Sterben können (Ars moriendi)
A:
Ach, es ist zu dumm! Gerade jetzt – wo es aussieht, als ob ich sterben müsste – fällt mir alles ein, was ich noch gerne machen wollte, und wie das Leben doch schön ist, und ich die Welt so lieb habe, dass ich sie nicht verlassen will.
B:
Aber wusstest du nicht längst, dass dieser Tag kommen würde? Und ist dir nicht klar, dass du gar nicht für diese Welt allein geschaffen bist? So wie jeder Mensch bist du geschaffen zu jener ewigen Gemeinschaft mit Gott, die man in der Welt nur auf anfängliche und unvollkommene Weise haben kann. Darum lag das Ziel deiner Reise schon immer jenseits dieser Welt in Gottes Reich! Und wenn du sterbend dahin gelangst, ist das kein Unglück. Denn verglichen mit dem Reich Gottes ist diese Welt ein armseliger Ort, voller Not, Bedrängnis und Gefahr!
A:
Ja, ich glaubte das wohl gern. Aber ist das Reich Gottes nicht den guten Menschen vorbehalten? Ich gehöre bestimmt nicht zu den Guten! Viel eher kommt mir der Tod wie eine Strafe vor, für all das, was ich falsch gemacht habe.
B:
Ich bestreite nicht, dass du im Laufe deines Lebens schwer gesündigt hast. Diese Last liegt auf uns allen. Aber wie wir nicht wegen unserer Verdienste in den Himmel kommen, werden wir auch nicht wegen unsrer Fehler davon ausgeschlossen. Oder was denkst du, warum Christus für dich und mich gestorben ist? Genau dazu hat er deine Schuld auf sich genommen und dir vergeben, damit du nicht als Belasteter, sondern als Erlöster dem Tod entgegen gehst. Befasse dich also nicht mehr mit dem, was du getan hast, sondern mit dem, was Christus für dich tat. Dann wird deine Angst schwinden.
A:
Ja, wenn ich ein rechter Christ gewesen wäre, würde mich beruhigen, was du da sagst: Die wirklich Gläubigen wird Christus bestimmt retten! Aber so einer war ich doch nicht. Wie oft bin ich bloß meinen Wünschen gefolgt und nicht Gottes Geboten. Wie oft hätte ich Gottes Wort hören können und bin zu faul gewesen. Wie oft war ich zum Abendmahl eingeladen und bin nicht hingegangen. Tausend Dinge waren mir wichtiger. Mein Leben war alles andere als ein klares Bekenntnis zu Christus! Warum sollte er sich nun zu mir bekennen? Er hat wirklich keinen Grund mir gnädig zu sein!
B:
Das stimmt, und ich verstehe, dass es dich in Angst versetzt, solange du auf dich selber schaust. Du solltest deinen Blick aber auf Gott wenden. Denn der ist nicht so unentschlossen wie du. Und war dein Glaube auch nur schwach, so ist doch der nicht schwach, an den du glaubst. Gott macht keine halben Sachen. Und du weißt sehr gut, was er im Neuen Testament zusagt: Gott will den Seinen das Ewige Leben schenken. Er verwandelt ihren Tod in einen neuen Anfang. Oder willst du leugnen, was das Evangelium so deutlich sagt? Denkst du, Gott würde lügen?
A:
Nein, nein – das natürlich nicht. Und die, die wirklich Christi Jünger sind, wird er bestimmt retten. Aber wie soll ich wissen, dass ich dazu gehöre? Sicher gibt es den Himmel und das ewige Leben! Aber wahrscheinlich nicht für mich. Denn ich fürchte, ich habe keinen Anteil dran.
