Schöpfung, Naturwissenschaft und Urknall

Schöpfung, Naturwissenschaft und Urknall

In jedem Gottesdienst bekennt sich die Gemeinde zum Schöpfungsglauben und spricht gemeinsam: „Ich glaube an Gott den Schöpfer des Himmels und der Erde.“ Dieses Bekenntnis ist uns selbstverständlich, denn es ist grundlegend für alles andere, was dann auch noch über Gott gesagt werden muss. Und doch wissen wir, dass gerade dem Schöpfungsglauben in den Bildungseinrichtungen unserer Gesellschaft regelmäßig widersprochen wird. Denn an Schulen und Universitäten lehrt man es anders, gibt für das Dasein dieser Welt eine andere Erklärung und stellt diese als bessere Alternative dem Schöpfungsglauben gegenüber: „Früher“ sagt man, „Früher glaubten die Menschen, Gott habe die Welt geschaffen, aber inzwischen hat die Naturwissenschaft festgestellt, dass die Welt durch den Urknall entstand!“

Wissenschafts–Sendungen im Fernsehen untermalen diese Botschaft mit bunten Animationen und verkünden, der Ursprung des Universums sei damit geklärt, das Rätsel unserer Herkunft gelöst und der naive Glaube endlich durch handfestes Wissen ersetzt. Der Schöpfungsglaube scheint überholt, eine andere Weltenstehungs-Theorie nimmt seinen Platz ein, religiöse Mythen müssen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen weichen – und der moderne Mensch ist damit sehr zufrieden. Ich aber erlaube mir Zweifel anzumelden, an einem ganz bestimmten Punkt. Und der betrifft nicht die Urknalltheorie als solche (die durchaus richtig sein könnte), sondern vielmehr den Gebrauch, den man von ihr macht, und den großen Erklärungswert den man ihr zuschreibt. Ich leugne gar nicht, dass am Anfang der Welt dieser sogenannte Urknall stattgefunden haben kann: Vielleicht war es genau so, wie man es in bunten Filmchen vorgeführt bekommt!

Aber ich bestreite, dass damit viel gewonnen und die Schöpfungsfrage beantwortet sei. Denn die eigentliche Frage, die „Menschheitsfrage“ hinter alledem, lautet doch, warum überhaupt etwas ist, wo doch auch nichts sein könnte! Als Mensch hat man das sichere Gefühl, dass es für das Dasein von alledem, was man kennt, einen Grund geben muss. Und der Hinweis, dass das Universum mit seinem Anfang angefangen habe – nämlich mit dem besagten „großen Knall“ – ist eine völlig ungenügende Antwort. Denn es macht einen Unterschied, ob ich frage, wie etwas angefangen hat, oder ob ich frage, warum es angefangen hat.

Nicht „wie“ unsere Welt wurde, sondern „warum“ gilt es zu klären. Und diesbezüglich sind die Naturwissenschaftler ausgesprochen schweigsam. Sie präsentieren uns zwar den Urknall als das erste Glied einer langen Kausalkette. Und die späteren Glieder in der Kette finden ihren Grund in den vorangehenden. Wenn aber am Anfang der Kette ein Glied steht, dessen Grund nicht angegeben werden kann, welchen Erklärungswert hat dann das Ganze? Man müsste dann doch fragen, warum der Urknall stattfand – und warum er nicht ausblieb! Was war seine Ursache? Kann man aber das nicht beantworten, so bleibt damit nicht nur der Ursprung des ersten Gliedes ungeklärt, sondern zugleich der Ursprung der ganzen Kausalkette.

Man hat ihrem Anfang dann zwar einen Namen gegeben, aber man hat den Grund ihres Daseins nicht angegeben. Und das ist höchst unbefriedigend. Denn wenn der Urknall ein Teil der Wirklichkeit ist, die es zu erklären gilt, bedarf selbstverständlich auch er der Erklärung. Nichts, was wir kennen, ist seine eigene Ursache – auch der Urknall nicht! Und darum muss man ziemlich leichtgläubig sein, um sich mit dem Hinweis auf jenen „Big Bang“ zufrieden zu geben.

