DAS EINUNDZWANZIGSTE KAPITEL. (3.B./21.K.)
EIN MENSCH SOLL SEINE LUST UND FREUDE
NICHT HABEN AN DEN GABEN, SONDERN AN GOTT SELBST;
UND VON VERLEUGNUNG SEINER SELBST.
Inhalt.
1) Gott selbst, nicht die Gaben, soll unsere höchste Begierde und Freude sein. 2) Unsere Natur kehret es um; darum ist die Verleugnung seiner selbst nötig, dazu uns das Kreuz zwinget.
Freuet euch des Herrn, und seid fröhlich, ihr Gerechten, und rühmet alle, ihr Frommen! Ps. 32,11.
Die wahre Liebe Gottes suchet und meinet Gott lauter allein in allen Dingen, und nicht sich selbst, belustiget sich allein in Gott und in dem höchsten, ewigen, uner-schaffenen Gut, und nicht in den Kreaturen, und solches innerlich im Grunde der Seele, da das Reich Gottes ist. Denn die Seele hat über die natürlichen Kräfte, so dem Leibe das Leben und die Bewegung geben, ein verborgenes, innerliches, bloßes, lauteres Wesen, welches mit der Zeit und mit der Welt nichts zu tun hat; da ist der Sitz und die Stadt Gottes abgeschieden von allen äußerlichen irdischen Dingen, da wirket der heilige Geist seine Gaben, und treibt dieselben aus in die Kräfte der Seele, in Weisheit, Verstand, Sprachen und Erkenntnis. Darein fällt denn die listige Natur, und erfreuet sich der Gaben mehr als Gottes, befleckt es mit eigenem Wohlgefallen und Lust, liebet die Gaben mehr als den, der sie gege-ben hat, welches eine falsche, betrügliche Freude und Liebe ist. Denn die Gaben Gottes sind nicht Gott selbst, darum soll deine Lust allein in Gott sein, und nicht in den Gaben. Wenn ein Mensch die Gaben empfangen hat, so ruhet er da-rinnen, und hat seine Lust darinnen, es sei, was es wolle, ein Erkenntnis, Licht oder Süßigkeit Gottes, so meinet er, es sei alles genug; aber mit nichten, es mangelt noch vieles, denn das ist noch nicht Gott selbst. Denn wir sind zu un-mäßigen großen Dingen erschaffen und berufen, nämlich Gottes selbst teilhaftig zu werden. Darum nimmt das Gott höchst für übel, dass wir uns an kleinen Din-gen genügen lassen, denn er ist nichts so willig und bereit, uns zu geben, als sich selbst, und das in höchster edelster Weise. Und wenn er es besser hätte, als sich selbst, so gäbe ers uns, darum, weil wir Gottes Begierde sein; denn Gott begehrt nichts so sehr als uns; derowegen soll Gott hinwieder unsere höchste Begierde sein. Demnach sollen wir nicht in den Gaben ruhen, sondern in Gott, und sollen uns an nichts genügen lassen, denn an Gott selbst. Denn welche Gabe wäre demselben zu groß zu geben, der sich selbst gänzlich gegeben hat und geben will.
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2. Die böse Natur aber ist so sehr auf sich selbst geneigt, mit eigener Liebe und Ehre, dass sie sich allezeit zueignet, was ihr nicht gebühret, und darinnen Lust und Freude sucht, was doch ein fremdes Gut ist, und im Augenblick kann wieder genommen werden, wie der Kürbis Jonä, Jon. 4,6. beflecket auch die guten Gaben Gottes, und hindert Gott an seinen Werken. Denn die elende menschliche Natur ist auch durch Erbsünde so hoch und tief durch und durch vergiftet, dass der tausendste Mensch die verborgene Bosheit seines Herzens nicht erkennet und verstehet, wie Ps. 19,13. spricht. Und wegen solcher Vergiftung liebt sich der Mensch mehr denn Gott, seine Engel, und was er je erschaffen hat. Diesen tiefen Grund der Verderbung menschlicher Natur können alle gelehrte Leute nicht ge-nugsam aussprechen, kostets demnach viele Mühe, diesen falschen Grund im Herzen umzustoßen und auszureuten. Denn dies ist die rechte Verleugnung seiner selbst, davon uns unser Herr lehret, wollen wir anders seine Jünger sein, Matth. 16,24. und kann eher ein Mensch alles Zeitliche verlassen, Gold, Silber, Häuser und Schlösser, denn er sich selbst verlassen und verleugnen kann, so tief ist das Gift eingewurzelt in der Natur. Zu dieser Verleugnung muß uns Gott durch mancherlei Kreuz zwingen, und alles Kreuz ist zu diesem Ende gerichtet; und was denn also dem Menschen widerfähret äußerlich und innerlich, leiblich oder geistlich, ist von Gott hiezu verordnet, ja von Gott ewiglich dazu auser-sehen.
Gebet um Gnade, Gott allein anzuhangen und sich selbst zu verleugnen.
O Gott, du höchstes Gut! gib, dass ich dich lauter allein in allen Dingen suche, und mich nicht bloß an deinen teuern Gaben genügen lasse, sondern dich selbst als mein Eigentum besitze. Laß mich nicht fragen nach Himmel und Erden, son-dern nur nach dir, und sei und bleibe du allezeit meines Herzens Trost und mein Teil, Amen.