B:
Aber hast du etwa keine Sehnsucht, ein Kind Gottes zu sein? Und beweist nicht diese Sehnsucht, dass der Heilige Geist in dir wirkt? Vielleicht fühlst du ihn nicht immer – und gerade jetzt am wenigsten. Aber du bereust doch, ein so halbherziger Christ gewesen zu sein. Es quält dich, wieviel du Gott schuldig geblieben bist. Du erkennst deine Versäumnisse und sehnst dich nach der Gnade, deren du bedürftig bist. Würdest du von alledem auch nur das Geringste empfinden, wenn Gottes Geist dich wirklich verlassen hätte? Du wünschst dir, bei Gott geborgen zu sein! Du streckst dich nach ihm aus! Und das ist ein sicheres Zeichen, dass dein Glaube vielleicht schwach – aber jedenfalls nicht tot ist. Auch der schwächste Glaube kann nach Christus greifen wie nach einem Rettungsanker und sich an ihn dranhängen. Hast du aber Christus mit deinem Glauben wie mit einer Hand gefasst, so hast du mit Christus zugleich auch die Vergebung und die Gnade des Vaters. Stehst du aber in Gottes Gnade – was wird dir der Tod noch groß schaden können? Allen, die sich an Christus halten, will Gott um seinetwillen die ewige Seligkeit schenken. Er hat’s versprochen und steht zu seinem Wort, so dass du den Tod nicht mehr fürchten musst. Oder willst du Gott beleidigen, indem du sein Wort in Zweifel ziehst?
A:
Nicht doch, nein! Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass es ausgerechnet mir gilt, weil ich‘s doch so gar nicht wert bin, verewigt zu werden, und auch keinen starken Glauben in mir fühle, sondern nur die schiere Angst! Als es mir noch gut ging, habe ich kaum einmal nach Gott gefragt. Und nun, da mir das Lachen vergangen ist und die blanke Not mich zu ihm treibt – da sollte Gott sich erbarmen und mir helfen?
B:
Du hast schon Recht. Wäre Gott ein Mensch, würde er dir einiges heimzahlen. Aber zum Glück ist Gott anders! Er weiß genau, was dir so peinlich ist. Aber weil er dich kennt, hat er ja auch vorgebeugt. Oder meinst du, wenn viel Gutes in dir wäre, wär’s nötig gewesen, dass Christus für dich stirbt? Nein. Wenn viel Gutes in dir wäre, hätte Gottes Sohn im Himmel bleiben können. Als „gute Menschen“ wären wir allein klargekommen – und Christus hätte sich das mit dem Kreuz ersparen können. Weil er aber genau wusste, wie wir sind, darum hat er sich die Mühe gemacht und den hohen Preis gezahlt, der nun die Rettung unserer Seelen möglich macht. Gerade für so fragwürdige Gestalten wie dich und mich ist er diesen Weg gegangen. Denn zu den Gesunden muss ja kein Arzt kommen. Christus kam ganz bewusst zu uns Kranken.
A:
Es ist lieb, dass du mich so trösten willst. Aber ich fühle mich noch nicht bereit, meinem Schöpfer gegenüber zu treten. Er hat mir so viel anvertraut, und ich habe so wenig draus gemacht. Wie viel Zeit und Kraft habe ich vergeudet! Fordert er jetzt Rechenschaft von mir, habe ich wenig vorzuweisen – und fürchte seinen Zorn!
B:
Das ist nicht unbegründet. Aber je mehr du Gottes Strenge fürchtest, umso entschlossener solltest du zu seiner Barmherzigkeit hin flüchten und Christus bitten, im Jüngsten Gericht dein Fürsprecher zu sein. Denn einen anderen gibt es da nicht. Christus ist dort dein einziger Schutz, dein einziger Verteidiger und Rechtsanwalt. Und kannst du dich in der Tat nicht auf ein gutes Leben berufen, so berufe dich um so entschiedener auf ihn und auf sein Werk, damit am Ende nicht den Ausschlag gibt, was du getan hast, sondern was Christus für dich tat. Einen anderen Freispruch, als um seinetwillen, wird es nicht geben. Darum ziehe daraus den einzig klugen Schluss: Dein Gewissen klagt dich an, Gottes Gesetz klagt dich an und der Satan tut es mit besonderer Freude. Wenn du aber zu deiner Verteidigung wirklich nichts vorbringen kannst, dann lass Christus für dich sprechen, bring dich hinter ihm in Deckung, und du wirst sehen, dass Gottes Güte mächtiger ist als all dein Versagen. Oder traust du ihm nicht zu, dass sein Erbarmen größer ist als unsere Schwäche?
