J. G. Hamann: Ergänzungen

Die hier folgenden Auszüge aus J. G. Hamanns Werken wurden (ohne Anspruch irgendeiner Systematik) aus verschiedenen Quellen entnommen. Der größte Teil findet sich in „Christliche Bekenntnisse und Zeugnisse von J. G. Hamann, hrg. von A. W. Möller, Münster 1826“, ein anderer Teil in „Johann Georg Hamann. Auswahl aus seinen Briefen und Schriften, hrg. von C. F. Arnold, Gotha 1888“. Die Texte wurden der neueren Rechtschreibung angenähert, soweit es möglich und geboten schien. 2024 / T.G.

 

J. G. Hamann

 

Ergänzungen

 

Göttlich ist es, die Schwachheiten der Schwachen anzuziehen, und sich ihrer Denkungsart so wenig als ihres Fleisches und Blutes, zu seiner Tracht zu schämen; aber es ist auch menschlich zu brennen und feurige Kohlen auf den Haarschädel derjenigen zu sprechen, welchen die Wahrheit zum Stein des Anstoßes gereicht, und die sich daran ärgern, wodurch sie gewitzigt und gebessert werden könnten. 

 

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Ein ehrlicher Mann sei uns immer schätzbar! Hören wir ihn gern, so rau auch seine Stimme, so gerädert auch seine Aussprache sein mag. Den Nutzen, den wir von seiner Rechtschaffenheit ziehen können, ist ganz der Unsrige. Wer Schmeichler zu entbehren weiß, ist wert, Freunde zu haben. Ein einziger überwiegt die Schätze Indiens.

 

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Eine willige Unterwerfung unter den göttlichen Willen, und eine schuldige Aufopferung unserer eigensinnigen Wünsche ist das einzige und allgemeine Hilfsmittel gegen jeden Wechsellauf der Dinge und menschlichen Urteile, sie mögen für oder wider uns sein. Ohne sich auf Grundsätze zu verlassen, die mehrenteils auf Vorurteile unsers Zeitalters beruhen, noch selbige zu verschmähen, weil sie zu den Elementen der gegenwärtigen Welt, und unseres Zusammenhanges mit derselben gehören, ist wohl der sicherste und unerschütterlichste Grund aller Ruhe, sich mit kindlicher Einfalt an der lautern Milch des Evangelii zu begnügen, sich nach der von Gott, nicht von den Menschen, gegebenen Leuchte zu richten, die uns scheint an einem dunkeln Orte, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe; alle unsere Sorge auf den zu werfen, von dem wir die Verheißung haben, dass er für unser und der Unsrigen Schicksal sorgen werde; sich auf den einzigen Mittler und Fürsprecher zu verlassen, dessen Blut bessere Dinge redet, als des ersten Heiligen und Märtyrers Abel, und uns von dem eiteln Wandel nach väterlicher Weise erlöset hat. Hierin besteht das Alpha und Omega meiner ganzen Philosophie. Mehr weiß ich nicht und verlange ich nicht zu wissen. Trotz meiner unersättlichen Näscherei und Neugierde finde ich nirgends – aber in diesem Einzigen das wahre All und Ganze für jedermann, ohne Ansehen der Person und des Geschlechts.

 

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Der allein, welcher ins Herz und ins Verborgene sehen kann, ist dazu bestimmt, unser echter Freund zu sein, ist das einzige Objekt unserer Begierden und Ideen. Alles übrige sind Erscheinungen, wie die Philosophen ganz recht sagen, ohne sich selbst zu verstehen, oder verstanden zu werden. Mit diesen Phänomenen müssen wir uns behelfen, bis wir ins Reine und Freie kommen, aus unserm Mutterleibe heraus, der uns eingewindelt hält und halten muss bis wir zur Reife kommen. 

 

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So wie die Vereinigung des Körpers und der Seele mit dem Othem des leiblichen Lebens verbunden ist und beide zugleich aufhören, so besteht das geistliche Leben in der Vereinigung mit Gott und der geistliche Tod in der Trennung von ihm. Das Geschenk unseres Othems ist von Gott und steht in seiner Hand; der Gebrauch desselben kommt auf uns an. 

 

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Freilich ist unser Herz der größte Betrüger, und wehe dem, der sich auf selbiges verlässt. Diesem gebornen Lügner zum Trotz bleibt aber Gott doch treu. Unser Herz mag uns wie ein eigennütziger Laban so oft täuschen, als es will; so ist Er größer als unser Herz. Unser Herz mag uns verdammen und schelten, wie es will, ist es denn Gott, dass es uns richten kann? 

 

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Das Mittel, wodurch wir dem Himmel näher gekommen sind, ist die Herunterlassung Gottes auf die Erde; kein Turm der Vernunft, dessen Spitze bis an den Himmel reicht, und durch dessen Ziegel und Schleim wir uns einen Namen zu machen gedenken; dessen Fahne der irrenden Menge zum Wahrzeichen dienen soll. 

 

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Der Geist Gottes reißt die Höhen unserer Vernunft nieder, um uns ein himmlisches Gesicht dafür mitzuteilen; er scheint unsere Vernunft zu verwirren, indem er sein Licht in ihr scheinen lässt, und die Finsternis absondert. 

