Gottes Geist und andere Geister
Können sie sich an die Pfingstfeste ihrer Kindheit erinnern? Haben sie noch vor Augen, wie es an Pfingsten war, und wie ihre Familie Pfingsten gefeiert hat? Wenn sie sich daran nicht erinnern können, geht es ihnen wie mir. An die Weihnachtsfeiern unter dem Tannenbaum erinnere ich mich selbstverständlich. Viele, viele Bilder steigen in der Erinnerung auf. Auch Ostern hat sich mir als Kind tief eingeprägt. Ich sehe das geschmückte Haus, die Ostersträuche und die bunten Eier vor mir. Und auch die Erntedankfeste sind mir noch ganz gegenwärtig. Ich denke an die Brote, Weintrauben und Maiskolben auf dem Altar. Nur an Pfingsten erinnere ich mich nicht – so als hätte man Pfingsten in meiner Kindheit nicht gefeiert. Da ist kein Schmuck, kein besonderer Geruch, keine Stimmungen oder Bilder, die in mir aufsteigen würden. Und ich denke, das hat mit dem Inhalt des jeweiligen Festes zu tun. Denn die Geburt Christi ist etwas Anschauliches. Sie kann an einer Weihnachtskrippe sichtbar gemacht werden. Auch die Osterereignisse sind anschaulich. Den Engel neben dem leeren Grab konnte ich in der Kinderbibel betrachten, ebenso den auferstandenen Christus mit der Siegesfahne. Nur an Pfingsten – und daran muss es wohl liegen – gibt es wenig anzuschauen. Denn den Heiligen Geist kann man schlecht abbilden.
Was der allmächtige Vater geschaffen hat sehen wir überall um uns her. Was Christus tat, als er auf Erden wandelte, können wir nachlesen, wir können es uns vorstellen und Bilder davon malen. Aber der Heilige Geist? Weder ihn selbst, noch das, was er tut, kann ein Gemälde so recht wiedergeben. Da fehlen uns die Bilder. Und das ist ein Problem. Denn wie soll der Heilige Geist einen festen Platz im Leben des Christen haben, wenn er so wenig greifbar ist? Wie soll etwas in meinem Leben eine Rolle spielen, das ich mir nicht einmal vorstellen kann? Da mag der Heilige Geist etwas für Dichter und für Träumer sein – in der harten Realität des Alltags kommt er anscheinend nicht vor. Oder vielleicht doch?
Es ist schon ein paar Jahre her, da hat mich ein ganz nebensächliches Erlebnis ins Grübeln gebracht. Ich fuhr auf der Autobahn hinter einem LKW her. Es war ein Baustellenfahrzeug, über und über mit rotem Lehm beschmiert. Aber am Heck war ein großer Werbeaufkleber noch gut sichtbar. Und darauf stand: „Beton – es kommt drauf' an, was man draus' macht!“. Offenbar handelte es sich um einen Werbeslogan der Beton erzeugenden Industrie, die das Image ihres Werkstoffes verbessern wollte. Betonbauten gelten als hässlich, lieblos, kalt, und ungemütlich. Und nun will die Betonindustrie darauf hinweisen, dass es auch anders geht: „Beton – es kommt drauf' an, was man draus' macht!“. Auch aus Beton lässt sich mit Phantasie und Geschick etwas Schönes und Ansprechendes bauen, soll das heißen, denn entscheidend ist nicht das Material, sondern der kreative Geist des Architekten, der dem Material die Form verleiht. Nun ja, werden sie sagen: „Es ist doch bloß ein Werbeslogan!“ Trotzdem meine ich, dass er uns helfen kann, Pfingsten zu verstehen. Denn jener Spruch erinnert uns an die Macht des Geistes, die viel wichtiger ist, als das Rohmaterial, dessen er sich bedient, weil erst der Geist über die Gestalt und die Verwendung der Dinge entscheidet.
Nehmen sie z.B. einen Klumpen Stahl. Der ist an sich weder gefährlich noch nützlich. Kommt aber eines Menschen Geist dazu, der aus dem Stahl entweder Schwerter oder Pflugscharen macht, so wird der Stahl plötzlich gefährlich oder nützlich. Nehmen sie die Hand eines Menschen. Die ist an sich weder recht noch unrecht. Je nach dem aber, welcher Geist diesen Menschen beseelt, kann seine Hand einen anderen in den Abgrund stoßen – oder kann einen Stürzenden auffangen. Nehmen sie eine große Summe Geldes. Auch die ist an sich nicht gut und nicht schlecht. Aber je nach dem, ob ein konstruktiver oder ein destruktiver Geist darüber verfügt, kann das Geld auf hilfreiche oder auf verderbliche Weise verwendet werden. So ist es mit allem, was die Menschen schätzen und erstreben. Sei es Gesundheit oder Intelligenz, sei es rhetorische oder mathematische Begabung, sei es ein Besitz oder eine Fähigkeit, Jugend oder Erfahrung, Wissen oder Macht, Schönheit oder Ansehen: Nichts von alledem ist an sich schon gut oder schlecht! Aber alles kann zum Guten oder zum Schlechten gebraucht werden, wenn uns der entsprechende Geist beseelt. Denn erst der Geist gibt dem Rohmaterial unseres Lebens eine Form und eine Richtung. Erst der Geist gibt den Dingen Sinn und Ziel. Erst der Geist, der uns treibt, lässt unsere Potentiale zum Segen oder zum Fluch ausschlagen. Darum ist die zentrale Frage des Lebens nicht, welche Potentiale ich habe, sondern was ich mit denen mache, die ich habe, und welchem Geist sie dienstbar werden.
