Mach dich nützlich!

Mach dich nützlich!

Zum Erntedankfest kann man die Herrlichkeit der Schöpfung feiern, die uns viel Schönes schenkt, ohne dass jemand etwas dafür tun müsste. Doch den eigentlichen Schwerpunkt hat das Erntedankfest nicht bei Gütern, die von selbst entstehen, sondern bei den Erträgen der menschlichen Arbeit. Und wenn wir gegen Erträge ohne vorhergehende Mühe auch nichts einzuwenden haben, sind die doch nicht das vorrangige Thema des Festes. Sondern das liegt in der dankbaren Feststellung, dass wir wieder ein Jahr lang auf erfolgreiche Weise arbeiten durften – dass wir also unsere Mühe nicht vergeblich investiert und unseren Schweiß nicht umsonst vergossen haben. Wir danken dafür aber, weil es durchaus anders sein könnte und – wie die Erfahrung zeigt – keineswegs garantiert ist. Ein Mensch kann sehr fleißig arbeiten und am Ende trotzdem jeden Gewinnes beraubt werden. Den Landwirt können Missernten und Hagelstürme, Dürreperioden und Viehseuchen aus der Bahn werfen. Und auch tüchtige Leute in anderen Gewerben können durch Brände und Überschwemmungen, Unfälle und Wirtschaftskrisen in Armut stürzen. Weder versteht es sich von selbst, dass wir zum Arbeiten die Kraft und die Gesundheit haben, noch ist garantiert, dass gute Arbeit angemessenen Lohn findet. Denn längst nicht jede Saat geht auf, und nicht jede Anstrengung führt zu etwas! Manch einer gibt sich viel Mühe bei der Erziehung seiner Kinder, macht scheinbar alles richtig und sieht später doch nicht, dass es gefruchtet hätte. Mancher baut lange an seinem Haus, opfert dafür jeden Urlaub, gönnt sich wenig und zieht doch nicht ein, weil er kurz vorher stirbt. Mancher gründet mit viel Liebe ein kleines Geschäft, arbeitet sich die Finger wund und geht trotzdem in Konkurs. An den Arbeitslosen sehen wir wie bitter es ist, gesellschaftlich danebenzustehen und auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein. Und wir begegnen kranken Menschen, die viel zu früh aus dem Arbeitsprozess ausscheiden mussten und sich nutzlos vorkommen. Bei solchen Gelegenheiten begreifen wir erst so recht, wie schön es ist, eine lohnende Arbeit zu tun und darin mit gutem Ertrag tätig zu sein. Denn damit bestreiten wir nicht bloß unseren Lebensunterhalt, sondern Arbeit verleiht unserem Leben auch Sinn und macht uns stolz, weil wir sehen, wie unsere Talente anderen Menschen Nutzen bringen. Natürlich kann niemand alles. Aber jeder kann etwas, womit er das Leben der anderen ergänzt und bereichert. Denn Gott war so freundlich, uns in seiner Schöpfung nicht die Rolle passiver Zuschauer zuzuweisen, die bloß unproduktiv am Rande stehen, sondern er hat uns bestimmt, Akteure und Mitarbeiter zu sein, die mittendrin stehen und bei der Erhaltung des Lebens mit anpacken. Gott hätte das anders regeln können, denn der Allmächtige ist auf unsere Hilfe nicht angewiesen – ein Wort von ihm würde genügen, um alles bereitzustellen, was zur Erhaltung des Lebens nötig ist! Aber statt uns zur Passivität zu verurteilen, hat Gott uns geboten, an seinem großen Werk mitzuwirken, damit wir uns nützlich machen und hinterher stolz sagen dürfen, dass wir zu Gottes gutem Plan beigetragen haben. Gott hätte das anders regeln können. Aber die nächste Generation wird nicht geboren, ohne dass Männer und Frauen daran mitwirken. Ihre Kinder wachsen nicht heran, ohne dass sie jemand ernährt. Und sie gedeihen auch nicht ohne das mühsame Werk, das man Erziehung und Bildung nennt, nicht ohne einen funktionierenden Staat und ein Gesundheitswesen. Gott könnte wohl alles allein tun, so dass wir nur Publikum wären und Nutznießer. Aber nein – er lässt uns aktiv teilhaben und ehrt uns dadurch, dass wir Mitarbeiter in seinem Team sein