DAS SIEBENTE KAPITEL. (5.B./2.T./7.K.)

 

DURCH DIE GEISTLICHE EHE UND VERMÄHLUNG

GESCHIEHET DIE VEREINIGUNG DES HERRN CHRISTI

MIT DER GLÄUBIGEN SEELE.

 

Inhalt.

1) Wenn Christus, der Bräutigam, zur heiligen Seele kommt, so entstehet Freude und Wonne; 2) denn da wird die Seele ein herrlicher Tempel und Brautkammer Gottes, 3) und die keusche Beiwohnung Christi gebieret unaussprechliche Freu-de. 4) Sonderlich wohnet er gerne in den niedrigen demütigen Herzen; 5) welche wunderliche Vereinigung den englischen und menschlichen Verstand übertrifft. 6) Da führet der Bräutigam mit seiner Braut ein liebliches Gespräch, und läßt sie das verborgene Manna schmecken; 7) welches ein wahrhaftiger Vorgeschmack des ewigen Lebens ist. 8) Da werden sie geistlich trunken, und dürsten noch immer mehr, 9) nach dem Brunn deß, nach welchem auch David verlangte.

 

Wenn der Bräutigam kommt, so freuet sich die heilige Seele, und gibt genaue und fleißige Achtung auf seine Gegenwart. Denn durch seine fröhliche, herzer-quickende und heilige Ankunft vertreibet er die Finsternis und die Nacht, das Herz hat süße Freude, es fließen die Wasser der Andacht, die Seele schmelzet vor Liebe, der Geist freuet sich, die Affekten und Begierden werden inbrünstig, die Liebe wird entzündet, das Gemüt jauchzet, der Mund lobet und preiset, man tut Gelübde, und alle Kräfte der Seele freuen sich, in und wegen des Bräutigams. Sie freuet sich, sage ich, dass sie den gefunden hat, welcher sie liebt, und dass er sie zur Braut auf- und angenommen, welchen sie ehret. O welch eine Liebe! O welch ein feuriges Verlangen! O welche liebreiche Gespräche! O wie ein keu-scher Kuß! Wenn der heilige Geist herabkommt, wenn der Tröster überschattet, wenn der Höchste erleuchtet, wenn das Wort des Vaters da ist, die Weisheit redet, und die Liebe freundlich sie empfängt.

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2. Denn zur selbigen Zeit wird die Seele gemacht zum Tempel Gottes, zum Sitz der Weisheit, zur Wohnung der Keuschheit, zur Lade des Bundes, zur Hütten der Heiligkeit, zur Kammer des Bräutigams, zum geistlichen Himmel, zu einem ge-segneten Acker, zu einem Hause der Geheimnisse, zu einer geliebten Braut, zu einem lieblichen Garten, zu einem Gemach und Zimmer der Hochzeit, und zu einem wohlriechenden und mit schönen Tugendblumen besäeten Paradies-garten, zu welchem der Herr aller Engel und der König der Ehren gehet, auf dass er ihm die herzgeliebte Braut vermähle, so vor Liebe krank ist, mit dem Blümlein des heiligen Verlangens geschmücket, mit den Granatäpfeln der Tugend ge-zieret, und auf ihren Herzgeliebten wartet, wenn er in seiner Zierlichkeit daher kommt. Denn weil sie mit der Krone eines reinen Gewissens glänzet, mit dem schneeweißen Kleid der Keuschheit angetan, und mit den köstlichen edlen Perlen guter Werke gezieret ist, so fürchtet sie sich keineswegs vor ihm, als vor eines strengen Richters Anblick, sondern ihr einiges und herzliches Verlangen ist, dass sie das viel und oft gewünschte Angesicht des Herrn Bräutigams, darnach sie Verlangen getragen, (welches auch die seligen Heerschaaren und heiligen Frohngeister, die Engel im Himmel, für die höchste Herrlichkeit achten) anschauen und sehen möge.