Ich sage es noch einmal, damit man mich nicht missversteht: Ich bestreite gar nicht, dass der Urknall der Anfang der uns bekannten Welt gewesen sein kann. Nehmen wir ruhig an, es sei so! Ich bestreite aber, dass damit die Existenz der Welt schon erklärt wäre, oder dass etwas für oder gegen den Schöpfungsglauben entschieden sei. Denn die Frage nach dem Ursprung unseres Daseins zielt auf etwas Anderes und auf etwas Tieferes, als uns hier gezeigt wird. Es geht in der Schöpfungsfrage gar nicht darum, wie die Welt angefangen hat, und welcher zweite Schritt auf den ersten folgte, sondern es geht darum, warum überhaupt etwas ist und geschieht – wo doch genauso gut auch nichts geschehen könnte. Nicht den Anfang wollen wir sehen, sondern den Grund wollen wir begreifen. Und diese letztere, ihrem Wesen nach philosophische und theologische Frage, wird niemals eine naturwissenschaftliche Antwort finden, weil dabei Frage und Antwort auf unterschiedlichen Ebenen liegend aneinander vorbeigehen.

Es macht einen großen Unterschied, ob ich nach dem Anfang oder nach dem Grund einer Sache frage, und sie werden das sofort spüren, wenn ich ein paar Beispiele nenne. Wir sagen z.B.: „Das Theaterstück begann, als sich der Vorhang hob.“ Aber wir würden nicht behaupten, das Theaterstück sei aufgeführt worden, weil sich der Vorhang hob. Wir sagen zu Recht, dass der 2. Weltkrieg 1939 angefangen hat. Aber niemand würde behaupten, der 2. Weltkrieg habe deswegen stattgefunden, weil er 1939 anfing. Eine Segelregatta beginnt, wenn der Startschuss ertönt. Aber dass die Segelregatta veranstaltet wird, hat seinen Grund gewiss nicht in dem Startschuss. Ein Erdbeben beginnt zweifellos mit den ersten Erdstößen. Aber niemand würde behaupten, es habe in diesen ersten Erdstößen seinen Ursprung. Und wenn man bei einer Goldenen Hochzeit den Ehemann fragt, was der Grund sei für seine lange und glückliche Ehe, wird er wahrscheinlich nicht sagen: „Der Grund ist, dass ich meiner Frau 1962 auf einer Party begegnet bin.“ Nein: Das war natürlich nicht der Grund! Denn 1962 sind sich viele Menschen auf Partys begegnet – und die meisten sind nicht 50 Jahre beisammen geblieben! So eine Antwort erkennen wir im Alltag sofort als ungenügend! Wenn aber einer sagt, der Urknall sei der Grund unserer Existenz, dann geben wir uns zufrieden?

Ist das nicht seltsam? Fragt ein Mensch, warum die Scheune abgebrannt ist, und ein anderer antwortet: „Weil das Stroh Feuer fing“, so ist das ungenügend. Fragt einer, warum das Dorf überschwemmt wurde, und die Antwort lautet: „Weil das Wasser immer weiter stieg“, so ist das ungenügend. Fragen wir, warum eine Halle voller Menschen ist, und jemand antwortet: „Weil die alle nacheinander zur Tür hereingekommen sind“, so ist auch das ungenügend. Fragen wir aber, warum das Universum existiert, und man antwortet: „Weil es mit einem großen Knall anfing“ – dann sollte das genügen, und damit sollten wir zufrieden sein?

Wahrlich: Nein! Die Urknalltheorie beschreibt lediglich, wie das wurde, was wir sehen, sie erklärt aber nicht, warum es wurde. Sie zeigt uns den Anfang, nennt aber keinen Grund. Und sie steht darum zum Schöpfungsglauben gar nicht in Konkurrenz. Sie bietet keine Alternative und behandelt noch nicht einmal dasselbe Thema, sondern erweitert nur unser Wissen von der Welt um einen interessanten Vorspann, der spektakulär gewesen sein mag, der aber nichtsdestotrotz auch seinerseits der Erklärung bedarf.

