Wo ist der Himmel?
1.
Als es den ersten Flugpionieren gelang, ein paar Meter durch die Luft zu segeln, hatten sie nicht die Absicht, theologische Probleme zu verursachen. Männer wie Otto Lilienthal träumten bloß davon, es den Vögeln gleich zu tun und die Schwerkraft überwindend durch die Luft zu fliegen. Doch die daraus folgende Eroberung des Himmels durch die Luft- und Raumfahrt veränderte nach und nach unser Verhältnis zum Himmel. Und hinter die vertraute biblische Überzeugung, dass Gott „im Himmel“ sei, trat ein großes Fragezeichen. Denn man war’s nun mal gewohnt, das wolkige Blau über unseren Köpfen mit demselben Begriff zu bezeichnen wie den jenseitigen Ort Gottes. Solange dem Menschen beides gleichermaßen entzogen war, entstand kein Problem. Die Sterne waren ja ebenso unerreichbar wie der himmlische Vater. Doch Luft- und Raumfahrt raubten dem Himmel nach und nach seine Geheimnisse. Weiter oben erwies er sich als ziemlich kalt, leer und lebensfeindlich. Und da die Astronauten Gott nicht begegneten, drängte sich die zugleich naive und doch nicht ganz unberechtigte Frage auf, wo denn dann jener biblische Himmel ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt, und wo unsre Verstorbenen Aufnahme finden. „Oma ist jetzt bei Gott im Himmel“ – so hat das auf dem Friedhof schon manches Kind gehört. Und einmal sah ich, wie dann die kleinen Urenkel Briefchen an einen Luftballon banden und fliegen ließen. War das nun aber nett und niedlich? War’s nicht zugleich eine grobe Verwechslung des sichtbaren Himmels mit dem unsichtbaren?
2.
Die Sache lässt sich nicht so einfach klären, weil die Bibel, wenn sie vom „Himmel“ spricht, nicht immer dasselbe meint, sondern mal dies und mal das. Zuerst gibt es da Stellen, die eindeutig vom sichtbaren Himmel reden, der zur Schöpfung gehört, an dem die Sterne glänzen, unter dem die Vögel fliegen und von dem herab es regnet (1. Mose 1,1; 1,8; 2,4; 19,24; 2. Mose 16,4; 5. Mose 11,17; Jos 10,13; Hiob 1,16; Ps 8,4). Und dieser natürliche Himmel ist keineswegs „ewig“, sondern er wird am Ende der Zeit durchaus ins Wanken kommen, wird vergehen und erneuert werden, wenn Gott einen neuen Himmel und eine neue Erde schafft (Jes 65,17; Mt 24,29; 24,35; 2. Petr 3,13; Offb 21,1). Daneben gibt es aber Bibelstellen, die, wenn sie vom „Himmel“ reden, eindeutig nicht den oberen Teil des irdischen Raums meinen, sondern dasselbe Wort verwenden, um eine jenseitige Welt zu bezeichnen, die von Gottes Herrlichkeit erfüllt ist – und genauso unsichtbar wie der Allmächtige selbst. Auf Gott lassen sich Kategorien von Raum und Zeit nicht anwenden, weshalb uns auch für das „Sein-bei-Gott“ jede Anschauung fehlt. Mangels besserer Begriffe wird dieser himmlische „Ort“ dann aber auch wieder räumlich beschrieben als der Ort, wo Gott „wohnt“, wo sein Thron steht, wo ihn die Engel wie ein Hofstaat umgeben, von woher man kommen und wohin man gehen kann, von wo Gott auf die Erde „herabschaut“ oder sogar „herniederfährt“ (1. Mose 