A:
Doch, klar, natürlich kann Gott alles, was er will. Und zu gern würde ich mich auf Christus berufen. Aber darf ich das überhaupt? Ich glaub‘ die Frommen dürfen das – aber ich doch nicht.
B:
Das ist seltsam. Denn als du getauft wurdest auf den Namen Jesu Christi, warst du da etwa nicht gemeint? Oder war damals irgendwie zweifelhaft, wem das Sakrament gespendet wurde? Wurde nicht am Taufbecken dein Name genannt? Und floss das Wasser nicht eindeutig über deinen Kopf? Noch bevor du etwas wusstest, hat sich Christus mit dir verbunden! Und nun sollte er dich nicht mehr kennen? Er hat dich doch nicht verwechselt. Die Taufe damals galt dir persönlich. Wie solltest du also nicht berechtigt sein, dich heute drauf zu berufen? Die Taufe hat dich von allen Sünden gewaschen – war das etwa nichts? Die Taufe hat dich in den Gnadenbund aufgenommen – hat der etwa seine Gültigkeit verloren? Oder meinst du, Gott hätte seine Zusagen inzwischen vergessen? Christus sagt: Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden (Mk 16,16). Wie also: Bist du etwa nicht getauft? Wirst also nicht auch du durch den Tod hindurch selig werden?
A:
Aber meine Taufe liegt so weit zurück, dass ich mich nicht mal erinnere! Und ich habe schrecklich wenig draus gemacht! Woher soll ich wissen, dass Gott noch dazu steht? Vielleicht bin ich längst aus dem Gnadenbund herausgefallen und wurde aus dem Buch des Lebens gestrichen?
B:
Selbst wenn dem so wäre, könntest du es noch hier und heute ändern. Denn die Taufe ist wie ein Schiff. Auch wenn wir über Bord springen in das Meer des Unglaubens, geht davon das Schiff nicht unter und entfernt sich auch nicht. Wir können wieder zurückschwimmen und ins Schiff klettern, das uns dann wohlbehalten in den Hafen der ewigen Seligkeit trägt.
A:
Du sagst das sehr schön. Aber woran sehe ich, dass es auch wirklich so ist? Ist es nicht bloß eine vage Hoffnung?
B:
Nein, mit deiner Taufe wurden Fakten geschaffen. Und dass Gott dich annimmt, ist eine Erfahrung, die du immer wieder machen und sogar schmecken und sehen kannst, wenn du das Abendmahl empfängst. Liegt deine Taufe auch weit zurück, kannst du das Abendmahl doch heute noch haben und bekommst mit dem Brot das ewige Leben selbst in die Hand gedrückt. Du empfängst den Leib und das Blut des Auferstandenen, der den Tod überwunden hat, und bist dadurch selbst ein Glied an seinem Leib. Hat der Tod aber keine Macht über den Auferstandenen, der sich dir schenkt und sich dir so eng verbindet – wie sollte der Tod noch Macht haben über dich? Du bist noch nicht gestorben, und doch steht schon fest, dass Christus dich fröhlich auferwecken wird am Jüngsten Tag. So einem Freund kannst du doch beruhigt entgegen gehen!
A:
Ach, das ist eine schöne Hoffnung – und sicherlich ein Trost für alle, die‘s verdient haben. Ich aber habe nichts vorzuweisen, wofür mich Gott so reich belohnen müsste. Ich bin anderen oft genug eine Plage gewesen. Ich habe die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Jetzt zahlt Gott es mir heim und lässt mich zugrunde gehen, wie ich’s auch nicht besser verdiene.
