Gründonnerstag

Gründonnerstag

Um zu verstehen, was es am Gründonnerstag zu feiern gibt, müssen wir uns in die Zeit versetzen, da Jesus mit seinen Jüngern durch Palästina wanderte und alles mit ihnen teilte. Denn er hatte die Jünger berufen, ihm nachzufolgen – und hatte sie dazu herausgerufen aus ihrer alltäglichen Arbeit, aus ihren Häusern und ihren Familien. Die Jünger folgten ihm ganz konkret zu Fuß, ohne lang zu fragen. Denn bei Jesus zu sein, war ihnen wichtiger als alles andere. Sie wollten nichts von dem verpassen, was er tat, und wollten alles hören, was er sagt. Sie wollten verstehen, was ihn bewegt, und bei jedem seiner Schritte dabei sein. Denn so einem Menschen waren sie nie zuvor begegnet. Obwohl sie von Jesu Worten immer nur die Hälfte verstanden, wollten sie unbedingt an seinem Leben teilhaben. Er aber wollte seinerseits dasselbe, teilte bereitwillig sein Leben mit ihnen, gab, was er zu geben hatte, und hielt dabei nichts zurück. Wie ein Hirte sammelte er seine Herde um sich und ersetze den Jüngern das alte Leben, das sie um seinetwillen verlassen hatten, durch immer neue Einsichten und Erfahrungen. Sie haben sich dann oft an der falschen Stelle gefreut – oder wurden an der falschen Stelle zornig. Jesus korrigiert sie aber mit großer Geduld. Er lehrt sie beten, lehrt sie geistlich zu streiten und warnt vor Gefahren. Er gibt ihnen Geistesgaben und die Vollmacht, in seinem Namen zu taufen und zu predigen, zu binden und zu lösen. Er legt seinen Frieden auf sie und bezieht sie in Gottes Liebe mit ein. Und so weit geht die Identifikation, dass Jesus zu den Jüngern sagt: „Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich“ (Lk 10,16). Das ist aber umso erstaunlicher, als Jesus weiß, wie oft seine Jünger schon versagt haben und noch versagen werden. Er kennt ihre Schwächen. Und doch teilt er mit ihnen nicht nur sein Wissen, seinen Geist und die Nähe des Vaters. Er teilt ihnen nicht nur seinen Segen mit, seine Vollmacht und seine Kraft. Sondern er teilt buchstäblich sich selbst – und gibt ihnen Anteil an seiner Person. Denn so wie er am Kreuz nicht dies oder das, sondern „sich“ hingibt, so tut er‘s auch schon am Vorabend, bei der Mahlzeit am Gründonnerstag. Auch da gibt Jesus seinen Jüngern nicht dies oder das (nicht bloß Segen, Kraft, Brot oder Wein), sondern gibt sich selbst und hält nichts zurück, damit seine Jünger nicht nur teilhaben an seiner Lehre, seiner Autorität oder seiner Mission, sondern teilhaben an ihm selbst. Und das ist ebenso konsequent wie bestürzend. Denn nicht genug, dass Jesus beim letzten Mahl mit den Jüngern ihr Gastgeber ist – nein –, er will zugleich auch ihre Speise sein! Er gibt ihnen nicht bloß „etwas“, sondern sich. Denn in dem Brot, das er mit ihnen teilt, ist auf rätselhafte Weise er selbst enthalten. Und indem die Jünger davon essen, ist Jesus nicht mehr nur „bei“ ihnen, sondern „in“ ihnen und verwandelt sich in sie, wie auch sonst alle Nahrung, die in den Körper eingeht, in ihm aufgeht. Die Jünger aber, die damit Jesus aufnehmen in die eigene Person, verwandeln sich ihrerseits in Glieder des Leibes Christi. Denn indem sie seinen Leib aufnehmen in sich, werden sie aufgenommen in ihn – und bilden dann miteinander den einen Leib Christi. Christus wird auf so unbegreifliche Weise ihre Speise, dass anschließend er in ihnen, und sie in ihm sind. Danach kann Christus von seinen Jüngern nicht mehr sinnvoll unterschieden werden. Und er will es auch nicht. Denn untrennbare Gemeinschaft herzustellen, ist ja gerade das Ziel der heiligen Handlung, die Christus zu wiederholen befiehlt. Durch das Abendmahl existiert er in seiner Gemeinde und als seine Gemeinde – während wiederum die Gemeinde von dem lebt und für den lebt, an dem sie teilhat. Die Gemeinschaft, die am Gründonnerstag entsteht, sammelt sich also nicht bloß um Jesu Lehre herum oder um ein Ritual, sondern um Jesus Christus selbst. Denn in dem Mahl ist nicht „etwas“ von ihm enthalten, sondern er selbst. Und nur durch die innige Verbindung mit ihm hat die Gemeinde auch das Heil, das Christus für sie „erwarb“. Denn in seiner Person ist alles Heil eingeschlossen – samt aller Vollmacht und Wahrheit, samt seiner Kraft, seinem Segen und dem ewigen Leben. Das alles wird in der Feier des Abendmahls dargereicht und von den Teilnehmenden empfangen. Aber es ist nur in und mit Jesus Christus da, der sich im Sakrament selbst verschenkt. Und so ist das Abendmahl nicht etwa die Inszenierung eines Versprechens, das erst noch woanders eingelöst werden müsste, sondern es gibt unmittelbar das, was es zeigt, mit sofortiger Wirkung. Es geht dabei nicht um ein pädagogisch-wertvolles „Symbol“, um ein bedeutungsschweres „Zeichen“ oder eine „gleichnishafte Handlung“ mit „übertragenem Sinn“, sondern um die Sache selbst, die Gegenwart Christi. Denn als Gottes Sohn zu den Jüngern sprach „das ist mein Leib, das ist mein Blut“, war das durchaus nicht „bildlich“ oder „metaphorisch“ gemeint, sondern konkret. Es hieß: „das bin ich, gegeben für euch.“ Und darum hat das Abendmahl keinen „bildlichen Sinn“, so als ob Brot und Wein bloß an uns appellierten: „Stell dir ganz fest vor, Jesus Christus wäre da!