Sich einschleimen bei Gott?

Sich einschleimen bei Gott?

Unser Leben ist davon geprägt, dass wir zu anderen in Beziehung stehen. Und je nachdem, wie wir unsere Beziehungen pflegen und gestalten, können wir sehr von ihnen profitieren – oder fürchterlich unter ihnen leiden. Es hängt viel davon ab, sich mit den richtigen Leuten gut zu stellen, so dass man Einfluss auf sie gewinnt, und andere auf Distanz zu halten, damit man sich ihrem Einfluss nicht beugen muss. Bei manchen geben wir uns Mühe, ihr Freund zu werden, und bei anderen reicht es, nicht ihr Feind zu sein. Manche brauchen wir, andere brauchen uns. Manchen sind wir verpflichtet, andere sind uns was schuldig. Netzwerke sind wichtig, Bündnisse erst recht. Und so kommt es immer darauf an, das Gegenüber richtig einzuschätzen und vorauszusehen, ob mir eine Beziehung eher nützen oder schaden wird. Wenn dann aber jemand weit mächtiger ist als ich, so dass ich es auf einen Konflikt nicht ankommen lassen darf, ist es klüger, den Frieden zu wahren. Es ist dann nicht schlau, den Stärkeren zu ärgern und sich so mit einem überlegenen Gegner anzulegen, sondern, wenn ich ihn nicht überwinden kann, sollte ich rechtzeitig versuchen, mich mit ihm zu verbünden. Und so gehört es zu den gängigen Strategien des Menschen, sich einzuschleimen, sich anzubiedern und „lieb Kind zu machen“. Das ist natürlich ein bisschen peinlich – und man redet nicht gern drüber. Aber wie sonst könnte ich mich vor jemandem schützen, der die Macht hat, mich zu vernichten? Ich muss ihn auf meine Seite ziehen, indem ich zu ihm überlaufe. Nur dann lebe ich in Sicherheit, wenn der Überlegene mich für seinen Freund hält. Und so unterwirft man sich dann freiwillig, bevor man unterworfen wird. Wer den Konflikt nicht riskieren darf, muss dem Mächtigen schmeicheln, muss sich andienen, sich als nützlich erweisen, Demut zeigen. Und so kommt es zu der Speichelleckerei, die wir alle kennen. In jeder größeren Firma gibt es diese eifrigen Zuträger, diese Lobhudler und Bewunderer, die sich an den Chef „ranwanzen“ und ihm gern auch die Füße küssten, wenn‘s noch üblich wäre. Sie tun‘s aber, um sich zu schützen. Denn wenn mich große Macht bedroht, ist es das Sicherste, selbst ein Teil dieser Macht zu werden, sich wie ein junger Hund auf den Rücken zu legen und dem Stärkeren Unterwerfung zu zeigen. Das funktioniert ziemlich oft! Doch warum rede ich davon? Warum gehört es hierher? Nun, weil der Mensch Strategien, die bei irdischen Machthabern funktionieren, auch gern auf Gott anwendet – und dann seine Gottesbeziehung (weil er sie anders nicht kontrollieren kann) nach eben diesem Muster gestaltet, dass er sich durch Unterwerfung und Lobhudelei bei Gott einzuschleimen, sich „lieb Kind zu machen“ und anzubiedern versucht. Und böse Zungen behaupten, eben das sei der eigentliche Sinn aller religiösen Übungen und alles frommen Gebarens, ja, das sei der eigentliche Kern des Glaubens. Ist da nun aber etwas dran? Oder ist es Verleumdung? Dass uns die Beziehung zu Gott vor besondere Probleme stellt, ist kaum zu bestreiten. Denn wie bei einem großen König findet die Begegnung nicht auf Augenhöhe statt. Und auch, dass wir zwischenmenschlich bewährte Strategien Gott gegenüber ausprobieren, kann man schwer leugnen. Denn manche versuchen mit Gott einen Deal zu machen, indem sie Gehorsam geloben und dafür Schutz erwarten. Andere halten Angriff für die beste Verteidigung und zählen auf, was Gott ihnen alles schuldig wäre. Und wieder andere wollen sich als Diener Gottes unentbehrlich machen, so dass er nicht mehr auf sie verzichten kann. Manche bringen Gott ungefragt Opfer und