dürfen. Denn so ist menschliche Arbeit ursprünglich gemeint! Nicht zuerst als ein Fluch, unter dem wir stöhnen müssen, sondern als ein Segen ist sie gemeint. Jeder Mensch soll wissen, dass er für dies und das begabt ist und gebraucht wird. Und wenn er fleißig schafft, soll er nicht bloß Lohn erhalten, sondern soll zugleich das gute Gefühl haben, dass er etwas hervorbringt, was es ohne ihn nicht gäbe. Produktiv zu sein, macht einen guten Teil unserer Selbstachtung aus. Und so danken wir an „Erntedank“ gar nicht nur für die Früchte unserer Arbeit, sondern zugleich für all jene Voraussetzungen unserer Arbeit, die uns Gott in Form von Kraft und Klugheit, Lebenszeit und Bildung schenkt. Nicht dass wir arbeiten müssen, soll unser erster Gedanke sein, sondern dass wir es dürfen. Denn so müssen wir nicht als Schmarotzer auf Kosten anderer leben, sondern können einen Beitrag leisten. Und wenn wir mit Talent und Kraft gut ausgestattet sind, dürfen wir es uns als Ehre anrechnen, Schwache, Alte und Kranke mit durchzutragen. Denn eben dazu sind uns Begabungen gegeben. Und sicher nicht, damit sie brach liegen. Vielmehr sollen wir mit den uns anvertrauten Pfunden wuchern und uns nützlich machen. Denn so fordert es das Gleichnis Jesu in Matthäus 25,14-30. Jesus erzählt da von einem wohlhabenden Mann, der für längere Zeit außer Landes gehen will, der aber nicht möchte, dass sein Vermögen währenddessen brach liegt. Das Geld soll arbeiten, der Besitz soll etwas abwerfen. Und so vertraut er das Vermögen seinen drei Knechten an. Dem Tüchtigsten gibt er fünf Zentner Silber, dem weniger tüchtigen zwei und dem letzten, dem er offenbar wenig zutraut, gibt er nur einen Zentner Silber. Und als der Herr abgereist ist, bestätigt sich auch gleich, dass er seine Knechte richtig eingeschätzt hat. Denn die ersten beiden nutzen sein Geld vernünftig, um damit Handel zu treiben. Sie machen gute Geschäfte und verdoppeln das Kapital ihres Herrn. Der dritte Knecht jedoch, dem er vorsichtshalber nur einen Zentner anvertraute, ist zu ängstlich, um Handel zu treiben. Er sieht nicht die Chance, er macht nichts draus – und ist nicht mal so klug, das Geld zur Bank zu tragen, wo es Zinsen brächte, sondern vergräbt es irgendwo. Als der Herr heimkehrt, lobt er die beiden tüchtigen Knechte. Und weil sie über wenigem treu waren, verspricht er, ihnen künftig deutlich mehr anzuvertrauen. Mit dem dritten Knecht ist der Herr aber gar nicht zufrieden. Denn das Geld vergraben und ansonsten untätig sein – das hätte er auch selbst gekonnt. Der dritte Knecht hat für ihn keinerlei Gewinn erwirtschaftet. Er hat es nicht einmal versucht! Und als ein unnützer Knecht wird er denn auch behandelt. Der Herr nimmt ihm das Geld weg, mit dem er so wenig anzufangen wusste, und lässt ihn in die Finsternis hinauswerfen, wo Heulen ist und Zähneklappern. Wahrlich, das ist eine knallhart kapitalistische Geschichte! Doch kann sich jeder in diesen Herrn hineinversetzen. Denn auch wir ärgern uns, wenn eine Investition ohne Rendite bleibt, und murren, wenn das sauer verdiente Geld auf dem Sparbuch keine Zinsen bringt. Niemand will Geschäfte machen, die nichts abwerfen. Und so verstehen wir jenen Herrn unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten recht gut. Nur ist das gar nicht die Rolle, die uns in Jesu Gleichnis zufällt. Sondern der Hausherr im Gleichnis ist Gott. Und wir gehören zu jenen Knechten, die mit dem anvertrauten Kapital einen Ertrag erwirtschaften – oder eben nicht. Gott hat uns schon bei unsrer Geburt mit Gesundheit und Verstand, mit Kraft und Zeit ausgestattet. Und ihm ist nicht egal, was wir nun mit seinen Gaben machen, sondern eines Tages will er wissen, ob wir damit etwas Sinnvolles