Eiserne Zuversicht

Eiserne Zuversicht

Es gibt Zeiten, da machen sich Trübsinn und Verzagtheit breit. Alle sind müde und wie gelähmt. Keiner erwartet Besserung. Doch kann man dann in die Bücher der Propheten schauen. Denn die sind gut darin, Erwartung zu wecken. Und welcher Prophet tut es auf schönste Weise? Welcher redet kraftvoller als alle andern? Für mich ist es Jesaja. Denn sein Buch ist voller Zusagen. Und wenn ein Mensch droht schwermütig zu werden, kenne ich kein wirksameres Gegengift als Jesajas herrliche Verse. Der Tag des Herrn wird kommen! – sagt er. Und er wird so über die Stolzen und Mächtigen kommen, dass sie sich beugen müssen. Der Herr wird allen Schmutz von seinem Volk abwaschen und alle Schuld von ihm nehmen. Er wird den Heiland schicken, der den Armen Gerechtigkeit widerfahren lässt und den Gewalttätern das verdiente Urteil spricht. Er wird Frieden schaffen, so dass sich keiner mehr fürchten muss. Und dann wird man auch nirgends mehr gottlos reden, fluchen oder beleidigen, spotten oder lästern, sondern das Land wird geflutet sein von göttlicher Wahrheit und Weisheit. Der Herr stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie. Er öffnet die tauben Ohren. Und er tut den Blinden die Augen auf. Er löst den Stummen die Zunge. Er tröstet die verzagten Herzen. Und er rächt alles Unrecht, das man ihnen getan hat. Die Gefangenen wird er wieder heimbringen und die Verstreuten sammeln. Und wenn die Erlösten dann zusammenkommen, werden sie voller Freude und Wonne sein. Der Herr macht der Knechtschaft ein Ende, er vergibt die Schuld und schenkt Freiheit. Darum ruft Jesaja: Platz da! Bereitet dem Herrn den Weg, macht eine ebene Bahn unserem Gott! Und es klingt wie eine Fanfare. Denn unser König kommt! Alle Täler sollen erhöht werden und alle Berge sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade werden, und was hügelig ist, soll eben werden. Denn die Herrlichkeit des Herrn wird offenbar, und die ganze Welt wird es sehen. Alles Menschenwerk vergeht, aber Gottes Wort bleibt ewiglich. Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Was er gewonnen hat, lässt er sich nicht wieder nehmen. Und er verliert nicht den Geringsten, sondern bringt alle sicher nach Hause. Gott kommt, um sein Volk zu erlösen. Und wo immer er die Seinen findet, bleibt er an ihrer Seite. Wenn sie durchs Wasser gehen, ist er dabei. Und wenn sie durchs Feuer gehen, dann auch. Gott liebt seine Leute, er kennt sie beim Namen, er beflügelt ihren Geist und schenkt ihnen Kraft. Er offenbart ihnen seine tiefsten Gedanken und bereitet ihnen jetzt schon die himmlischen Wohnungen. Er segnet ihre Wege, beseitigt alle Hindernisse und führt sie in Geduld. Warum jammerst du also, du Gottesvolk? Dein Gott ist doch König! Spar dir den Trübsinn. Denn er kommt, dir zu helfen. Und alle Welt wird es sehen. Du sitzt heute noch in Trümmern und bist mit deinen Plänen gescheitert. Er aber ist schon längst unterwegs und kommt, um dich zu trösten! Jetzt wirst du noch ausgelacht. Doch das Gelächter deiner Feinde wird bald verstummen. Jetzt nennt man dich noch einen Träumer. Aber die Wahrheit tritt bald zu Tage. Was klagst du also, Christenmensch, und machst ein langes Gesicht? Fürchte dich nicht, denn du sollst nicht zuschanden werden! Schäme dich auch nicht, denn du sollst nicht zum Spott werden! Wohl hat dich Gott eine Zeit lang verstoßen. Aber er kommt wieder und bringt dich zu Ehren. Er hat dir seine Strenge gezeigt, wird sich aber barmherzig