B:
Aber denkst du denn, irgend ein anderer Mensch hätte das ewige Leben „verdient“, so dass Gott es ihm schuldig wäre? Keiner von uns ist wert oder würdig, in den Himmel zu kommen! Keiner hat‘s so verdient, wie man sich durch fleißige Arbeit eine Prämie „verdient“. Unser aller Leben ist ein Scherbenhaufen voll verpasster Chancen, und im Gericht wird zu Tage treten, dass wir eigentlich alle in die Hölle gehören. Das wäre das einzige, worauf wir einen berechtigten Anspruch hätten! Aber – davon rede ich doch die ganze Zeit – dass man seinen Scherbenhaufen mit Bedauern Gott zu Füßen legen kann, und dass man, wenn man ihm sein Versagen gesteht, statt der Verdammnis um Christi willen Gottes Gnade empfängt. Christus selbst lädt dazu ein! Fehlt‘s dir also an Gerechtigkeit, so verweise auf Christi Gerechtigkeit. Schämst du dich deines Namens, so benutze einfach seinen Namen. Und fehlt’s dir an Heiligkeit, so bedecke deine Blöße mit Christi Heiligkeit. Er will dir den Hals retten. Eben dazu ist er Mensch geworden. Also steh‘ ihm nicht durch dein Zaudern im Weg, sondern lass ihn tun, was er für dich tun will!
A:
Du hast wohl Recht. Aber ist es nicht zu spät? Als ich jünger war, hätte ich darauf hören sollen. Aber nun ist es schon bald zu ende mit mir. Ich kann nicht noch mal von vorn anfangen, um es besser zu machen. Mein Lebenslicht flackert gewaltig. Gott wird es bald ausblasen. So habe ich meine Chance wohl verpasst – und Gottes Tür ist zu.
B:
Noch atmest du! Oder etwa nicht? Noch bist du bei Verstand und kannst eine Entscheidung treffen. Denn dazu reichen fünf Minuten. Die Bibel erzählt von einem üblen Kerl, der neben Christus gekreuzigt wurde und sein verpfuschtes Leben noch in den letzten Minuten Christus anvertraute. Und ein paar Worte genügten! Christus sagt diesem Schwerverbrecher zu, dass er mit ihm zusammen ins Paradies kommt (Lk 23,39-43)! Außerdem erzählt Jesus das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. Von denen werden einige erst spät am Abend eingestellt. Und obwohl sie so verspätet hinzustoßen, erhalten sie den vollen Lohn für die Arbeit eines ganzen Tages (Mt 20,1-16)! Täusche dich also nicht. Solange du lebst, ist Gottes Tür noch offen, und wenn du bei ihm anklopfst, wird er dich nicht abweisen. Seine Geduld ist groß! Umso entschlossener nutze aber die Zeit, die dir bleibt!
A:
Ich verstehe schon, wie gut du es meinst. Aber zu neuen Entschlüssen fehlt mir inzwischen die Kraft. Und wenn ich auch kurz meine, ich hätte durch deine Worte Zuversicht gewonnen, kann ich’s doch nicht festhalten und sinke bald wieder zurück in die trübe Finsternis, die mich bald ganz umgeben wird. Denn mein Wille ist kraftlos und mein Verstand getrübt. Ich bin unendlich müde und wie gelähmt…
B:
Das glaub‘ ich – und sehe deine Schwäche. Aber du sollst auch gar nichts Großes mehr tun, sondern – im Gegenteil – alles unserem Gott überlassen. Der ist nämlich weder schwach noch müde, sondern ist allzeit beharrlich genug, um dein Schwanken auszugleichen. Wenn dir alles entgleitet, wird er für dich stark sein. Und wenn du einschläfst, wird er für dich hellwach sein. Er ist verlässlich, wo du versagst, und aufrecht, wo du fällst. Wie sollte also deine Schwäche seine Treue aufheben, oder ihr gegenüber das letzte Wort behalten? Was Gott am Tag deiner Geburt begonnen hat, das kann er auch zu einem guten Ende führen. Und deine Seele, die Christus so teuer erkauft hat, lässt er sich bestimmt nicht wieder nehmen.
