Warum die Welt so ist?

Warum die Welt so ist?

“I can’t get no satisfaction…”

The Rolling Stones 

 

Haben sie sich mal gefragt, warum die Welt eigentlich so ist? Ich meine: so schön – und gleichzeitig so unbefriedigend? So, dass man gern in ihr ruhen möchte – und doch nicht wirklich ruhen kann? So, dass sie immer wieder Neugier weckt – und einen am Ende doch ratlos macht? Irgendwie gehört es zum Wesen dieser Welt, dass sie unsere Bedürfnisse immer nur partiell und vorübergehend befriedigt. Immer macht sie uns Appetit, so dass wir Hunger haben nach Schönem, Gutem und Wahrem. Und doch wird dieser Hunger nie so gründlich gestillt, dass wir anschließend lange satt wären. Denn der Abend kann noch so toll gewesen sein – am Morgen kehrt die Sehnsucht wieder. Als junger Mensch denkt man vielleicht, dieser Mangel sei bloß der Situation geschuldet, und eine glorreiche Zukunft werde Änderung bringen. Doch dem älteren Menschen geht irgendwann auf, dass jener Mangel an Schönem, Gutem und Wahrem auch unter günstigen Bedingungen nicht überwunden wird. Für den Momente scheint mal alles „gut“ zu sein, aber nie auf lange Sicht. Und schon mancher hat das dem Schöpfer angelastet, als wär‘s ein Produktionsfehler seiner irgendwie „mangelhaften“ Schöpfung. Aber, ist es wirklich ein Fehler? Könnte es nicht auch daran liegen, dass wir mit falschen Erwartungen ans Leben herangehen, die der Schöpfer ganz bewusst und absichtlich enttäuschen muss? Ja, ursprünglich war alles ganz anders. Ursprünglich hat Gott das Leben rundherum schön und gut erschaffen, damit der Mensch sich dran erfreuen und in der Welt durchaus nichts entbehren sollte. Gott schuf Sonnenschein und Meeresbriese, Liebesglück, Musik und Farben, gutes Essen und tausend andere Herrlichkeiten. Und damit es so bliebe, gab Gott uns einen Sinn für Gerechtigkeit, Moral und Recht, auf dass ein Mensch dem anderen beistehe und alle wüssten, wie sie in Eintracht miteinander leben können. Damit der Mensch aber auch sonst Durchblick habe, schenkte Gott ihm die Vernunft samt Neugier, Einsicht und kritischem Forschergeist, auf dass er die Wahrheit erkenne und somit jederzeit gut orientiert sei. Ja, Gott war überhaupt nicht geizig! Er wollte, dass wir nach dem Leben greifen, weil Gott selbst das Leben ist. Er wollte, dass wir nach dem Guten streben, weil Gott selbst der Inbegriff alles Guten ist. Und er freute sich darüber, dass wir beharrlich die Wahrheit suchen, weil Gott selbst auch die Wahrheit ist. Doch was tat der Mensch? Er verwandelte Gottes schöne Gaben in Waffen und richtete sie ausgerechnet gegen den Schöpfer, der sie ihm geschenkt hatte! Der Mensch nutzte das, was ihn mit Gott hätte verbinden sollen, um Gott damit auf Distanz zu halten, und stellte somit die Ordnung auf den Kopf. Statt von der Hand des Schöpfers und von seiner Güte zu leben, versuchte der Mensch in Abgrenzung vom Schöpfer aus sich selbst heraus etwas zu sein, wollte sich von Gott emanzipieren – und machte dabei von dem anvertrauten Gut einen sehr unguten Gebrauch. Statt sich an Gott zu freuen, vergaffte er sich in die Güter dieser Welt und kehrte Gott dabei den Rücken zu. Er wollte weder „bitte“ noch „danke“ sagen und bemächtigte sich der Dinge, um unbegrenzten Zugriff und Verfügungsgewalt über all das Schöne zu haben, das er genießen wollte. Der Mensch benahm sich nicht mehr wie ein Gast an Gottes Tafel, sondern führte sich auf, als wäre er Hausherr dieser Erde und Eigentümer des Lebens. Er wurde gierig und anmaßend. Und so beschloss Gott, ihn in seine Lebensgier „dahinzugeben“ und ihn ihre Folgen spüren zu lassen, damit ihm der böse Gebrauch des gut Gemeinten übel bekomme (Röm 1,18-32). Und mit dem moralischen Vermögen des Menschen ging’s leider genauso. Statt seinem Gewissen zu folgen und das Gute um des Guten willen zu tun, tat es der Mensch bloß, um mit seiner Moral zu glänzen und dafür bewundert zu werden. Er tat seine guten Werke nicht, damit das Gute siegen