erweisen. Und mögen auch Berge weichen und Hügel hinfallen, wird seine Gnade doch nicht von dir weichen. Darum, du Volk Gottes, mache dich bereit und ebne die Bahn für die Ankunft des Höchsten. Er wohnt jetzt schon bei dir auf verborgene Weise. Er wird aber sichtbar kommen, wenn die Stunde geschlagen hat. Und dann widerfährt einem jeden Gerechtigkeit. Darum, du Gottesvolk, mache dich auf und werde licht, denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir! Er wird einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken wird. Und am Ende ist alles Weinen, Klagen und Streiten verstummt. Gott kommt, um alle Tränen zu trocknen. Gerechtigkeit und Frieden werden herrschen. Und dann wird niemand mehr Schaden tun auf Gottes ganzem heiligen Berg. Ja – so herrlich klingt das bei Jesaja, wie mit fröhlichen Fanfaren! Er rollt schon mal den roten Teppich aus. Und seine Freude duldet keinen Widerspruch. Denn das Heil der Welt ist nicht fern. Unser König steht längst vor der Tür. Und der Prophet, dessen Blick in die Zukunft reicht, hat nicht den Hauch eines Zweifels. Eben das aber fällt auf und klingt ungewohnt. Denn woher hat der Prophet diese felsenfeste Gewissheit? Warum schwankt er nicht im Geringsten, sondern haut all diese Zusagen heraus, als sähe er das Künftige schon greifbar vor sich? Warum duldet Jesajas Freude so gar keinen Widerspruch? Wir wundern uns. Denn wenn unsereiner von der Zukunft redet, ist immer mindestens eine Bedingung und ein Vorbehalt dabei – ein „falls“, ein „wenn“ und ein „würde“. Ich komme morgen vorbei, sagen wir. Aber natürlich nur, wenn das Wetter mitspielt, wenn die Bahn nicht wieder ausfällt und meine Erkältung nachlässt. Das nächste Jahr wird besser, sagen wir. Aber natürlich nur, wenn sich die Politik ändert und die Wirtschaft anspringt, wenn nichts dazwischenkommt und der Frieden hält. Natürlich werden wir einen schönen Urlaub machen. Also jedenfalls, wenn das Geld reicht, wenn die Renovierung durch ist, wenn wir nicht krank werden oder die Piloten streiken. Kaum einer traut sich noch, feste Zusagen zu geben! Immer sind Unwägbarkeiten im Spiel. Und außer in der Werbung und in der Politik formuliert man alles konditional. Man redet selten so apodiktisch wie Jesaja, sondern nennt Bedingungen und Ausnahmen zumindest im Kleingedruckten. Jesaja aber, der sagt nicht „wenn“, „vielleicht“, „wahrscheinlich“, sondern er sagt: Das kommt so – unbedingt und zweifellos – darauf kannst du deinen Kopf verwetten. Und der Prophet begründet das auch. Denn was er über den „Tag des Herrn“ zu sagen hat, ist gar nicht auf seinem Mist gewachsen (da wär‘s in der Tat problematisch), sondern es wurde ihm von Gott genau so mitgeteilt. Das Ganze ist nicht Jesajas, sondern Gottes Wort. Und dass nicht eintreten sollte, was Gott zusagt, ist ausgeschlossen, weil Gott weder lügen noch in seinen Plänen gehindert werden kann. Des Herrn Mund hat‘s geredet, sagt Jesaja, und der Herr nimmt nicht zurück, was er versprochen hat. Was Gott sagt, das tut er – und was er will, das kann er auch. Nichts bindet ihn als nur sein eigenes Wort. Das aber bindet ihn unverbrüchlich, weil Gottes Wesen jeglichen Irrtum und alle Inkonsequenz ausschließt. Gott ist treu. Und er hat deutlich genug geredet. Wer will also widersprechen? Himmel und Erde verstummen vor ihrem Schöpfer, die Völker müssen vor ihm fliehen und die Mächtigen müssen schweigen. Gegen Gott behält niemand Recht, und keiner hat da noch etwas einzuwenden oder zu melden. Denn wer