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3. Nachdem sie aber seiner keuschen Beiwohnung genießt, so kann keine Krea-tur wissen, was für Freude aus derselben sie habe, und was sie im Herzen fühle, wie inbrünstig sie werde, wie sie vor Liebe jubiliere und frohlocke, auf was für liebreiche und herzliche Worte und Gespräche sie komme. Niemand, sage ich, kann solches wissen, denn die allein, welche solches erfährt. Fühlen und merken mag mans zwar, aber auszusprechen ists unmöglich. Denn es sind geistliche, geheime und göttliche Sachen, welche man nicht ausreden darf, damit der Bräu-tigam keinen Missfallen daran trage, welchem in Geheim und in der Stille des Herzens zu wohnen beliebt.

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4. Vor allen Dingen aber, und insonderheit, hat dieser Bräutigam große Lust, in den niedrigen und demütigen Herzen zu wohnen, welcher Ehre ist ein Schatz großer und vieler Gnaden, ein tägliches Zunehmen und Wachstum der Gaben, der Frieden des Gewissens, das Licht der Erkenntnis, ein geistliches Jauchzen, ein reines Gebet, ein rechtschaffenes Herz und Gemüt, ein beständiger Glaube, die Kraft des Mitleidens, eine starke Hoffnung, eine brennende Liebe, ein Ge-schmack der göttlichen Süßigkeit, ein Verlangen zu lernen, ein Durst der Tugen-den. Dieses sind der Demütigen große Schätze, die kein Dieb rauben noch stehlen kann, ihre köstliche Edelgesteine, ihr unaufhörlicher Reichtum, ihre hohe Ehren, ihre vortreffliche Herrlichkeiten, ihre geheime Wollüste, ihres Bräutigams Geschenke, ihre hochzeitliche Zierden, und die geistlichen Weinkeller der Braut, in welchen nicht eingehen die Hoffärtigen, noch die Faulen und Unreinen einge-lassen werden. Zwar durch dieses, als durch die geistlichen Türen, kommt der Bräutigam hinein zu der Braut, lehret und unterrichtet sie, und teilet ihr seine Gegenwart mit, nicht durch die leibliche Gestalt, sondern durch das Licht des Glaubens, durch den Schein des Verstandes, durch den Geschmack der An-dacht, durch das Jubelgeschrei des Jauchzens, durch den Freudensprung der Liebe, durch den Kuß des Friedens, durch das Umfahen der Treue. Denn zu derselben Zeit nahet sich der Widersacher nicht herzu, wegen der Gegenwart des Bräutigams, und kein Fremder darf sich nicht einmengen. Denn die Seele ist mit viel tausend heiligen Engeln, welche die Schildwache halten, umringt.

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5. Da ist die demütige Seele worden ein Tempel Gottes, ein Sitz der Weisheit, ein Thron des Worts, ein Haus des Trösters, eine Kammer des Bräutigams, die Lade des Bundes, ein vergoldeter Gnadenthron, eine Hütte der Heiligkeit, ein Ort der heiligen Ruhe, ein Paradies der Wollust, ein verschlossener Garten, ein ver-siegelter Brunn, ein irdischer Himmel, eine himmlische Wohnung. Es verwundern sich zwar die himmlischen Seelengeister selber dieser großen Würde, so dem Menschen von Gott widerfähret, und über die Liebe des Bräutigams, welcher zum Trost der Braut gleichsam den Glanz seiner Gottheit abgelegt, und wie ich sagen sollte, der ewigen Ehre sich entblößet, sich herabläßt und neiget zu wohnen in einem gebrechlichen Gefäße; nicht als ein mächtiger König, noch wie ein Herr über alles, auch nicht wie ein Richter über Lebendige und Tote, sondern wie ein Schwacher mit einer Schwachen, wie ein Niedriger mit einer Niedrigen, wie ein Demütiger mit einer Verachteten, und wie ein Dürftiger mit einer armen Braut. Siehe, sprechen die heiligen Engel untereinander, was ist das für eine Ungleichheit zwischen Gott und den Menschen? Zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpfe? Zwischen dem Herrn und der Magd? Zwischen Tag und Nacht? Zwischen Weisheit und Unwissenheit? Zwischen dem Wort und der Seele? Diese geistliche Vermählung übertrifft weit allen menschlichen Verstand, allen eigenen Willen, alles eheliche Leben. Denn es ist ein himmlisches Geschenk, ein Gna-denwerk des Erlösers, ein geneigter Wille des Bräutigams, ein Vorzug der Liebe, ein besonders Privilegium der vornehmsten Liebe, welches zwar gegeben wird denen, so von Herzen demütig sind, sich wahrhaftig erkennen, sich selber für nichts achten, und die sich gleich für unfruchtbare Bäume, für geringe und schlechte Knechte, für unnütze Gefäße, und für ein stinkendes Aas halten. Diese Seele, zu welcher unser Herr so dienstwillig, so demütig, so fröhlich eingegangen ist, wo sie nicht mit der Tugend der Demut wäre gezieret, und mit dem Glanz der Reinigkeit bekleidet, mit den Flammen des himmlischen Verlangens entzündet, mit stetem Gebet erleuchtet, und unaufhörlich darauf beflissen gewesen, dass sie ein reines Herz bewahren wolle, so wäre sie mit nichten dieser geistlichen und geheimen Ehe und Vermählung des Sohnes Gottes würdig gewesen.