11,1-7; 5. Mose 26,15; 2. Chron 30,27; Hiob 1,6-9; 2,1-3; Ps 2,4; 14,2; 33,13; 80,15; 102,20; 103,19; 123,1; Klgl 3,50; Jes 63,15.19; 2. Ma 3,39; Am 9,6; Weish 9,10; Offb 4,2). „Der Herr ist in seinem heiligen Tempel, des Herrn Thron ist im Himmel. Seine Augen sehen herab, seine Blicke prüfen die Menschenkinder“ (Ps 11,4). Das ist räumlich gedacht, als wäre die Welt ein Haus, in dem Gott das obere Stockwerk bewohnt. Und doch ist auch den Menschen der biblischen Zeit durchaus bewusst, dass Gott Himmel und Erde erfüllt, dass er unermesslich ist und darum von keinem noch so großen Raum umschlossen werden kann. Es macht keinen Sinn, mit dem Finger in irgendeine Richtung zu zeigen, um ihn zu „lokalisieren“. Und obwohl man Gotteshäuser baut, meint doch kein vernünftiger Mensch, dass die Mauern eines Tempels Gott „einfangen“ könnten (Jer 23,24; Jes 66,1; 1. Kön 8,1ff). Er ist unumschränkt überall da, ist nirgends nicht – und doch in seiner Gegenwart nicht zu greifen. Er wird durch räumliche und zeitliche Grenzen von nichts ausgeschlossen und in nichts eingeschlossen. Und trotzdem sagt die Bibel sehr direkt (und als wäre das kein Problem), Gott sei „im Himmel“ – was durchaus nach einer Ortsangabe klingt und dieselbe Vorstellung vermittelt wie wenn man sagt, der König sei oben im Schloss (1. Sam 2,10; Ps 115,3; Pred 5,1; Klgl 3,41; Dan 2,28; Sir 16,15; Mt 5,16.48; Mt 6,9; Kol 4,1). Im Himmel werden für Jesu Jünger die ewigen Wohnungen bereitet, dort sammeln sie himmlische Schätze und empfangen ihren Lohn, dort sind ihre Namen geschrieben, dort haben sie Bürgerrecht, dort ist ihre Hoffnung (Mt 5,12; 6,20; 19,21; Lk 10,20; 2. Kor 5,1; Phil 3,20; Kol 1,5; 1. Petr 1,4). Vom Himmel ist Christus in die Welt gekommen, dorthin ist er bei seiner Himmelfahrt aufgefahren und dort sitzt er zur Rechten Gottes, um am Jüngsten Tag wiederzukommen und zu richten die Lebenden und die Toten (Apg 1,10-11; Joh 3,13; 6,38; Eph 1,20-23; Eph 4,8-10; 1. Thess 4,16; 1. Petr 3,22; Hebr 8,1; Hebr 9,24). Gemeint ist damit nicht unser Erdenhimmel, der blau sein kann oder wolkenverhangen. Sondern gemeint ist Gottes jenseitige Welt. Doch nicht alle biblischen Texte unterscheiden das. Sondern etliche lassen das eine ins andere übergehen, wie etwa, wenn Jakob von der Himmelsleiter träumt (1. Mose 28,10-19), wenn Elia auf einem feurigen Wagen gen Himmel fährt (2. Kön 2,11), wenn bei Jesu Taufe der Heilige Geist vom Himmel herabkommt wie eine Taube (Mt 3,16-17) oder der sterbende Stephanus den Himmel offen sieht (Apg 7,54-56). Die biblischen Autoren mussten sich da keine Gedanken machen, weil ihnen der geschaffene Himmel ebenso unzugänglich war wie der ungeschaffene Ort Gottes. Für uns aber hat sich das geändert. Denn seit wir Flugreisen machen, gehört der sichtbare Himmel für uns mit zum „Diesseits“ und bildet lediglich die Verlängerung des irdischen Raumes nach oben. Flugreisende wissen, dass man Gott über den Wolken kein bisschen näher ist als hier unten auf der Erde.
3.
