DAS SECHSUNDDREISSIGSTE KAPITEL. (4.B./2.T./36.K.)
VON DER FRUCHT DER LIEBE GOTTES,
NÄMLICH DER FREUDE IN GOTT.
Inhalt.
1) Aus Eigenliebe wächset Traurigkeit, aus Gottesliebe wahre Freude; 2) welche hier unvollkommen ist, dort vollkommen sein wird. 3) Solchen Schatz erlangen wir durch den Glauben, und bedürfen dazu nichts Auswendiges. 4) Diese Gottes-liebe und Freude können alle Gläubigen haben, und hindert doch keiner den andern.
Fröhlich laß sein in dir, die deinen Namen lieben. Ps. 5,12.
Aller Dinge Ende ist ihre Frucht; unterschiedliche Samen aber bringen unter-schiedliche Früchte. Weil nun im Menschen zweierlei unterschiedliche Samen oder Wurzel sind, nämlich Gottes Liebe und eigene Liebe, so ist aufzumerken, was ein jeder Same für Frucht bringe. Und weil diese zwei Samen im Menschen wider einander sein, so folgt daraus, dass sie auch widerwärtige Früchte bringen. Alles, was der Mensch tut, dessen Ende oder Frucht ist entweder Freude oder Traurigkeit, das ist des Menschen Gewinn oder Frucht in aller seiner Arbeit. Weil nun die Freude eine gute Frucht ist, lieblich und angenehm, derowegen so muß dieselbe aus einem guten Samen oder guten Wurzel hersprießen; und weil die Traurigkeit eine böse Frucht ist, derowegen, so muß sie auch von einem bösen Samen herkommen. Und demnach so ist es gewiß, dass die wahre Freude, da-durch wir uns in diesem Leben in Gott freuen, herkommt und entsprießt von der herzlichen Liebe Gottes; und die Traurigkeit und Pein des Gewissens von der eigenen Liebe. Denn wo keine Liebe ist, da kann auch keine Freude sein, denn die Freude wird aus der Liebe geboren. Wie aber die Liebe ist, so muß auch notwendig die Freude sein. Ist nun die Liebe göttlich, so ist auch die Freude gött-lich; ist die Liebe irdisch, und hängt am Irdischen, so ist die Freude irdisch. Hanget die Liebe Gott allezeit an, so wird sie sich allezeit in Gott erfreuen, und das ist ein Vorschmack des ewigen Lebens.
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2. Wäre die Liebe vollkommen in diesem Leben, so wäre es auch eine voll-kommene Freude. Weil sie aber in jenem Leben wird vollkommen sein, so wird auch im ewigen Leben vollkommene Freude sein; und wie wir Gott ewig lieben werden, so wird auch die Freude ewig sein; und wie die Liebe dort wird voll-kommen sein, wird sie auch haben allezeit ein vollkommenes Gut, dem nichts gebricht, das da unsterblich, unendlich, unwandelbar, unmangelhaft ist. Dero-wegen so wird auch die Liebe unsträflich, ewig, beständig, wahrhaftig, unbeweg-lich, lebendig, unpresthaft sein. Weil nun die Liebe in jenem Leben muß sein rein, unbefleckt, göttlich, so wird auch die Frucht also sein, nämlich eine reine, gött-liche, unbefleckte Freude, die allerbeste und köstlichste Freude, und wird in sich begreifen die höchste Lieblichkeit, den höchsten Frieden, die höchste Ruhe des Herzens, das fröhlichste Jauchzen und Jubilieren der Seele, die höchste Süßig-keit und Genügsamkeit und Sättigung im höchsten Grad, und das seligste Leben, ja das ewige Leben. Denn das ewige Leben ist nichts anders, denn ewige Freu-de, davon die gläubige, liebhabende Seele bisweilen ein kleines Fünklein empfin-det, und ein kleines Tröpflein schmecket, davon das Hohelied Sal. 2,4. singet: Mein Freund führet mich in seinen Weinkeller, er labet mich mit Äpfeln, und er-quicket mich mit Blumen. Und Ps. 100,1. Jauchzet dem Herrn alle Welt. Und abermal Ps. 89,16. Wohl dem Volk, das jauchzen kann. Wer nun diese Freude hat, der hat alles, was er wünschen und begehren mag, und über dieselbe Freu-de kann er nichts mehr wünschen.
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3. Und weil dieselbe Freude entspringet aus der wahren Liebe Gottes, so aus dem Glauben an unsern Herrn Jesum Christum kommt, so folgt, wo wir dies hohe Gut haben, und ein Tröpflein davon schmecken wollen in diesem Leben, ja, wenn wir in uns ein lebendiges Zeugnis haben wollen des ewigen Lebens, dass wir im Glauben nach der einigen Liebe Gottes trachten, und uns derselben ergeben. Daher St. Paulus sagt: Eph. 3,19. Christus lieb haben ist besser, denn alles Wissen. Und weil diese Liebe in uns ist, und nicht außer uns, wiewohl unvoll-kommen, so folgt, dass wir diesen Schatz in unserer Seele haben, und bedürfen nichts auswendiges dazu, weder Gold noch Silber, weder Ehre noch Würde, weder Kunst noch Hoheit, weder Sprachen noch Ansehen, weder Speise noch Trank, noch etwas zeitliches; sondern in der einigen Liebe Gottes ist das alles begriffen. Und weil die Liebe dort wird vollkommen und ewig sein, so wird auch ewiger Friede und Freude sein. Und diesen Schatz und Reichtum wird der Mensch haben in ihm selbst, und wird ihm denselben niemand stehlen können, und er wird auch seine Freude stets in ihm selber haben, dazu er weder Gold noch Silber bedarf, weder Ehre noch äußerliche Herrlichkeit. Denn Gottes Liebe ist ihm alle Herrlichkeit. Und diesen Reichtum weiß und kennet niemand, als der ihn hat. Wer ihn aber in ihm selber hat, der wird nichts Auswendiges begehren, und wird niemand etwas missgönnen, denn er ist voll und satt seines eigenen Guts, seiner eigenen Freude, und begehret nichts, denn die Liebe Gottes, da-rinnen seine Freude und sein Leben ist.
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4. Und solches Schatzes Anfang können alle Gläubige haben, denn Gottes Liebe wird dadurch nicht verringert, sondern mehret sich, und teilt sich unendlich aus, und hindert darinnen kein Gläubiger den andern, sondern machen vielmehr solche Gaben in ihnen wachsen und zunehmen. Denn je mehr ein Mensch Gott liebt, je mehr er sich in Gott erfreuet. Und wie Gott seine Liebe den Menschen austeilet, so teilet er auch seine Freude aus, so offenbaret sich auch Gott seinen Liebhabern, nachdem sie ihn lieben. Und so hat Gottes Liebe und Freude und Erkenntnis in allen Menschen ihre Grade, und hindert hierinnen keiner den an-dern. Daraus ist abzunehmen, wie groß die ewige Freude im ewigen Leben sein wird, weil Gott seine Liebe und Freude in alle Auserwählten ganz ausgießen, und sie damit erfüllen wird, wenn er wird alles in allem sein, 1 Kor. 15,28.
Gebet um die wahre Liebe Gottes.
Bei dir, o Herr! ist Freude die Fülle, und liebliches Wesen; außer dir ist lauter Pein und Bitterkeit. Ach, schenke mir deine wahre Liebe, damit ich dich in allen Dingen, und alles in dir suchen, finden und in dir allein hie zeitlich und dort ewig erfreuet werden möge, durch Jesum Christum, unsern Herrn, Amen.