durchleiden ihren Glauben, weil doch Gott jeden lieben muss, der ihm viel geopfert hat! Und andere lobpreisen und rühmen ihn ohne Ende, weil Gott doch soviel Bewunderung und Wertschätzung nicht anders als mit Wertschätzung beantworten kann! Einige verteidigen Gott gegen die Angriffe von Zweiflern und Ungläubigen und vertreten Gott, als wären sie sein Rechtsanwalt. Denn wenn ich erkennbar für ihn bin, kann er doch schlecht gegen mich sein! Und, ja: die offene oder heimliche Absicht ist durchaus, sich erfolgreich mit Gott in Beziehung zu setzen – sei es durch Fleiß und Gehorsam, durch gute Werke und fromme Gedanken, durch erbrachte Opfer und erlittene Schmerzen, durch Nützlich-Sein, Süßholz raspeln oder lauten Lobgesang. Ein großer Teil menschlicher Religion ist genau das – es ist ein Versuch, Gott einzuwickeln und ihn geschickt auf unsre Seite zu ziehen. Denn dasselbe haben wir schon als Kinder mit unseren Eltern probiert. Und Untertanen, Bittsteller und Höflinge haben diese Kunst ihren Königen gegenüber verfeinert. Schließlich gibt es Anleitungen, wie man Elefanten dressiert und Löwen bändigt! Da muss es doch auch Strategien geben, wie man erfolgreich mit Gott umgeht! Wer hätte nicht schon drüber nachgedacht? Und doch ist an der Sache etwas faul. Denn kurz gesagt wäre Gott nicht Gott, wenn er sich von uns manipulieren ließe. Und es lässt sich leicht zeigen, weshalb Methoden der Anbiederung bei ihm nicht verfangen. Wir haben Gott weder Dienste noch Informationen zu bieten, von denen er irgendwie profitieren könnte, denn in seiner Vollkommenheit braucht er nichts. Und so ist ausgeschlossen, dass wir ihm irgendeinen Gefallen tun könnten. Er braucht uns auch nicht, damit wir seinen Namen loben – das tun die Engel viel schöner. Und zudem fehlt Gott die dumme Eitelkeit, bei der die Könige dieser Welt so leicht zu packen sind. Gott hat nicht diesen stolzen Dünkel, dass ihn Schleimerei irgendwie kitzeln könnte. Unterwürfiges Gebaren reizt ihn nicht. Und wenn wir Begeisterung heucheln, durchschaut er das und lacht über unsere Hintergedanken, die er als der Allwissende schon kennt, bevor sie uns in den Sinn kommen. Gott braucht uns weder als Berater noch als dankbares Publikum, nicht als Diener und nicht als Fürsprecher. Da wir ihm nichts geben können, was ihm nicht schon gehört, können wir ihm kein Geschäft anbieten. Und als Sünder von Geburt an werden wir in seinen Augen auch nicht liebenswerter, wenn wir versuchen sein Mitleid zu erregen. Gott muss sich nicht über unsere Werke freuen, nicht über unseren Glauben, nicht über unsere Gebete – Gott muss gar nichts! Wir haben ihm nichts zu bieten. Und darum verfängt auch keine Strategie. Wir können Gott keinen Grund geben, uns zu mögen. Und jeder Plan, ihn um den Finger zu wickeln, beleidigt seine Intelligenz. Wir müssen das also sein lassen. Es besteht keine Aussicht auf Erfolg. Und so ist das Erste, was wir über unsere Gottesbeziehung wissen sollten, dass wir sie selbst dann nicht in Ordnung bringen könnten, wenn wir die besten Absichten verfolgten. Denn hier scheitert alle religiöse Übung. Hier gibt es keine taugliche Strategie. Und auch mit beharrlichem Bemühen machen wir uns Gott nicht etwa geneigt, sondern machen alles nur schlimmer. Denn unsere Gottesbeziehung in Ordnung zu bringen, ist gar nicht unsere, sondern Gottes Angelegenheit. Es ist allein Jesu Sache – es ist Chefsache. Und was Gottes Sohn am wenigsten will, ist, dass wir ihm da ins Handwerk pfuschen. Zum Werk seiner Gnade haben wir keinen Beitrag zu leisten – wir sollen es einfach ihm überlassen. Denn Christus tut in dieser Sache alles, wir tun nichts. Was