DAS SIEBENUNDZWANZIGSTE KAPITEL. (1.B./27.K.)
WARUM DIE FEINDE ZU LIEBEN?
Inhalt.
Christen sollen ihre Feinde lieben: 1. a) Denn das ist die Eigenschaft der Kinder Gottes. 2. b) Eine Furcht und Zeugnis der Lebendigmachung in Christo. 3. c) Ohne die Liebe sind alle gute Werke verloren. 4. d) Die Beleidigung vergeben, ist göttlich und adelich. 5. Die Exempel der Heiden können uns dies lehren. 6. e) Noch mehr aber das Exempel des geduldigen Jesu, 7. f) welches eine heilsame Arznei unsers ganzen Lebens ist. 8. g) Die Liebe der Feinde macht uns Gott ähnlich. 9. h) Und ist der höchste Grad der Tugend.
Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel, Matth. 5,44.45.
Der erste Grund ist a) Gottes Gebot, so hier steht: Liebet eure Feinde; und setzet der Herr keine andere Ursache dazu, als diese: auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er hat uns geliebt, da wir seine Feinde waren, Röm. 5,10. So viel will nun der Herr sagen: Wenn ihr eure Feinde nicht liebet, so könnet ihr eures Vaters Kinder nicht sein. Wer nun Gottes Kind nicht ist, weß Kind ist er denn? Ach, wie haben wir noch so viel zu lernen! Wie weit sind wir noch von den Früchten der Kindschaft Gottes, weil in einem wahren Kinde Gottes die Liebe sein soll, so die Feinde liebt.
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2. b) 1 Joh. 3,14. Wer den Bruder nicht liebt, der bleibt im Tode. Warum? Er hat das rechte Leben nicht aus Christo. Das geistliche, himmlische Leben bestehet im Glauben gegen Gott, und in der Liebe gegen den Nächsten, wie St. Johannes daselbst sagt: Wir wissen, dass wir aus dem Tode in das Leben kommen sein, denn wir lieben die Brüder. Das ist die Frucht und das Zeugnis der Lebendig-machung in Christo. Demnach ist die Feindschaft wider den Nächsten der ewige Tod. Denn wer in Feindschaft stirbt, der ist des ewigen Todes gestorben, davor der Herr Christus so treulich warnet.
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3. c) Wenn ein Mensch seinen Nächsten hasset, so sind alle seine guten Werke, Gottesdienst und Gebet verloren, wie St. Paulus sagt: Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe, und ließe meinen Leib brennen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mirs nichts nütze, 1 Kor. 13,3.
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4. d) So ist es Anzeige eines hohen, adeligen und göttlichen Gemüts, die Beleidi-gung vergeben. Denn sehet Gott an, wie langmütig ist er, wie bald läßt er sich versöhnen, Psalm 103,8. Sehet den Herrn Jesum an in seinem Leiden, wie ein geduldiges Lamm war er, wie tat er seinen Mund nicht auf? Jer. 53,7. Sehet Gott den heiligen Geist an, warum hat er sich in Taubengestalt geoffenbart? Matth. 3,16. Ohne Zweifel wegen der Gelindigkeit und Sanftmut. Sehet Mosen an, mit welcher großen Geduld hat er die Lästerung und Schmähung des Volkes ertra-gen. Die Schrift sagt: 4 Mos. 12,3. Er war ein sehr geplagter Mann, über alle Menschen auf Erden. Sehet den heiligen David an, wie er den Regentenschän-der Simei duldet, 2 Sam. 16,10.