Doch die Frage, wohin dann die Seelen gehen, die den irdischen Leib verlassen, um doch hoffentlich „in den Himmel zu kommen“, wird dadurch nicht leichter (Lk 16,19-31). Wenn man Christi Himmelfahrt – so wie es klassische Gemälde nahelegen – als „Ortsveränderung“ versteht, wird auch sie zum Rätsel. Und liest man bei Paulus, er sei einmal bis in den dritten Himmel entrückt worden (ob mit seinem Leib oder ohne, weiß er nicht zu sagen), kommt man in Verlegenheit (2. Kor 12,1-5). Denn dass man „in den Himmel“ gelangt, wie man räumlich von einem Zimmer ins andere geht, ist offensichtlich falsch. Und noch komplizierter wird es, wenn man fragt, was dabei mit dem Leib geschieht. Denn unsre Verstorbenen lassen ihren Leib (bis auf Weiteres) auf der Erde zurück. Jesus Christus nimmt seinen auferstandenen Leib bei der Himmelfahrt mit. Elia fährt leiblich gen Himmel, ohne vorher auch nur gestorben zu sein. Und Paulus findet sich nach seiner Entrückung in seinem irdischen Leib wieder, der nach wie vor lebendig ist – und vielleicht auch gar nicht „weg“ war. Derselbe Paulus lehrt, dass die Auferstandenen „im Himmel“ durchaus einen Leib haben (wenn dieser geistliche Leib auch sehr anders ist als der irdische, 1. Kor 15,44-49). Ob er aber in der himmlischen Stadt auch so etwas wie „Raum“ einnimmt, weiß niemand (Offb 21). Denn es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden (1. Joh 3,2). Und nur soviel scheint sicher, dass der Übergang von der Erde in den Himmel mit einem Ortswechsel im geschaffenen Raum sehr wenig zu tun hat. Die vielen Gemälde, auf denen Christi Himmelfahrt an einen Raketenstart erinnert, stiften da nur Verwirrung. Und so müssen wir heute deutlicher als in der Antike zwischen zwei „Himmeln“ unterscheiden. Denn das eine ist der „obere Luftraum“, in dem die Vögel fliegen und aus dem der Regen fällt. Und das andere ist der Ort, da Gott wohnt in einem Lichte, zu dem niemand kommen kann (1. Tim 6,16). Der natürliche Himmel ist vergänglich, weil er als geschaffener Raum mit zur Welt gehört. Jener andere dagegen ist unvergänglich, weil er ungeschaffen und mit Gottes Herrlichkeit identisch ist. Christus fährt bei seiner Himmelfahrt nicht in den natürlichen Himmel auf, sondern in den übernatürlichen. Aber wie soll man sich das denken? Ausgangspunkt der Himmelfahrt ist der Ölberg bei Jerusalem. Und der Zielpunkt ist das „Sitzen zur Rechten Gottes“. Doch wenn der Ausgangspunkt räumlich ist, und der Zielpunkt ist es nicht – was ist das für eine seltsame Reise? Theologen des 17. Jahrhunderts (J. F. König) haben gelehrt, Christus sei durch den Lufthimmel und den Sternenhimmel hindurch erhoben worden, um, nachdem er beide durchmessen hat, zu dem Ort der Seligen zu gelangen, der aber nach irdischen Begriffen kein „Ort“ ist. Christus ist also „räumlich“ gestartet, um „unräumlich“ anzukommen. Er verließ einen konkreten Ort, um künftig (unermesslich wie Gott-Vater) an jedem Ort zu sein. Aber heißt das dann, dass er eigentlich gar nicht „weg“ ist, sondern bloß eine sichtbare Weise der Präsenz gegen eine unsichtbare getauscht hat? Nach irdischen Begriffen ist Christus bei seiner Himmelfahrt aus Raum und Zeit „verschwunden“. Doch ging er nicht zum Vater, um die Seinen alleinzulassen, sondern um in die verborgene Herrlichkeit Gottes einzugehen (Joh 17,5). Somit ist er gerade nicht „weg“, sondern auf eine neue Weise „da“ – bloß dass er sozusagen aus dem Sonnenlicht in den Schatten getreten und von der begreiflichen Seite der Wirklichkeit auf die unbegreifliche gewechselt ist. Irgendwann werden ihm alle Christen folgen, um mit Christus „bei Gott“ zu sein. Denn er hat versprochen, sie zu sich zu ziehen (Joh 12,32; 17,24). Und das ist es schließlich, was den Himmel ausmacht, dass man bei Gott ist. „Ja, basta!“ möchte man sagen, „Genug der Spekulation! „Im-Himmel-Sein“ heißt „bei-Gott-Sein“. Und mehr muss man nicht wissen!“
4.