angestellt haben. Am Ende unsres Lebens werden wir gefragt, ob wir brauchbare Knechte waren – oder solche von der unnützen Sorte. Denn je mehr uns Gott anvertraut hat, desto mehr kann er auch von uns erwarten. Was hat er investiert und uns „zu treuen Händen“ übergeben? Nun, der erste Zentner Silber besteht aus einem gesunden Körper und zwei kräftigen Armen. Denn die können schwer tragen und hart arbeiten. Der zweite Zentner Silber besteht in einem wachen Verstand, der Situationen einschätzen und Erfahrungen verarbeiten kann, der lernfähig ist und einfallsreich. Als dritten Zentner Silber können wir unsere Lebenszeit ansehen, diese 50, 70 oder 90 Jahre, die wir entweder nutzen oder vergeuden. Das sind viele tausend Tage, die Gott wie unbeschriebene Blätter vor uns legt, damit wir sie mit gutem Leben füllen! Und der vierte Zentner Silber – das sind unsere Familien und Freunde. Denn jeder hat vertraute Menschen um sich, die ihn lieben, stützen und beraten. Der fünfte Zentner Silber aber, das ist unsere Fähigkeit zu ausdauernder Konzentration, das Vermögen Entscheidungen zu treffen und mit Hingabe Ziele zu verfolgen. Unter all diesen Gaben ist keine, die wir nicht vom Schöpfer empfangen hätten – wir sind mit Silber so gut ausgestattet wie die Knechte im Gleichnis! Und wie der Herr im Gleichnis will auch Gott nicht, dass wir die anvertrauten Schätze vergraben oder brach liegen lassen. Wir sollen sie schon gar nicht zum eigenen Vergnügen zweckentfremden. Sondern Gott möchte, dass wir jegliches Talent in seinem Sinne zum Guten nutzen – nämlich zum Schutz, zur Ernährung und zur Förderung unserer Mitmenschen. Das heißt dann „mit den anvertrauten Pfunden wuchern“ zum Vorteil unseres Herrn. Und tüchtige Knechte tun das, wenn sie ihre Nervenstärke investieren, um Kinder zu erziehen, wenn sie ihre Geschicklichkeit bei der Feuerwehr oder im Rettungsdienst einsetzen, wenn sie ihren Verstand nutzen, um technische oder soziale Probleme zu lösen – oder mit Hingabe Kranke pflegen. Wer immer sich solchen Aufgaben widmet und einem ehrbaren Beruf nachgeht, investiert sein Talent auf gottgefällige Weise und macht sich nützlich. Er beweist damit, dass der Schöpfer ihn nicht vergebens begabt und ausgestattet hat. Und er versteht Gott völlig zu Recht als seinen wahren Auftraggeber. Dem kann er am Ende des Lebens Rechenschaft geben von seiner Tätigkeit in einem anständigen Beruf – und wird als tüchtig befunden. Doch sind es etwa alle, die ihr Leben auf diese Weise nutzen – oder auch nur ahnen, dass sie es so nutzen sollten? Ich fürchte, vielen ist gar nicht klar, dass ihre Kräfte Leihgaben Gottes sind. Viele betrachten ihr Talent nicht als von Gott in sie investiertes „Kapital“, sondern meinen, es sei ihr Eigentum, mit dem sie auf eigene Rechnung wirtschaften. Einige haben einen ganzen Zentner Gesundheit empfangen. Aber es fällt ihnen nicht ein, dieses Potential in den Dienst am Nächsten zu stellen, sondern sie ruinieren ihren Körper mit schlechten Gewohnheiten. Andere haben von Gott einen ordentlichen Zentner Verstand mitbekommen. Aber statt damit ihren Mitmenschen zu helfen, nutzen sie ihre Intelligenz nur, um weniger Begabte reinzulegen und zu übervorteilen. Viele haben auch einen reichlichen Zentner Lebenszeit bekommen und sind in hohem Alter noch quietschfidel. Sie übernehmen aber trotzdem kein Ehrenamt, sondern kreisen um sich selbst und stehlen dem lieben Gott die Zeit. Viele kommen gar nicht auf die Idee, dass der Schöpfer ihnen Aufgaben zugedacht hat, auf deren Erfüllung er wartet! Sie meinen, sie hätten ihre Kräfte nur, um sich dran zu erfreuen oder damit anzugeben! Sie kennen auch keinen höheren Lebenszweck als ihr privates Glück! Doch so nehmen sie Gottes