 

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Unglaube im eigentlichsten historischen Wortverstande ist die einzige Sünde gegen den Geist der wahren Religion, deren Herz im Himmel, und ihr Himmel im Herzen ist. Nicht in Diensten, Opfern und Gelübden, die Gott von den Menschen fordert, besteht das Geheimnis der christlichen Gottseligkeit; sondern vielmehr in Verheißungen, Erfüllungen und Aufopferungen, die Gott zum Besten der Menschen getan und geleistet; nicht im vornehmsten und größten Gebot, das er aufgelegt, sondern im höchsten Gute, das er geschenkt hat: nicht in Gesetzgebung und Sittenlehre, die bloß menschliche Gesinnungen und menschliche Handlungen betreffen; sondern in Ausführung göttlicher Taten, Werke und Anstalten zum Heil der ganzen Welt.

 

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Wenn es den Spekulanten am Geist fehlt, die Grundlehren des Christentums von der Verklärung der Menschheit und der Gottheit in der Menschheit durch die Vaterschaft und Sohnschaft zu glauben, und mit unserer lutherischen Kirche zu singen:

„Der Baum des Lebens tut aus Ihm entspringen,

Gar hoch vom Himmel her aus Seinem Herzen“ –

wenn sich die Nicolaiten der göttlichen Kraft und göttlichen Weisheit und Worte vom Kreuze schämen und sich daran stoßen, so ist es doch höchst unvernünftig, Wahrheiten, die vermöge ihrer Bestimmung dem natürlichen Menschen Torheit und Ärgernis sein sollen, deshalb freventlich zu leugnen oder durchzustreichen, und es ist eben so unsittlich und unverantwortlich, selbige Andern zu entziehen, wenn ihre Verkündigung zum Gelübde eines bürgerlichen Berufs, Amtes und Standes gehört. „Unsere Heiligkeit,“ sagt Luther, ist „im Himmel, da Christus ist,“ und nicht „in der Welt vor Augen, wie ein Kram auf dem Markte.“ Der Eifer für die Ausbreitung der Moral ist daher eine eben so grobe Lüge und freche Heuchelei, als der Selbstruhm gesunder Vernunft. 

 

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Die Gesundheit der Vernunft ist der wohlfeilste, eigenmächtigste und unverschämteste Selbstruhm, durch den alles zum vorausgesetzt wird, was eben zu beweisen war, und wodurch alle freie Untersuchung der Wahrheit gewalttätiger als durch die Unfehlbarkeit der römisch-katholischen Kirche ausgeschlossen wird.

 

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Unsere Vernunft ist eben das, was Paulus das Gesetz nennt – und das Gebot der Vernunft ist heilig, gerecht und gut. Aber ist sie uns gegeben – uns weise zu machen? Eben so wenig als das Gesetz den Juden, sie gerecht zu machen, sondern uns zu überführen von dem Gegenteil, wie unvernünftig unsere Vernunft ist, und dass unsere Irrtümer durch sie zunehmen sollen, wie die Sünde durch das Gesetz zunahm. Man setze allenthalben, wo Paulus von Gesetz redet – das Gesetz unsers Jahrhunderts und die Losung unserer Klagen und Schriftgelehrten – die Vernunft: so wird Paulus mit unsern Zeitverwandten reden; und seine Briefe werden nicht mehr einer Trompete ähnlich sein, nach deren Schall sich keiner zum Streit rüstet, weil sie unverständlich das Feldzeichen gibt. 

 

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Ich hab‘ es bis zum Ekel und Überdruss wiederholt, dass es den Philosophen wie den Juden geht, und beide nicht wissen, weder was Vernunft noch was Gesetz ist, wozu sie gegeben: zur Erkenntnis der Sünde und Unwissenheit – nicht der Gnade und Wahrheit, die geschichtlich offenbart werden muss, und sich nicht ergrübeln, noch ererben noch erwerben lässt. Dieses kurze, alte und ewige Glaubensbekenntnis sagt alles, was ich a priori darüber zu sagen im Stande bin. 

 

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Wie das Korn aller unserer natürlichen Weisheit verwesen, in Unwissenheit vergehen muss, und wie aus diesem Tode, aus diesem Nichts, das Leben und Wesen einer höhern Erkenntnis neu geschaffen hervorkeime; so weit reicht die Nase eines Sophisten nicht. Kein Maulwurfshügel, sondern ein Turm Libanons muss es sein, der nach Damesek gafft (Cant. 7,4).

 

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Die Vernunft ist geneigt einem unbekannten Gott zu dienen, aber unendlich entfernt, ihn zu kennen. Sie will ihn nicht kennen, und was noch erstaunender ist, wenn sie ihn erkannt hat, hört sie auf, ihm zu dienen. Dies ist der Grund, warum Gott so spät und so langsam sich entdeckt; er weiß, dass seine Kenntnis den Menschen ein Anstoß, ein Ärgernis ist, so bald er sich ihnen offenbaren und zu erkennen geben will. Die Athener waren andächtig genug, um vor einem unbekannten Gott niederzufallen, sobald aber dieser unbekannte Gott ihnen entdeckt wird, ist ihnen nichts mehr daran gelegen, sie spotten darüber. Apost. 17,23.

