DAS FÜNFUNDFÜNFZIGSTE KAPITEL. (2.B./55.K.)

 

VOM VERZUG DER GÖTTLICHEN HILFE.

 

Inhalt.

1) Wider den Verzug göttlicher Hilfe merke man zum Trost: 1. Bei Gott ist kein Verzug, sondern ein stetes Eilen zur Hilfe. 2) Darum glaube und sei geduldig, so hast du Ruhe im Herzen. 3) 2. Gott hat die Stunde der Trübsal versehen, wie lange sie währen soll. 4) 3. Gott hat auch die Stunde der Erlösung bestimmt. 5) 4. Und den Feinden ein Ziel gesteckt, wie lange sie wüten sollen.

 

Die Weissagung wird ja noch erfüllet werden zu seiner Zeit, und wird end-lich frei an Tag kommen, und nicht außen bleiben; ob sie aber verzeucht, so harre ihrer, sie wird gewißlich kommen, und nicht verziehen. Siehe, wer halsstarrig ist, der wird keine Ruhe in seinem Herzen haben. Denn der Ge-rechte lebet seines Glaubens. Hab. 2,3.4.

 

In diesem Spruch tröstet uns der heilige Geist wider den Verzug göttlicher Hilfe. Welches uns zwar ein Verzug däucht; aber 1) bei Gott ist kein Verzug, sondern ein stetiges Eilen zur Hilfe. Denn dieweil der mächtige Gott nach seinem uner-forschlichen, allein weisen Rat, einem jeden Menschen sein Kreuz abgezählet, abgewogen und gemessen hat, wie viel er leiden soll; so läßt Gott der Herr immer eines nach dem andern ergehen, und eilet, damit die Zahl der Trübsalen erfüllet werde, und hilft immer eins nach dem andern überwinden, bis ans Ende. Und dasselbe däucht uns denn ein Verzug göttlicher Hilfe. Aber wir wissen nicht, wie sehr Gott damit eilet, bis die beschlossenen Trübsalen erfüllet werden; da-rum, was bei uns ein Verzug ist, das ist bei Gott ein stetiges Eilen zur Erlösung.

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2. Wer aber halsstarrig ist, das ist, im Kreuz ungehorsam, ungeduldig, der wird keine Ruhe im Herzen haben. Denn die Geduld besänftiget und stillet das Herz, machet es fein ruhig; die Ungeduld bringt große Unruhe, ja ist die Unruhe selbst. Darum spricht der Herr Christus, Matth. 11,29. Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Dass aber der Prophet ferner spricht: Der Gerechte lebet seines Glaubens; siehet er auf die Verheißung der Gnade Gottes, welche der Glaube ergreift. Und von diesem Trost lebet die Seele, und wird dadurch erquicket, wie der König Hiskia spricht: Herr! davon lebet man, und das Leben meines Geistes steht ganz und gar in demselben, Jes. 38,16. Aus dem Unglauben aber kommt Ungeduld, aus der Ungeduld Unruhe, aus der Unruhe Verzweiflung, aus der Verzweiflung der ewige Tod. Darum wird freilich der Gerechte seines Glaubens leben, das ist, der Gnade Gottes leben, und mit Geduld die Hilfe erwarten.