A:
Ich weiß schon wie du’s meinst, und wollte mich auch gerne Gott in die Arme werfen, wie du es mir rätst. Aber ich sehe ihn nun mal nicht und spüre ihn nicht. Den Tod dagegen mit seinen Schmerzen – den habe ich deutlich vor Augen! Ich fühle täglich mehr, wie er nach mir greift. Und so bin ich dann doch voller Angst und klammere mich verzweifelt an den kläglichen Rest meines irdischen Lebens.
B:
Es ist normal, dass wir im Sterben keine Helden sind. Es gehört zur menschlichen Schwäche, dass wir jenes Vergängliche, das uns genommen wird, höher schätzen als das Ewige, das Gott uns schenken will. Doch wie viel wir auch jammern – festhalten können wir das irdische Leben trotzdem nicht. Denn es ist uns nur geliehen auf Zeit. Und wenn nach gebotener Frist der Eigentümer kommt, um das Seine zurückzufordern, ist das nur recht und billig. Du kannst ihm nicht vorenthalten, was ihm gehört – und hast auch gar keinen Grund dazu. Denn er kommt ja nicht, um dich zu verderben, sondern legt dich nur in einen kurzen Schlaf, aus dem er dich bald wieder auferwecken will. Stell dir vor: selbst dein so kranker Leib, der dir den Dienst versagt, soll auferstehen, um herrlicher und schöner zu werden, als er hier auf Erden jemals war! Ein Christ wird durch den Tod nicht vernichtet, sondern durch den Tod hindurch vollendet! Und davor fürchtest du dich nur so sehr, weil es deine Vorstellungskraft übersteigt. Natürlich klebt der Mensch an dem, was er kennt und gewohnt ist. Doch was du durch Gottes Gnade gewinnen wirst, ist viel besser, als was du an diesem Leben verlierst. Sterben heißt für Gottes Kinder, zum Frieden zu kommen und in die Freiheit zu gelangen. Es heißt Ruhe finden und nach Hause kommen, erleichtert werden und dann ungestörte Gemeinschaft mit Christus genießen.
A:
Aber was ist mit dem Übergang dorthin – und mit den Schmerzen, die ich so sehr fürchte? Es ist gar nicht so sehr das Ziel, das mir Sorgen macht. Aber der qualvolle Weg dorthin – der schreckt mich doch sehr.
B:
Ich will nicht leugnen, dass Sterben schrecklich sein kann. Und auch wenn wir ihn von Herzen darum bitten, können wir nicht wissen, ob Gott dir die letzte Not verkürzt. Doch will ich dir sagen, dass es Geburtsschmerzen sind, wie du sie schon einmal erlebt hast, als deine Mutter dich zur Welt brachte. Und wie ein Säugling nicht verstehen kann, warum‘s bei seiner Geburt so unruhig, so bedrängend und notvoll zugeht, so verstehen wir auch unser Sterben nicht. Denn die alte Welt, aus der wir hinaus müssen, ist uns viel vertrauter als die neue Welt, in die hinein wir geboren werden. Doch können wir hier so wenig bleiben, wie der Säugling im Bauch der Mutter bleiben kann. Wir müssen hinaus. Und so geht auch diese Geburt nicht ohne Angst und Not vorüber, denn die Pforte, die durch den Tod ins Leben führt, ist nun mal eng. Denke aber dran: So wie die Geburt im Kreißsaal, wärt auch das Sterben nicht ewig. Der Schmerz ist befristet, und der Weg schon längst gebahnt. Denn Christus ist uns vorangegangen. Er ist bereits auferstanden und zieht nun die Seinen nach! Er erwartet uns auf der anderen Seite, damit wir in Gottes Reich kommen und dort ewig bei ihm sind.