 

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Gottes seligmachendes Wort habe ich geprüft gefunden, als das einzige Licht, nicht nur zu Gott zu kommen, sondern auch uns selbst zu kennen; als das teuerste Geschenk der göttlichen Gnade, das die ganze Natur und alle ihre Schätze so weit übertrifft, als unser unsterblicher Geist den Leim des Fleisches und Blutes; als die erstaunlichste und verehrungswürdigste Offenbarung der tiefsten, erhabensten, wunderbarsten Geheimnisse der Gottheit, im Himmel, auf der Erde und in der Hölle, von Gottes Natur, Eigenschaften, großem überschwänglichem Willen, hauptsächlich gegen uns elende Menschen, voll der wichtigsten Entdeckungen durch den Lauf aller Zeiten bis in die Ewigkeit; als das einzige Brot und Manna unsrer Seelen, dessen ein Christ weniger entbehren kann, als der irdische Mensch seiner täglichen Notdurft und Unterhalts – – ja ich bekenne, dass dieses Wort Gottes eben so große Wunder an der Seele eines frommen Christen, er mag einfältig oder gelehrt sein, tut, als diejenigen, die in demselben erzählt werden; dass also der Verstand dieses Buchs und der Glaube an den Inhalt desselben durch nichts anders zu erreichen ist, als durch denselben Geist, der die Verfasser desselben getrieben; dass seine unaussprechlichen Seufzer, die er unserm Herzen schafft, mit den unausdrücklichen Bildern Einer Natur sind, die in der heiligen Schrift mit einem größern Reichtum als aller Samen der ganzen Natur und ihrer Reiche, ausgeschüttet sind. 

 

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Es gehört zur Einheit der göttlichen Offenbarung, dass der Geist Gottes sich durch den Menschengriffel der heiligen Männer, die von ihm getrieben worden, sich eben so erniedrigt und seiner Majestät entäußert, als der Sohn Gottes durch die Knechtsgestalt, und wie die ganze Schöpfung ein Werk der höchsten Demut ist.

 

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Die Natur ist ein Buch, ein Brief, eine Fabel, (im philosophischen Verstande) oder wie man sie nennen will. Gesetzt, wir kennen alle Buchstaben darin so gut wie möglich, wir können alle Wörter syllabieren und aussprechen, wir wissen sogar die Sprache, in der es geschrieben ist. – Ist das alles schon genug, ein Buch zu verstehen, darüber zu urteilen, einen Character davon oder einen Auszug zu machen? Es gehört also mehr dazu als Physik um die Natur auszulegen. Physik ist nichts als das A-B-C. Die Natur ist eine Aequation einer unbekannten Größe; ein hebräisch Wort, das mit bloßen Mitlautern geschrieben wird, zu dem der Verstand die Punkte setzen muss. 

 

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Auch Gottes Züchtigungen sind Wohltaten, und was man Glück nennt, ein gefährliches Eis. Er macht aus Erde Laub und verwandelt Laub wieder in Erde. Wir verstehen seine Regierung nicht, und wagen immer zu viel, selbige zu loben oder zu tadeln. 

 

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Alle die Eitelkeit, alle die Arbeit, alle die Bemühungen der Menschen um Weisheit, um Glück, um Ruhe, die in so verschiedenen Wegen die Menschen nach dem Grabe führen, wo all der Unterschied, den sie sich auf der Erde zu geben suchen, aufhört, sind nicht dem Frommen von Gott zugedacht; sondern sie sind ein Fluch, den die Sünde dem Menschen aufgelegt hat, den aber Gott zum Segen für die Seinigen machen will. 

 

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Die Unmöglichkeit uns selbst zu kennen, kann sowohl in der Grundlage unserer Natur als in einer besondern Bestimmung und Zustande derselben liegen. So setzt die Bewegung einer Uhr eine gehörige Einrichtung ihres Baues und die Bedingung aufgewunden zu werden, zum Voraus. Wenn unsere Natur auf eine besondere genaue Art von dem Willen eines hohen Wesens abhinge; so folgt von selbst, dass man den Begriff desselben zu Hilfe nehmen musste, um die erstere zu erklären; und dass je mehr Licht wir in Ansehung dieses Wesens erhalten würden, desto mehr sich unsere eigene Natur aufklären müsste. Unser Leben ist das erste von allen Gütern, und die Quelle der Glückseligkeit. Wenn wir das erste in Betrachtung ziehen, so zeigt die Beschaffenheit desselben die Eigenschaften der letzteren an. Dieses ist so abhängend, dass unzählige Zufälle uns desselben berauben können, und wir haben so viel Gewalt über dasselbe, als jedes äußere Ding sich rühmen kann. Das ganze Heer von den feindseligen Ursachen, wodurch das Band der Seele mit dem Leibe aufhören und getrennt werden kann, steht aber unter der Regierung desjenigen, dem wir unser Leben zu danken haben. Alle mittlere Werkzeuge stehen unter seiner Hand. Mit unserer Glückseligkeit muss es daher eine gleiche Bewandtnis haben. Hieraus sieht man, wie notwendig unser Selbst in dem Schöpfer desselben gegründet ist, dass wir die Erkenntnis unserer selbst nicht in unsrer Macht haben; dass um den Umfang desselben auszumessen, wir bis in den Schoß der Gottheit dringen müssen, die allein das ganze Geheimnis unsers Wesens bestimmen und auflösen kann. 

 

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Ich werde der Welt und meines eigenen Leibes entbehren müssen, ohne Abbruch desjenigen Teils meiner selbst, der mit beiden so genau verbunden ist, dass ich über diese Trennung als über ein Wunder erstaune. Das Schauspiel der Erde wird aufhören mir Eindrücke zu geben, die Werkzeuge der Empfindung und Bewegung, ungeachtet man ihrer so gewohnt wird, dass man sie fast für unentbehrlich zu halten anfängt, werden ihrer Dienste entsagt werden! – Bin ich also deswegen da, um es bald nicht mehr zu sein? Der ungereimteste Widerspruch, dessen kaum der Mensch fähig wäre, wenn er sich auch selbst als Ursache und Wirkung zugleich ansehen könnte. – Nein, jenes weise und große Urwesen, das mir in jedem Geschöpfe, so mich um gibt, unbegreiflich allgegenwärtig ist, dessen Fußstapfen mir allenthalben sichtbaren Segen triefen, wird anstatt meiner Endzwecke gehabt haben; Endzwecke, die aus der Liebe für seine Werke fließen, sich auf das Beste derselben beziehen, und denen ich nachzudenken, die ich zu vollziehen gemacht bin.

