil durch das Werk des Heiligen Geistes der Antrieb zum Zweifel entfällt.
Wenn der Geist an uns wirkt, verlieren wir die Angst, von Gott getäuscht zu werden, und verlieren den Wunsch, in der Beziehung zu Gott unbedingt die Kontrolle zu behalten. Wir verlieren die Illusion, wir müssten uns Gott gegenüber behaupten, und verlieren sogar die Neugier auf weltanschauliche Alternativen. Der geisterfüllte Mensch gibt die Deutungshoheit über sein Leben zurück an den Schöpfer, dem sie zusteht, und verliert sein Misstrauen so wie man Ballast verliert. Denn es kommt zwar anders, als der Zweifler sich das dachte: Am Ende hat nicht er sich Gottes vergewissert, sondern Gott hat sich seiner vergewissert. Er hat nicht sichergestellt, sondern wurde sichergestellt. Doch wenn das auch nach Fremdbestimmung klingt, so erkennt der Gläubige darin dennoch einen freundlichen Akt Gottes, der durch seinen Heiligen Geist die Zuversicht ersetzt, die der Mensch niemals hätte aufbringen können.
Gottes Geist gibt die Beständigkeit und Klarheit, über die der Mensch nicht verfügt. Und weil Gott weiß, wie schwer der Mensch von Begriff ist, vertritt der Heilige Geist ihn mit Seufzen. Wenn der Christ nicht zu reden weiß, wird ihm zugesagt, dass der Heilige Geist durch ihn reden wird. Und wo er vergisst und verzagt, übernimmt es der Heilige Geist, zu erinnern und zu trösten. Bei alledem „wohnt“ der Heilige Geist im Menschen und wirkt auf den menschlichen Geist ein. Er wird aber keineswegs identisch mit ihm. Und er setzt auch die normalen psychischen Funktionen nicht außer Kraft. Trotzdem gibt der Heilige Geist dem menschlichen Geist Zeugnis davon, dass er ein Kind Gottes ist. Er klärt ihn über alles auf, was ihm von Gott geschenkt wird. Er schenkt ihm Frieden. Und nur aus diesem inneren Wirken des Heiligen Geistes erwächst dann die Glaubensgewissheit, die unserer Vernunft ewig unerschwinglich bleiben müsste.
Streng genommen glaube nicht „ich“, sondern „es“ glaubt in mir, denn „ich“ bin gar nicht in der Lage dazu. Der Heilige Geist tut, was getan werden muss, um den Menschen in eine vertrauensvolle Beziehung zu Gott zu bringen. Er macht den Glaubenden zu seiner Wohnstatt und zu seinem Tempel. Und anders ginge es nicht. Denn in allem, was Gott betrifft, ist des Menschen Geist spröde und kraftlos, wenn ihn Gott nicht teilhaben lässt an der Gewissheit, mit der Gott um sich selbst weiß. So ist dann Glaube immer noch eine Gewissheit ohne Beweis. Und doch ist er keineswegs ohne Grund, weil durch die Gegenwart des Geistes die Voraussetzungen des Zweifels hinfällig geworden sind.
Ein skeptischer Mensch zweifelt endlos, weil er stets fürchtet von Gott getäuscht zu werden. Dem Gläubigen aber kommt diese Furcht schlicht abhanden. Ein skeptischer Mensch erwartet, dass sich Gewissheit aus einer erweiterten Kenntnis der äußeren Welt ergeben müsste. Doch der Gläubige erlebt, dass Gott seine Fragen durch die innere Umwandlung des Fragenden beantwortet. Ein skeptischer Mensch macht sein Selbstverständnis von dem abhängig, was seine Vernunft für wahrscheinlich erklärt. Dem Gläubigen hingegen wäre es egal, Unrecht zu haben, wenn er nur Unrecht hätte gemeinsam mit Christus. Ein skeptischer Mensch stellt alles unter Vorbehalt, um seine Ansichten jederzeit korrigieren zu können. Der Glaubende aber vertraut vorbehaltlos dem, der ihn korrigiert hat. Ist es da ein Wunder, das Christen und Nicht-Christen so oft aneinander vorbei reden?
Es ist fast unvermeidlich! Denn dem Glauben ist nun mal nicht die Überzeugungskraft des Denkens eigentümlich, sondern die des Glaubens, wie auch dem Denken nicht die Überzeugungskraft des Glaubens eigentümlich ist, sondern die des Denkens. Mit Worten des Neuen Testamentes gesagt: „Wir ... haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist. Und davon reden wir auch nicht mit Worten, wie sie menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen. Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen, denn es muss geistlich beurteilt werden.“
Eine Schlussfolgerung, die aus alledem zu ziehen ist, sei nur kurz angedeutet. Denn wenn es, wie beschrieben, einen radikalen Bruch gibt zwischen der gewöhnlichen, menschlichen Erkenntnis und der vom Heiligen Geist gewirkten Erkenntnis, dann versteht es sich, dass die Erfahrung, die einen Christen zum Christen macht, von einem Nicht-Christen nicht wirklich nachvollzogen werden kann. Man kann sie niemandem andemonstrieren oder vermitteln, wenn es der Heilige Geist nicht tut. Und umgekehrt kann niemand dem Christen seine eigentümliche Erfahrung nehmen oder ausreden. Mit hitzigen Argumenten ist in dieser Sache weder positiv noch negativ etwas auszurichten. Und es ist darum ganz falsch, wenn im Streit um den Glauben eine Seite der anderen Dummheit oder Bosheit unterstellt. Es hilft hier nicht, zu zanken und sich etwas beweisen zu wollen. Denn die grundlegende Erfahrung des Glaubens vermittelt sich nicht anders als durch Gott selbst, vermittelt sich durch ihn aber mit überzeugender Kraft.
Wer diese Erfahrung nicht macht, kann den christlichen Glauben beim besten Willen nicht verstehen. Er muss seine Gewissheit für grundlos halten. Als Christ aber kann man ihm seine Blindheit nicht vorwerfen, weil weder wir noch er selbst, sondern nur Gott sie zu heilen vermag. Mit kluger Überredung ist hier nichts zu erreichen. Um so mehr aber durch das Gebet derer, die Gewissheit haben oder sich nach ihr sehnen…
Bild am Seitenanfang: Unconscious of Danger
Seymour Joseph Guy, Public domain, via Wikimedia Commons