DAS NEUNZEHNTE KAPITEL. (3.B./19.K.)
VOM INWENDIGEN GEBET DES HERZENS,
UND VOM RECHTEN VERSTAND DES VATER UNSERS.
Inhalt.
1) Der heilige Geist wirket das kindliche inwendige Gebet des Herzens, das alles übertrifft. 2) Was wir bitten sollen, zeigt das Vater Unser, welches Arndt ausleget nach der 1. und 2. Bitte. 3) Nach der 3. 4. 5. 6. 7. Bitte.
Wir haben einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater! Röm. 8,15.
Gleichwie Gott große Dinge in den demütigen Herzen wirket, also auch der heilige Geist das kindliche Gebet. Denn ohne den heiligen Geist geschieht kein wahres Gebet, denn der heilige Geist rufet und seufzet in unserer Seele, und ist unserer Seelen Sprache und Geschrei, ja unser Leben, Röm. 8,26. Gal. 4,6. Denn gleichwie die Seele das Leben ist unsers Leibes, also lebet die Seele von dem heiligen Geist, und er ist unserer Seelen Leben. Nun ist aber der heilige Geist ein Zeuge der göttlichen Kindschaft und der himmlischen Geburt aus Gott; wer dieselbe weiß recht zu gebrauchen im Glauben an Christum, in der Liebe des heiligen Geistes, auf die Gütigkeit des milden und ewigen Vaters, der wird große und himmlische Güter von ihm erbitten. Denn unser Gott ist so gütig und freundlich, wer es recht verstände, er bäte ihm alles ab; denn er ist ganz leicht zu erbitten von seinen Kindern, die sich gründlich zu ihm kehren. Aber dies gründ-liche Zukehren zu Gott, das muß Gott selber wirken, darum sollen ihn seine Kinder täglich bitten. Daher kommt das rechte inwendige Gebet des Herzens, durch die rechte Zuneigung zu Gott. Dies inwendige Gebet dringet durch den Himmel, indem man den lieblichen Fußstapfen unsers Herrn Jesu Christi nach-folget aus großer Liebe, nicht aus Zwang, wie Simeon von Cyrene, den man zwingen mußte, dem Herrn sein Kreuz nachzutragen, Matth. 27,32. Denn so barmherzig ist Gott, dass er nicht warten mag, bis wir ihn bitten. Er geht uns entgegen, und bittet uns, dass wir seine Freunde sein wollen. Denn er begehret von uns, dass wir wollen, dass er uns vergebe, und wie er tut, dass wir auch also unserm Nächsten tun. Selig ist, der diese Liebe Gottes erkennet und verstehet, und dieselbe in dem gekreuzigten Christo recht lernet anschauen, derselbe betet in seinem Herzen mehr, denn alle auswärtigen Stimmen auf Erden. Wahrhaftig, ein einiger Gedanke und Durchschwang durch die Wunden unsers Herrn Jesu Christi im Glauben, Liebe und Andacht, ist Gott lieber, denn alle Orgeln, Glocken, Gesänge, Musik und Saitenspiel.
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2. Ein Christ soll in seinem ganzen Leben aus Liebe alles tun, und sich in den gekreuzigten Christum verbilden. Was möchte einem solchen gehorsamen Kinde Gott versagen, das er ihm nicht gebe? Darum, auf dass wir wissen möchten, wie wir sollen bitten, hat uns unser Herr das Vater Unser gelehret, dasselbe ist so edel und köstlich mit seinen Gütern, dass wir nichts Köstlicheres bitten könnten; denn sonsten wüßten wir nicht, was wir für große Güter bitten sollten. Denn ist nicht Gottes Reich ein überaus großes Gut? Nun ist Gott selbst sein Reich, und in demselben Reich reichet er in alle vernünftige Kreaturen, und darum ist das, um welches wir bitten, wahrhaftig Gott selbst mit allem seinem Reichtum. In dem-selben Reich wird ja Gott unser Vater, und beweiset seine väterliche Treue und Liebe in dem, dass er uns sein Reich erbauet, auf dass er in uns Statt und Raum finde, zu wirken sein edeles Werk, das ist, die Heiligung seines Namens, dass er groß und herrlich in uns erkannt werde.