 

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Wir liegen alle in einem so sumpfigen Gefängnis, wie Jeremias (Jer. 38,11). Alte Lumpen dienten ihn herauszuziehen; diesen sollte er seine Rettung zu danken haben. Nicht das Ansehen derselben, sondern die Dienste, die sie ihm taten, und der Gebrauch, den er davon machte, erlösten ihn aus der Gefahr des Lebens. 

 

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Das Zeugnis des heiligen Geistes in unsern Seelen hängt von keinem Gedächtnis ab; und wenn wir Alles vergessen, so vertritt Jesus, der Gekreuzigte, alle Weisheit und alle Kraft, alle Vernunft und alle Sinne. 

 

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Ohne Glauben an Jesum Christum ist es unmöglich Gott zu erkennen, was für ein liebreiches, unaussprechlich gütiges und wohltätiges Wesen er ist, dessen Weisheit, Allmacht, und alle übrige Eigenschaften nur gleichsam Werkzeuge seiner Menschenliebe zu sein scheinen, und dieser Vorzug der Menschen, der Insekten der Schöpfung, gehört unter die größten Tiefen der göttlichen Offenbarung.

 

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Wenn ich nicht einen Gott glaubte, ohne dessen Willen kein Sperling vom Dache fällt, der unsere Tränen uns versprochen hat selbst abzutrocknen, – wie würde ich ohne diesen Glauben fortkommen? Ich würde hundert törichte Dinge anfangen, mich irre machen und dem großen Haufen auf der großen Straße nachlaufen; jetzt bin ich ruhig, erwarte, was mir Gott noch auflegen will, und hoffe, dass er mir die Last jedes Tages werde tragen helfen.

 

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Erkennen wir uns immer als Werkzeuge einer höheren Hand, die ohne Ihn und Seinen Geist nichts tun können, so mögen wir uns selbst und Andern vorkommen, wie wir wollen. Wenn eine Mutter nicht einmal weiß, was die Natur in ihren Eingeweiden bildet, wie sollte unsere Vernunft etwas davon begreifen können, was Gott in uns wirkt, wirken kann und will? 

 

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Wir können uns nicht selbst schaden, ohne Gott zu betrüben; nicht an seinen Willen Teil nehmen, ohne an seinem Glück Teil zu nehmen. Wer sollte es glauben, wenn es uns Gott nicht selbst gesagt hätte, dass er seinen Ruhm in unserem Gehorsam und den Genuss seiner Herrlichkeit in unserer Gesellschaft und Teilnehmung findet.

 

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Die Schrift lehrt den Christen die Zeit, die ganze Dauer derselben, nach Gottes Rechnung betrachten. Was unser Leben ist, das ist die Dauer der ganzen Welt, nichts mehr als ein Heute vor Gott, und für jedes Geschöpf. Was ist unser Tod, den wir stets so nahe, als jeden künftigen Augenblick, ersehen müssen? Sind wir es, die wir sterben? Nein die Welt, die uns stirbt, für uns vergeht. Der Tod jedes Menschen ist also die Zeit, wo diese Offenbarung zum Teil an der Seele jedes Menschen erfüllt wird. In diesem Verstande ist es buchstäblich wahr, dass die Zeit der Erfüllung nahe ist.

 

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Was wir nicht für Sünde halten, das braucht keine Vergebung. Dieser Wahn ist ein Schlaftrunk, der unsern Fall beschleunigt. Wohl dem, der so fällt, dass er wenigstens davon aufwacht, und sich vor solcher Betrübnis der Seele hüten lernt. Jerem. 8,12. 

 

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Es ist keine Kunst zu finden, wenn man die Sache selbst hingelegt hat, wo man sie hernehmen will. 

 

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Die alten und neuen Skeptiker mögen sich noch so sehr in die Löwenhaut der sokratischen Unwissenheit einwickeln, so verraten sie sich durch ihre Stimme und Ohren. Wissen sie nichts; was braucht die Welt einen gelehrten Beweis davon? Ihr Heucheltrug ist lächerlich und unverschämt. Wer aber so viel Scharfsinn und Beredsamkeit nötig hat, sich selbst von seiner Unwissenheit zu überführen, muss in seinem Herzen einen mächtigen Widerwillen gegen die Wahrheit derselben hegen. 

 

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Unsere Philosophen reden wie Alchimisten, von Schätzen der Fruchtbarkeit; wiewohl nach ihren Äckern und Weinbergen zu urteilen, sollte man schwören, dass sie nicht Unkraut von Weizen, Trauben von Dornen, noch Feigen von Disteln zu unterscheiden wissen. – Sie ahmen jenem Gaukler nach, welcher das Vakuum seiner Tasche für den großen, schönen, starken Geist ausgab, der, wenn es möglich wäre, selbst die Elus verführte. Die Verwirrung der Sprache, wodurch sie aber verführen und verführt werden, ist freilich eine sehr natürliche Zauberei automatischer Vernunft, der es wenig kostet, sich in einem Stern der ersten Größe zu erklären, besonders für Schälke von gleichartiger Blindheit. 

