Wie du glaubst, so hast du
Wenn sie jemand fragte, wie Gott so ist und was man von ihm zu erwarten hat – was würden sie dem antworten? Würden sie sagen „ach, mach dir keine Sorgen, denn Gott ist total nett“. Oder „pass lieber auf, denn Gott ist streng“? Würden sie sagen „naja, er ist schon hart, aber gerecht“? Oder würden sie sagen, „er ist ganz geduldig und lieb“? Ich vermute, wir könnten die Frage, „wie Gott denn so ist“, nicht mit einem Wort beantworten. Wir müssten schon ein bisschen ausholen. Und trotzdem könnte bei dem, der so fragt, immer noch das Missverständnis bestehen bleiben, dass Gott, so wie er ist, für alle ist. Denn viele denken, dass Gott, wenn er ihnen als „gütig“ beschrieben wird, automatisch zu allen gleich „gütig“ sei. „Wieso auch nicht,“ sagen sie, „es haben doch alle denselben Gott! Wenn der seinem Wesen nach boshaft wäre, hätten alle einen boshaften Gott. Und wenn er lieb ist, haben alle einen lieben Gott. Sag mir also, wie Gott „darauf ist“, dann weiß ich auch, wie er zu mir ist und was ich zu erwarten habe.“ Sie meinen, das ließe sich mit einer pauschalen Auskunft klären, so wie alle, die an einem Ort wohnen, vom selben Wetter betroffen sind. Wenn die Sonne scheint, scheint sie für alle. Und wenn’s hagelt, trifft auch alle der Hagel! Doch so einfach ist das nicht. Denn die Frage, wie Gott zu einem Menschen steht, ist unlöslich damit verbunden, wie dieser Mensch zu Gott steht. Habe ich einen gnädigen Gott, muss mein Nachbar noch lange keinen gnädigen Gott haben. Und zürnt Gott über ihn, muss er noch lange nicht zürnen über mich. „Ja, aber wieso?“ heißt es dann. „Ist es nicht derselbe Gott, weil’s doch nur einen gibt? Und muss der nicht so, wie er für mich ist, für alle sein? Oder sollte Gott etwa unbeständig sein wie eine „schillernde Persönlichkeit?“ Nein, das gewiss nicht. Gott ist mit sich ganz einig und bleibt in sich immer derselbe. Nur lassen sich eben die beiden Fragen – wie er zu mir steht, und wie ich zu ihm stehe – nicht voneinander trennen, sondern Luther sagt ausdrücklich: „wie du glaubst, so hast du“. Glaubst du Gott seine Gnade, so stehst du auch in seiner Gnade. Doch glaubst du ihm seine Gnade nicht, so hast du sie auch nicht. Denn sie gilt nur dem, der nach ihr greift und damit anerkennt, dass er sie nötig hat. Das ist aber bloß darum ein wenig verwirrend, weil sich Gottes Evangelium in diesem Punkt von seinem Gesetz unterscheidet. Dass der Mensch nämlich unter Gottes Geboten steht und großen Zorn auf sich zieht, wenn er gegen Gottes Gesetz sündigt – das ist bei allen gleich, weil alle von Geburt an ihrem Schöpfer Gehorsam schulden. Und wenn’s einer nicht wahrhaben will, gilt’s ihm natürlich trotzdem! Das andere aber, jenes Evangelium, das uns um Christi willen Vergebung zusagt, das gilt nicht einfach für jeden, sondern nur für die, die es sich im Glauben aneignen. Denn schließlich wird keiner gegen seinen Willen oder ohne sein Wissen gerettet, sondern: wer Gottes Gnade ergreift, der hat sie auch – wer aber nicht zugreift, der hat sie nicht. Gott sieht, in welchem Verhängnis wir als Sünder stecken, verweist uns auf das Kreuz Christi und sagt: „...siehe da, glaube an Christum, in welchem ich dir zusage alle Gnade, Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit; glaubst du, so hast du, glaubst du nicht, so hast du nicht; (...) denn ich habe kurz in den Glauben gestellt alle Dinge, dass, wer ihn hat, soll alle Dinge haben und selig sein, wer ihn nicht hat, soll nichts haben.“ (Martin Luther)
