DAS ELFTE KAPITEL. (4.B./2.T./11.K.)

 

WIE HOCH DER MENSCH GOTT VERPFLICHTET SEI

WEGEN SEINER LIEBE UND WEGEN DER EMPFANGENEN GABEN.

 

Inhalt.

1) Zweierlei Gaben sind, um welcher willen der Mensch Gott hoch verpflichtet ist: Eine sichtbare, die Welt; eine unsichtbare, Gottes Liebe. 2) Die Liebe ist die erste und größte Gabe und Wurzel aller Gaben. 3) Dafür ist der Mensch viel mehr schuldig, als für alle andere Gaben.

 

Was hast du, o Mensch! das du nicht empfangen hast? 1 Kor. 4,7.

 

Zweierlei allgemeine Gaben sind, dafür der Mensch Gott hoch verpflichtet ist; die eine ist greiflich und sichtbarlich, und ist die ganze Welt, die andere verborgen und unsichtbar, und ist Gottes Liebe.

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2. Die Liebe ist die erste Gabe Gottes, weil sie aber unsichtbar ist, so wird sie für keine Gabe geachtet, und ist doch das Fundament und die Wurzel aller Gaben. Denn alle Gaben entspringen aus dieser Wurzel und Brunnen, und sind nichts anders, denn Zeichen der Liebe, in welchen die unsichtbare Liebe leuchtet; der Mensch aber ist so närrisch, und achtet das sichtbare Ding für eine große Gabe, und denkt nicht, dass die verborgene Liebe, so darunter ist, viel größer und herr-licher sei. Denn gleichwie der Rauch ein gewisses Zeichen ist des Feuers: also sind die Gaben Gottes ein gewisses Zeichen seiner Liebe. Denn wenn er uns nicht hätte geliebt, so hätte er uns auch nichts gegeben. Derowegen sind die Gaben Gottes ein Weg und Leiter zu Gott zu kommen, und Gott zu finden. So groß nun die Gabe ist, so groß ist die Liebe Gottes. Weil nun Gott die ganze Welt und alle Kreaturen, um des Menschen willen erschaffen, ist leicht zu denken, wie groß Gottes Liebe gegen den Menschen sei; denn um des Menschen willen, liebt er die Kreaturen, ja, in allen Kreaturen liebt er nichts als den Menschen; und weil er den Menschen über alle Kreaturen erhoben und geziert, darum so liebt er auch den Menschen über alle Geschöpfe.

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3. Dieweil auch die Liebe Gottes ist die allerreinste, wahrhafteste, sicherste, un-gefälschte, höchste und mildeste Gabe, (denn er den Menschen nicht um etwas geliebt, dass er von ihm Nutzen hätte, sondern aus lauter göttlicher Güte ist er dem Menschen zuvorgekommen, und hat ihn lauter umsonst geliebt, freiwillig, ungezwungen,) so ist auch der Mensch Gott viel mehr schuldig für seine herz-liche Liebe, denn für alle andere Gaben; weil Gottes Liebe besser ist, denn alle Kreaturen. Derowegen ist in allen Dingen zweierlei zu betrachten: Die Liebe, die vorhergeht, und dann die Gabe, die viel geringer ist, als die Liebe. Denn die Liebe ist so edel, wie der selbst ist, der da liebet; und weil nichts Höheres und Bessers ist, denn Gott, so ist auch nichts Edlers und Bessers denn Gottes Liebe. Derowegen ist der Mensch Gott höher verpflichtet für seine Liebe, denn für seine Gaben. Und weil aus unvermeidlicher Not der Mensch Gottes Wohltaten ge-nießen muß, er könnte sonst nicht einen Augenblick leben; daraus folget denn eine unvermeidliche Verbindlichkeit. Und weil niemand, denn Gott allein, dem Menschen geben kann sein Leben und Odem, so ist auch der Mensch Gott über alle Dinge dafür verpflichtet.

 

Gebet um rechte Gegenliebe zu Gott.

 

Herr! du hast mich zuerst geliebt, und deine Liebe durch viele Wohltaten, inson-derheit durch Schenkung deines Sohnes, genugsam erwiesen. Gib, dass ich dich herzlich wieder lieben, und mich ganz zu deinem Dienst ergeben möge, durch Jesum Christum, deinen lieben Sohn, unsern Herrn, Amen.

 

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