Doch kann ich mir eine Anschluss-Frage nicht verkneifen. Denn wenn der Himmel das „Sein-bei-Gott“ ist, Gott aber doch seinem Wesen nach „überall“ ist, warum ist dann nicht überall der Himmel? Wenn wir nach dem Wort der Apostelgeschichte in Gott leben, weben und sind (Apg 17,28), warum sind wir dann nicht schon selig? Wenn Gott nirgends nicht ist, warum sind wir nicht schon automatisch „bei ihm“? Und wenn wir schon jetzt „bei ihm“ sein sollten, warum fühlt sich das nicht „himmlisch“ an? Der Himmel ist da, wo Gottes Wille geschieht, und Gottes Reich ist dort, wo Gott herrscht (Mt 6,10). Aber bitte – wo herrscht er denn nicht? Der Himmel ist Gottes Nähe. Aber bitte – wo wäre Gott denn fern (Ps 139,1-5)? Der Himmel ist da, wo man Gott erkennt, wie man erkannt ist (1. Kor 13,12). Aber bitte – mangelt es dem Teufel denn an der Kenntnis Gottes (Jak 2,19)? Selbst in der Hölle ist Gott gegenwärtig, ist auch dort mächtig und wohl bekannt! Wenn die Hölle dadurch aber nicht zum Himmel wird: Woran liegt es? Nun, am Glauben liegt es, an der versöhnten Gemeinschaft. Denn im Himmel ist Gott nicht „mehr“ gegenwärtig als in der Hölle, sondern nur „anders“. Er ist auch dem Teufel „nah“. Aber der wünschte sich wahrlich, Gott wäre ihm ferner. Denn nicht darauf kommt es an, „ob“ Gott da ist, sondern „wie“. Für die Wissenden, die Gottes Feinde sind, ist seine Allgegenwart ein Alptraum. Aber für die Wissenden, die Gottes Freunde sind, ist seine Präsenz beglückend. Denn es ist die unstimmige Gottesbeziehung, die die Hölle zur Hölle macht. Und es ist die geheilte Gottesbeziehung, die den Himmel zum Himmel macht. Stehe ich falsch zu Gott, wird mir jeder Ort zur Hölle. Stehe ich recht zu ihm, wird mir jeder Ort zum Himmel. Und daraus folgt, dass ein Mensch für seine persönliche Himmelfahrt den heimischen Sessel gar nicht verlassen muss. Er muss dazu keine Reise antreten, sondern bloß zutiefst innerlich ein anderer werden. Wo ist also der Himmel? Räumlich „da oben“ jedenfalls nicht. Und wenn jemand „in den Himmel kommt“ ist das auch keine Ortsveränderung innerhalb des Geschaffen, sondern der Übertritt auf die Seite des Schaffenden. Wie Gottes Ewigkeit keine zeitliche Erstreckung innerhalb der Zeit ist, sondern ein Standpunkt jenseits und über aller Zeit, so gilt Entsprechendes auch für Gottes Himmel. Denn der ist kein Teil des geschaffenen Raums, sondern eine von zwei Weisen göttlicher Gegenwart. Gott hassend hassen wir auch seine Gegenwart – und ihr nicht zu entrinnen, ist dann unsre Hölle. Ihn liebend lieben wir aber seine Gegenwart – und sie nicht zu entbehren, ist unser Himmel. Denn jene, die Gott suchen, statt vor ihm zu fliehen, dürfen durch Wort und Sakrament zu Christus und durch Christus im Heiligen Geist zu ihrem himmlischen Vater vordringen, mit dem sie Frieden haben. Die Theologia Deutsch sagt in Kapitel 11: „Wenn der Mensch nicht anders achtet, sucht noch begehrt, denn das ewige Gut allein und sich selber, noch des Seinen nichts sucht, sondern allein die Ehre Gottes, so wird Freude, Friede, Wonne, Ruhe und Trost und was dergleichen ist alles dem Menschen zuteil, und so ist dann der Mensch im Himmelreich.“ „Ja, wie?“ werden manche sagen, „Ist der im Himmel, ohne vorher gestorben zu sein?