sollte, sondern damit ihm seine Tugend gelohnt und von Gott als „Verdienst“ angerechnet würde. Er übte nur noch Gerechtigkeit, um als „Gerechter“ dazustehen und auf schäbige Sünder herabzuschauen (Lk 18,9-14). Keinesfalls wollte er – wie diese „Versager“ – auf Gottes Gnade angewiesen sein! Doch Gott beschloss, diesen tugendstolzen Menschen, der sich durch Gottes Gesetz gegen Gott zu sichern sucht, nicht etwa zu loben, sondern ihn durch das Gesetz zu demütigen, damit ihm der böse Gebrauch des gut Gemeinten übel bekomme. Und so machte er aus dem an sich guten Gesetz einen unerbittlichen Zuchtmeister und strengen Pädagogen, der keinen in Frieden lässt, der nicht ganz und gar und in allem gehorsam ist (Gal 3,24-25). Mit der Vernunft lief‘s aber auch nicht besser. Denn statt dass der Mensch seine Vernunft gebraucht hätte, um Gottes Gedanken nachzudenken, setzte er die Vernunft absolut und stellte sie als kritische Instanz Gott gegenüber. Vorwitzig machte er seinen menschlichen Verstand zum Maß aller Dinge und erklärte, nichts könne wahr oder weise sein, das ihm nicht einleuchte, es könne auch nichts wirklich sein, was er nicht verstehe, und nichts sei gewiss, was die Menschenvernunft nicht geprüft und für gewiss erklärt habe. Gott selbst aber sei höchst fraglich und werde es bleiben, bis er sein Dasein zu den Bedingungen der Vernunft bewiesen habe. Bis dahin sei man leider viel zu klug und zu kritisch, um seine Ansprüche ernst zu nehmen. Doch Gott beschloss, die Übergescheiten just durch ihre Klugheit zu Narren zu machen. Er ließ die Vernunft selbst entdecken, dass man der Vernunft nur bedingt vertrauen kann. Er ließ sie wissen, dass sie in Wahrheit von der Wahrheit nichts weiß (man erkundige sich bei Sokrates und Kant). Und Gott offenbarte seine eigene Wahrheit ganz bewusst durch die Torheit des Kreuzes, damit den Weisen dieser Welt der böse Gebrauch des gut Gemeinten übel bekomme (1. Kor 1,18-31). Denn so war’s ja nicht gedacht. Das Schöne, Gute und Wahre sollte den Menschen mit Gott verbinden. Der Mensch aber nutzte es, um sich von Gott zu „emanzipieren“. Und der beschloss, den selbstherrlichen Versuch dergestalt ins Leere laufen zu lassen, dass der Mensch an seinen gegen Gott gewendeten Gaben niemals mehr Genüge finden sollte, sondern stets nur ein unbefriedigtes Verlangen. Ja, Gott entschied, uns über das stolpern zu lassen, was wir für unsre Stärke hielten. Mit den falschen Idealen, die wir an seine Stelle setzten, sollen wir uns vergeblich plagen. Seitdem lässt Gott uns die Irrwege laufen, die wir uns selbst aussuchen, damit wir sehen, wie wenig wir davon haben. Und genau darum ist die Welt, wie sie ist. Genau darum lässt sie uns unbefriedigt. Weil wir in der Abkehr von Gott gar keinen Frieden finden können, sondern in dieser Abkehr nur immer neu erfahren sollen, dass alles Schöne, Gute und Wahre, wenn wir‘s ohne Gott an uns reißen und genießen möchten, nur bitter schmeckt. Voller Lebenshunger soll der Mensch nun mit Schrecken sehen, dass auch das längste Erdenleben einmal elend zugrunde geht und zu Staub zerfällt. Und so muss er das ein Leben lang auf sich zukommen sehen, dass ihm dieses Leben zuletzt vom Tod genommen und aus der Hand geschlagen wird. Voller Sehnsucht nach dem Guten soll der Mensch erkennen, dass er zum Guten gar nicht taugt, sondern beständig Böses schafft, weil er selbst das, was äußerlich recht erscheint, aus den falschen Gründen tut und durch Eigennutz verdirbt. Keiner darf sich rühmen, er sei mit einer weißen Weste durch‘s Leben gekommen! Und voller Sehnsucht nach zweifelsfrei gewisser Erkenntnis soll der Mensch erleben, wie ihm gerade der konsequente Gebrauch der Vernunft alle Wahrheit in tausend Perspektiven auflöst, und wie ihm zuletzt die Vernunft selbst alle Gewissheit raubt, weil sie erkennt, dass sie nie zum Kern vordringt, sondern stets an der mehrdeutigen Erscheinung der Dinge hängen bleibt. Wie eine schöne Blume, die man von ihrer Wurzel