 

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Man muss nicht jedem Narren zu Gebot stehen, der sich um eine halbe oder viertel Wahrheit mit uns balgen will. Die Wahrheit verträgt sich nicht mit allen dergleichen Katzbalgereien. 

 

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Gelehrten zu predigen, ist eben so leicht als ehrliche Leute zu betrügen: auch weder Gefahr noch Verantwortung dabei, für Gelehrte zu schreiben, weil die meisten schon so verkehrt sind, dass der abenteuerlichste Autor ihre Denkungsart nicht mehr verwirren kann. 

 

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Nicht „Cogito ergo sum“, sondern umgekehrt, oder noch hebräischer „Est ergo cogito“ (Er ist, also denke ich), und mit der Inversion eines so einfachen Principii bekommt vielleicht das ganze System eine andere Sprache und Richtung. 

 

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Gott ist ein Wesen, das nur ein Blinder mit starrem Auge ansehen kann, und dessen Denkungsart und moralischen Charakter sich nur ein eitler Mensch zu erkennen getraut. Ein aufrichtiger Sophist sagt: je länger ich daran denke, desto weniger kann ich aus ihm klug werden. 

 

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Gewöhne dich frühe, als ein Christ gegen Menschenfurcht und Menschengefälligkeit zu streiten. Warte dein Amt um Gottes willen ab, diene deinem Nächsten um Christi willen; dulde, entschuldige, lohne, strafe, ermahne – donnre und träufle – sei ein brausender Nord und ein säuselnder West. Erkennen wir uns immer als Werkzeuge einer höhern Hand, die ohne Ihn und Seinen Geist nichts tun können, so mögen wir uns selbst und andern vorkommen wie wir wollen. Wenn eine Mutter nicht einmal weiß, was die Natur in ihren Eingeweiden bildet: wie sollte unsere Vernunft etwas davon begreifen können, was Gott in uns wirkt, wirken kann und will.

 

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Wann wird der Mensch glauben, dass die Vorsehung sich bis auf unsere Haare erstreckt; und weder ein Wort unserem Munde noch ein Buchstabe unserer Feder entfährt, ohne dass es der Herr wisse? Incredibile sed verum, und demungeachtet kommt es uns vor, dass unsere Kindergedanken weniger wert seien als die Sperlinge, und fruchtlos und von ungefähr fallen. Unglaube ist das erste Element unserer verkehrten Denkungsart. 

 

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Ich sehe aber, dass des Menschen Weg nicht in seiner Hand (Jer. 10,23) und der Plan eines höheren Fingers ist, der meine inneren und äußeren Umstände regiert und lenkt, wie er will, zu unserem allgemeinen und besonderen Besten. Er mischt sich in alle unsere Torheiten, Vorurteile, Leidenschaften, sie mögen so blind sein wie sie wollen. 

 

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„Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen“, sagte Hiob und bekam ein zwiefältiges aus eben der Hand des Herrn, an den er glaubte, ohne sich an den Satan zu kehren, der ihn durch Araber, Chaldäer und einen großen Wind von der Wüste bloß von Rindern, Kamelen und Kindern gemacht hatte. War nicht der Satan an seinem Unglück schuld? Wie konnte Hiob mit gutem Gewissen sagen: „Der Herr hat’s genommen?“ Wer bei Mittel-Ursachen stehen bleibt, segnet Gott und stirbt. Welche ihn ansehen und anlaufen wie sein Knecht Hiob, deren Angesicht wird nicht zuschanden. Sein Zorn hingegen war ergrimmt über Eliphas von Thema und über die Theodizeen seiner zwei Freunde; denn ihr habt nicht recht von mir geredet. 

 

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Die arme Raupe tut aber am besten, dass sie die Vorsehung walten und für die Flügel sorgen lässt zur Erreichung unserer Wünsche, die auch ihre Absichten sind. Wir wollen das Gute mit dem Munde und sie in der Tat und Wahrheit. 

 

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Aus einem Krankenbrief an J. G. Steudel (04.05.1788)

