Werbung für den Glauben?
Kürzlich saß ich mit freundlichen Menschen zusammen. Und als das Gespräch auf die Kirche kam, gab man mir einen gut gemeinten Rat: „Herr Pfarrer, sie müssen für das Evangelium mehr Werbung machen! Wenn man Wollsocken verkaufen will, muss man die Menschen davon überzeugen, wie warm und bequem Wollsocken sind. So sollten sie das auch machen!“ Ich habe mein Gegenüber daraufhin gefragt, ob er keinen grundsätzlichen Unterschied sehe zwischen dem Evangelium und Wollsocken. Ich bin aber nicht sicher, ob mein Einwand verstanden wurde. Denn viele Menschen sehen die Kirche als ein Unternehmen, das auf dem religiösen Markt seine Dienstleistungen anbietet und dabei nur Erfolg hat, wenn es durch Werbung die Nachfrage ankurbelt. Aber stimmt der Vergleich? Ist das, was im Neuen Testament „Mission“ und „Verkündigung“ heißt, wirklich dasselbe wie „Kundengewinnung“ und „Marketing“? Ich fürchte, man vergleicht da Äpfel mit Birnen und provoziert Missverständnisse. Denn das Evangelium will zwar verbreitet und angeboten, es will aber nicht „beworben“ werden. Und wer das trotzdem tut, vermischt Dinge, die himmelweit verschieden sind. Denn was ist das Evangelium in seinem Kern? Es ist das Angebot des himmlischen Königs, überführten Sündern trotz todeswürdiger Schuld Amnestie zu gewähren, wenn sie seine Gnade im Glauben annehmen. Und was ist Werbung? Werbung ist der eigennützige Versuch eines Verkäufers, in potentiellen Kunden Bedürfnisse zu wecken, die sie ohne Werbung wahrscheinlich nie gehabt hätten. Was soll also kirchliche Arbeit mit Werbung zu tun haben? Jesus hat seinen Jüngern keine „Geschäftsidee“ vermittelt. Darum kann der kirchliche Auftrag auch nicht mit der Logik von Angebot und Nachfrage erfasst werden. Mindestens acht Gründe sprechen dagegen:
(1.) Der Anbieter des Evangeliums ist kein anderer als Gott selbst. Und der braucht für sein Evangelium keine Abnehmer, sondern umgekehrt brauchen die potentiellen Abnehmer ihn und sein Angebot. Für Gott springt dabei nichts heraus (außer, dass er sich für uns freut).
(2.) Verkäufer müssen eifrig werben, wenn die Konkurrenz gleichwertige Produkte anbietet. Das Angebot des Evangeliums ist hingegen konkurrenzlos, weil das Heil, das es vermittelt, auf keinem anderen Weg erlangt werden kann als durch Christus. Wer es nicht bei ihm findet, findet es gar nicht.
(3.) Die kirchliche Verkündigung folgt nicht den Gesetzen des Marktes, weil das Angebot des Evangeliums nicht der Nachfrage angepasst werden kann, sondern als ewiges Wort Gottes vorgegeben ist. Ob die Botschaft, die wir zu predigen haben, enthält, was die Menschen gern hören möchten, hat uns nicht zu interessieren, da wir als Gottes Briefträger nicht für den Inhalt, sondern nur für die Zustellung verantwortlich sind.
(4.) Der Mensch steht dem Angebot des Evangeliums nicht als „König Kunde“ gegenüber, der nach Geschmack und Gutdünken wählen kann, sondern nur Gott als Anbieter ist souverän und erwählt die Abnehmer, denen er durch seinen Geist die Herzen öffnen will.
(5.) Kein Mensch kommt dadurch zum Glauben, dass man ihm das Christ-Sein als vorteilhaft, genussreich, reizvoll oder bequem anpreist. Denn das ist es in Wahrheit nicht. Dem Gekreuzigten nachzufolgen wird (menschlich betrachtet) immer als ein schlechtes Geschäft erscheinen.
(6.) Die Kirche ist beauftragt, Gottes Angebot bekannt zu machen. Als Leib Christi hat sie aber „Glieder“ und definitiv keine „Kunden“. Kirche ist überhaupt nicht für sich selbst da, sondern für die, die das Evangelium brauchen. Sie will nicht nehmen, sondern geben.
(7.) Anders als Werbung legt es kirchliche Arbeit nicht darauf an, Bedürfnisse künstlich zu wecken, sondern sie macht Menschen bewusst, dass sie – ob sie es wissen oder nicht – schon immer des Evangeliums bedürftig sind.
(8.) Wenn Werbung nicht funktioniert, ist das schlimm für den Anbieter, der auf seiner Ware sitzen bleibt. Wenn hingegen Verkündigung nicht funktioniert, ist das in erster Linie schlimm für die Hörer, die ihr nicht glauben und verloren gehen.
