DAS SECHSTE KAPITEL. (2.B./6.K.)

 

IN DER VEREINIGUNG MIT CHRISTO DURCH DEN GLAUBEN BERUHET DES MENSCHEN VOLLKOMMENHEIT UND SELIGKEIT, DAZU DER MENSCH NICHTS TUN KANN, SONDERN HINDERT SICH VIELMEHR AN GOTTES GNADE DURCH SEINEN BÖSEN WILLEN; CHRISTUS TUT ES ABER ALLEIN IN UNS.

 

Inhalt.

1) Des Menschen Vollkommenheit und Seligkeit beruhet in der Vereinigung mit Gott aus Christo, 2) die unzertrennlich und ewig ist, 3) und durch den Glauben aus Gnaden geschieht. 4) Dazu kann der Mensch leider! nichts tun, 5) sondern muß, Gott gelassen, seinem eigenen Willen absagen; 6) denn Eigenwille und Eigenliebe sind unser größtes Verderben. 7) Darum kann der Mensch sich nicht selbst, sondern Christus muß ihn bekehren, 8) und Gottes Gnade und Kraft muß alles Gute in ihm wirken.

 

Ohne mich könnet ihr nichts tun. Joh. 5,15.

 

Gleichwie der Mensch durch den Abfall von Gott, das ist, durch eigene Liebe und eigene Ehre von Gott gerissen worden, und seine angeschaffene Vollkommen-heit verloren hat, also muß er durch die Vereinigung mit Gott wieder zu seiner vollkommenen Ruhe und Seligkeit kommen. Denn des Menschen Vollkommen-heit bestehet in der Vereinigung mit Gott. Darum mußte Gottes Sohn Mensch werden, auf dass die menschliche Natur wieder mit Gott vereinigt, und also wieder zu ihrer Vollkommenheit gebracht würde. Denn gleichwie göttliche und menschliche Natur in Christo persönlich vereiniget ist, also müssen wir alle mit Christo durch den Glauben aus Gnaden vereiniget werden, auf dass die tiefe Verderbung unserer sündlichen Natur verbessert werde, als mit dem höchsten ewigen Gute. Darum spricht der Sohn Gottes: Hos. 2,19. Ich will mich mit dir verloben in Ewigkeit, in Gnade und Barmherzigkeit. Denn es konnte unsere Natur, weil sie mit dem unendlichen Übel der Sünde vergiftet und verdorben war, nicht anders instauriert und verbessert werden, als mit dem höchsten Gute, wel-ches Gott selbst ist.

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2. Und wie nun die Vereinigung göttlicher und menschlicher Natur in Christo ewig ist, unzertrennlich, unaufhörlich, dass auch der Tod dies Band der Vereinigung der Naturen in Christo nicht hat trennen noch zerreißen können, also muß Christus, unser Haupt, mit uns, seinen gläubigen Gliedern also vereiniget wer-den, dass uns weder Leben noch Tod von Christo scheiden kann. Darum spricht der Prophet Hosea in der Person Christi: Ich will mich mit dir verloben in Ewig-keit.

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3. Solche Vereinigung muß notwendig geschehen durch den Glauben, weil die Sünde uns und unsern Gott von einander scheidet, Jes. 59,2. sonst bleiben wir außer Gott, ohne Gott, ohne Leben, ohne Seligkeit, wenn Christus in uns nicht lebet, wohnet und ist durch den Glauben. Wir könnten auch sonst nichts Gutes tun, wenn es Christus in uns nicht wirkte. Wie St. Paulus spricht: Nicht ich, sondern Gottes Gnade, 1 Kor. 15,10. Und Joh. 15,5. Ohne mich könnet ihr nichts tun. Welches er durch ein schönes Gleichnis erkläret von der Rebe und dem Weinstock. So bleibt alles, was wir Gutes sein und Gutes tun, Gott allein, Jes. 26,12. Alles, was wir ausrichten, das hast du uns gegeben; Hos. 14,9. Ich will sein, wie eine grünende Tanne, an mir soll man deine Früchte finden.

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4. Siehe nun, lieber Mensch! was du bist, und was du vermagst. Was hast du zu deiner Wiederbringung und zur Erneuerung deiner verderbten Natur tun können? Lauter nichts. Gleichwie du zu deiner leiblichen Geburt nichts hast tun können, und dich nicht selbst schaffen, also kannst du auch zu deiner neuen Geburt nichts tun. Verderben hast du dich wohl können, verlieren und töten; aber dich erneuern, wiederbringen, heilen, gerecht und lebendig machen, hast du nicht können. Was hast du dazu tun können, dass Gott ist Mensch worden? Lauter nichts, also hast du dir überall nichts zuzurechnen, oder deinen Kräften etwas zuzuschreiben. Ja, je mehr ein Mensch seinem eigenen Willen, Kräften und Vermögen zuschreibt, desto mehr hindert er sich selbst an der Gnade Gottes und an der Erneuerung seiner verderbten Natur. Darum mußt du allen deinen eige-nen Kräften und Vermögen ganz absterben, deiner eigenen Weisheit, deinem eigenen Willen, deiner eigenen Liebe, und mußt Gott allein alles lassen in dir wirken; ja es soll nichts in dir sein, dass Gottes Willen und Werk verhindere, oder demselben widerstrebe.