unser Heil betrifft, ist Passivität besser als jeder Aktivismus. Denn wenn alles in Christi Händen liegt, liegt es da gut. Eben das haben uns die Reformatoren eingeschärft! Und nur dann entsteht wieder ein Problem, wenn ihr guter Rat, alles der Gnade zu überlassen, wiederum als Strategie missverstanden wird. Der Glaube selbst gerät dann zum „Werk“. Und damit hat uns der verkehrte Impuls, zu unsren Gunsten auf Gott Einfluss nehmen zu wollen, wieder eingeholt. Auch wenn einer der Gnade gegenüber eine empfangende Haltung einnimmt, kann das immernoch der Versuch sein, klug auf Gott einzuwirken. So hat man der Anbiederung nicht abgeschworen, sondern nur eine plumpe Methode gegen eine subtilere getauscht. Und die Idee, man könne Gott „gerecht“ werden, indem man es ihm „recht macht“, ist nicht aufgegeben. Man unterlässt dann zwar alles „Rühmen“. Doch auch dadurch will man Gott noch gefallen und „Punkte sammeln“. Man pocht nicht auf „Verdienste“, aber ersatzweise auf den Glauben. Und damit ist wenig gewonnen. Denn die Hintergedanken sind dieselben. Und man weiß nicht, wie man sie loswerden soll. Wie kann einer zu Gott in Beziehung stehen, ohne diese Beziehung mit zu gestalten? Und wie könnte er dabei sein persönliches Interesse verleugnen, wenn er doch ganz von Gott abhängig ist? Man will es Gott recht machen – und sich selbst damit nützen. Man möchte ihn eben gern auf seiner Seite haben! Wie könnten wir also dem Wunsch, unsere Gottesbeziehung vorteilhaft zu ordnen, jemals entkommen? Nichts scheint natürlicher, als dass wir uns bei Gott beliebt machen wollen. Und doch – wie wir gesehen haben – sind Versuche der Anbiederung verkehrt und aussichtslos. Wie geschickt wir uns auch gegenseitig manipulieren, gewinnen wir doch keinen Einfluss auf Gott – und sollten ihn auch gar nicht gewinnen wollen! Weil wir’s aber nicht lassen können, muss uns Gott am Ende nicht bloß die sündige Abkehr verzeihen, sondern auch die eigennützigen Versuche der Zuwendung zu Gott. Wir beleidigen ihn nicht allein durch böse Werke, sondern selbst noch durch die guten, die wir mit Berechnung tun. Und wie wir Gott durch unseren Unglauben kränken, so nicht minder durch einen Glauben, der sich „lieb Kind machen“ will. Auch darin ist Gott verkannt. Und so sind ihm nicht nur unsre Schwächen ein Ärgernis, sondern auch die religiösen Tugenden, mit denen wir ihn so gern beeindrucken würden. Ob wir unsere Gottesbeziehung ungeordnet lassen oder sie eigenmächtig ordnen wollen – beides scheint verkehrt. Sich ausdrücklich nicht anzubiedern, ist manchmal auch nur eine Strategie, um sich an Gott „ranzuschmeißen“. Was können wir also tun? Nun, aussichtslos ist die Sache nicht. (1) Man kann den Fehler, der sich ständig wieder einschleicht, genauso beharrlich immer wieder verwerfen, sich bei Gott dafür entschuldigen und anschließend sich selbst misstrauen, wie ein trockener Alkoholiker klugerweise sich selbst misstraut. Jedes noch so fromme Rezept beleidigt Gott, eben weil es ein „Rezept“ ist.  (2) Man kann die Bereinigung der Gottesbeziehung – statt sie anmaßend selbst in Angriff zu nehmen – ganz bewusst in die Hände Christi legen. Denn nur da liegt sie gut. Christus ist dieser Aufgabe gewachsen, wir sind es definitiv nicht. Also sagt man: „Mach‘ du, Herr!