DAS DREISSIGSTE KAPITEL. (1.B./30.K.)

 

VON DEN FRÜCHTEN DER LIEBE.

 

Inhalt.

1) In Christo Jesu gilt nur der Glaube, der durch die Liebe tätig ist. 2) Diese Liebe trägt herrliche Früchte, denn sie ist 1. langmütig. 3) 2. Die Liebe ist freundlich. 4) 3. Die Liebe eifert nicht. 5) 4. Sie treibt nicht Mutwillen. 6) 5. Sie blähet sich nicht. 7) 6. Sie stellet sich nicht ungebärdig. 8) 7. Sie sucht nicht das Ihre. 9) 8. Sie läßt sich nicht erbittern. 10) 9. Sie trachtet nicht nach Schaden. 11) 10. Sie freuet sich nicht der Ungerechtigkeit. 12) 11. Sie freuet sich aber der Wahrheit. 13) 12. Sie verträgt alles, sie glaubet alles, sie hoffet alles, sie duldet alles. 14) 13. Sie wird nicht müde, höret nimmer auf. 15) 14. Die Liebe ist die größte Tugend.

 

Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe trei-bet nicht Mutwillen, sie blähet sich nicht, sie stellet sich nicht ungebärdig, sie suchet nicht das Ihre, sie läßt sich nicht erbittern, sie trachtet nicht nach Schaden, sie freuet sich nicht, wenn es unrecht zugehet, sie freuet sich aber, wenn es recht zugehet, sie verträgt alles, sie vertrauet alles, sie hoffet alles, sie duldet alles. 1 Kor. 13,4. seq.

 

Gleichwie der Baum des Lebens mitten im Paradies stand, und solche Früchte trug, dass, wer davon gegessen, ewig gelebt hätte, wie Gott der Herr 1 Mos. 3,22. spricht: Nun aber, dass der Mensch nicht ausstrecke seine Hand, und breche von dem Baum des Lebens, und esse und lebe ewiglich, da ließ ihn Gott aus dem Garten, dass er das Feld bauete, v. 23. Also hat Gott in den Paradies-garten der christlichen Kirche Christum Jesum in das Mittel gesetzt, auf dass alle Gläubigen von ihm Leben und Kraft empfingen. Denn das ganze Christentum bestehet im Glauben und in der Liebe; um des Glaubens willen an Christum gefällt das ganze Leben eines Christen Gott wohl. Soll aber dem Nächsten gedient werden, so muß es in der Liebe geschehen; denn alle Tugenden sind ohne die Liebe tot, und gelten nichts, auch der Glaube selbst, Jak. 2,17. Denn obwohl der Glaube allein gerecht machet, weil er allein Christi Verdienst ergreift, und in der Rechtfertigung nicht ansiehet einige vorhergehende, gegenwärtige oder nachfolgende Werke, sondern allein Christum; doch wo die Liebe nicht folget, so ist der Glaube gewißlich nicht recht, sondern Heuchelei, und wenn er gleich Wunder täte. Gleichwie der Leib tot ist ohne die Seele, also ist der inner-liche geistliche Mensch, dessen Glieder sein alle Tugenden, auch tot ohne die Liebe, und alle Glieder der Tugenden sind tot ohne die Liebe. Darum St. Paulus des Glaubens Probe setzet, und einen solchen Glauben fordert, der durch die Liebe tätig ist. Gal. 5,6. In der Rechtfertigung geht der Glaube durchaus mit keinen Werken um, Röm. 4,6. Aber wenn er mit Menschen handelt in der Liebe, so muß er mit Werken umgehen, und dem Nächsten dienen durch die Liebe, das ist seine Probe. Darum heißt er ein liebtätiger Glaube, Gal. 5,6. Was nun dieser schöne Baum für edle Früchte trägt, zeigt uns St. Paulus 1 Kor. 13,4. seq. und erzählt derselben vierzehen.

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2. 1) Die Liebe ist langmütig. Langmut ist die erste Frucht der Liebe, die können wir nirgends besser erkennen, als in Christo Jesu unserm Herrn. In Christo müssen wir nicht allein diese Frucht suchen, als am Baum des Lebens, sondern auch seine edlen Früchte essen, ja in unser Leben verwandeln. Sehet den Herrn Christum an, mit wie großer Langmut hat er der Welt Bosheit ertragen, und da-durch die Sünder zur Buße gelocket, Röm. 2,4. Das tue du auch, so lebt der sanftmütige Christus in dir, und du wirst mit ihm, als ein Glied mit seinem Haupte, vereiniget bleiben.