Wer Christus annimmt und ihn ergreift, wie er zugleich von ihm ergriffen wird, der hat in und mit Christus einen gnädigen Gott, all seinen Segen, das ganze Heil und das ewige Leben. Wer’s aber nicht tut, hat weiterhin einen zornigen Gott und bleibt umso mehr seinem Fluch verhaftet, als er ja das Angebot der Versöhnung ausschlug. Misstraut er Gottes Milde, so übt Gott auch keine Milde, sondern den unversöhnlichen Gott, an den er glaubt, den hat er dann auch auf dem Hals. Das aber natürlich nicht, weil menschliches Verhalten etwas an Gottes Wesen ändern könnte, sondern weil Gott unsere Stellung zu ihm und seine Stellung zu uns so eng miteinander verknüpft. Jene, die ihn für einen Tyrannen halten, enttäuscht er nicht, sondern denen begegnet er auch wie ein Tyrann. Jene aber, die zu ihm flüchten als zu ihrem barmherzigen Vater, die enttäuscht er noch viel weniger, sondern denen erweist er sich als barmherziger Vater. Denn so, wie sie ihn glauben, haben sie ihn dann auch. Gegen die Treuen ist Gott treu – und gegen die Verkehrten ist er verkehrt. Seinen Freunden ist er ein Freund – und seinen Feinden ein Feind. In beider Hinsicht hält er aber unverbrüchlich sein Wort. Denn dass Gott sich so verhält, wird uns in der Bibel ja vorausgesagt und erklärt. Wer da hineinschaut, kann nicht überrascht sein. Und so hart es auch scheint für die Unbelehrbaren und Verstockten, so tröstlich ist es für die Gläubigen. Denn die erfahren genau das, was ihnen Jesus im Evangelium zugesagt hat, und erleben, dass jedes seiner guten Worte auf sie persönlich Anwendung findet, gemäß einer unausweichlichen göttlichen Logik: Du glaubst an deinen himmlischen Vater, darum wird er sich dir auch als guter Vater erweisen. Du glaubst, dass er dich geschaffen hat, darum wird dein Schöpfer dich auch nicht vergessen. Du glaubst, dass Jesus in die Welt kam, um die Sünder selig zu machen, darum wird er nicht versäumen, das auch an dir zu tun. Du glaubst, dass er am Kreuz sein Blut für dich vergossen hat, darum wird sein Blut dich reinwaschen von aller Schuld. Du glaubst, dass Christus auferstanden ist, darum wird auch dein Tod nur ein Übergang sein ins ewige Leben. Du glaubst, dass Christus zur Rechten Gottes sitzt, um unser Fürsprecher zu sein, darum wird er dich auch gegen jede Anklage verteidigen. Du vertraust auf Gottes Treue, darum wirst du sie auch erfahren. Du bekennst dich zu ihm, darum bekennt er sich zu dir. Ja, mit dieser Gewissheit dürfen wir leben und sterben, dass wir an dem, was wir glauben, schon heute Anteil haben. Unser Glaube versetzt uns in die Wirklichkeit, von der das Evangelium redet. Jene anderen aber, die drüber lachen, weil sie von Gott sowieso nichts halten – dürfen die sich wundern, wenn er auch von ihnen nichts hält? Dürfen die sich beklagen, wenn sie von alledem, woran sie nicht glauben, auch nichts abbekommen? Dürfen sie jammern, dass im Himmel kein Platz für sie ist, wo sie den Himmel doch für ein Märchen halten? Sie bezweifeln ein Leben lang