(…) Erst vorgestern, den 2. Mai, habe ich Ihre Zuschrift von meinem beinahe zu gewissenhaften Pfleger erhalten können. Ich habe sie heute zum Frühstück oder Metten wiederholt, als ein lebendiges Ecce homo! mit Andacht und Erbauung. Die letzten Worte Ihres Briefes haben mich aufgerichtet, und ich habe mehr Ursache, Ihrem Arzte als dem Selbstgefühle eines Kranken zu trauen, dessen Ungeduld nach seinem eigenen Geständnis sich in Wut und Verzweiflung verliert. Diese letzten Worte lassen sich füglicher auf Ihre eigene Lage deuten: Gott Lob, das Ärgste ist vorüber und wir hoffen alles! Ja, liebster Theophile Steudel, Gott kennt Sie besser als Sie leider! sich selbst kennen. Er weiß sehr gut, dass es mit all Ihrem Toben nicht so böse gemeint ist, wie Ihre hyperbolische Schreibart züchtigen Ohren auffallen muss. Sie werden bald statt Ihres verhassten Motto ausrufen können: „Mein Dasein ist Liebe, mein Leben ein unvergänglicher Genuss voller Gnade und Wahrheit!“ Der Überdruss des Lebens ist eine Folge oder ein Symptom vieler Krankheiten, besonders solcher, welche die Nerven angreifen. In einem solchen Paroxysmo trank auch Hiob Unrecht wie Wasser; und je mehr Schulden uns vergeben und erlassen werden, desto mehr wächst die Liebe. Sie ist stark wie der Tod und die Eifersucht ist fest wie die Hölle. Ihre Ampeln sind wie die brennenden und flammenden Ampeln. Je tätiger oder leidender man ist, desto mehr herrscht der leidige Egoismus in uns. Zu Geduld gehört herkulische Stärke, die den Schwachen mächtig macht. Genügsamkeit an seiner Gnade ist der beste Schild und der größte Lohn. Sie haben lange genug mit einer ägyptischen Magd (der Weltweisheit) gebuhlt und darüber den Sohn der Liebe und die Gemeinschaft seines Geistes verschmäht. Sehen Sie mich wenigstens als einen Raben an, als den Vorboten der Taube, die in ihrem Munde ein Zweiglein vom Ölbaume mit grünen Blättern dem harrenden Patriarchen in die Arche brachte. Ja, lassen Sie sich versöhnen, nicht „mit Ihrem Dasein“, sondern mit dem großen und unbekannten Gott, den wir als den Vater aller seiner guten und bösen Kinder anrufen, der uns den Beruf gegeben, seinen Namen zu heiligen, die Ankunft seines Reiches zu befördern, und dessen heiliger Wille unser zeitliches Glück und ewige Seligkeit ist, die wir seiner Geduld und nicht unseren Verdiensten noch guten Werken, sondern seinen piis desideriis, die im Grunde unsere eigenen dunkeln Wünsche sind, zu verdanken haben (…). Ich bin in meiner Seele überzeugt, dass Gott nicht nur am besten wisse, was Sie leiden, sondern dass auch weder Kleines noch Großes ohne seinen ausdrücklichen Willen geschehe. Aber diese Überzeugung Ihnen mitzuteilen, hängt ebenso wenig von mir als von Ihnen selbst ab. Der Glaube ist nicht jedermanns Ding. So wenig unser Dasein von dem Willen des Fleisches noch vom Willen des Mannes abhängt. Ohne eine individuelle Vorsehung kann Gott weder Regent des Weltalls noch Richter der Menschen und Geister sein. Ich bin von dieser Wahrheit a priori durch das gegebene Wort der Offenbarung, und a posteriori durch meine und die tägliche Erfahrung überzeugt. Das höchste Wesen ist im eigentlichsten Verstand ein Individuum, das nach keinem anderen Maßstabe, als den es selbst gibt, und nicht nach willkürlichen Voraussetzungen unseres Vorwitzes und unserer naseweisen Unwissenheit gedacht oder eingebildet werden kann. Das Dasein der kleinsten Sache beruht auf unmittelbarem Eindruck, nicht auf Schlüssen. Das Unendliche ist ein Abgrund. Alles Endliche ist begrenzt und kann durch einen Umriss bezeichnet werden. Eine höhere Liebe scheint uns Grausamkeit. Der den Sohn seines Wohlgefallens durch Leiden vollkommen gemacht, hat eben diese Kreuzestaufe nötig, um die Schlacken der Naturgaben, die er nicht als ein Eigentum zu Ihrem eigenen willkürlichen Gebrauche von Ihnen verschleudert wissen will, zu seinem Dienste, zu seiner Ehre, zu Ihrem Frieden und Gewinn zu läutern. Dem Himmel sei Dank, dass es hoch über den Sternen ein Wesen gibt, das von sich sagen kann: „Ich bin der ich bin“ – alles unter dem Monde sei wandelbar und wetterwendisch. – Mein Freund Kant hat die Beobachtungen und Rechnungen der neuesten Astronomie nötig, um sich von den Abgründen der menschlichen Unwissenheit einen Begriff zu machen. Die Beweise davon dürfen nicht so weit hergeholt werden; sie liegen uns weit näher. Der Beweis der Unsterblichkeit aus dem wachsenden Monde und aus dem Wunderstern im Walfisch ist für mein Gesicht ebenso unbrauchbar. Diese Wahrheit ist für mich auch res facti. Nach der Lage und Natur der Dinge ist manches unmöglich. Aber unsere Begriffe zu ändern und zu berichtigen scheint nicht so ganz unmöglich zu sein. Die meisten sind wächserne Nasen, Gemächte der Sophisterei und der Schulvernunft. Ich weiß kein besseres Feigenpflaster auf Ihre Beulen als die göttliche Torheit des Evangelii. Wer ist tätiger gewesen, mit mehr Geduld, als der Menschensohn! Er hatte nicht, wo er sein Haupt hinlegte. Er kam in sein Eigentum, und seine Untertanen nahmen ihn nicht auf. Wie muss einem Manne von seinem unschuldigen, reinen Charakter unter einem solchen Volk zumute gewesen sein, unter dem Pfaffenregiment der Hohenpriester und dem moralischen Otterngezücht der Pharisäer! Was für göttliche Selbstverleugnung gehörte dazu, sich zu den rohen Begriffen der zwölf Boten herunterzulassen, die noch einfältiger waren und mehr Bauernstolz hatten als unsere Leibeigenen; den Hang politischer Kannengießereien zu unterdrücken und ihre groben Missverständnisse eines Himmelreiches zu berichtigen! Hätte Luther nicht den Mut gehabt ein Ketzer zu werden, würde Sailer nicht imstande gewesen sein ein so schönes Gebetbuch zu schreiben, an dem ich mich alle Morgen erbaue.

