DAS DRITTE BUCH
VOM WAHREN CHRISTENTUM.
VORREDE
ÜBER DAS DRITTE BUCH VOM WAHREN CHRISTENTUM.
Inhalt.
1) Das christliche Leben hat, wie das natürliche, seine Stufen und Alter. 2) Nach den drei Altern sind die ersten drei Bücher eingerichtet. 3) Dies dritte Buch zei-get, wie man Christo, nebst dem Verstand, auch den Willen und das Herz ganz geben soll. 4) Lasst uns den inwendigen verborgenen Schatz suchen, 5) mit einer ruhigen und stillen Seele. 6) Da siehet und findet man das höchste Gut und lebet recht in Gott. Dies ist die rechte Vollkommenheit eines christlichen Lebens.
Gleichwie unser natürliches Leben seine Stufen hat, seine Kindheit, Mannheit und Alter; also ist es auch beschaffen mit unserm geistlichen und christlichen Leben. Denn dasselbe hat seinen Anfang in der Buße, dadurch der Mensch sich täglich bessert; darauf folgt eine mehrere Erleuchtung, als das Mittelalter, durch göttlicher Dinge Betrachtung, durchs Gebet, durchs Kreuz, durch welches alles die Gaben Gottes vermehret werden. Letztlich kommt das vollkommene Alter, so bestehet in der gänzlichen Vereinigung durch die Liebe, welches St. Paulus das vollkommene Alter Christi nennet, und einen vollkommenen Mann in Christo. Eph. 4,13.
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2. Solche Ordnung habe ich in diesen drei Büchern, so viel sichs hat tun lassen, in Acht genommen; und halte dafür, es sei das ganze Christentum (so das Ge-betbuch dazu kommt) hierinnen nach Notdurft beschrieben, obgleich nicht alles vollkommen, oder also, dass nichts weiter verlangt werden könne, ausgeführet ist. Das vierte Buch aber habe ich darum hinzutun wollen, dass man sehe, wie die Schrift, Christus, Mensch und die ganze Natur übereinstimme, und wie alles in den einigen, ewigen, lebendigen Ursprung, welcher Gott selbst ist, wieder ein-fließe, und zu demselben leite.
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3. Damit du mich aber im dritten Buche recht verstehest, so wisse, dass es dahin gerichtet ist, wie du das Reich Gottes in dir suchen und finden mögest, Luk. 17,21. welches, so es geschehen soll, mußt du Gott dein ganzes Herz und Seele geben, nicht allein den Verstand, sondern auch den Willen und die herzliche Liebe. Ihrer viele meinen, es sei gar genug und überflüssig zu ihrem Christentum, wenn sie Christum ergreifen mit ihrem Verstand, durch Lesen und Disputieren, welches jetzt das gemeine Studium Theologium ist, und in bloßer Theoria und Wissenschaft bestehet, und bedenken nicht, dass die andere fürnehme Kraft der Seele, nämlich, der Wille und die herzliche Liebe auch dazu gehöre. Beide mußt du Gott und Christo geben, so hast du ihm deine ganze Seele gegeben. Denn es ist ein großer Unterschied unter dem Verstand, womit man Christum erkennet, und unter dem Willen womit man ihn liebet. Denn wir erkennen Christum, so viel wir können; wir lieben ihn aber, wie er ist. Christum durch bloße Wissenschaft erkennen und nicht liebhaben, ist nichts nütze. Ist demnach tausendmal besser, Christum lieb haben, denn viel von ihm reden und disputieren können, Ephes. 3,19. Derohalben sollen wir Christum mit unserm Verstande also suchen, dass wir ihn auch mit herzlichem Willen und Wohlgefallen lieben. Denn aus der wahren Erkenntnis Christi kommt auch die Liebe Christi. Tun wir das nicht, so finden wir ihn zwar, aber mit unserm großen Schaden, denn dies ist eben das, was der Herr sagt: Matth. 7,21. Es werden nicht alle, die zu mir sagen Herr, Herr in das Himmelreich kommen. Es sind auch zweierlei Wege, Weisheit und Er-kenntnis zu erlangen: Der erste durch viel Lesen und disputieren, die heißt man Doctos, Gelehrte; der andere durchs Gebet und die Liebe, und die heißt man Sanctos, Heilige. Zwischen diesen ist ein großer Unterschied: jene, weil sie nur Gelehrte und nicht Liebhaber, sind stolz und aufgeblasen; diese niedrig und demütig. Durch den ersten Weg wirst du deinen inwendigen Schatz nicht finden; durch den zweiten Weg aber findest du denselben in dir; darauf gehet nun das ganze dritte Buch.