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5. Und so lange du das nicht tun willst, und nicht bei dir ein bloß lauter Dulden ist, also, dass Gott allein in dir tue und wirke, du aber leidest ihn, und sein Werk und seinen Willen in dir: so lange hinderst du Gott, dass er sich mit deiner Seele nicht vereinigen, sein Bild in dir erneuern, und deine verderbte Natur bessern kann. Dein eigener Wille, eigene Ehre, eigene Weisheit, und alles, was du dir selbst zuschreibest, das hindert Gott, dass er nicht alles allein in dir ohne Hindernis wirken kann. Denn des Menschen Wille verderbet den Menschen immer weiter und weiter; Gottes Wille aber bessert immer mehr und mehr.

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6. Davon sagt Bonaventura: Die Vollkommenheit der christlichen Religion be-stehet in Absagung des eigenen Willens. Und Augustinus: Wenn Gott lieben des Menschen höchstes Gut ist, so muß des Menschen höchstes Verderben sein, sich selbst lieben. Item: Wenn das die Eigenschaft des Guten ist, dass es sich ausbreitet, und auch andern mitteilet, so muß die eigene Liebe ein großes Übel sein, die ihre und anderer Leute Güter und Gaben zu sich allein reißet, und niemand mitteilet. Welches auch Seneca ein weiser Mann, verstanden, da er spricht: So viel wirst du an Tugenden zunehmen, so viel du an deinem eigenen Willen wirst abnehmen. Item: Wirst du von dir selbst nicht ausgehen, so wirst du zu Gott, der über dir ist, nicht eingehen.

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7. Der Eigenwille ist nichts anders, als der Abfall von Gott; und derselbe Fall ist zwar leicht und lustig, die Wiederbringung aber sauer, bitter und schwer, ja allen Kreaturen unmöglich. Denn der Mensch kann nicht von sich selbst wieder auf-stehen, und vermag sich selbst nicht zu helfen, weder mit Willen noch mit Wer-ken. Der Wille ist gefangen, die Werke sind tot. Es muß Christus allein helfen, im Anfang, Mittel und Ende. Er zeigt dir, ja er gibt dir zwei Mittel, Gesetz und Evan-gelium, Buße und Vergebung der Sünden. Durch das Gesetz mußt du erst mit Christo sterben, durch wahre Reue und Leid, und deinen Willen aufopfern, in dir selbst zu nichte werden, und dich in Christo allein lassen. So kommt denn die Gnade Gottes und Vergebung der Sünden durch das Evangelium, und macht diesen Toten lebendig durch den Glauben. Also kann durch eigene Kraft und Vermögen niemand bekehret werden oder aufstehen. Denn man muß sich ja selbst hassen, verleugnen, verlieren, an sich selbst zunichte werden und sterben, auf Gott allein hoffen und warten, seiner Gnade leben.

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8. Aber solches Hassen, verleugnen seiner selbst, geistlich sterben, stehet nicht in unserm Willen und Vermögen, sonst läge es an jemands Wollen und Laufen, und nicht an Gottes Erbarmen, Röm. 9,16. Darum muß Gott selbst solches alles in uns wirken durch seine göttliche Gnade und Kraft seines Geistes, und also bleibet unsere Rechtfertigung allein in Gottes Hand, als ein Werk und Gabe Gottes, und nicht in der Gewalt der Kreaturen. Denn unserthalben sind wir selbst unsere ärgste, größte Feinde, und mögen wohl bitten, dass uns Gott von uns selbst erlöse, und ganz und gar nehme, was unser ist, und gebe, was sein ist. Denn aus eigenen Kräften können wir nichts tun, wenn es Gott selbst durch seine Gnade, auch nach der Bekehrung, nicht in uns wirket. Er ist die Liebe und muß sie in uns wirken, und also von allem Guten, so wir tun sollen. So hilft nun Christus hier allein, Menschenhilfe ist hier keinem nütze. So tief aber der Mensch in Adam gefallen und verdorben, so hoch und viel höher ist er in Christo wieder erhöhet, und wieder gut gemacht, wie im 11. Kapitel hernach folget.

 

Gebet um Vereinigung mit Gott.

 

Mein Jesu! du Bräutigam meiner Seele, komm doch, und verlobe dich mit mir in Gnade und Barmherzigkeit, ja im Glauben; wohne und wandle in mir, zeuch mich ganz nach dir, und in dich, dass dein und mein Wille eins, in der göttlichen Natur teilhaftig, und von deiner Liebe weder durch den Tod noch Leben geschieden werde, Amen.

 

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