schließlich hat sie alle zum Leben erweckt? Wer hält die Schicksale in der Hand? Wer befiehlt den Winden? Wer gebietet den Meeren? Wer hebt die Berge und macht die Erde fest? Wer ordnet das Chaos und wehrt dem Bösen? Wer gibt und nimmt das Leben? Wer verleiht Macht und entzieht sie auch wieder? Wer schenkt Weisheit und Verstand? Alles vergeht, Gott aber bleibt. Denn er ist der Erste und der Letzte – und ist sich immer gleich. Wenn er uns aber erwählt, wer will uns dann verwerfen? Und wenn er segnet, wer will dann fluchen? Wenn er bejaht, wer will noch verneinen? Oder wer will ihm nehmen, was ihm gehört? Er hat sein Volk erwählt und hat Rettung versprochen – was gibt‘s da noch zu fürchten? Ist er für uns, wer mag gegen uns sein? Und ist er aus freien Stücken unser Freund geworden – was wird dann wohl aus unsren Feinden? Das ist doch längst ausgemacht! Sie werden nicht irgendwann verlieren, sondern sind heute schon verloren – sie wissen‘s nur noch nicht! Denn wenn Gott für uns streitet, ist der Ausgang des Krieges nicht offen, sondern was Gott will, ist schon so gut wie geschehen. Gottes Wort schafft Fakten. Und die sich zu ihm flüchten, sind auf ewig geborgen. Denn seine Kraft hat kein Ende, seine Treue kennt kein Schwanken und an Mitteln fehlt’s ihm nie. Macht er aber sein Volk zum Licht der Heiden, wer will ihn hindern? Für Gott ist es Ehrensache, dass er Wort hält und die Seinen aus dem Gefängnis führt! Er lässt die Wahrheit über alle Lügen siegen. Er schafft Gerechtigkeit. Und wer Geduld aufbringt, hofft nicht vergeblich. Hat der Allmächtige aber so gute Pläne gefasst, wer will sie dann durchkreuzen? Wer außer ihm ist Gott? Und wer kennt die Zukunft? Wer außer ihm lenkt die Schicksale? Oder wer außer ihm ist Herr über Leben und Tod? Wer außer ihm hat die Zärtlichkeit einer Mutter und die Härte eines Felsen? Wer kann sich mit dem Ewigen vergleichen oder den Allwissenden überlisten? Wem wäre er je etwas schuldig geblieben – oder wen hätte er enttäuscht? Wer kann fallen, wenn Gott ihn halten will? Oder wer kann siegen, wenn es Gott nicht erlaubt? Wer wird nicht am Ende seine Knie beugen vor dem Herrn? Oder wer kann hoffen, ihn clever zu überraschen? Was Gott beschlossen hat, geschieht, er weiß alles im Voraus. Und was er sich vornimmt, kann niemand verhindern. Was Gott gesagt hat, das kommt. Und was er ankündigt, das tut er. Denn er wird ja nicht müde wie unsereiner. Er ist nicht vergesslich. Und er hat für alles unbegrenzt Zeit. Des Herrn Arm ist nicht zu kurz, so dass er nicht helfen könnte. Seine Ohren sind nicht taub geworden, so dass er nicht hören könnte. Wenn alle Welt versagen sollte, versagt er doch nicht. Und eben das ist der Grund, weshalb Jesajas Freudentöne so voller Gewissheit sind und ohne jeden Vorbehalt mit so unbedingte Zuversicht rüberkommen – weil Jesaja in Gottes Namen spricht, weil Gott immer meint, was er sagt, weil mit Gottes Wesen weder Irrtümer noch Fehlgriffe vereinbar sind, weil niemand ihn hindern kann seine Pläne umzusetzen, und folglich mit eiserner Logik kommen muss, was kommen soll. Gott hat klare Ansagen gemacht – also kann die Wirkung nicht ausbleiben. Sagt er aber, dass er uns durch Christus erlösen wird, so gibt es keinen Grund, noch ängstlich an den Nägeln zu kauen, sondern unsre Erlösung ist so gut wie geschehen. Wenn Gott wahrhaft Gott ist, wird passieren, was er sich vorgenommen hat. Die Wände werden also wackeln, und was Gott nicht passt, wird dann passend gemacht. Es ist undenkbar, dass