A:
Wenn ich aber lieber noch ein bisschen hier bliebe, in dieser schönen Welt? Ich hatte mir doch noch viel vorgenommen – und könnte noch viel Nützliches tun, das nun unerledigt bleibt!
B:
Ach, quäle dich doch nicht damit! Wir alle nehmen uns furchtbar wichtig und denken, die Welt könne sich ohne uns nicht weiterdrehen. Aber ich vermute, was dich hier festhält, ist die ungesunde Liebe, mit der du an der Welt hängst. Und die ist gefährlich. Denn du solltest dein Leben nicht mehr lieben als den, der es dir gegeben hat. Du solltest das Geschaffene nicht höher schätzen als den Schöpfer. Oder gefällt dir eine Erde voller Bosheit am Ende besser als ein Himmel voller Güte? Willst du weiter streben nach dem trügerischem Glück dieser Welt, statt loszulassen? Lass dich warnen! Liebst du das Vergängliche, so wirst du mit ihm vergehen, liebst du den Ewigen, wirst du mit ihm verewigt. Das, woran dein Herz hängt, dessen Schicksal wirst du teilen! Also wähle, wonach dich mehr verlangt. Und wenn du dich nicht Gott, sondern dieser Welt verschreibst, die dich doch bald im Stich lässt, so sei dir der Konsequenzen bewusst.
A:
Ach, so ist es ja gar nicht! Nur schreckt mich eben das dunkle Grab. Ich fürchte die Verwesung und was da mit meinem Körper passiert. Wie soll ich denn gelassen auf das zugehen, was doch so widerlich und grausam ist, und den ganzen Menschen zu Staub und Asche macht?
B:
Natürlich scheuen wir den Verfall unseres Leibes und das jämmerliche Bild, das wir dann abgeben. Doch zeigt schon die Natur, dass man ein Samenkorn in der Erde begraben muss, damit neues Leben daraus entsteht. Auch so ein Weizenkorn scheint der Verwesung preisgegeben, wenn’s der Bauer in die Erde wirft. Und doch ist genau das der einzige Weg, wie es grünen, sprießen und Frucht tragen kann. Wenn uns das aber schon die Natur vormacht, um wieviel mehr wird Gott in der Lage sein, unsere toten Leiber aufzuerwecken zu neuem Leben? Natürlich weiß unsere Vernunft nicht, wie das zugehen soll. Und natürlich kommt es dir schrecklich vor, zu „nichts“ zu werden! Aber warst du nicht schon in der Zeit vor deiner Geburt so ein „nichts“? Und wird nicht der Schöpfer, der deine Person damals aus dem „nichts“ ins Leben rief, das unschwer auch ein zweites Mal können? Was immer du verlierst, kann Gottes Hand dir wiedergeben, und was in der Vergangenheit verschwindet, kann er in der Zukunft wieder hervorziehen. Ein Wort von ihm genügt! Was fürchtest du also? Kannst du dich davor fürchten, erneuert, vollendet und erlöst zu werden? Kannst du dich fürchten, zu Christus zu gehen? Er gab sein Leben, um dich zu retten. Meinst du, er würde dich nun fallen lassen? Er ist auferstanden, um dir den Weg zu bahnen. Meinst du, er würde dich jetzt zurücklassen? Er hat deine Schuld im tiefsten Meer versenkt. Meinst du, er erlaubte irgendwem, sie von dort wieder heraufzuholen und gegen dich zu verwenden? Was an dir irdisch und vergänglich ist, das zittert und bangt. Es kann nicht anders sein. Doch befiehl nur deine Seele in Gottes Hand und überlass dich ganz ihm, so wirst du sehen, dass er treu ist und Wort hält – im Leben, im Tod und darüber hinaus.
Bild am Seitenanfang: Klosterruine im Schnee
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