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5. Die wahre Liebe zürnet mit niemand leichtlich, als mit ihr selbst. Der wahre Frieden besteht nicht im großen Glück, sondern im demütigen Leiden der Wider-wärtigkeit. Ein erhabenes Gemüt ist keiner Lästerung fähig. Wenn du ein erhabe-nes Gemüt hast, so wirst du dafür halten, dass dir keine Schmach widerfahren könne. Wenn einer die Sonne schälte, und spräche: sie wäre nichts als Finster-nis, davon würde sie nicht finster werden. Also gedenke du auch: Es ist eine große Rache, bald vergeben. Solche herrliche, weise Regeln des Lebens haben vortreffliche Leute ausgeübt. Perikles z.B., ein griechischer Redner, ließ, da er einen Lästerer den ganzen Tag erduldet hatte, solchen am Abend in sein Haus begleiten, damit er nicht Schaden nähme, und sagte: Es ist keine Kunst, die Tugend schelten, sondern ihr folgen. Phocion, ein atheniensischer Fürst, nach-dem er viele herrliche Taten getan, ist er durch Neid zum Tode verdammt worden. Und als er gefragt ward: Ob er auch noch etwas seinem Sohne befehlen wollte? hat er geantwortet: Gar nichts, ohne allein, dass er diese Gewalt an seinem Vaterlande ja nicht rächen wolle. Kaiser Titus, als er in Erfahrung ge-bracht, dass zween Brüder in Rom nach dem Kaisertum trachteten, und sich zusammen verschworen, den Kaiser zu ermorden, hat er sie auf den Abend zu Gaste geladen, und auf den Morgen mit sich auf den Schauplatz genommen, da er dem Spiel zugesehen, und sie lassen neben sich sitzen, und hat mit hoher Gnade ihre Bosheit überwunden. Als sich Cato, der weise Ratsherr zu Rom, erstochen hatte, hat Julius Cäsar gesagt: Nun ist mir mein höchster Sieg ge-nommen, denn ich gedachte dem Cato alle Injurien, womit er mich beleidiget hat, zu vergeben.
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5. e) Aber wer durch die große Geduld und Demut des Sohnes Gottes nicht bewogen werden kann zur Sanftmut gegen die Feinde, der wird nimmermehr durch eines Heiligen Exempel bewogen werden, vielweniger durch ein heid-nisches Exempel. Denn sehet, was ist doch größere Gewalt und Bosheit, als dass Menschenkinder gegen den einigen, unschuldigen und gerechten Sohn Gottes, die Krone seines Herzens, so erbärmlich gehandelt haben, ihn verspottet, geschlagen, mit Dornen gekrönet, verspeiet, ans Kreuz geheftet, und die höchste Bosheit an ihm vollbracht? Doch hat es Gott aus Gnaden alles vergeben, und der Herr hat gebeten: Vater, vergibs ihnen, Luk. 23,34.
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7. f) Zu dem Ende hat dir dein Erlöser und Seligmacher sein Exempel vor Augen gestellt, dass er deines ganzen Lebens kräftige Arznei sei, eine solche Arznei, die alles, was in dir hoch ist, soll niederdrücken, alles, was verschmachtet ist, erquicken, alles, was untüchtig ist, abschneiden, alles, was verdorben ist, ver-bessern. Wie kann die Hoffart in einem Menschen so groß sein, dass sie nicht geheilt werden möchte mit der tiefsten Niedrigkeit und Demut des Sohnes Gottes? Heb. 5,8. Wie kann der Geiz im Menschen so überhand nehmen, dass er nicht durch die heilige Armut Christi könnte geheilt werden? Wie kann der Zorn des Menschen so heftig sein, dass er nicht mit der gelindesten Sanftmut Christi könnte geheilt werden? Wie könnte die Rachgier im Menschen so bitter sein, dass sie nicht sollte durch die hohe Geduld des Sohnes Gottes geheilt werden? Wie könnte doch ein Mensch so gar lieblos sein, dass er nicht durch die große Liebe Christi, und seine Wohltaten könnte mit Liebe entzündet werden? Wie könnte doch ein so hartes Herz sein, das Christus mit seinen Tränen nicht er-weichen sollte?
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8. g) Wer wollte auch nicht gerne Gott dem Vater und seinem lieben Sohn Jesu Christo, und Gott dem heiligen Geist gleich werden, und das Bild der heiligen Dreifaltigkeit tragen, welches vornehmlich besteht in Liebe und Vergebung? Denn es ist die höchste Eigenschaft Gottes, erbarmen, verschonen, gnädig sein, vergeben. Wer wollte nicht sagen, dass das die schönste Tugend wäre, dadurch man dem höchsten Gott gleich kann werden, und den allertugendhaftesten, höchsten Leuten in der Welt?
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9. h) Endlich so ist es auch der höchste Grad der Tugend, sich selbst überwin-den, vergeben, vergessen, und Zorn in Gnade verwandeln. Es ist sich selbst bezwingen der allergrößte Sieg, niemals in schweren Dingen die Tugend höher stieg. Ist eben das, was Spr. Sal. 6,32. steht: Ein Geduldiger ist besser, denn ein Starker, und der seines Muts ein Herr ist, denn der große Städte gewinnet; höher kann die Tugend nicht steigen, sie hat keine höhere Staffel oder Grad. Denn so ruhet sie in Gott, und endet sich in Gott, und ist in Gott vollendet.
Gebet für unsere Feinde. (Siehe im Paradiesgärtlein.)