“ Und, ja – genau das ist gemeint. Denn ein Christ kann im Himmel ankommen, ohne dass er dafür auch nur das Haus verlassen müsste. Unser Glaube sorgt dafür, dass wir nur noch mit einem Bein ist dieser traurigen Welt stehen – und mit dem anderen schon im Reich Gottes. Ein Christ lebt diesseits und jenseits zugleich. Und wenn er stirbt, wird ihn die Kürze des Weges überraschen. Denn wie es vorkommt, dass sich ein müder Mensch an einer Wand anlehnen will und dabei durch eine Tapetentür, von der er nichts wusste, ins Nebenzimmer fällt – so wird es uns wohl auch mit dem Himmel gehen. M.a.W.: „In den Himmel zu kommen“ ist weniger eine Frage der räumlichen Verhältnisse als der seelischen. Jesus sagt: „Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen“ (Joh 14,23). Demnach müssen nicht die Christen zum Reich Gottes gelangen, sondern in Christus kommt das Reich zu ihnen (Mt 12,28; Lk 11,20). Es kommt nicht so, dass man’s beobachten könnte, sagt Jesus. Und doch ist es „mitten unter euch“ – oder wie Luther übersetzt – „inwendig in euch“ (Lk 17,20-21). Gottes Reich ist gegenwärtig im Glauben. Und weil das keine nette Metapher ist, sondern Realität, kann Luther sogar sagen, dass Christenleute das Reich Gottes „sind“ (WA 17 II,185). Zwischen ihnen und dem Himmel besteht keine räumliche Trennung, denn Christus ist in ihnen, sie sind in ihm – und wo Christus ist, ist auch Gottes Macht und Herrlichkeit. Wenn wir davon aber wenig spüren, liegt es nur daran, dass unser Glaube so klein, und unsre Blindheit so groß ist. Mit sehenden Augen sehen wir‘s nicht! Doch in denen, die Gott lieben, hat er Wohnung genommen. Sie sind „in den Himmel gefallen“, oder „der Himmel in sie“ – wie man das ausdrückt, ist wohl egal.
5.
Und die Frage ist nur, wann das Verborgene grandios zu Tage tritt. Denn was wir eben über den „inneren“ Himmel sagten, war keineswegs der Versuch, das „Sein-bei-Gott“ zu spiritualisieren oder den Himmel auf ein psychisches Erleben zu reduzieren. Nein – das wäre viel zu klein gedacht! Denn der Himmel, von dem die Bibel redet, ist sehr viel substantieller. Er ist nicht weniger „wirklich“ als unsere materielle Welt, sondern ist „überwirklich“. Und er bleibt auch nur vorläufig verborgen. Im Moment sehen wir ihn nicht, obwohl er so real ist wie Gott selbst. Er wird aber einmal prächtig und mächtig hervorbrechen. Der Himmel wird unsere alte Erde durchdringen, durchfluten und verwandeln. Und er wird aus dem Unsichtbaren so ins Sichtbare hervortreten, dass ihn keiner mehr leugnen kann. Jetzt ist der Himmel geistlich da – dann aber wird er greifbar sein. Alles, was Gott widerstehen will, wird krachend in sich zusammenfallen – was sich ihm aber fröhlich beugt, das wird bleiben. Denn der Himmel kommt nicht nur inwendig in die Seele gläubiger Menschen, sondern am Ende bricht er äußerlich in diese Welt hinein. Und obwohl er dabei alles überformt, erneuert und verwandelt, wird doch der gute Teil der alten Schöpfung nicht verloren gehen, sondern bleibt bewahrt – so dass, wenn der neue Himmel und die neue Erde entstehen, darin auch die Farben und Gerüche nicht fehlen, nicht die verwandelten Leiber und die Weite des Raumes, nicht das Rauschen des Meeres, nicht der Geschmack des Weins oder die Schönheit der Natur. Ja, was immer im Diesseits gut war, werden wir auch im Jenseits wiederfinden. Nun wird jeder zugeben, dass dieses Jenseits vorläufig noch unter viel Dreck verborgen ist – Blut, Schweiß und Tränen überlagern es. Doch dabei wird‘s nicht bleiben. Denn was jetzt schon geistlich da ist, wird einst auch leiblich zu Tage treten. Das Innere der Wirklichkeit wird dann nach außen gestülpt. Und was Christus bei der Himmelfahrt tat, als er so rasch und rätselhaft verschwand, das macht Gott dann andersherum. Er tritt dann von der unsichtbaren Seite der Wirklichkeit auf die sichtbare. Er zeigt sich so gegenwärtig, wie er es schon immer war. Und wir werden große Augen machen und werden sagen: „Na, hätten wir das eher gewusst, hätten wir’s nur eher geglaubt – unsre Herzen wären längst nicht so schwer und so traurig gewesen…“
Bild am Seitenanfang: Nicolas Dipre, Le songe de Jacob
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