getrennt hat, um dann mit Enttäuschung zu sehen, wie bald sie verwelkt und hässlich wird – genau so soll es dem Menschen mit dem Schönen, Guten und Wahren ergehen, das er von Gott als seiner Wurzel trennte, um das Geraubte ohne Gott „für sich“ zu haben. Dieser unverständige Zugriff soll ihm das zerstören, wonach er gegriffen hat. Gerade das begehrte Brot soll ihn hungrig machen! Gerade durch seine Moral soll er schuldig werden! Und gerade seine Vernunft soll ihn heillos verwirren! Denn der Schöpfer möchte uns nicht geben, was wir unverschämt an uns reißen, um ihn dann umso besser entbehren zu können. Sondern er will eben diesen Versuch der selbstherrlichen Bemächtigung und des gottlosen Gebrauchs auf jeder Ebene beschämen und frustrieren. Der Hunger nach dem Schönen, Guten und Wahren soll uns keineswegs loslassen. Aber auf anmaßende Weise satt werden, dürfen wir nicht. Wir sollen nicht aufhören, nach dem Ziel zu jagen. Aber erreichen können wir‘s nur so, dass zuvor die verkehrte Lebensgier, das verkehrte Gut-sein-Wollen und das verkehrte Erkenntnisstreben scheitern. Denn Gott hat beschlossen, das Leben gerade denen zu schenken, die es verleugnen und verlieren (Mt 16,24-25; 10,39; Offb 12,11; Joh 12,25), die Gerechtigkeit denen zu schenken, die an ihrer Unmoral verzweifeln (Lk 18,9-14; Röm 1,17; 3,21-24; 4,5; 10,4) und die Weisheit denen zu schenken, die der Welt töricht erscheinen (1. Kor 1,18-2,16; 3,18-20). Was die Welt uns bietet, soll uns also nicht befriedigen, sondern soll uns zum stetigen Stachel werden, soll uns der Bedürftigkeit überführen und zur Gnade treiben, damit wir endlich das, was der unverschämte Zugriff nicht erreichte, auf anderem Wege suchen, damit wir es in Christus reichlich finden und anschließend um Christi willen unsre frühere Kraft, Moralität und Weisheit für „Dreck“ erachten, wie es Paulus tat (Phil 3,8-9). Warum aber? Warum diese radikale Entwertung? Ist denn unsre Vitalität nicht mehr Gottes Geschenk? Doch. Aber sie von Gott trennend haben wir unsre Vitalität an seine Stelle gesetzt, haben falsche Erwartungen daran geknüpft, haben unsre Lebenskraft verdorben und verwirkt – und verlieren das Leben endgültig, wenn wir es nicht in Christus neu gewinnen. Ist nicht wenigstens das moralische Gebot gerecht und gut? Doch. Aber dem Sünder, der ihm nicht von Herzen genügt, sondern es benutzt, um Integrität zu heucheln, dem wird Gottes Gebot zum Stolperstein und zur tödlichen Schlinge, weil es ihn seiner Schuld überführt und gnadenlos verdammt. Ist die Vernunft nicht mehr Gottes herrliche Gabe? Doch. Aber durch den menschlichen Eigensinn zur höchsten Instanz erhoben ist sie heute mit Blindheit geschlagen und taugt nicht, die Wahrheit zu erkennen, wenn sie nicht in Christus erkannt wird. Ohne die Umkehr zu Gott kann uns das Schöne nicht mehr schön sein, das Gute nicht mehr gut, und das Wahre nicht mehr wahr. Doch das macht nichts. Denn in der Gemeinschaft mit Gott – dort wo durch Christus Gnade vor Recht ergeht – dürfen wir das Verlorene auf neue Weise zurückgewinnen, so dass sich unsere Frustration als heilsam erweist. Das Leben frustriert uns durch den Tod. Das aber nur, damit wir lernen, ein besseres Leben bei Christus zu finden, das uns in Ewigkeit nicht wieder genommen wird. Die Moral frustriert uns durch unser Versagen. Das aber nur, damit wir lernen, wahre Gerechtigkeit von Christus zu empfangen, nämlich seine uns gnadenhaft zugerechnete Gerechtigkeit, die besser ist, als unsre eigene je hätte sein können. Und die Vernunft frustriert uns durch endlose Skepsis. Das aber nur, damit wir lernen, wahre Selbst- und Gotteserkenntnis in Christus zu gewinnen, nämlich durch Gottes Offenbarung, die nicht etwa wir ergreifen, sondern die uns ergreift und überwältigt durch Gottes heiligen Geist. So ist weder das Leben schlecht noch die Moral oder die Vernunft – nein! Für sich genommen sind das herrliche Gaben. Aber solange wir ihnen in unsrer Verkehrtheit