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6. Sie ist aber dem Bräutigam vertraut; sie höret, was er ihr innerlich zurufet: Stehe auf, meine Freundin, meine Schöne, und komme her. Meine Taube in den Felslöchern und in den Steinritzen, laß mich hören deine Stimme, denn deine Stimme ist süß, und deine Gestalt lieblich, Hohel. 2,13.14. Die Braut aber, die über dem herzbrechenden lieblichen Gespräch krank worden ist, spricht vor Liebe: Meine Seele schmelzet mir gleich im Leibe, da mein lieber Buhle redete. Mein Freund ist mir ein Büschel Myrrhen, das zwischen meinen Brüsten hängt. Mein Freund ist mir ein Trauben Copher, in dem Weingarten Engedi, Kap. 1,13.14. Der Bräutigam aber wiederholet das Lob der Braut, damit er sie weiter in der Liebe anzünde, und spricht: Deine Lippen, meine Braut, sind wie ein triefen-der Honigseim, Honig und Milch ist unter deiner Zunge, und deiner Kleider Ge-ruch ist, wie der Geruch Libanon. Meine Schwester, liebe Braut, du bist eine verschlossene Quelle, ein versiegelter Brunn. Dein Gewächs ist wie ein Lust-garten von Granatäpfeln, Kap. 4,11.12.13. Sie aber, die Braut, die voller süßer Liebe ist, antwortet: Mein Freund ist weiß und rot, auserkoren unter viel tausend. Ich halte ihn, und will ihn nicht lassen, Kap. 5,10. In dieser allerheiligsten Um-fangung werden viele heilige Liebesküsse gegeben, und freudenreiche Ge-spräche gehalten, welche keines Menschen Ohr gehöret, keines Hochmütigen Auge gesehen, und in keines Menschen Herz, der fleischlich gesinnet, kommen ist. Es sind nur solche Wollüste, welche für die Demütigen gehören; es ist ein verborgenes Manna, es ist Honig in Honigseim, und ist Wein in Milch vermischt. Wenn das genossen wird, so werden die Herzen erfreuet und erquicket, dass ihnen die Mühe und Arbeit dieser Wanderschaft desto leichter werde. Denn sie würden leichtlich auf dem Wege verschmachten, wenn sie nicht bisweilen mit der geistlichen Speise erquicket, mit Milch gespeiset, mit Besuchung gestärket, mit Gespräch unterrichtet, und mit leiblichen Banden der Liebe und Gegenliebe ver-bunden würden; denn da kommen sie zum Verstand, und schmecken, wie viel und mancherlei die Süßigkeit des Herrn sei, welche verborgen ist den Erwählten, und verheißen den Demütigen, und die Gott von reinem Herzen lieben.