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3. 2) Freundlich. Siehe an die Freundlichkeit deines Erlösers, wo hat man hold-seligere Lippen gehört? Ps. 45,3. Jedermann hat sich verwundert der Holdselig-keit, so aus seinem Munde gegangen ist, Luk. 4,22. So tue du auch, dann redet Christus durch deinen Mund, und bleibest mit ihm vereiniget, allein, dass es aus herzlicher Liebe gehe.

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4. 3) Die Liebe eifert nicht, d. i. sie ist nicht rachgierig, sondern vergibt und ver-gißt, wie Gott der Herr tut, Ps. 103,9.10. Er wird nicht immerdar hadern, noch ewiglich Zorn halten; er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden, und vergilt uns nicht nach unserer Missetat. Ezech. 18,21.22. Wo sich aber der Gottlose bekehret von allen seinen Sünden, die er getan hat, so soll er leben und nicht sterben. Es soll aber seiner Übertretungen, so er begangen hat, nicht gedacht werden. Jer. 31,3.20.34. Ich habe dich je und je geliebet, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte. Darum bricht mir mein Herz gegen ihm, dass ich mich seiner erbarmen muß. Ich will ihnen ihre Missetat vergeben; und ihrer Sünden nimmermehr gedenken. Jes. 43,25. Ich tilge deine Übertretung um meinetwillen, und gedenke deiner Sünde nicht. So tue du auch, vergib und ver-giß, so wird Gott deiner Sünde auch vergessen, so hast du des Herrn Christi Sinn, und bleibest mit ihm vereinigt.

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5. 4) Die Liebe treibet nicht Mutwillen oder Schalkheit, d. i. die wahre Liebe reizet den Nächsten nicht zum Unwillen, indem sie ihn beschimpft, verspottet und be-leidiget. Solche heimliche Tücke hat die Liebe nicht an sich, sondern sie ist frei, offenbar, aufrichtigen Gemüts. Sehet den Herrn Jesum an: Er hat sein Herz Feinden und Freunden geoffenbaret, und es mit allen Menschen herzgründlich gut gemeinet, und aller Heil von Herzen gesucht. So tue du auch, dann ist die Gütigkeit und Treuherzigkeit Christi in dir. Wie es nun Christus gemeinet hat von Herzen, so sollen wir unter einander auch tun, oder wir sind mit Christo nicht ver-einigt, als Glieder mit dem Haupt.

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6. 5) Sie blähet sich nicht, d. i. sie ist nicht ruhmredig, geschwülstig und aufge-blasen. Siehe deinen Herrn Jesum an, als ein Weib ihre Stimme erhub unter dem Volk und sprach: Luk. 11,27.28. Selig ist der Leib, der dich getragen hat, und die Brüste, die dich gesäuget haben! Ja, spricht der Herr. Selig ist, der Gottes Wort höret und bewahret. Und wendete also das Lob, so ihm doch gebührete, demütig von sich ab, und gab es den Liebhabern Gottes. So tue du auch, so lebt der de-mütige Christus in dir, und du in ihm. Das ist die rechte Liebe, die das Lob von sich abwendet, und gibt es andern.

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7. 6) Sie stellet sich nicht ungebärdig, wie die störrigen, ungehaltenen Köpfe, sondern läßt die Freundlichkeit aus den Augen leuchten. Siehe deinen Herrn Jesum an, das holdselige Bild: Er wird nicht mürrisch noch greulich sein, spricht der Prophet Jes. 42,4. Er hat mit erbarmenden Augen jedermann angesehen; das tue du auch, so hast du dich in Christi Angesicht umgebildet, und bist mit ihm vereiniget.