abfordern, was nur Gott geben kann, solange wir sie frevelhaft an Gottes Stelle setzen, um von ihnen Heil und Rettung zu erwarten, solange enttäuschen sie uns – und müssen das auch. Denn wahres Leben, wahre Gerechtigkeit und wahre Erkenntnis gibt’s nur bei dem, der Inbegriff und Quelle all des Guten ist. Dass wir diese Dinge aber anderswo suchen und sie ohne Gott gewinnen wollen, ist kein Fehler der Welt, sondern dieser Fehler liegt ganz bei uns, so dass wir‘s den Gaben des Schöpfers nicht vorwerfen dürfen, dass wir sie mit falschen Erwartungen überladen und überfordert haben. Nein! Die Kräfte des Lebens sind immer noch gut und herrlich, so dass wir mit Dank und mit Freude sehen, wie der Weizen und die Kinder wachsen! Aber Gott stellt das alles in den Schatten des Todes, damit wir über das Erdenleben hinaus nach dem ewigen Leben fragen. Die Maßstäbe der Gerechtigkeit und Güte sind heute noch genauso richtig und verbindlich wie eh und je! Doch sollen wir nicht zur Ruhe kommen, indem wir uns einreden, wir wären „guten Willens“, und uns selbst für „gerecht“ erklären, sondern Frieden finden wir nur, indem uns Christus Vergebung und Gnade zuspricht. Auch die Vernunft, die so kritisch nach den Wahrheit fragt, ist nach wie vor eine herrliche Gabe zur Orientierung in der Welt. Doch bezüglich der tieferen Gottes- und Selbsterkenntnis erleuchtet uns nicht die Vernunft, sondern das törichte Wort vom Kreuz als Offenbarung des Evangeliums. Alles von Gott getrennte Leben soll und muss scheitern. Aber der tiefere Sinn dieses Scheiterns liegt darin, dass es den anmaßenden Menschen seiner Ohnmacht überführt, ihn ausbremst, ihn korrigiert und ihn damit zuletzt auf eine viel bessere Spur bringt. Das irdische Leben lässt sich gegen den Tod nicht sichern, das Gesetz verhilft uns nicht zur Gerechtigkeit, und die Vernunft nicht zur Gewissheit – da suchen wir unser Heil vergeblich und werden enttäuscht. Aber alle drei werden uns gerade durch das, was sie nicht liefern, Pädagogen auf Christus hin. Und so ist diese Welt letztlich nur wie das Stück getragener Kleidung, das man einem Spürhund unter die Nase hält. Der Hund soll nicht bei dem Kleidungsstück stehen bleiben, als wäre ihm das genug, sondern er soll daran nur die Witterung aufnehmen, um den zu suchen, der die Kleidung getragen hat. Das kann uns gelingen, denn an den guten Dingen der Schöpfung hängt noch überall der Geruch ihres Schöpfers! Doch bei dem Geruch allein dürfen wir nicht stehenbleiben, als wäre uns der Geruch schon genug, sondern wie der Spürhund sollen wir die Fährte aufnehmen, um den zu suchen, bei dem wir dann auf eine dauerhafte und viel bessere Weise zu Ruhe kommen als hier in der Welt. Stimmt es also: “I can’t get no satisfaction“? Nein! Der Mensch kann und soll echten Frieden finden, echte Befriedigung. Aber eben nicht in der Welt, sondern bei Gott. Und in der Zeit des Übergangs schützt uns die Erwartung des Ewigen davor, das Zeitliche zu überfordern. Das Leben ist schön, aber selig muss es uns nicht machen, denn dafür ist der Himmel da. Vernunft und Technik sind hilfreich, aber retten müssen sie uns nicht, weil die Welt schon gerettet ist. Ein wacher Geist ist toll, und Philosophie macht Spaß, aber erleuchten muss uns ein anderer. Nach Tugend sollen wir streben, aber wenn’s um Erlösung geht, verlassen wir uns besser auf Gottes Gnade. Und das alles ist gut so, weil es viel Druck von uns nimmt. Keiner muss für die anderen Messias und Heiland sein, weil wir schon einen Heiland haben. Und was Gott für uns sein will, das müssen wir von der Welt nicht erwarten. Uns selbst nicht überfordernd sparen wir uns manche Enttäuschung. Und wenn sich der Nachbar aufbläst, können wir herzlich drüber lachen. Denn gut ist nur einer. Auf den kommt’s an. Der blickt durch. Und er kann für alles sorgen, was wir nötig haben. 

 

 

Bild am Seitenanfang:

Self-portrait with Cupid and Death (Ausschnitt)

Hans Thoma (1839-1924), Public domain via Artvee