Denn der Urknall ist Teil des Rätsels – er ist nicht die Lösung. Und darum macht man von der Urknall-Theorie, selbst wenn sie richtig sein sollte, doch einen falschen Gebrauch, sobald man meint, sie könne den Schöpfungsglauben ersetzen. Denn das überfordert sie: Sie erklärt vielleicht treffend, wie die Welt entstand, aber sie erklärt in keiner Weise, warum sie entstand. Sie beschreibt ihren Anfang, aber sie benennt nicht ihren Grund. Und als naturwissenschaftliche Antwort auf eine philosophisch-theologische Frage ist sie darum ganz ungeeignet. Warum aber merkt das keiner? Der Mensch will wissen, warum das große Welttheater aufgeführt wird, und die Naturwissenschaft antwortet: „Weil der Urknall den Vorhang aufgezogen hat“. Das ist nicht viel mehr als ein Taschenspielertrick! Und trotzdem fühlt sich die Menschheit nicht veralbert, sondern fühlt sich hinreichend belehrt über den Grund ihrer eigenen Existenz.

Ist das nicht seltsam, wie leicht der Mensch zufrieden ist? Diejenigen aber, die unzufrieden bleiben, weil sie immer noch nicht wissen, warum dieses Universum da ist, das doch auch nicht sein könnte, die dürfen tiefer schürfen und eigene Folgerungen ziehen. Denn wenn unser gesamtes Universum aus Dingen besteht, die nicht ihre eigene Ursache sind, und auch innerhalb des Universums nichts zu finden ist, was die Ursache des Universums sein könnte, so muss diese Ursache jenseits des Universums gesucht werden.

Eine befriedigende Antwort kann nicht aus dem Bereich der Natur kommen, auf den die Naturwissenschaft ihren Blick beschränkt, denn was Natur erklären soll, kann seinerseits nicht Teil des zu Erklärenden sein. Um sich selbst zu verursachen, müsste das Universum da gewesen sein, bevor es da war! Was aber sollte dem Universum vorausgehen und wer könnte ihm gegenüberstehen, wie ein Maler seiner Leinwand gegenübersteht, wenn nicht Gott? Wer außer ihm wäre der Summe des Vorfindlichen gegenüber „jenseitig“? Es ist ganz unausweichlich, hier an Gott zu denken. Denn wenn die Dinge dieser Welt bei all ihrer Verschiedenheit doch dies gemeinsam haben, dass keines von ihnen sich selbst hervorbringt, wie sollte dann die Welt als Summe dieser Dinge sich selbst hervorbringen? Ist jedes Einzelne in ihr abhängig und von einer Ursache bedingt, kann auch das Ganze weder unbedingt noch durch sich selbst bedingt sein.

Die Welt muss ihren Ursprung in etwas haben, das radikal anders ist als sie selbst. Und dies radikal Andere ist nicht der Urknall, der als erster Akt der Welt zur Welt dazu gehört, sondern es ist Gott, der nicht ein Teil seiner Schöpfung ist, sondern ihr Gegenüber. Er ist kein weiteres Sein, das in die Reihe des Seienden einzuordnen wäre, sondern ist der Grund des Seins. Er ist nicht einfach „wirklich“, sondern im Vergleich zu unserer Wirklichkeit „mehr als wirklich“. Und er muss es auch sein: Denn der den Anfang setzt, muss selbst ohne Anfang sein, und der die Zeit erschuf, muss selbst der Ewigkeit angehören. Nur Gott ist aus sich selbst und von sich selbst. Nur er ist Ursache, ohne selbst Wirkung zu sein. Und darum kommt die Frage nach dem Warum auch erst bei ihm zur Ruhe.

Nun: Ich kann das nicht weiter ausführen – und will auch gar nicht behaupten, dies sei eine zwingende Beweisführung für den Schöpfungsglauben. Aber es gibt auch keine Beweisführung gegen ihn. Der Jubel seiner Gegner entbehrt jeder Grundlage, denn die Urknall-Theorie stellt keine Alternative dar. Sie erklärt nur das „Wie“ und nicht das „Warum“. Und deshalb gefährdete sie den Schöpfungsglauben nicht einmal, wenn sie bewiesen wäre. Das eigentliche Rätsel aber sind unsere vielen Zeitgenossen, die so sehr an die Naturwissenschaften glauben und sich so überaus kritisch geben – und doch nicht merken, wenn man ihnen ein X für ein U vormacht…

 

 

 

 

 

Bild am Seitenanfang: Das große Gehege

Caspar David Friedrich, Public domain, via Wikimedia Commons