“ Sondern er ist da. Und er ist es sogar dann, wenn ein Heuchler das Sakrament spendet, und ein Ungläubiger es empfängt. Denn Christi Gegenwart ist kein Rätsel, das erst noch der Interpretation bedürfte, sondern ist Tatsache. Genauso real wie Christus damals seinen Jüngern gegenüberstand, so real begegnet er uns heute im Abendmahl. Und wäre es weniger als das, könnten wir’s bleiben lassen. Denn bei aller Liebe zur bildhaften Rede brauchen Sünder doch keine bildhafte Erlösung, sondern eine wirkliche. Wir haben durchaus kein „Symbol“ der Gnade nötig, sondern die Gnade selbst. Und darum werden wir auch nicht auf eine Vergebung „verwiesen“, die erst noch jenseits des Abendmahls auf einer „anderen Ebene“ stattfinden müsste. Sondern wir empfangen diese Vergebung durch das Abendmahl selbst so konkret und verbindlich, wie unsere Not vor Gott konkret und verbindlich ist. Wir treten nicht als „metaphorische“ Sünder zum Altar, sondern als wirkliche. Und darum wäre uns mit weniger als dem wirklichen Erlöser auch nicht zu helfen. Denn die symbolische Darstellung eines Arztes wird ja auch keinen Kranken heilen, sondern nur der Arzt selbst kann das tun. Und so sind Brot und Wein nicht etwa verweisende „Zeichen“ für eine Wirklichkeit, die man sich erst noch dazudenken müsste, sondern sie enthalten Christus selbst. Die greifbaren und schmeckbaren Substanzen sind Mittel, Medium und Vehikel dessen, der in und mit Brot und Wein der Unsre werden will. Christus möchte nicht geistig „vorgestellt“, sondern leiblich aufgenommen werden. Und so wird im Abendmahl nichts „veranschaulicht“, was parallel dazu auf einer „geistigeren“ Ebene stattfindet, sondern es wird leiblich gegeben, was ohne die leiblichen Mittel nicht in derselben Weise gegeben werden kann. Nichts an dieser Feier ist „virtuell“ – alles ist „konkret“. Sie drückt dem Teilnehmer keinen Gutschein in die Hand, der erst noch eingelöst werden müsste, sondern die Feier ist selbst die unmittelbare Gemeinschaft mit Christus. Und das zu wissen, ist tröstlich. Denn es bedeutet, dass uns – trotz großem zeitlichen Abstand zum Ursprungsgeschehen – die Stärkung nicht vorenthalten wird, die wir für den Weg der Nachfolge brauchen. Christus sagt: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten“ (Joh 6,35). Das heißt: Wer in ihm ist, und in wem er ist, der hat damit ein neues Leben begonnen als Gottes Kind und Jesu Freund, als Glied an seinem Leib und als Teilhaber an der Fülle der Gottheit. Wenn also ein Christ im Glauben an den Altar tritt, empfängt er dort unmittelbar, was er sucht, ist zugleich erwählt und zum Heil vorherbestimmt, ist gerechtfertigt, versöhnt, erlöst, gesalbt, versiegelt, begnadigt, geheiligt und mit Gottes Geist beschenkt. Den Beweis all dessen hält er aber mit dem schlichten Brot des Abendmahls in der Hand. Denn, sakramental mit Christus vereint, hat er volles Bürgerrecht im Himmel und ist frei von aller Verdammnis. Empfängt er das Sakrament in ungeheucheltem Glauben, ist er im selben Moment auch Gottes Tempel und Salz der Erde, ist ein Mitarbeiter des Höchsten und ein Botschafter der Versöhnung. Was immer er früher verbrochen haben mag – er darf sich dessen freuen, dass sein Name im Himmel geschrieben steht. Und er darf wissen, dass dort schon jetzt ein Stuhl für ihn reserviert ist. Denn Paulus versichert es uns ausdrücklich. Der „gesegnete Kelch, den wir segnen“ ist „die Gemeinschaft des Blutes Christi“, und „das Brot, das wir brechen“ ist „die Gemeinschaft des Leibes Christi“ (1. Kor 10,16-17). Ist uns aber mit den schmeckbaren Gaben die Gemeinschaft Christi geschenkt, und mit Christus wiederum das ewige Leben – was soll uns dann noch fehlen? Hat Gott uns seinen Sohn gegeben, wie wird er uns mit ihm nicht alles schenken (Röm 8,32)? Größeres kann er doch gar nicht mehr schenken, nachdem Gottes Sohn sich selbst uns gab! Sind wir aber Glieder seines Leibes – und dürfen uns dessen bei jedem Abendmahl neu vergewissern – was soll dann noch schiefgehen? Könnte Gott die jemals vergessen, für die sein Sohn so teuer bezahlt hat? Oder wäre gegen seinen barmherzigen Willen irgendein Kraut gewachsen? Haben wir Anteil an seiner Gerechtigkeit, wer will uns noch verklagen? Und haben wir in ihm die Wahrheit selbst, wer kann die auf Dauer verleugnen? Wenn aber Christus unsere Hand nicht mehr loslässt – werden wir dann nicht zwangsläufig dorthin kommen, wo er ist, und durch Not und Tod hindurch in den Himmel gelangen? Zugegeben: diese Verheißungen sind schwer zu glauben. Denn wir Menschen sind nichts als Bündel von Ängsten und Begierden – und sind der Liebe Gottes nicht wert. Und doch lädt er uns ein, auf dass sein Haus voll werde (Lk 14,23). Wir sind keine würdigen Gäste für seinen Tisch. Und doch lässt er uns von den Hecken und Zäunen herbeiholen. Denn die ursprünglich Geladenen ließen sich entschuldigen. Und der Gastgeber, der sein Fest nicht absagen möchte, ersetzt sie durch uns. Da werden Arme, Verkrüppelte, Blinde und Lahmen genötigt, an der feinen Tafel Platz zu nehmen – und wundern sich sehr. Wenn aber auch wir dabei sind: sollten wir uns nicht freuen? Gott lädt uns an seinen Tisch. Und wir müssen nicht lange zaudern. Denn wenn sich der Höchste für uns nicht zu schade ist – warum sollen wir ihm seine Freundlichkeit ausreden? Gott will sein Leben mit uns teilen und wählt das Abendmahl als Mittel, um sich uns zu schenken. Lassen wir uns also nicht lange bitten, sondern sagen wir „danke“, schätzen wir uns glücklich und treten wir herzu an den Tisch des Herrn. 

