DAS NEUNZEHNTE KAPITEL. (2.B./19.K.)

 

WIE WIR IN DEM GEKREUZIGTEN CHRISTO,

ALS IN DEM BUCHE DES LEBENS,

ANSCHAUEN SOLLEN UNSERE SÜNDEN, GOTTES ZORN,

GOTTES LIEBE, GERECHTIGKEIT UND WEISHEIT.

 

Inhalt.

1) Der gekreuzigte Christus ist das Buch des Lebens, inwendig und auswendig geschrieben, 2) Der zeiget uns a) unserer Sünden Menge und Größe. 3) b) Gottes Gerechtigkeit, 4) c) die große Liebe und Barmherzigkeit des Vaters, 5) d) den Gnadenwillen Gottes, uns selig zu machen. 6) e) die höchste Weisheit Gottes, 7) f) die höchste Geduld und Sanftmut, 8) g) die tiefste Demut, und viele herrliche Früchte der Erlösung. 9) Also ist und bleibet Christus der Gekreuzigte das rechte Glaubens- und Lebensbuch.

 

Ich sahe in der rechten Hand deß, der auf dem Stuhl saß, ein Buch, inwen-dig und auswendig geschrieben. Offenb. Joh. 5,1.

 

Den gekreuzigten Christum stellet uns Gott vor die Augen, als ein Buch des Lebens, an welchem wir die allerheiligste Weisheit lernen und studieren sollen. Denn in ihm ist die Schrift, alle Propheten und das ganze Gesetz vollkommen erfüllet durch vollkommenen Gehorsam bis in den Tod, durch Ertragung der schrecklichen Strafe und des Fluchs für die Sünden der Welt. Das ist das Buch, so inwendig und auswendig geschrieben, nämlich, vollkommener, inwendiger und auswendiger Gehorsam, vollkommen innerliches und äußerliches Leiden.

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2. Darum zeiget uns erstlich der gekreuzigte Christus a) unsere Sünde, dersel-ben Größe und Menge. Er offenbaret uns durch sein Jammergeschrei seiner Seele Angst, dadurch er die heimliche verborgene Sünde unsers Herzens gebüßet. Er zeiget uns seinen verwundeten, blutigen, kläglichen Leib voller Schmerzen und Krankheit, dass wir in demselben, als in einem Buche, lesen und verstehen sollen unsere Sünde, die wir mit allen unsern Gliedern vollbracht ha-ben.

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3. Es siehet die andächtige Seele in dem gekreuzigten Christo b) Gottes Ge-rechtigkeit, dass durch kein anderes Mittel unsere Sünde und die Strafe unserer Sünde hat können hinweggeräumt werden, als durch eine solche hohe voll-kommene Bezahlung; ja, dass wahrhaftig die Sünde nicht könne ungestraft bleiben. Es mußte ehe der Vater seinen allerliebsten Sohn dahin geben, Röm. 4,25. Kap. 8,32. auf dass die Sünde des menschlichen Geschlechts ungestraft bliebe.

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4. Wir sehen in dem gekreuzigten Christo c) die große Liebe und Barmherzigkeit des Vaters, wie er so ein väterliches Mitleiden mit uns gehabt, dass, ehe wir sollten im Tode, Marter und Höllenpein ewig bleiben, so hat sein lieber Sohn für uns müssen genug tun, weil wir dasselbe nicht tun können mit allen unseren und aller Kreaturen Kräften und Vermögen.

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5. Wir sehen in dem gekreuzigten Christo, als in den Buch des Lebens, d) den allergnädigsten Willen Gottes, und väterliche Fürsorge, uns selig zu machen, dass ihm nichts zu schwer und verdrießlich gewesen, bis er durch seinen lieben Sohn alles verrichtet, was zu unserer Seligkeit gehöret. Daran hat er nichts ge-sparet und geschonet, dass wir nur möchten die ewige Freude ererben.

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6. Wir sehen auch in dem gekreuzigten Christo e) die höchste Weisheit Gottes, indem er ein solches Mittel unserer Erlösung erfunden, dass allen Kreaturen zu erfinden unmöglich, dass zugleich seine Gerechtigkeit und Barmherzigkeit erfüllet würde. Denn er hat seine Barmherzigkeit also gebraucht in der Erlösung des menschlichen Geschlechts, dass seiner Gerechtigkeit kein Abbruch geschehen. Denn also hat Christus unser Herr durch seinen Tod unsere Sünden bezahlet, nach der strengen Gerechtigkeit Gottes, dass zugleich die größte Barmherzigkeit an uns erfüllet ist. Und gleichwie durch den verbotenen Baum der erste Adam den Fluch über uns gebracht, 1 Mos. 3,1. also hat Gott weislich verordnet, dass durch das Holz des Kreuzes der Fluch hinweggenommen und der Segen wieder-gebracht würde, 1 Petr. 2,24. Ja die Weisheit Gottes hat wunderlich verordnet, dass durch den Tod Christi alles lebendig gemacht, und der Tod hinwegge-nommen würde, und dass er uns durch seine Schmerzen und Pein die himmli-sche ewige Wollust, durch seine Schmach die Herrlichkeit, und durch seine Traurigkeit die ewige Freude erwärbe. So wunderbarlich hat es die ewige Weis-heit Gottes verordnet, dass durch ein solches Werk, so vor der Welt die höchste Torheit scheinet, der Welt Weisheit zu nichte gemacht, und durch seine Torheit die höchste Weisheit geübt wurde, 1 Kor. 1,23.

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7. In dem gekreuzigten Christo sehen wir, als in einem Buch und Spiegel, f) die höchste Geduld und Sanftmut, dass er sogar keine Rache geübet, dass er auch für seine Kreuziger und Lästerer gebeten, ja für sie und ihre Sünden gestorben. ----------

8. Die gläubige Seele siehet auch in dem gekreuzigten Christo die allergrößte und tiefste Demut, die nicht größer und tiefer hat sein können, als dass der Herr der Herrlichkeit einen so schmählichen Tod williglich, ohne Widerrede und Unge-duld, erlitten hat. Die gläubige Seele siehet auch in dem gekreuzigten Christo, dass sein Leiden und Tod zugleich sei eine Erlösung aus der Hölle, und eine Eröffnung des Paradieses, die höchste Versöhnung Gottes und Überwindung des grimmigen Teufels, die vollkommene Bezahlung der Sünden, und vollkommene Wiederbringung der Gerechtigkeit.

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9. Also siehet nun die gläubige Seele, dass der gekreuzigte Christus sei das rechte Buch des Lebens, und der ewigen unbetrüglichen Wahrheit Gottes, da-raus wir recht glauben und recht christlich leben lernen, wollen wir anders, wahre, lebendige, und nicht tote Glieder sein an dem Leibe unsers Erlösers; ja wollen wir anders, dass sein Leben und Tod in uns wirken, und lebendige Früchte bringen sollen.

 

Gebet um Vermeidung der Sünden.

 

Ach! du gekreuzigter Heiland! eröffne mir die Augen meines Herzens, dass ich

in dir, als in dem Buch des Lebens, und in deinem unschuldigen bittern Leiden, recht lerne erkennen, eines Teils die Größe, Menge und Kraft meiner Sünden, und die Strenge der göttlichen Gerechtigkeit; andern Teils die unaussprechliche Liebe, die unergründliche Weisheit deines Vaters, deine hohe Geduld und tiefste Demut im Gehorsam bis zum Tode am Kreuz; damit ich die Sünde meiden, und dir stets dankbar sein möge. O hilf, Christe Gottes Sohn, durch dein bitteres Leiden etc.

 

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