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3. In diesem seinem Reich in uns wirket er auch seinen edlen Willen ohne alle Hindernis, also geschieht sein Wille auf Erden, das ist, in uns, als im Himmel, das ist, in ihm selber. Also siehest du, was uns Gott geben will, wenn wir beten, nämlich sich selbst. Er beut den Menschen nicht weniger an, denn sich selbst; wie er zu Abraham sagt: 1 Mos. 15,1. Ich bin dein Schild und dein sehr großer Lohn. So gibt uns unser Vater auch das tägliche Brot, das ist, er gibt uns alle seine Kreaturen zum Dienste; und in denselben seine Gütigkeit und Mildigkeit. Denn ein recht Gott ergebenes Herz, darin Gott seinen Willen wirket, ist fähig aller Gaben Gottes, und aller Tugenden, die Gott je gab oder geben will. Denn Gott will und kann uns wegen seiner großen Liebe und Erbarmung nichts ver-sagen, was uns nütz und not ist, leiblich und geistlich, als dem am besten bewußt und bekannt ist unser Elend. Darum hat er uns auch zu erkennen gegeben unser Elend und Sünde, um unsers Besten willen, und gelehrt, wie sich der Mensch vor Gott demütigen solle, und sich vor Gottes Füße legen und sprechen: Vergib uns unsere Schuld, als wir unseren Schuldigern vergeben. Denn so barmherzig ist Gott, dass er uns die Vergebung anbeut, und lehret uns, wie wir von Herzen begehren sollen, dass er uns vergebe, anzudeuten, er sei aus grundloser Liebe und Gnade eher und mehr zu vergeben geneigt, als wir geneigt sein, ihn zu bitten. Ja, auf dass er uns auch lehre, dass seine Liebe von uns erfordere, unserm Nächsten also auch zu tun, und ein solches Herz gegen ihn zu haben, wie er gegen uns hat. Denn ein wahres Kind Gottes schließet niemand aus seiner Liebe, noch aus der Liebe Gottes. Ja die Kinder Gottes werden also sanft-mütig und gütig, könnten sie das edle Reich Gottes allen Menschen mitteilen, das wäre ihre Freude, und könnten sie alle Menschen selig machen, sie täten es gerne. Aus solcher Erkenntnis und um Abbittung der Sünde erkennet der Men-sch, dass er außer Gott und seinem Reich trostlos, arm und elend ist, wegen der großen Schwachheit und Gebrechlichkeit der Natur. Darum hat uns der Herr ferner befohlen zu bitten, dass uns Gott nicht wolle fallen lassen in Versuchung, dadurch uns der böse Feind von Gottes Reich, heiligem Willen und heiligem Namen abzuführen sich unterstehet, sondern dass er uns von dem Bösen er-lösen wolle, das ist, von unserm eigenen Willen, der bösen, hochverderbten Natur, welche in uns das Reich und den Willen Gottes hindert, und die Ehre, so allein dem Namen Gottes gebühret. Denn das Reich ist sein, und soll sein blei-ben; die Kraft ist sein, und bleibet sein; die Herrlichkeit ist auch sein, und soll und wird in Ewigkeit allein sein bleiben; und indem wir sie ihm allein geben, indem bleibt sie uns auch. Geben wir sie ihm nicht allein, so verlieren wir sein Reich, Kraft und Herrlichkeit, denn wir heiligen seinen Namen nicht recht, tun auch seinen Willen nicht recht; so bleiben wir denn auch außer seinem Reich, haben keine Vergebung der Sünden, und keine Erlösung von allem Bösen.
Das Vater Unser tröstlich ausgelegt. (Siehe im Paradiesgärtlein.)