Gottes Güte, darum profitieren sie auch nicht von Gottes Güte. Und so wie sie sich zu Christus verhalten in der Zeit, so verhält er sich zu ihnen in der Ewigkeit. Denn das ist logisch und gerecht zugleich. Glaubst du nichts, so hast du auch nichts – außer einem kurzen Sünderleben und der Last einer Verantwortung, die du nicht tragen kannst. Glaubst du aber Gott die herrliche Gnade, die er dir in Christus anbietet, so hast du diese Gnade auch – und bist aus dem Schneider. Will aber jemand dran zweifeln oder denkt er, das sei bloß meine Idee, so findet er’s bewiesen an unzähligen Stellen des Neuen Testaments. Denn wenn da die Blinden und Lahmen Jesus hinterherschreien und sich hilfesuchend an ihn wenden, bekunden sie damit ja ihren Glauben. Sie trauen ihm zu, dass er mächtig ist zu heilen und zu retten, sie erkennen ihn als Gottes Sohn. Und diesen Glauben enttäuscht Jesus dann nie, sondern, nachdem er den Leuten in ihrer Not geholfen hat, sagt er ausdrücklich, ihr Glaube sei der eigentliche Grund ihrer Rettung gewesen. Jesus sagt: „Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast“ (Mt 8,13). Oder: „Sei getrost, dein Glaube hat dir geholfen“ (Mt 9,22; vgl. Mk 10,52; Lk 7,50; Lk 8,48; Lk 17,19; Lk 18,42). Er sagt: „Dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst!“ (Mt 15,28; vgl. Mt 9,29). Oder: „Dein Glaube hat dich gesund gemacht“ (Mk 5,34). Jesus traut dem Glauben zu, Berge zu versetzen (Mt 17,20; Mt 21,21). Wo aber der Glaube des Bittstellers fraglich ist, da ist es auch die erbetene Heilung (Mk 9,23-24). Und wo der Glaube wirklich fehlt, geschehen auch keine Zeichen und Wunder (Mk 6,1-6). Denn wer Gott seine Gnade nicht zutraut und nicht abnimmt, der erfährt auch nichts von dieser Gnade, sondern erfährt von Gott dieselbe Ablehnung, die er ihm entgegenbringt. Es ist daher ein großer Fehler, Glaubensfragen auf die leichte Schulter zu nehmen – so als ginge es bloß um diskutable religiöse Ansichten, die man haben kann oder auch nicht. Viele meinen ja wirklich, es hätte keine Folgen, was sie über Gott denken! Doch tatsächlich ist genau das die entscheidende Weichenstellung im Leben eines Menschen – und steht wie ein Vorzeichen vor seiner gesamten Rechnung. Ein alter Sinnspruch bringt das gut auf den Punkt:
„Wie du glaubst, so liebst du;
wie du liebst, so lebst du;
wie du lebst, so stirbst du;
wie du stirbst, so fährst du;
und wohin du fährst, da bleibst du!“
(Wilhelm Thieß 1834)
Die erste der fünf Thesen ist wohl am schwersten zu verstehen. Denn: „wie du glaubst, so liebst du“ – wo ist da die Verbindung? Nun, wenn ich glaube, dass mein Leben durch viel Geld gelingt, werde ich das Geld lieben. Und wenn ich glaube, dass mein Leben durch hohe Bildung gelingt, werde ich Bildung lieben. Glaube ich, das Höchste, was ein Mensch erreichen kann, sei große Macht, so werde ich die Macht mehr lieben als alles andere. Und glaube ich, das Höchste sei Ruhm oder Ansehen, stilles Glück oder wilder Spaß, so träume ich eben davon. Was dem Leben Erfüllung schenkt, wodurch es meiner Ansicht nach gelingt und wertvoll wird – darauf bin ich aus! Was das aber nun sei, steht nicht im Lexikon und lässt sich auch nicht errechnen, sondern: das ist eine Glaubensfrage! Und meine ganz persönliche