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8. 7) Sie suchet nicht das Ihre. Das ist der wahren Liebe ihre Freude, wenn sie lauter und umsonst Andern dienen kann ohne allen Eigennutz, dass ihrer nur Viele genießen mögen. So tut Gott, er gibt uns alles umsonst, er hat keinen Nutzen davon. Dass du Gott dienest, davon hat Gott keinen Nutzen, sondern du selbst; darum hat Gott dir befohlen, fromm zu sein, Gott zu fürchten, auf dass du seiner Liebe genießen, und den Segen davon haben könntest. Siehe deinen Herrn Jesum an, er hat im Geringsten das Seine nicht gesucht, sondern alles, was zu unserm Heil dient, Matth. 20,28. Er aber hat keinen Nutzen davon. Wie ein Baum, der gibt seine Früchte jedermann, ohne Ansehen der Person, und er hat keinen Nutzen davon, sondern gibt, so gut es ihm Gott gegeben hat; hätte er es besser, so gäbe er es auch ohne allen Neid; also hat sich Christus uns selbst zu eigen gegeben, ja Gott selbst gibt sich uns in Christo zu eigen, auf dass alles in Christo unser werde, auch Gott selbst. Er ist das beste und höchste Gut, und teilet sich selbsten mit. So tue du auch, so wirst du sein ein Baum der Gerechtig-keit zu Gottes Lobe. Jes. 61,3. So grünet und blühet Christus in dir, der lebendige Weinstock und immergrünende Palmbaum, Ps. 92,13.

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9. 8) Sie läßt sich nicht erbittern, d. i. wenn der Zorn so überhand nimmt in sei-nem höchsten Grad, dass er durch den Mund heraus die Flüche wider den Nächsten, und allen Gift ausschüttet, ihn vermaledeiet und verfluchet. Dagegen siehe deinen Herrn Jesum an, es ist keine Bitterkeit aus seinem Munde gegan-gen, sondern Segen und Leben, Jes. 11,3. Kap. 42,2. Und ob er gleich die Städte Chorazim, Kapernaum, Bethsaida verfluchet, über dieselbe und über die Phari-säer das Wehe schreiet; Luk. 10,13. Kap. 11,42., so ist doch dasselbige keine boshafte Erbitterung, sondern eine Bußpredigt, dadurch gründliche Besserung gesucht wird. Darum sehet zu, dass nicht etwa eine bittere Wurzel aufwachse, die Unfrieden anrichte, dadurch ihrer Viele verunreiniget werden, Heb. 12,15.

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10. 9) Sie trachtet nicht nach Schaden, oder sie gedenket nicht Arges. Sehet den lieben Gott an, und sein Vaterherz, wie er spricht Jer. 29,11.14.: Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, nämlich Gedanken des Friedens, nicht des Leides, dass ich euch gebe das Ende, das ihr hoffet, und wo ihr mich von ganzem Herzen suchet, so will ich mich von euch finden lassen, spricht der Herr. Wer Friedensgedanken über seinen Nächsten hat, der hat Gottes Herz und Christi Sinn, und ist mit ihm vereiniget, als ein Glied mit seinem Haupte.

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11. 10) Sie freuet sich nicht der Ungerechtigkeit, und lachet nicht in die Faust, wenn den Frommen Gewalt und Unrecht geschieht; wie Simei tat, als David vor Absalon floh, 2 Sam. 16,6. Sehet den Herrn Jesum an, welch ein herzliches Mitleiden hatte er mit Petro; nachdem er gefallen, wie sahe er ihn so kläglich an? Luk. 22,61. Mit diesem Ansehen hat er ihn wieder aufgerichtet, Ps. 146,8. Der Herr hält alle, die da fallen, und richtet auf die, so niedergeschlagen sind. Wie beweinet der Herr Christus das Verderben der Menschen, und den Untergang der Juden? Luk. 19,41. Wie suchet und locket er die armen Schäflein? Luk. 15,4. Also, wenn du eines Menschen Fall siehest, so bedaure ihn, und erbarme dich über ihn, hilf ihm seine Last tragen, so wirst du das Gesetz Christi erfüllen, Gal. 6,2., denn er hat unser aller Last getragen; so bist du sein wahres Glied, und sein Leben ist in dir, und das Leben des Hauptes muß die Glieder lebendig machen.

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12. 11) Sie freuet sich aber der Wahrheit, und wenn es recht zugehet. Siehe an deinen Erlöser wie er sich freuet im Geist, da die Siebenzig wieder kamen, und wie er seinen Vater preiset, Luk. 10,21. Siehe die heiligen Engel an, von welchen der Herr sagt, dass sie sich über unsere Buße freuen, Kap. 15,10. Tust du das auch, so hast du ein englisches, ja göttliches Gemüt.