 

 

Gebet zum Gründonnerstag

 

Herr, unser Gott,

du hast uns aufgetragen, das heilige Abendmahl immer wieder zu feiern. Und wir danken dir, dass wir daran teilnehmen dürfen. Denn, dass du für uns einen Stuhl frei hältst an deinem Tisch, ist freundlich und staunenswert. Was hast du Heiliger zu schaffen mit uns Sündern? Was hat der Ewige zu schaffen mit den Sterblichen? Was verbindet den Reinen mit den Schmutzigen, und den Herrn mit seinen Knechten? Allein deine Liebe überbrückt die Kluft und erhebt uns so hoch. Du aber freust dich darüber und teilst uns nicht nur „etwas“ mit, sondern teilst dich selbst mit – im Blut und im Leib deines Sohnes. Wir kommen zu dir wie Kranke zum Arzt des Lebens, wie Schmutzige zum Bad des Erbarmens, wie Blinde zum Licht der Klarheit. Du aber willst durch das heilige Mahl unsere Krankheit heilen, unsere Flecken abwaschen und unsere Blindheit erleuchten. Du hast dich für uns in den Tod gegeben – und auch zu einer Speise des ewigen Lebens. Darum verleihe uns, dass wir deine Gaben in ungeheucheltem Glauben empfangen und sie dann nicht mehr aus dem Herzen lassen. Durchdringe uns mit deiner Kraft. Präge unser Wollen, Denken und Tun. Und lass deine Gaben in uns wirksam werden zu starkem Glauben an dich und zu herzlicher Liebe untereinander. Belebe unsere Gemeinschaft mit deinem Geist. Und hilf uns, über den Gütern dieser Erde das ewige Heil nicht zu verlieren. Lehre uns heilig zu werden, wie du heilig bist, und die erfahrene Barmherzigkeit auch anderen zu erweisen – auf dass unser ganzes Leben Zeugnis gebe von deiner Macht und Güte. Amen. 

 

 

Bild am Seitenanfang: A Scottish Sacrament

Henry John Dobson (1858–1928), Public domain, via Wikimedia Commons