DAS VIERZEHNTE KAPITEL. (4.B./2.T./14.K.)

 

WIE UND WAS WEISE

DER MENSCH VERPFLICHTET IST,

GOTT ZU LIEBEN.

 

Inhalt.

1) Die natürliche Verpflichtung zwischen dem Geber und Nehmer verbindet den Menschen, 2) Gott, der ihn aufs Höchste geliebt, 1. seine ganze Liebe zu geben; 3) Gott, der ihn unaufhörlich liebt, 2. ohne Unterlaß beständig zu lieben.

 

Wenn einer all sein Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, so gälte es alles nichts. Hohelied 8,7.

 

Dieweil wir nun gehandelt haben von denen Dingen insonderheit, die der Mensch Gott schuldig ist, und dieselbe ganze Erkenntnis gegründet ist in der Verpflich-tung, so da herrühret aus dem Geben und Nehmen; sintemal eine natürliche Verpflichtung entstehet zwischen dem Geber und Nehmer. Denn diese Verbind-lichkeit ist der Grund, Ursprung, ja, ein unerschöpfliches, natürliches Licht, dabei erkannt werden mag, was der Mensch Gott schuldig sei; und dieweil Gott alles gibt, der Mensch aber alles von Gott umsonst empfängt. Ja, so Gott nichts gäbe, so empfinge der Mensch nichts, derowegen auch keine Verbindlichkeit sein könnte, ja, es könnte kein gewisses Maß, Ordnung und Weise sein, was der Mensch Gott wieder zu geben schuldig wäre. So entspringet demnach aus dem vorigen Grunde die Ordnung und Weise, wie der Mensch wieder zu geben schul-dig ist, was er empfangen hat.

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2. Gleichwie nun die erste Gabe, so der Mensch von Gott empfangen hat, ist Gottes Liebe, denn Gott hat den Menschen geliebt, indem er ihn erschaffen; derohalben ist der Mensch schuldig, Gott wieder zu lieben. Was der Mensch Gutes tut, das hat er von Gott, darum, dass ihn Gott geliebt hat, und der Mensch hat nichts von sich selbst, noch etwa von einem andern ursprünglich. Darum ist er auch niemand anders so hoch zu lieben verpflichtet, als Gott, ja, er ist sich selbst nichts verpflichtet, denn er hat nichts von sich selbst, sondern alles von Gott. Daraus folgt, dass der Mensch seine erste und höchste Liebe Gott geben soll, und nicht sich selbst. Und dieweil er alles allein von Gott hat, so soll er seine ganze vollkommene Liebe Gott geben, und nicht einen Teil derselben einem andern. Denn er hat von keinem andern, die allererste und höchste Liebe, son-dern von Gott, darum soll auch hinwieder seine höchste Liebe Gott sein.

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3. Ja, dieweil der Mensch ohne Unterlaß und augenblicklich von Gott erhalten wird und unaufhörliche Wohltaten von Gott empfängt, und ohne Gott nicht leben kann; ja dieweil es Gott verordnet hat, dass alle Kreaturen dem Menschen dienen müssen, ohne, und außer welchen der Mensch nicht einen Augenblick leben könnte; so folgt, dass auch der Mensch vollkommen, ohne Unterlaß, unaufhör-lich, alle Augenblicke Gott schuldig ist zu lieben. Und das ist die Weise, Art und das Maß der pflichtschuldigen Liebe Gottes.

 

Gebet um Gnade, Gott ohne Unterlaß zu lieben.

 

Es ist ja, Herr! dein Geschenk und Gabe, was ich bin und habe; aus lauter Liebe hast du mich, und mir zu Gute alle Kreaturen erschaffen, dein Aufsehen be-wahret meinen Odem, und ohne dich kann ich nicht einen Augenblick leben. O dass ich dich dafür hinwieder vollkommen und unaufhörlich lieben und loben, dir leben, und mich in Zeit und Ewigkeit ergeben möchte, Amen.

 

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