seinen Worten keine Taten folgen. Und so ist Jesajas Freude auch von keinem Zweifel angekränkelt, sondern er würde uns verwundert ansehen und würde sagen: Ha! Was seid ihr denn für ein verzagter Haufen? Was jammert ihr und duckt euch vor der Welt? Was guckt ihr betreten, seid kleinmütig und tut euch selber leid? Seid ihr nicht das Volk des Höchsten? Habt ihr nicht sein Wort und seinen Segen auf eurer Seite? Oder habt ihr vergessen, was er Großes mit euch vorhat? Ja, wie das Wetter wird, das unterliegt tausend Unwägbarkeiten! Was uns die Politik bringt, steht in der Sternen! Und ob uns morgen das Essen noch schmeckt, kann heute niemand wissen. Aber, Donnerwetter, dass der Tag des Herrn kommt, der alles Krumme gerade richtet, der jeden Nebel vertreibt und das Leben siegen lässt – das ist längst ausgemacht! Das ist beschlossene Sache! Das kommt definitiv! Und ihr seid trotzdem nicht mutig? Ach, bei allem andern könnt ihr Vorbehalt machen – und es liegt auch nichts dran. Aber das unterliegt doch keiner Bedingung, dass Gott Wort hält! Und der kommende Sieg ist euch trotzdem keinen Jubel wert? Gottes großen Tag muss man nicht erst abwarten – den kann man auch jetzt schon feiern. Und wer sich Christ nennt und doch auf Gottes Ansage nicht reagiert, der hat den Schuss nicht gehört. Mögen doch die anderen resignieren! Wir haben keinen Grund dazu! Und selbst wenn’s noch etwas dauern sollte, und sich diese dumme alte Welt noch ein paar hundert Jahre weiterschleppt – was soll’s? Es ändert doch nichts am Ergebnis. Über kurz oder lang kommt Christus wieder, bringt Legionen von Engeln mit und räumt gründlich auf. Niemand wird‘s verhindern, und keiner kann sich dem entziehen. Nichts bleibt verborgen, alles kommt ans Licht. Die einen werden gebeugt, die anderen werden aufgerichtet – und die gestörte Ordnung kommt wieder ins Lot. Vielleicht wartet Gott, damit ein paar Nachzügler in letzter Minute noch ihr Heil ergreifen können. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Gott lässt sich nicht nachsagen, dass er sein Wort nicht hielte! Er kommt spätestens pünktlich. Und wenn ihn viele nicht haben kommen sehen, fällt er eben mit der Tür ins Haus. Er legt dann seine Hand auf diese Welt, rückt alles zurecht, was wir verwirrten, und duldet keinen Widerspruch. Beim ersten Mal kam Gottes Sohn still und leise nach Bethlehem – und viele haben bis heute nicht begriffen, wer da die Welt besuchte. Doch beim zweiten Mal kommt Gottes Sohn unübersehbar in strahlendem Glanz und klopft nicht erst lange, sondern tritt ein. Das wird dann keiner mehr missverstehen, und Christus geht auch kein zweites Mal ans Kreuz, sondern kommt, um zu herrschen. Christen aber – das sind Leute, die schon heute ihre Fahne schwenken für den Sieg von morgen. Christen leben schon heute im Licht des kommenden Tages. Christen sind Vögel, die mit ihrem Gesang den Morgen begrüßen, während die Nacht noch dunkel ist. Im Vorgriff auf das Kommende haben wir der alten Welt schon abgesagt. Wir leben nicht mehr nach den Regeln der alten, sondern nach denen der kommenden Welt. Und so wäre nichts widersprüchlicher als ein trübsinniger Christ, der von der Zukunft nichts mehr erwartet. Denn – komme was wolle – unser Gott ist auch der Gott des morgigen Tages. Und so bitte ich herzlich, dass wir bloß nicht klein von ihm denken und nicht bescheiden hoffen, sondern jederzeit im großen Stil!

 

 

Bild am Seitenanfang: Bärtiger Mann

José de Ribera, Public domain, via Wikimedia Commons