 

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Je mehr die Nacht meines Lebens zunimmt, desto heller wird der Morgenstern im Herzen, nicht durch den Buchstaben der Natur, sondern durch den Geist der Schrift, dem ich mehr als jenem zu verdanken habe.

 

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Die ganze Schöpfung ist ein Werk der höchsten Demut. Den allein weisen Gott in der Natur bloß bewundern, ist vielleicht eine ähnliche Beleidigung mit dem Schimpf, den man einem vernünftigen Mann erweist, dessen Wert nach seinem Rock der Pöbel schätzt. 

 

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Ich lese jetzt den „Chrysostomus“ und werde dir eine Stelle abschreiben, die ich heute gelesen. „Du musst dir Freunde machen? Mache dir Freunde Gott zur Ehre. Du musst dir Feinde machen? Mache dir Feinde Gott zur Ehre. Wenn wir uns auch nicht solche Freunde gewinnen, durch welche wir Reichtümer erlangen, deren Tisch wir genießen, und durch welche wir mächtig werden können, so wollen wir diejenigen aufsuchen und uns zu Freunden machen, die unsere Seelen immer in Ordnung halten, die uns zur Erfüllung unserer Pflichten ermahnen, die uns bestrafen, wenn wir sündigen, die uns aufrichten, wenn wir straucheln, und die uns mit Gebet und Rat beistehen, um uns zu Gott zu bringen. Wiederum dürfen wir uns um Gottes willen Feinde machen. Wenn du einen Schwelger und Unreinen siehst, einen Menschen voll Bosheit, voll irriger Lehren, der dich zum Fall zu bringen und dir zu schaden sucht, so weiche von ihm und fliehe zurück. Das verlangt Christus von dir: „Wenn dich dein rechtes Auge ärgert, so reiß es aus.“ Er befiehlt dir, deine liebsten Freunde, die dir so teuer als deine Augen und bei den Geschäften dieses Lebens ebenso unentbehrlich sind, auszureißen und wegzuwerfen, wenn sie dir an deiner Seligkeit hinderlich sind.“

Ich habe gestern seine sechs Bücher vom Priestertum mit viel Zufriedenheit gelesen. Weil das Christentum in einem königlichen Priestertum besteht, so ist dies Buch für jeden Christen. Ein Kunstrichter wird mehr Hypochondrie als Beredsamkeit darin finden. Was für ängstliche, schwülstige, übertriebene Begriffe machte sich dieser Mann von seinem Stande, und wie furchtsam und schlecht dachte er von sich selbst! Ich habe eine schwache, kleine Seele, schreibt er, die nicht allein vielen Leidenschaften, sondern der bittersten unter allen, der Missgunst, leicht unterworfen ist, die weder die Schmach noch die Ehre gelassen ertragen kann, sondern von dieser über die Maßen aufschwillt und von jener allzu sehr erniedrigt wird. –

 

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Gehört das Antichristentum nicht zum Plane der göttlichen Ökonomie? Wenn das Rindvieh beiseit austritt, wird man denn die Bundeslade gleich für verloren halten, und die Hand wie Usa danach ausstrecken? (2. Sam 6,6)

 

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Bibellesen und Beten ist die Arbeit eines Christen, wie Romane und der Putztisch eines Stutzers. Jedes Buch ist mir eine Bibel und jedes Geschäft ein Gebet. Dies sind keine Einfälle. – Das Pfund ist von Gott, der Gebrauch desselben ist von Gott, der Gewinn gehört ihm.

 

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Ich wundere mich, wie es dem weisen Baumeister der Welt hat einfallen können, uns von seiner Arbeit bei dem großen Werk der Schöpfung gleichsam Rechenschaft abzulegen, da kein kluger Mensch sich leicht die Mühe nimmt, Kinder und Narren über den Mechanismus seiner Handlungen klug zu machen. Nichts als Liebe gegen uns Säuglinge der Schöpfung hat ihn zu dieser Schwachheit bewegen können. Wie würde es ein großer Geist anfangen, der einem Kinde, das noch in die Schule ginge, oder einer einfältigen Magd von seinen Systemen und Projekten ein Licht geben wollte? Dass es Gott möglich gewesen, uns zwei Worte über den Ursprung der Dinge vernehmen zu lassen, ist unbegreiflich; und die wirkliche Offenbarung darüber ein ebenso schönes Argument seiner Weisheit, als ihre scheinende Unmöglichkeit ein Beweis unseres Blödsinns. Ein Weltweiser liest aber die drei Kapitel des Anfangs mit eben solchen Augen, wie jener gekrönte Sterngucker den Himmel. Es ist daher natürlich, dass lauter exzentrische Begriffe und Anomalien ihm darin vorkommen; er meistert also lieber den Heiligen in Israel, ehe er an seinen Schulgrillen und systematischem Geist zweifeln sollte.

 

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Gott! wie liebreich sind deine Wege. Barmherzigkeit und Wahrheit. Wie viel Wunder hast du mir tun müssen, damit ich dasjenige zu glauben lernen sollte, was ich als ein Kind gewusst habe, was jedes Kind weiß und niemand wahrhaftig glaubt, als dem Gott diesen Glauben wirkt und schenkt. Ich meine die leichte Wahrheit: Ohne mich könnt ihr nichts tun. Ich meine den einzigen Trost: Ich will dich nicht verlassen noch versäumen.

 

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Wie mag der Schöpfer nicht 

in seiner Allmacht lachen, 

Wenn sich das Nichts zu Was 

und Ihn zu Nichts will machen!