Zweifellos ging es Jesus um das Heil der Menschen. Darum suchte er sie auf. Es ging ihm aber nicht darum, „gut anzukommen“ oder „populär“ zu sein. Er brachte Wahrheit, nicht Wellness. Und das eine für das andere auszugeben, ist keine clevere PR-Idee, sondern ein Etikettenschwindel, der Verwirrung stiftet. Präsentiert sich Kirche als werbender Dienstleister, verstehen sich die Angesprochenen als umworbene Kunden – und schon findet das Gespräch auf einer Ebene statt, die Jesus Christus völlig fremd war. Reklame verführt zum Konsum, indem sie Glück verspricht, das man kaufen kann. Jesus aber verführt zu nichts und verkauft auch nichts, sondern ruft den Menschen aus seiner verfehlten Glückssuche heraus zu einem ganz anderen und besseren Ziel. Um das zu erreichen, fordert Jesus Aufmerksamkeit für seine Botschaft. Aber hat man je gehört, dass er jemanden durch werbende Versprechungen zum Glauben „über-redet“ hätte? Jesus sieht sich selbst als einen Arzt oder als einen Hirten, der neunundneunzig Schafe zurücklässt, um ein einziges Verlorenes zu suchen. Natürlich ruft er nach dem Tier. Und wenn er es verletzt findet, trägt er es zur Herde zurück. Aber macht so ein Hirte bei seinem Schaf „Werbung“? Macht etwa ein Rettungsboot „Werbung“ unter den Schiffbrüchigen? Macht der Arzt beim Patienten „Werbung“ für die rettende Operation? Macht der Richter, der einen Todeskandidaten begnadigt, damit „Werbung“ fürs Leben? Niemand würde das so ausdrücken, denn das Wort „Werbung“ trifft nicht die Sache. Wenn Christus aber viel mehr tut als jener Richter (weil er uns nicht bloß zeitliches, sondern ewiges Leben schenkt) – muss man dann für die angebotene Begnadigung Reklame machen? Wer das Evangelium versteht, muss verrückt sein, wenn er es ablehnt! Und wer zur Annahme erst noch gelockt und überredet werden will, hat nicht begriffen, was für ihn auf dem Spiel steht! Darum ist Jesus zwar zu den Menschen gegangen und hat sie zum Glauben aufgefordert. Aber wenn sie nicht auf ihn hören wollten, ist er keinem nachgelaufen. Er hat alle gerufen, hat sich aber keinem angebiedert. Und wo es einem die Mühe nicht wert war, auf Jesu Wort hin sein Leben zu ändern, da hat Jesus seine Forderungen nicht ermäßigt. Seine Apostel haben in aller Welt zur Versöhnung mit Gott aufgerufen. Aber keiner von ihnen wollte das Wort vom Kreuz mit schmeichlerischer Überredung „schmackhaft machen“. Und auch die heutige Kirche sollte weder sich selbst noch das Evangelium „vermarkten“. Denn wenn sie Evangelisation mit Kundengewinnung verwechselt, weckt sie dieses Missverständnis auch in denen, die sie umwirbt. Und das ist dann doppelt schlecht. Ein Kaufmann muss kein Geheimnis daraus machen, dass er im eigenen Interesse wirbt. Die Kirche aber hat zu predigen im Interesse der Hörenden. Das sind ganz verschiedene Haltungen! Und nur die Zweite entspricht dem Evangelium Jesu Christi. Denn der hat es nicht darauf abgesehen, ein Publikum anzulocken und gut zu unterhalten, sondern Seelen ins Reich Gottes zu bringen. Sein Kreuz eignet sich nicht als Konsumartikel. Seine Botschaft ist sperrig. Und seine „Dienstleistung“ ist unbezahlbar, weil sie ihn das Leben kostet. Sie kommt auch keinem zugute, der nicht sein eigenes Leben dafür drangibt. Und das heißt: Wer rechnet, wie die Welt rechnet, wird im Glauben niemals ein gutes Geschäft sehen! Wer aber aufhört zu rech-nen, um Jesus nachzufolgen, der ergreift eine großartige Chance. Kirche lädt hartnäckig dazu ein – immer wieder! Aber wir laden nicht ein, weil die Kirche Menschen bräuchte, um mit großen Zahlen zu glänzen und gut dazustehen, sondern weil Menschen die Kirche Jesu Christi brauchen, um nicht die Bestimmung ihres Lebens zu verfehlen. Rolex, Ferrari und Chanel müssen so viel Werbung machen, weil niemand ihre Produkte wirklich braucht. Das Evangelium aber ist wertvoller als jedes Luxusprodukt. Soll man es also behandeln wie einen Ladenhüter, den man zu Schleuderpreisen unters Volk wirft? Nein. Auf den Wühl-tisch gehören die Wollsocken. Die sind im Dutzend billiger. Das Evangelium aber ist kein „Schnäppchen“. Und es will niemandem aufgeschwatzt werden. Denn was Jesu Leben gekostet hat, ist unbezahlbar – und nur für die bestimmt, die es zu schätzen wissen…
Bild am Seitenanfang: Thomas Gerlach (privat)