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4. Wie herrlich, köstlich und lieblich ist es nun, dass unser höchster und bester Schatz, das Reich Gottes, nicht ein auswendiges, sondern inwendiges Gut ist, welches wir stets bei uns tragen, verborgen vor aller Welt, und vor dem Teufel selbst, welches uns auch weder Welt noch Teufel nehmen kann; dazu wir auch keiner großen Kunst, Sprachen oder vieler Bücher bedürfen, sondern ein ge-lassenes, Gott ergebenes Herz. Lasset uns demnach Fleiß anwenden, einzu-kehren zu diesem unserm inwendigen, verborgenen, himmlischen, ewigen Gut und Reichtum. Was suchen wir auswendig in der Welt, dieweil wir inwendig in uns alles haben, und das ganze Reich Gottes mit allen seinen Gütern? In unserm Herzen und Seele ist die rechte Schule des heiligen Geistes, die rechte Werkstatt der heiligen Dreifaltigkeit, der rechte Tempel Gottes, 1 Kor. 6,19. das rechte Bethaus im Geist und in der Wahrheit, Joh. 4,24. Denn, obwohl Gott durch seine allgemeine Gegenwart in allen Dingen ist, nicht eingeschlossen, sondern unbe-greiflicher Weise, dadurch er Himmel und Erde erfüllet, so ist er doch sonderlich und eigentlich in des Menschen erleuchteten Seele, darinnen er wohnt und seinen Sitz hat, Jes. 66,1.2. als in seinem eigenen Bilde und Gleichheit, da wirket er solche Werke, wie er selbst ist, da antwortet er im Herzen allezeit auf unser Seufzen. Denn, wie ist es möglich, dass er sich demjenigen versagen kann, bei dem er seine Wohnung hat, ja, welchen er selbst beweget und träget? Denn ihm nichts liebers und angenehmers ist, denn dass er sich allen mitteile, die ihn su-chen.
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5. Dazu gehöret nun eine feine, stille und ruhige Seele. Dann wird aber die Seele ruhig und stille, wenn sie sich von der Welt abwendet. Daher auch die Heiden gesagt haben: Dann werde unsere Seele weise und klug, wenn sie ruhig und stille wird. Davon der heilige Cyprianus herrlich redet: „Das ist, spricht er, die beständige Ruhe und Sicherheit, wenn man von den ungestümen Sturmwinden dieser Welt erlöset wird, und seine Augen und Herz zu Gott erhebet von der Erde, und sich mit dem Gemüte zu Gott nahet, verstehet auch, dass alles, was unter menschlichen Dingen für hoch und köstlich gehalten wird, in seinem Her-zen und Gemüt verborgen liegt; also, dass man nichts von der Welt wünschet und begehret, weil ein solches Gemüt über die Welt ist, und mehr ist als die Welt. O welch ein himmlischer Schatz ist das, von den Banden und Stricken dieser Welt erlöset sein; welch ein hohes und großes Gut, dazu man nicht große Arbeit, Fürbitte an hohe Leute, oder viel Umlaufens vonnöten hat, sondern es ist ein Gnadengeschenk Gottes! Denn gleichwie die Sonne von ihr selbst scheinet, der Tag von ihm selbst leuchtet, der Brunnen von ihm selbst quillet, der Regen von ihm selbst fließt und feuchtet; also gießt sich der heilige Geist in eine solche Seele, die sich von der Welt zu Gott erhebet.“