Ist es Gottes Heiliger Geist, der mich treibt – oder ist es der Geist dieser Welt? Diene ich mit meinen Gaben mir selbst und meinem Stolz – oder diene und helfe ich anderen? Folge ich meinem Gutdünken – oder folge ich dem Willen Gottes? Was ist der Grundimpuls, der mein Denken und Handeln bestimmt? Wessen Geistes Kind bin ich also? Das ist die Frage, die über mein Leben entscheidet. Und doch – das ist das erschreckende – fragen die meisten Menschen gerade danach nicht. Sie fragen, ob sie viel haben, viel können, viel dürfen. Sie fragen sozusagen nach dem Rohmaterial ihres Lebens. Und wenn sie mehr haben als ihr Nachbar, fühlen sie sich schon reich. Doch dieser Reichtum allein besagt gar nichts. Denn es kommt darauf an, was mit den vorhandenen Potentialen geschieht. Was ich habe, was ich kann und was ich bin – das ist erst mal nur Beton. Ob aber aus dem Beton ein hässlicher Bunker entsteht, ein Denkmal meines Egoismus, oder ob daraus eine schöne Brücke entsteht, die vielen Menschen nützlich wird, darüber entscheidet allein der Geist. Der Geist, der in mir waltet, gibt meinem Leben das Gepräge. Und es ist nicht automatisch Gottes Geist – oh nein! Wenn es ein stolzer oder ein gieriger Geist ist, wenn es Neid ist oder Eitelkeit, wenn ein Geist der Schwermut und des Selbstmitleids mich beherrscht, dann wird er auch von meinen besten Gaben einen unseligen Gebrauch machen. Ja, auf die Dauer gräbt sich ein verkehrter Geist sogar in die Gesichtszüge des Menschen ein! Er formt den ganzen Menschen zu einem Abbild seiner Laster und entstellt dadurch das Ebenbild Gottes, das dieser Mensch eigentlich hätte sein sollen. Der Geist dieser Welt lässt uns überheblich werden oder er treibt uns in die Depression, er macht uns zum Spielball unserer Ängste oder lässt uns von Gier zerfressen, er reitet uns über Stock und Stein, bis dem Pferd die Beine brechen, er missbraucht Körper und Seele. Wenn aber der Heilige Geist an seine Stelle tritt? Was geschieht, wenn der Geist Gottes in Körper und Seele zu wohnen beginnt, wie in einem Tempel? Zuerst macht der Heilige Geist uns nüchtern, selbstkritisch und in einem guten Sinne demütig. Denn er öffnet uns die Augen über uns selbst und zerstört viele Illusionen. Der Heilige Geist deckt unsere Lebenslügen auf, zerstört falsche Selbstzufriedenheit und weckt uns damit aus dem Schlaf des Unglaubens. Doch will Gott nicht, dass wir bei der kritischen Betrachtung seines Daseins mutlos werden. Darum führt er uns zugleich den Lebensweg Jesu vor Augen, von der Geburt bis zum Kreuz und zur Auferstehung. Und er lässt uns erkennen, dass Jesus diesen Weg für uns gegangen ist, um unsere Gottlosigkeit in Glauben zu verwandeln und unsere Schuld in Gerechtigkeit. Gottes Geist tröstet uns also, er vergewissert uns seiner Barmherzigkeit. Und dadurch erfüllt er uns mit Hoffnung, Freude, Geduld und Liebe.
Wessen Geistes Kinder sind wir also? Ich hoffe, es ist deutlich geworden, wieviel von dieser Frage abhängt. Denn die Sache, um die es an Pfingsten geht, ist gar nicht „nebulös“. Die Sache mit dem Geist ist keine Angelegenheit für Träumer, Dichter und Phantasten, sondern sie entscheidet über das ganze Gepräge, den Wert und das Gelingen meines Lebens. Darum sollten wir uns immer mal wieder prüfen. Und wenn wir dabei feststellen, dass wir viel zu oft von unheiligen Geistern getrieben werden – von Sorgengeistern, Neid- und Trübsinnsgeistern – dann sollten wir nicht zögern: Bitten wir Gott, dass er mit einem großen Besen durch unsere Seele fährt, sie von allem Unrat reinigt, und selbst darin Wohnung nimmt. Denn etwas besseres können wir uns gar nicht wünschen und nichts haben wir nötiger, als diese Reinigung…
Bild am Seitenanfang:
La Sainte Trinité, miniature extraite des Grandes Heures d'Anne de Bretagne (Ausschnitt)
Jean Bourdichon, Public domain, via Wikimedia Commons