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3. 2) Denn es hat ein jegliches, wie Sal. im Pred. Kap. 3,1. spricht, seine Zeit, und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde. Da wir hören, wie wir unser Kreuz und Trübsal anschauen sollen, nicht also, als ob es uns ungefähr zugeschickt würde, sondern dass eben die Zeit von Gott versehen und verordnet sei, darinnen wir leiden sollen. Derowegen wir in unserm Kreuz unsere Augen aufheben sollen zu dem, der alles in seiner Hand hat, Glück und Unglück, Armut und Reichtum, Leben und Tod, welches alles von Gott kommt, wie Sir. 11,14. spricht: ja, der auch die Zeit und Stunde der Trübsal in seiner Hand hat. Nehmet euch dessen ein Exempel von Joseph. 1 Mos. 37,36. Kap. 41,1. seq. Gott verhing sein Kreuz über ihn in seiner Jugend, und ließ ihn darinnen stecken dreizehn Jahre, bis Gott sein Wort sandte, und ihn durchläuterte und erlösete, wie Ps. 105,19. spricht. Da wir sehen, wie ihm dieser Vorzug hat zu großem Nutzen und Ehren dienen müssen. Denn da er verkauft ward, ist er 17 Jahr alt gewesen, und da ihn Gott aus dem Gefängnis erlösete, war er 30 Jahre alt, tüchtig zum Regiment, und durchs Kreuz wohl bewährt und herrlich gemacht. In dieser seiner Herrlichkeit hat er 90 Jahre gelebt, und ist ihm das dreizehnjährige Kreuz wohl belohnt worden, da er hernach siebenmal dreizehn Jahre in großer Herrlichkeit gelebt hat. Denn er ist hundert und zwanzig Jahre alt worden. Also, obwohl mancher fromme Christ im Kerker der Verfolgung, Schmach und Krank-heit leidet; so soll er doch wissen, dass ihm von der ewigen Weisheit Gottes eine Stunde der Erlösung verordnet ist, gleichwie ihm die Zeit der Trübsal von dem allein weisen Gott versehen ist. Denn, gleichwie ein weiser Baumeister oder Hausvater, der seinem Gesinde Arbeit auferlegt, weiß, zu welcher Zeit und zu welcher Stunde sie mit der Arbeit können fertig werden; also hat der allein weise Gott einem jeden sein Kreuz zugemessen, dass er auch gewiß weiß die Stunde, in welcher es sich ändern soll. Und dann muß dem betrübten Herzen die Hilfe, zu der von Gottes Barmherzigkeit verordneten Stunde, gewiß widerfahren.

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4. 3) Wie nun Gott der Allmächtige sich die Zahl unserer Trübsal vorbehalten; also hat er sich auch die Stunde unserer Erlösung vorbehalten, und daran sollen wir uns begnügen lassen, dass wir solches wissen, und eingedenk sein des Spruchs des Herrn, welchen er gesagt hat zu seinen Jüngern: Ap. Gesch. 1,7. Es gebühret euch nicht zu wissen Stunde oder Zeit, welche der Vater seiner Macht vorbehalten hat. Als Gott der Herr den Kindern Israel ihre zukünftige Strafe des babylonischen Gefängnisses durch Mosen verkündigen ließ, sprach er: Ist nicht solches bei mir verborgen, und versiegelt in meinen Schätzen? 5 Mos. 32,34. Da wir hören, mit was großer unerforschlicher Weisheit Gott die Menschenkinder regiere, strafe und züchtige, wie auch St. Paulus, Ap. Gesch. 17,26. sagt: Gott hat gemacht, dass von einem Blutstropfen aller Menschen Geschlecht auf dem Erdboden wohnet, und hat Ziel gesetzt, und zuvor gesehen, wie lang und weit sie wohnen sollen. Da hören wir, dass Gott den Menschen ihres Lebens Ziel gesetzt hat, wie lange und wo sie auf dem Erdboden wohnen sollen. Wie nun die Zeit, wo man leben soll, von Gott kommt, also ist auch der Ort von Gott ersehen, da man leben soll. Diese aber von Gott ersehene Zeit und Ort bringet einem jeden sein Kreuz und Trübsal mit sich.

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5. 4) Wie nun Gott der Herr eines jeden Gläubigen Kreuz und Trübsal ihr Ziel, Zeit und Ort gesetzt hat, also hat er allen mutwilligen Menschen, so die Un-schuldigen beleidigen, drücken, lästern, schmähen, verfolgen, auch ihre Zeit, Ziel und Maß gesetzet. Wenn sie nun verschäumet, und ihren Grimm ausgegossen haben, so wird der Gott, deß die Rache ist, einmal aufwachen, wie 5 Mos. 32,35. stehet: Die Rache ist mein, ich will vergelten, zu seiner Zeit soll ihr Fuß gleiten. Denn die Zeit ihres Unglücks ist nahe, und ihr Künftiges eilet herzu. Es ist wohl ehemals die Kirche Gottes von den Ketzern und Tyrannen greulich bis aufs Äußerste verfolget worden, und hat Gott der Herr den Satan eine lange Zeit wohl ausbrüllen und ausschäumen lassen; aber da ihre Zeit aus gewesen, hat sie Gott also gestürzet, dass alle Welt mit Furcht und Zittern die Gerichte Gottes an-schauen müssen. So seid nun geduldig, lieben Brüder! und stärket eure Herzen, spricht Jak. 5,8.9. Denn die Zukunft des Herrn ist nahe. Seufzet nicht wider einander, auf dass ihr nicht verdammt werdet. Siehe, der Richter ist vor der Tür.

 

Gebet im Kreuz, wenn Gott die Hilfe lange verzieht. (Siehe im Paradiesgärtlein.)

 

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