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6. In diesen Worten ist große Weisheit, und darinnen bestehet die ganze Summa dieses dritten Buchs. Alsdann ereignet sich oft, wiewohl in einem Augenblick, der verborgene Schatz in unserer Seele. Dieser Augenblick ist besser denn Himmel und Erden, und aller Kreaturen Lieblichkeit, wie St. Bernhardus sagt: „Welche Seele einmal recht gelernt hat, in sich selbst einzukehren, und Gottes Angesicht zu suchen, und die Gegenwart Gottes in ihrem Inwendigen zu schmecken; so weiß ich nicht, ob dieselbe Seele sich peinlicher und schmerzhafter achte, eine Zeitlang die Hölle zu leiden, oder dass sie nach erkannter und empfundener Süßigkeit dieser heiligen Übung wiederum ausgehen wolle zur Wollust, oder viel-mehr zur Unlust und Beschwerung der Welt und des Fleisches, und zur uner-sättlichen Begierlichkeit und Unruhe der Sinnen.“ Bis hieher Bernhardus. Denn eine solche Seele findet nicht allein das höchste Gut in ihr selbst, wenn sie zu Gott einkehret, sondern auch das höchste Elend in ihr selbst, wenn sie Gott verlieret. Sie merket wohl, dass sie in Gott lebet, als in dem Ursprung des Le-bens, wenn sie der Welt abstirbt; und hinwieder, je mehr sie in der Welt lebet, je mehr sie Gott abstirbt. Eine solche Seele, die der Welt abgestorben ist, lebet recht in Gott, und ist Gottes Lust und Freude, eine süße und reife Weintraube im Weingarten Christi, wie das Hohelied Salomonis singet; die andern weltsüchtigen Herzen und bittere unreife Trauben. Die Zeichen aber einer solchen Seele, die der Welt abgestorben ist, sind diese: Wenn ein Mensch in allen Dingen Gottes Willen seinem Willen vorzieht, die eigene Liebe dämpfet, des Fleisches Begierde tötet, die Wollust der Welt flieht, sich für den geringsten Menschen achtet, seinen Nächsten nicht leicht richtet und urteilet, Gott das Urteil und Gericht befiehlt, sich nicht erhebet, wenn er gelobt wird, sich auch nicht betrübet, wenn er gescholten wird, alles geduldig leidet, und über niemand klaget. Ein Exempel solches auf-geopferten Willens haben wir am König David 2 Sam. 23,15.17. als er so heftig begehrte das Wasser zu trinken aus dem Brunnen zu Bethlehem, und die drei Helden durch die Feinde hindurch rissen, und dem Könige desselben Wasser holeten, goß er es aus vor dem Herrn, das ist, er verziehe sich seines eigenen Willens, weil die drei Helden ihr Leben durch seinen Willen gewagt hatten.
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7. Siehe hierinnen bestehet die rechte Vollkommenheit eines christlichen Lebens. Denn die Vollkommenheit ist nicht, wie etliche meinen, eine hohe, große, geist-liche, himmlische Freude und Andacht; sondern sie ist eine Verleugnung deines eigenen Willens, Liebe, Ehre und Erkenntnis deiner eigenen Nichtigkeit, eine stete Vollbringung des Willens Gottes, inbrünstige Liebe des Nächsten, ein herz-liches Mitleiden, und in Summa, eine solche Liebe, die nichts begehret, geden-ket, suchet, denn Gott allein, so viel in der Schwachheit dieses Lebens möglich ist. Darinnen bestehet auch die rechte christliche Tugend, die wahre Freiheit und Frieden, in Überwindung des Fleisches und fleischlicher Affekten. Solches wirst du in diesem dritten Buche weiter lesen, und durch Übung befinden. Dazu ich dir und mir die Gnade des heiligen Geistes wünsche, die alles in uns anfangen, mitteln und vollenden muß, zu Gottes Ehre, Lob und Preis, Amen.