Antwort bestimmt darüber, welchem Ziel ich mich hingebe und worin ich Sinn sehe. Diesem Ideal, diesem Besitz oder Zustand gehört meine Liebe, daran hängt mein Herz, und dafür lasse ich alles andre sausen. So bestimmt mein Glaube darüber, was ich liebe. Und natürlich folgt: „wie du liebst, so lebst du“. Denn was wir lieben, bestimmt unsere Entscheidungen. Dem, was wir lieben, widmen wir gern unsere Zeit, Aufmerksamkeit und Kraft. Nur das erscheint uns wichtig, es formt unseren Charakter und beherrscht unser Denken. Denn wofür wir „brennen“, dem bringen wir auch Opfer. Wir sind dieser Sache hingeben – der Nation oder der Familie, einem vermeintlichen Glück oder eben Gott. Die Liebe, die uns bewegt, färbt unser Dasein. Und so wie sie es eingefärbt hat, so steht’s am Ende auch da. Denn: „wie du lebst, so stirbst du“. Durch sein alltägliches Leben gibt der Mensch zu Protokoll, wer er sein will. Und der Tod setzt hinter diese Niederschrift nur noch den abschließenden Punkt. Denn wie ein Baum fällt, so liegt er dann. Und der Mensch, der wir in der Zeit waren, der werden wir auch in der Ewigkeit sein. Denn eine Revision des gelebten Lebens ist nicht mehr möglich. Darum: „wie du lebst, so stirbst du“. Und: „wie du stirbst, so fährst du“. Denn je nachdem, was wir zu unserem Lebensinhalt gemacht haben, wird Gott uns beurteilen. Haben wir uns dem Vergänglichen verschrieben, gehen wir mit dem Vergänglichen unter. Und haben wir nach dem Ewigen gestrebt, werden wir mit ihm verewigt. Die Böses geliebt haben, werden dem Bösen anheimgegeben. Und die mit Hingabe das Reich Gottes suchten, werden dort aufgenommen. Das alles aber nicht vorübergehend, sondern auf Dauer. Denn: „wohin du fährst, da bleibst du“. Zwischen Himmel und Hölle gibt es später keine Brücke und keinen Austausch mehr. Denn der ganze Verlauf war ja folgerichtig und zwingend. Was wir für unser höchstes Ziel halten, das lieben wir. Was wir lieben, daran denken wir. Und aus den Gedanken erwachsen dann unsere Worte und Taten. Aus der Summe der Worte und Taten ergibt sich die Geschichte unseres Lebens. Und diese Geschichte ist der Ausweis unserer Identität, die sich nachträglich nicht mehr ändert. Denn wenn der Tod kommt, bestimmt sie unser ewiges Schicksal. Das ist genauso zwangsläufig wie gerecht! Die alles entscheidende Weichenstellung aber geschieht dort, wo es um unseren Glauben geht. Der bestimmt unsere Marschrichtung. Er bestimmt das Ziel, bei dem wir anlangen, und damit auch, von welcher Seite wir Gott kennenlernen. Denn der ist nicht einfach (wie das Wetter) für alle gleich – und schert auch nicht alle Menschen über einen Kamm. Sondern er stellt sich zu mir, wie ich mich zu ihm stelle. Bekenne ich mich zu ihm, bekennt er sich auch zu mir. Schenke ich ihm aber kein Vertrauen, schenkt er mir auch keine Gnade. Sondern wie ich ihn glaube, so habe ich ihn dann. Für Christen gibt‘s aber keine fröhlichere Gewissheit als eben diese. Denn sie werden in Gott den barmherzigen Vater finden, den sie ein Leben lang geglaubt und gesucht haben, und werden am Ende ihrer Tage das freundliche Wort Jesu hören: „Sei getrost, dein Glaube hat dir geholfen.“
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Jan Micker, Public domain, via Wikimedia Commons