 

Gewisse Dinge sind für mein armes Gedächtnis unauslöschlich. So geht es mit diesem Vers, den ich in meiner ersten Jugend vor Reinbecks Augsburger Konfession von einem Dr. Junker gelesen.

 

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Lass einen jeden das Seine tun; der Kaufmann sein Comptoir, der Gelehrte sein Handwerk. Rachsucht war die schöne Natur, die Homer nachahmte. Was mein eigen Herz betrifft, so traue ich demselben nicht, wenn es mich absolviert, nicht wenn es mich verdammt. Gesetzt, dass es mich verdammt, so ist Er größer als mein Herz. Herz gegen Herz gerechnet, liegt mir meines näher als meiner Nachbarn Herz. Wenn ich an selbiges appellieren möchte in einigen Augenblicken, in gewissen Schäferstunden, so würden Sie nicht mehr Herrlichkeit in Ihrem eigenen als in meinem finden. Schlechter Trost – und noch schlechterer Grund, auf den ich bauen soll. Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, der mich von allem Übel erlösen wird, und auch von der Sünde, die mich wie meine eigene Haut umgibt, mich träge macht und allenthalben mir anklebt.

 

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Gott schaffe in uns allen ein reines Herz und gebe uns einen neuen gewissen Geist, und der freudige Geist erhalte uns. Wenn ein Bluthund und Ehebrecher so viel Vertrauen zu Gott haben konnte, so zu bitten; sollten wir als Kinder des Neuen Bundes an der Erhörung dessen, was uns gut ist, verzagen oder verzweifeln? Es gibt Zweifel, die mit keinen Gründen noch Antworten, sondern schlechterdings mit einem Bah! abgewiesen werden müssen, – so wie es Sorgen gibt, die durch Gelächter am besten gehoben werden können. 

 

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Der Unglaube an Christum macht unsere Herzen kalt, verwirrt alle Begriffe unserer Vernunft, unterdessen wir, ich weiß nicht was für ein gutes Herz in unserem Busen und eine vernünftige Denkungsart in unseren Handlungen träumen. Worin besteht denn dies alles? Bloß in der Übereinstimmung mit anderen Menschen, die auch so denken, so reden, so urteilen, so handeln wie wir und in deren Gesellschaft wir schreien: Hier ist des Herrn Tempel! Hier ist Christus! Warum? Ich vergebe, ich liebe, ich beleidige nicht. – Ist alles gelogen; Gott gelogen, der da sagt: alle Menschen sind Lügner; Christo gelogen, der da sagt: ich bin kein Arzt für Gesunde.

 

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(An seinen Bruder) 

Du sprichst mir die christliche Bruderliebe ab; dann ist mein Glaube tot; ein gemaltes, und kein brennendes und scheinendes Licht. Liebst Du Deine Kinder auch so, dass Du ihrer Nachlässigkeit, Unachtsamkeit, Unart durch die Finger siehst? Ja nach den Begriffen der Kinder heißt das lieben, aber nicht nach den Begriffen eines vernünftigen und redlichen Vaters und Lehrers, der die am meisten an Gottes Stelle züchtigt, die er lieb hat.

 

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Mein gnädiger Gott! gib mir und vermehre in mir den Glauben an dich und den du gesandt hast, Jesum Christum. Ohne dich bin ich nichts; du bist mein ganzes Ich. Ohne dich ist es unmöglich, dich zu kennen und zu dir zu kommen. Du hast die Schlüssel aller Erkenntnis und mit denselben den Schlüssel des Himmels in deinem Sohne und der Predigt seines Evangelii uns geschenkt. Dies lass unsere Weisheit und Kraft und Ruhm sein.

 

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Kirchengesang

Der Heiligkeit eines Kirchendienstes geschieht nichts zuleide, man mag ihre Musik für so elend halten als man will, weil es ihre Absicht nicht ist, sich Menschen zu empfehlen. Warum sollte sie, die eine Magd im Hause des Herrn zu sein gewürdigt wird, um sterblichen Geschmack buhlen, wenn der Höchste ihre Niedrigkeit ansieht und sich eben dadurch bewegen lässt, sein Ohr zu ihr zu neigen; was Menschen hingegen entzückt, ein Gräuel vor Gott ist? Sorgt Gott für die Farren und Kälber unserer Lippen? – Der sich die Stimme der Raben, wenn sie ihn anrufen, gefallen lässt und den Mund der Säuglinge zum Herold seines Ruhms bereiten kann, zieht den Ernst eines erstickten Seufzers, – einer zurückgehaltenen Zähre, – der spitzfindigen Gerechtigkeit des Wohlklangs und dem Nierenfett der Chöre vor. 

 

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Ich bin tagtäglich unterbrochen worden und augenblicklichen Zerstreuungen ausgesetzt. Es geht mir sehr oft, dass ich meine eigene Hand nicht lesen kann, und mir wird bei dem, was ich selbst geschrieben, so übel und weh als dem Leser, weil mir alle Mittelbegriffe, die zur Kette meiner Schlüsse gehören, verraucht sind und so ausgetrocknet, dass weder Spur noch Witterung übrig bleibt. Ich habe mich in eine solche Manier zu schreiben hineinstudiert, die mir weder selbst gefällt noch natürlich ist – und weil von St. Paulo die Rede ist, so wünschte ich auch lieber fünf Worte im Publico mit meinem Sinn, denn sonst zehntausend Worte mit Zungen und mit dem Geist. Unterdessen muss jeder Vogel mit dem Wuchse seines Schnabels zufrieden sein.