“ (3) Und, das ist der entscheidende Punkt: Man kann sich klar machen, dass sich unser religiöses Streben erledigt hat – durch Erreichen des Ziels. Christus kam uns zuvor. Er stiftete bereits den Frieden, nach dem wir uns sehnen. Und damit ist unser verkehrtes Bemühen überflüssig geworden. Gottes Sohn hat die Sache längst erfolgreich bereinigt. Wir kommen 2000 Jahre zu spät. Alles ist schon in trockenen Tüchern. Und Christi Werk bedarf unsrerseits keiner Ergänzung. Er hat schon alles vollbracht. Und so müssen wir einsehen, dass uns zu unsrem Heil nichts zu tun übrig bleibt. Denn wer gerettet wurde, macht sich lächerlich, wenn er dieselbe Rettung nochmal „auf eigene Faust“ angehen will, und wer befreit wurde, kann sich kein zweites Mal befreien. Denn, wie sollte er das machen? Da ist ja kein Gefängnis mehr! (4) Weil das aber so ist, dürfen wir uns darauf beschränken, aus den von Christus geschaffenen Fakten die Konsequenzen zu ziehen – so dass wir nicht mehr unsere Gottesbeziehung zu heilen versuchen, sondern uns nur noch darin üben, der geheilten Beziehung entsprechend zu denken, zu reden und zu handeln. Die von Christus geschaffenen Fakten sind anzuerkennen. Dank seinem Einsatz sind wir Kinder Gottes. Wir müssen nur noch lernen, entsprechend zu leben. Und auf irgendwelche Versuche, Gott durch Wohlverhalten zu beeindrucken, können wir verzichten. Denn diese Akte ist geschlossen. Statt die eigene Seele zu retten (was sowieso nicht funktionieren würde), ziehen wir nur noch die Folgerungen daraus, dass sie bereits gerettet ist. Ein anderer hat unsere Gottesbeziehung in Ordnung gebracht, der’s besser konnte. Christus gebührt dieser Ruhm. Und unsrerseits bedarf es nur der Anerkennung des Tatbestandes, den kein Christ bestreiten kann: Wir sind Gott recht und gefallen ihm schon, weil ihm Christus gefällt, zu dem wir gehören. Nach dem, was Christus stellvertretend für uns tat, ist Gott durch nichts anderes mehr zu beeindrucken. Und es bedarf dessen auch nicht. Es gibt keinen Deal, den wir ihm anbieten, und keinen Gefallen, den wir ihm tun könnten. Gott hat keine Bedürfnisse, die wir bedienen könnten, um uns bei ihm beliebt zu machen. Und er ist nicht eitel, so dass ihm unser Lob schmeichelte. Das alles ist viel zu menschlich gedacht. Und darum ist es Zeit, sich die verkehrten Ambitionen aus dem Kopf zu schlagen. Wir haben diese Techniken im Kontakt mit Dienstherren und Despoten, mit Vorgesetzten und Königen erlernt. Da macht man Bücklinge und drechselt Komplimente, da schmiert man Honig ums Maul. Doch Gott gegenüber funktioniert es nicht. Da ist alles Nötige ganz ohne unsre Beteiligung durch Gottes Sohn geschehen. Der hat unsre Angelegenheiten ein- für allemal geregelt. Und wir müssen nur noch die Konsequenzen daraus ziehen, dass sie so gut geregelt sind. Gott gnädig zu stimmen, ist zwar ein Projekt, mit dem sich religiöse Menschen seit Jahrtausenden plagen. Aber sie tun es nur, weil sie Gott nicht kennen. Wäre es tatsächlich Aufgabe des Menschen, Gott gnädig zu stimmen, würde es auch nie gelingen. Doch als Christen dürfen wir uns drauf verlassen, dass Gott uns um Christi willen gnädig ist. Das stand schon fest, bevor die Frage uns Sorgen machte. Und folglich dürfen wir uns beruhigen – und können einander sagen: „Lass stecken!“ Wir sollten alles unterlassen, was nur darauf zielt, Gott für uns einzunehmen. Denn wenn das Neue Testament nicht lügt, ist die Sache erledigt. Christus hat unsere Prüfung stellvertretend bestanden. Um seinetwillen stehen wir uns gut mit Gott. Und wir sollten uns nicht benehmen, als ob wir der guten Nachricht nicht trauten. So mag es verfrüht sein für einen Menschen, der noch gar nicht weiß, ob er im Ernst Christ sein will. Steht ihm das aber fest, so zögere er nicht länger, sondern mache hinter die Frage seiner Erlösung einen dicken Haken. Denn so endet der Spuk ganz von selbst.

 

 

 

Bild am Seitenanfang: Two Men At Prayer

Circle of Quentin Metsys (1466-1530), Public domain via Artvee