DAS ZWEITE KAPITEL. (5.B./2.T./2.K.)
DIE VEREINIGUNG GOTTES MIT DEM MENSCHEN
WIRD BEWIESEN DURCH DAS BILD GOTTES IM MENSCHEN.
Inhalt.
1) Weil der Mensch Gottes Bild war, vereinigte sich Gott aufs liebreichste mit ihm. 2) Welch ein herrlicher Ratschluß war nun das: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei! 3) Denn Gottes Bild im Menschen ist ein hellleuch-tender Glanz der unaussprechlichen Gütigkeit Gottes. 4) Des Menschen Voll-kommenheit und Seligkeit ist die Verbindung mit Gott.
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Das Bild Gottes im Menschen ist die Gleichförmigkeit mit Gott, darin das Gleich-nis des unsichtbaren Gottes eigentlich und lebendig abgedruckt ist und leuchtet, nämlich ein Gleichnis der Gütigkeit, Gerechtigkeit, Heiligkeit, Unsterblichkeit, Weisheit, Barmherzigkeit, Macht und Gewalt, und der Glaube etc. Welche Eigen-schaften, weil sie zusammen in Gott wesentlich und unendlich sein, hat er selbst in dem Menschen derselben ein lebendiges Conterfait und Bildnis ausdrücken wollen. Ein jegliches Gleichnis aber gebieret die Liebe, die Liebe aber die Zu-sammenfügung und Vereinigung. Was sollte nun Gott ihm besser und fester mit Liebe verbinden und vereinigen, als sein Ebenbild und Gleichnis? Wo sollte Gott lieber wohnen, als in seinem Ebenbilde? Mit wem sollte er sich lieblicher ver-einigen, als mit dem, den er zu seinem Bild und Gleichnis erschaffen hat? Gott der Vater ist in seinem eingebornen Sohn, welcher Sohn Gottes ist das ewige und wesentliche Ebenbild Gottes des ewigen Vaters. Daher die wesentliche Vereinigung des Vaters und seines Ebenbildes klärlich erscheinet. Zu einem Gleichnis aber dieser Vereinigung und derselbigen nachzuahmen, hat der liebe Gott nach seiner unendlichen Gütigkeit auch mit dem erschaffenen Menschen durch die gnadenreiche Einwohnung wollen vereiniget sein. Derohalben hat er das Licht der wahrhaftigen und vollkommenen Erkenntnis Gottes in des Men-schen Verstand angezündet, auf dass Gott selbst mit dem Glanz und Strahlen seiner göttlichen Weisheit in dem Menschen leuchten möchte. Den Affekt der reinsten und vollkommensten Liebe hat er in des Menschen Herz gepflanzet, auf dass Gott, welcher die Liebe selbst ist, durch die Liebe des Menschen kräftig und tätig sein könnte. Die vollkommene Gerechtigkeit, Heiligkeit und Wahrheit hat er in des Menschen Willen gelegt, dass er selbst seine Gerechtigkeit, Heiligkeit und Wahrheit durch den Menschen üben und erzeigen möchte.
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2. Dies aber hat ohne die Einwohnung und Vereinigung Gottes mit dem Men-schen keinesweges geschehen können, derohalben Gott durch sein Bild und Gleichnis mit dem Menschen sich vereinigen wollen. Wie überaus gütig, herrlich und liebreich ist derowegen der Rat der heiligen Dreieinigkeit, da er beschlossen und gesagt: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, 1 Mos. 1,26. Welches eben so viel ist, als: Lasset uns Menschen machen, die ein lebendiger Spiegel sein unsers göttlichen Lichtes und Weisheit, unserer Liebe und Güte, unserer Gerechtigkeit und Heiligkeit, unserer Wahrheit und Unsterb-lichkeit, unserer Macht und Herrlichkeit, dass wir in dem Menschen, als in unserm lebendigen Ebenbilde herfür leuchten und gesehen werden.
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3. Was ist demnach Gottes Bild im Menschen anders, als ein klarer und wieder-scheinender hellleuchtender Glanz der unaussprechlichen Gütigkeit Gottes? welche Gütigkeit zwar in Gott ursprünglich und wesentlich ist, in dem Menschen aber eine schöne göttliche Zierde und Gnadenschmuck, aus welchem die große göttliche Güte und Herrlichkeit hervorleuchtet und scheinet. Denn so das wesentliche Ebenbild der Sohn Gottes, der Glanz der Herrlichkeit genennet wird, Hebr. 1,3. darum, dass in diesem wesentlichen Ebenbilde Gottes des Vaters Herrlichkeit hervorleuchtet, als die Herrlichkeit des eingebornen Sohns vom Vater; warum sollte denn auch nicht das Gnadenebenbild Gottes in dem Men-schen ein heller wiederscheinender Glanz der göttlichen Gütigkeit billig genennet werden? O der unaussprechlichen Liebe und Leutseligkeit Gottes, die mit keines Menschen Verstand zu begreifen! Was werden die Auserwählten alsdann wohl sein, wenn sie Gott gleich sein, und ihn selbst, wie er ist, sehen werden? 1 Joh. 3,2. Welches denn endlich die vollkommene Vereinigung mit Gott sein wird, da die Gleichförmigkeit mit Gott vollkommen sein wird. Denn je größer und voll-kommener auch in diesem Leben das Bild Gottes in uns erscheinet, je größer ist auch die Vereinigung mit Gott. Darum wird durch das vollkommenste Ebenbild und Gleichnis die vollkommenste Vereinigung vollbracht und vollzogen werden, nämlich alsdann, wann wir ihn, wie er ist, sehen werden.
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4. Derohalben die Vollkommenheit und volle Genüge des Menschen ist seine Vereinigung mit Gott; die Vereinigung aber mit Gott ist die höchste Seligkeit. Die Abscheidung aber und Absonderung von Gott ist die höchste Unseligkeit und äußerstes Elend.
Gebet um Erneuerung des göttlichen Ebenbildes in uns.
(Siehe im Paradiesgärtlein.)