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13. 12) Sie verträgt alles, damit das Band des Friedens nicht zerrissen werde. Darum trägt sie des Nächsten Gebrechen mit Geduld, wie St. Paulus sagt: Den Schwachen bin ich schwach worden, auf dass ich die Schwachen gewinne; ich bin jedermann allerlei worden, auf dass ich allenthalben ja etliche selig mache, 1 Kor. 9,22. Sie glaubet alles, d. i. sie versiehet sich zu dem Nächsten nichts Böses; sie hoffet alles, d. i. sie wünschet, dass am Nächsten alles Gute erfüllet werde; sie duldet alles, damit dem Nächsten viel gedienet und gefrommet werde. Sehet den Herrn Jesum an, er hat, um unserer Sünden willen, alles ertragen und erduldet, die höchste Schmach, Schmerzen, und die höchste Armut, dass wir in ihm und durch ihn Ehre und Freude hätten.

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14. 13) Die Liebe wird nicht müde, höret nimmer auf. Sehet den lieben Gott an, seine Barmherzigkeit währet immer für und für, bei denen, die ihn fürchten, Luk. 1,50. Ps. 103,17. Er warnet, dass er uns gnädig sei, und hat sich aufgemacht, dass er sich unser erbarme, Jes. 30,18. Es kann uns von Gottes Liebe nichts scheiden, Röm. 8,59. Seine Liebe ist stärker, denn der Tod, und können sie viel Wasser nicht auslöschen. Hohel. 8,6.7. Er erbarmet sich unser mit ewiger Gnade, Jes. 54,8. Und obwohl der Herr Jer. 15,6. spricht: Ich bin des Erbarmens müde, so ist doch solches nur von denen zu verstehen, die Gottes Barmherzig-keit mutwillig von sich stoßen, Gottes Gnade verachten, und auf Mutwillen zie-hen, Epist. Jud. v. 4. Sonst wird seine Liebe nicht müde, sondern bleibt ewig, über alle, die ihn fürchten, wie er sagt: Jes. 54,10. Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen; aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer. Also soll unsere Liebe auch nicht müde werden, auch nicht über unsere Feinde, sondern wir sollen aus erbarmender, immerwährender Liebe sagen: Vater, vergib ihnen! so lebet und betet Christus in dir, Luk. 23,34.

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15. 14) Die Liebe ist die größte unter allen Tugenden; denn Gott ist die Liebe selbst. 1 Joh. 4,16. So ist sie auch eine Erfüllung des Gesetzes, und alle Gebote sind in derselben beschlossen, Röm. 13,10. Sie ist auch ewig, wenn Glaube, Hoffnung und Sprache etc. aufhören werden, wenn des Glaubens Ende, die Se-ligkeit, erlanget ist. Es sind auch alle Tugenden und Wohltaten, so dem Nächsten geschehen, und alle Gaben ohne die Liebe untüchtig und falsch. Sie wird uns auch ein ewiges Zeugnis geben, dass wir durch den Glauben an Christum die Seligkeit ererbet haben. Darum soll ein Christ nach keinen Gaben oder Künsten so sehr streben, als nach der Liebe, Eph. 3,19. Christum lieb haben, ist besser, denn alles Wissen, auf dass ihr erfüllet werdet mit allerlei Gottes-Fülle, mit allen Früchten der Liebe etc.

 

Gebet um die Früchte der Liebe.

 

Ich weiß, mein Gott! dass, wenn ich gleich alles hätte und wüßte, und die Liebe nicht hätte, so wäre und hätte ich doch nichts, keinen Glauben, kein Leben, keine Seligkeit. Darum erfülle mein Herz stets mit tätigem Glauben durch die Liebe, und laß mich nicht nur von der Liebe reden, sondern gib, dass ich dieselbe nach allen Stücken prüfe, und in den Früchten zeige, in Lang- und Sanftmut, in Freundlichkeit, in Geduld, in Demut, im Geben und Vergeben etc., wie du dich gegen mir in der Liebe erweisest, und mir dein lieber Sohn ein Vorbild gelassen hat. Verleihe mir zu solchem Ende deinen heiligen Geist, der in mir solche herr-liche Tugend und Frucht erwecke, und vermehre, zu deinem Preis und meines Nächsten Besten, Amen.

 

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