DAS ZWEIUNDDREISSIGSTE KAPITEL. (4.B./2.T./32.K.)

 

GLEICHWIE DIE LIEBE GOTTES,

WENN DIESELBE DIE ERSTE IST, UND DEN VORZUG HAT,

DIE ERSTE WURZEL, URSPRUNG UND BRUNNEN IST ALLES GUTEN;

ALSO IST DIE EIGENE LIEBE,

WENN DIESELBE DEN VORZUG HAT,

EIN URSPRUNG UND WURZEL ALLES BÖSEN.

 

Inhalt.

1) Die Liebe Gottes ist eine Wurzel alles Guten in uns. 2) Die eigene Liebe, die Wurzel alles Bösen, gebieret Sünde, Schmerzen, Unruhe, Sorgen; 3) macht den Menschen unmitteilig, geizig, unfriedsam, zum Knecht, unbeständig, schwach, arm, gehässig etc.

 

O Israel! dein Heil stehet allein bei mir; du aber bringest dich in alles Un-glück. Hos. 13,9.

 

Die Liebe ist eine Ursache aller Dinge, und durch die Liebe geschehen alle Din-ge; und dieweil diese zwei, Gottes und die eigene Liebe, abgesagte Feinde mit einander sind, so muß eine sehr gut sein, und die andere böse. Weil aber die Liebe Gottes soll billig die erste sein, so folget daraus, dass dieselbe allein sehr gut sei. Denn die Liebe Gottes ist ein göttlicher Same in uns, daraus alles Gute wächst, und kann aus der göttlichen Liebe nichts Böses wachsen. Denn die Lie-be vereiniget sich mit dem Geliebten, das ist, mit Gott, dem höchsten Gut, sie bleibet und ruhet in Gott, und Gott in ihr; sie freuet sich in Gott, und Gott in ihr; denn Freude wird aus der Liebe geboren, Ps. 18,2. Sie breitet sich aus über alle Menschen, und teilet sich jedermann mit, gleichwie Gott. Ja die Liebe Gottes bedarf keiner Kreaturen, denn sie hat an Gott all ihr Genüge, ihre höchste Liebe und Freude.

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2. Gleichwie nun aus Gottes Liebe nichts Böses in uns wachsen kann, sondern alles Gute, also ist die eigene Liebe die Wurzel alles Bösen in uns, daher alles Böse entspringet; daher kommt alle Ungerechtigkeit, Sünde, Laster, Blindheit, Unwissenheit, Schmerzen, und so macht der Mensch seinen Willen zum falschen Gott. Und wie der rechte wahre Gott ist ein Ursprung alles Guten, so ist der falsche Gott, des Menschen eigener Wille, ein Ursprung alles Bösen. Und weil die Kreatur, so man zuerst liebet, aus Nichts gemacht ist, und nicht in ihr hat eine Beständigkeit und Gewißheit, sondern eilet allezeit zu ihrem Nichts von Natur, und ist allezeit notdürftig; und aber die Liebe auch verwandelt wird in das Ge-liebte, so kann der Mensch in ihm selbst keine Beständigkeit und Gewissen ha-ben, sondern wanket allezeit hin und her, ist immer dürftig, kann nimmer ruhen, denn er hat sich durch die Liebe in das Vergängliche verwandelt. Und weil die Kreatur in ihr selbst ist Nichtigkeit und Eitelkeit; und weil der Mensch der Krea-turen bedarf, so liebet er sie auch wegen seiner Dürftigkeit, und ist ihnen unter-worfen; und weil die Kreaturen verderben, verwandelt werden und vergehen, so ist der Mensch in stetigen Sorgen und Ängsten, der sie liebet. Also macht die eigene Liebe, so im Menschen die erste ist, alle Menschen zu Gottes Feinden, und erfüllet den Menschen mit allerlei Übel und machet ihn unterwürfig den Krea-turen.

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3. Und gleichwie Gottes Liebe macht den Willen des Menschen allgemein, und mitteilig allen, also macht die eigene Liebe den Willen des Menschen unmitteilig, dass sie niemand geneigt, sondern macht den Willen ungerecht, böse, verkehrt, hoffärtig, geizig etc. Und wie die Liebe Gottes den Willen macht ruhig, friedsam, lieblich, also macht die eigene Liebe den Willen des Menschen unruhig, unfried-sam, unfreundlich. Die Liebe Gottes macht den Willen frei, dass er an nichts ge-bunden ist, aber die Kreaturliebe macht den Willen des Menschen unfrei, allen Kreaturen zum Knecht unterworfen. Die Liebe Gottes macht den Willen des Men-schen fest, gewiß, beständig in Gott; aber die eigene Liebe macht den Menschen ungewiß, unbeständig und wandelbar. Die Liebe Gottes macht den Menschen gelinde, stark, reich; eigene Liebe macht den Menschen störrig, schwach, arm. Die Liebe Gottes macht den Menschen allen angenehm; die eigene Liebe macht den Menschen jedermann zuwider, gehässig und feindselig.

 

Gebet um Austilgung der Selbst- und Eigenliebe.

 

Gütiger Gott, barmherziger Vater! hier bringe ich mein armes Herz, welches sich mit der giftigen Wurzel der Selbstliebe noch immer quälen muß, und solche ohne deine Gnade und Hilfe nicht auszurotten vermag; ach, befreie mich davon, und tilge solche aus meinem Herzen, damit der Same deiner göttlichen Liebe in mir möge wachsen und Frucht bringen und ich dessen heilsamlich genießen könne, Amen.

 

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