DAS FÜNFZEHNTE KAPITEL. (4.B./2.T./15.K.)
DASS ALLE KREATUREN
DEN MENSCHEN UNAUFHÖRLICH ERMAHNEN,
GOTT ZU LIEBEN.
Inhalt.
1) Nicht nur die Liebe Gottes reizet, sondern auch alle Kreaturen ermahnen uns, Gott zu lieben; 2) ohne Heuchelei, aus allen Kräften, Gott allein, willig und gerne; das ist Gott der angenehmste Gottesdienst.
Rufet nicht die Weisheit, und die Klugheit läßt sich hören? Öffentlich am Wege und an der Straße stehet sie. Spr. Sal. 8,12.
Nicht allein aber rufet und schreiet die immerwährende unaufhörliche Liebe Gottes, und ermahnet den Menschen, Gott wieder zu lieben aus ganzem Herzen, wie er immer kann; sintemal Gott den Menschen erstlich geliebt vollkommen, ja unter allen Kreaturen der Welt hat Gott den Menschen am höchsten geliebt, ja in der ganzen Welt hat er den Menschen nur allein geliebt, dieweil er alle Kreaturen um des Menschen willen erschaffen hat; daraus denn folgt, dass Gott den Men-schen einig und allein in der Welt geliebt hat. Nicht allein, sage ich, ermahnet diese immerwährende Liebe Gottes den Menschen, seinen Schöpfer zu lieben, sondern auch alle Kreaturen, und die ganze Welt ruft dem Menschen unaufhör-lich zu, dass er Gott liebe. Und das also: denn alle Kreaturen und die ganze Welt erzeigen alle ihre Dienste dem Menschen aus Gottes Befehl, so hoch und gut sie vermögen, oder aus allem ihrem Vermögen, und was sie Liebes und Gutes ver-mögen, geben sie dem Menschen, und das hat ihnen Gott geboten. Damit er-mahnen sie nun den Menschen, dass er hinwieder das Beste, so er hat und ver-mag, Gott, ihrem Schöpfer, wieder gebe, aus dem Fundament der natürlichen Verbindlichkeit. Das Beste aber, so der Mensch hat, ist die Liebe; darum schreien alle Kreaturen, der Mensch soll doch seinen Liebhaber wieder lieben, so freiwillig und gerne, als die Kreaturen dienen aus Gottes Gebot.
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2. Und dieweil die Kreaturen dem Menschen keine falschen Dienste erzeigen, sondern wahrhaftige, ohne alle Heuchelei und Betrügerei, denn Gott hat keine falsche und betrügliche Dienste den Kreaturen eingeschaffen; derohalben ist auch der Mensch schuldig, seinem Schöpfer keine falsche Liebe zu bezeugen, sondern eine reine, ungefärbte Liebe, ohne Heuchelei. Und weil die Kreaturen aus allen Kräften dem Menschen dienen, also ist der Mensch schuldig, aus allen Kräften Gott zu lieben, ja Tag und Nacht, wie die Kreaturen dem Menschen Tag und Nacht dienen. Wie auch die Kreaturen dem Menschen allein dienen; also soll auch der Mensch Gott allein dienen und keinem anders. Denn die Kreaturen sind zu nichts anders geschaffen, und haben kein anderes Absehen, als dem Men-schen zu dienen: also auch der Mensch soll seinen ganzen Willen und Absehen dahin richten, dass er Gott diene. Wie aber auch der Kreaturen Dienst dem Men-schen angenehm ist, und er sein Wohlgefallen daran hat; also auch Gott am Dienst des Menschen, und der allerangenehmste Gottesdienst des Menschen ist die Liebe, so sie aus dem Glauben an Christum, und freiwilligen Geist gehet; nichts aber ist freier und ungezwungener, als die Liebe. Das ermahnen uns nun alle Kreaturen: 1) Gott aus allen Kräften lieben, 2) willig, gerne, 3) von ganzem Herzen, ohne Heuchelei; und zum 4) Gott alleine und keinen andern.
Gebet um Gnade, Gott zu lieben. (Siehe das vorige Gebet.)