Silber – und vergeuden es. Sie lassen brach liegen, was sie bewirtschaften sollten. Sie zweckentfremden gottgegebene Stärken. Und sie merken nicht mal, dass in jeder ihrer Begabungen auch eine Verpflichtung liegt! Wenn der Herr aber von seiner Reise wiederkommt und feststellt, dass sie mit all ihren Möglichkeiten niemandem gedient haben als nur sich selbst – wird‘s ihnen dann nicht ergehen wie jenem dritten Knecht im Gleichnis, der für unnütz befunden wurde? Wird Gott wohl jene in den Himmel heben, die schon auf Erden zu nichts taugten? Wird er wohl denen ein ewiges Leben schenken, die schon mit dem irdischen Leben nichts Rechtes anzufangen wusste? Braucht Gott denn Knechte, die sein Kapital verplempern? Könnte er das nicht auch selbst? Jede Begabung enthält die Verpflichtung, aus dieser Begabung etwas zu machen. Denn wenn mir Gott eine herrliche Singstimme gab, wie wollte ich ihm erklären, wenn ich mein Lebtag nicht gesungen hätte? Wenn Gott mich befähigte, anderen Menschen ein Helfer zu sein, wie wollte ich ihm erklären, wenn ich ihnen nie Helfer gewesen bin? Hatte ich das Talent, Traurige zu trösten, Unerfahrene zu lehren und Hungrige zu speisen: wie wollte ich ihm erklären, wenn ich sie nicht getröstet, nicht gelehrt und nicht gespeist habe? Ich fürchte, wir könnten da im Himmel auf wenig Verständnis rechnen. Denn Gott rüstet Menschen aus, wie man Schiffe ausrüstet zur großen Fahrt. Und er will gewiss nicht, dass sie anschließend im Hafen liegen bleiben. Gott rüstet uns aus, wie man Arbeiter mit Werkzeugen versieht. Und er will dann nicht zusehen, wie Hacke und Schaufel Rost ansetzen. Gott pflanzt uns in den Acker seiner Welt, wie ein Bauer, der guten Samen aufs Feld wirft. Aber wie der Bauer, will Gott im Herbst nicht dieselben Samenkörner wieder einsammeln, die er gesät hat, sondern die Früchte, zu denen sich die Saat vermehrte. Gott erwartet, dass wir uns nützlich machen! Darum gibt es nichts Närrischeres, als wenn ein Mensch sich jugendlich-schön konservieren und seine Kräfte schonen will, um dann eines Tages weitgehend „unverbraucht“ zu sterben. Sondern ganz im Gegenteil sollte es unser Ziel sein, uns restlos für eine gute Sache zu verbrauchen und uns völlig abzunutzen. Denn dazu sind wir da. Wir haben auf Erden größere Aufgaben, als über unser persönliches Glück nachzudenken – wir sollen gottgefällige Werke tun! Und wir müssen dabei das Scheitern weniger fürchten als die Untätigkeit. Denn wer immerhin einiges versucht und damit Schiffbruch erleidet, muss sich am Ende weniger schämen, als wer talentiert war für große Dinge – und untätig blieb. Der hätte dann nämlich das Paket seiner großen Begabung nutzlos durchs Leben getragen, um es am Ende „ungeöffnet“ und „originalverpackt“ wieder bei Gott abzuliefern. So einer brächte Gott nur jenen Zentner Silber zurück, den er empfing, hätte ansonsten aber ganz umsonst Gottes Luft geatmet. Nun versteht es sich: Mit Gaben, die wir nicht bekamen, können wir auch nicht wuchern. In geringen Begabungen liegen dementsprechend geringere Verpflichtungen! Doch wo wir Potentiale besitzen, die noch als vergrabene Schätze in uns schlummern, sollten wir schleunigst davon Gebrauch machen. Führen wir uns vor Augen, dass wir Gott nicht nur verantwortlich sind für das Böse, das wir tun, sondern auch für das Gute, das wir unterlassen, obwohl wir es hätten tun können! Und machen wir uns dann nützlich. Denn wenn der Herr von seiner Reise wiederkommt, soll er uns bei der Arbeit antreffen. Und mit etwas Glück hören auch wir dann jenes schöne Lob: „Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!“ (Mt 25,21)

 

 

 

Bild am Seitenanfang: Harvest Time

Anna Ancher, Public domain, via Wikimedia Commons