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7. Dieses ist ein Vorgeschmack des ewigen Lebens, welches ist das höchste Gut, die ewige Freude, eine unaussprechliche Wonne, eine vollkommene Satt-samkeit, ein unzerstörter Frieden, eine wahre Freiheit, eine sichere Genießung, eine unaufhörliche Erquickung, ein wirkliches Jauchzen, ein unendliches Loben, welches kein Unfall zerstöret, kein Feind raubet, keine Zeit ändert noch benimmt, denn sie ist fest, beständig und ewig. Denn welcher Mensch des Herrn Lieblich-keit ist teilhaftig worden, der hat nichts, davor er sich fürchte, das ihn schmerze, daran er zweifelte, und darauf er ferner hoffete. Denn er genießt allezeit der Gegenwart dessen, den er liebt, welchen er lobt, welchen er ehret, welchen er erkennet. Denn seine Erkenntnis ist das ewige Leben, sein Kuß ist die höchste Seligkeit, seine Liebe ist die höchste Herrlichkeit, sein Lob ist die unaussprech-liche Freude, und seine Gegenwart ist die starke Besitzung aller Güter. Wer da hinein kommt, der geht auf die grüne Weide, welche nicht verwelket; er kommt zur lieblichen Wollust, die nimmermehr aufhöret; zu den Schätzen der Weisheit, die nicht verderben, zu dem Glanz der Wahrheit, welcher mit nichten verdunkeln wird; zu dem Lande der Lebendigen, welche Gott unaufhörlich loben; zu der Stadt Jerusalem, welche von dem Scheine der ewigen Sonne hell glänzet, und auf dem heiligen Berge Zion, welcher mit tausendmal tausend heiligen Engeln gezieret, und mit dem Chor aller Heiligen geschmücket ist, welche alle zugleich mit einhelliger Stimme, gleichem Gesang, einerlei Gedanken, unsern Gott mit inbrünstigen Begierden, so viel sie vermögen, loben und sprechen: Heil und Preis, Ehre und Kraft sei Gott, unsern Herrn von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. Off. 10,1.

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8. Sie legen ein jeder seine Krone zu seinem majestätischen Ehrenthron, Offenb. 4,10. Denn die Ehre, das Lob, die Ehrerbietung, so sie ihrem Schöpfer bringen werden, ist voller lauterer Liebe, auf Demut gegründet, mit Verwunderung ver-mischet, und von begieriger Nießung des höchsten Guts feurig und brünstig. Denn sie trinken zwar, und dürsten doch immer zugleich; sie werden satt, und sind doch hungrig; sie haben alles die Fülle, und begehren erfüllet zu werden. Denn sie werden von dem Überfluß der ewigen Wollust trunken gemacht, indem sie nach Lust weislich und mäßig schöpfen von dem Brunnen des Lebens den Trunk der göttlichen Süßigkeit, und von dem Licht der seligmachenden Anschau-ung das unaussprechliche Licht, wie der Prophet bezeuget, da er spricht: Sie werden trunken von den reichen Gütern deines Hauses, und du tränkest sie mit Wollust als mit einem Strom. Denn bei dir ist die lebendige Quelle, und in deinem Licht sehen wir das Licht, Ps. 36,9.10. O selige Trunkenheit, welche voller Nüch-ternheit ist, welche nach ihrem Überfluß und Geschmack den, so es genießt, erhebt zu Gott, und vereiniget ihn mit Gott, dass sie eins werden. O Brunn des Lebens! der da bei Gott ist, von welchem freilich alle, welche zum himmlischen Panket und Wohlleben versehen sind, ohne einigen Abbruch dieses Brunnens trinken, zur seligen vollkommenen Sattsamkeit.

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9. Nach diesem Brunnen hatte der König David inbrünstiges und sehnliches Ver-langen, da er sagt: Ps. 42,3. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendi-gen Gott. Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue? Denn daselbst ist alles löblich, lieblich und anmutig; da ist die Breite der Güte, die kein Ende hat, und alles begreift; da ist die Weisheit, welche alles erforschet, da ist die Hoheit über allen Irrtum. Wer diesen Brunn erkennet, der hat unaussprech-liche Freuden.

 

Gebet um die geistliche Vermählung der Seele. (Siehe im Paradiesgärtlein.)

 

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